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Einleitende Bemerkungen.

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aum darf wohl von dem Interesse, welches die Kenntniss des Mosaischen Rechtes dem Archäologen, Geschichtsforscher und Schriftkundigen darbieten muss, die Rede seyn. Das Mosaische Recht bildet einen wesentlichen Theil der in den Büchern Mosis enthaltenen Gesetze, der Hauptquelle für die Erkenntniss der Hebräisch-monotheistischen und sittlichen Ansichten, welche auch in allen übrigen Schriften des a. T., namentlich den prophetischen und den Psalmen uns entgegentreten. Wer das Volksleben der Hebräer begreifen und würdigen, wer in den Geist der von ihnen hinterlassenen Schriftwerke und ihrer Wirksamkeit für den endlichen Sieg monotheistischer Anschauung eindringen will, muss den Grund und Boden kennen lernen, auf welchem ein solches Leben sich entfaltete, aus welchen die Stämme Israels den erfrischenden Saft einsogen, der alle die Zweige ihrer nationalen und religiösen Eigenthümlichkeit hervortrieb und den mitunter herrlichen Blüthen ihrer geistigen Erzeugnisse Gehalt und Farbe gab. Dieser Grund und Boden ist nicht, wie bei andern Völkern, das Land; es sind die Gesetze Israels. Zu einem Volke herangebildet und geeinet, ehe es in den Besitz seines Landes gekommen war, zersplitterte sich sein geistiger Zusammenhang auch nicht, als seine Wohnsitze ihm entrissen wurden. Die Sicherheit seiner Existenz wurzelte stets in seinem Gesetze, obschon auch in seinen national-religiösen Erinnerungen, die sich aber ebenfalls mit jenem vielfach identificiren. Diese Existenz konnte wohl, anderthalb Jahrtausende hindurch auf die Basis bestimmter, geographischer Beziehungen gebracht, mehr gestählt werden, mehr Bindung und Festigung gewinnen, aber nicht von geographisch-staatlichen Verhältnissen durchaus abhängig und darum, von ihnen losgerissen, nicht entwurzelt werden. Daher sind zwar die Hebräer in ihrem äussern Treiben durch alle Formen menschlicher Beschäftigungen gegangen sie fingen mit Nomadenleben an, wurden dann ein ackerbautreibendes Volk und

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endlich, ausserhalb Palästinas, durch Abscheidung von fast allen übrigen Berufsarten, unfreiwillig in die Interessen des Handels geworfen aber bei allem diesem Wechsel im äusseren Seyn, und bei all der Macht, die die Zeit, deren Einwirkungen im Werden und Wissen sie sich nie entzogen, auf sie übte, waltete in ihnen doch stets, geistig- einigend, der Einfluss derselben alten Lehren und Gesetze. Diese gaben der durch alle Länder zerstreueten Gemeinde Lebens - Richtung, Kraft und Ausdauer, und liessen sie Jahrtausende hindurch zersetzenden Gewalten widerstehen, durch welche so viele andere Gemeinschaften und Völker aufgelöst und, fast bis zum Gedächtnisse ihres Namens, vernichtet wurden. Die über Alles siegende Treue für das alte Gesetz sicherte den in den äussern Lebensverhältnissen so vielfach Unterdrückten, zum Theil grausam Gemarterten, die innere Freiheit der Ueberzeugung, sie gab ihnen den,, Muth der Meinung".

Man mag über diese Erscheinungen denken, wie man wolle, man mag an denselben Aerger nehmen, oder sie einer achtungsvollen Anerkennung werth halten, immer kann es nicht ohne Interesse seyn, auf die ersten Erklärungs-Gründe dieses religiös-historischen Problems zurückzugehen und den Inhalt eines Gesetzbuches näher kennen zu lernen, welches, ohne diejenigen, denen es gegeben ward, in irgend eine abgeschlossene Ecke der Erde zu bannen, ohne sie geistig von der Gemeinschaft mit andern Völkern zu trennen, wogegen es vielmehr die Zerstreuung Israels unter alle Völker weissagt, ohne freierer Erkenntniss und Forschung irgend wie entgegen zu treten, die es vielmehr, keine Art von Geheimlehre gründend, dem ganzen Volke zur Pflicht macht, gleichwohl in einem bestimmten Gedankenkreise eine solche eiserne, jetzt schon fast viertehalb Jahrtausende unerschütterliche Festigkeit begründet hat.

Einen vorzüglichen Werth aber muss die Kenntniss des in diesem Buche zu behandelnden Theiles der Mosaischen Gesetze für den Rechtskundigen, den Staatsmann haben, abgesehen von dem praktischen Einflusse, den das Mos. Recht auf die Gesetzbücher neuerer Völker, und namentlich auch auf das Kirchenrecht ausgeübt. Hier ist eingestandenermassen das älteste schriftliche Denkmal nationaler Jurisprudenz, deren Grundlage in die frühesten Zeiten hinaufreicht. Das sich hier findende Recht ist einerseits noch so einfach, so nahe an wirkliches Naturrecht grenzend, und es entspricht doch wiederum anderseits schon einem so hohen Fortschritte menschlicher Civilisation, es findet ausserdem so manchen Wiederhall in den gesetzlichen Institutionen anderer

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Völker des Alterthums und giebt für sie so manche willkommene Erläuterung, dass es dem Gesetzes - Forscher zu einer reichen Quelle der Belehrung werden muss.

Fassen wir besonders das Mos. Recht in seinem Verhältnisse zur Gegenwart auf, so ist es, als wenn wir diese, mit ihren Wünschen und dem theilweise Errungenen, mit ihren Kämpfen, Siegen und Sorgen, schauen würden in einem Spiegel alter Zeiten, längst vorübergegangener und doch sich ewig wiederholender Bestrebungen und Zustände. Hier, in dem Mos. Rechte, sehen wir mit Erstaunen viele der wichtigsten Fragen berücksichtigt und auf dem friedlichen Wege gesetzgebender Weisheit gelöst, die unsere Zeit bewegen, die Völkermassen im vernichtenden Kampfe an einander zu werfen drohen, den Boden unter unsern Füssen zittern machen, und eine Gährung hervorgerufen haben, die allerdings besser ist, als der sumpfartige Stillstand, aus dem nimmermehr der reine Geisteskelch eines freien, frischen, edlen Völkerlebens emportauchen

Ob die Lösung der Zeitfragen, so wie sie in den Mosaischen Institutionen sich darbietet, noch jetzt durchaus genügend und anwendbar seyn möchte, hierauf kann es wohl, bei der Würdigung der letztern auf deren Standpunkte, nicht ankommen. Genug, dass wir jedenfalls aus ihnen Vieles auch für unsere Verhältnisse lernen können, und längst gelernt hätten, wenn man neben dem Römischen Rechte, in seiner zwar bewundernswürdig grossartigen Anlage, aber auch mit seinem vielfach beengenden Formwesen, mit der Sklaverei seiner, alle menschliche Würde verkennenden und untergrabenden Familiengesetze, wenn man neben diesem unserer emporstrebenden Jugend die edlen, einfachen Züge einer Gesetzgebung vorgeführt hätte, in welcher, wie alle Forscher, die in ihren Inhalt tiefer eingedrungen sind, aus einem Munde bekennen, ein wahrhaft hoher und freier Geist waltet.

In dem Alterthume ging bei den meisten Völkern das Individuum im Staate auf. Es war die in ihrem Grundwesen heilige und die schönste Blüthe alles Völkerlebens bildende, dort aber auf die Spitze getriebene Vaterlandsliebe. Selbst der edle Plato giebt der Republik die Familie Preis. Gegentheils machte sich im Mittelalter das Individuum auf Kosten des Gemeinwesens geltend. Jeder ging kampfgerüstet, mit ritterlich-kühnem, ungebändigtem Muthe, seinen eignen Weg. Der Vereinigung von Beidem, dass ein Jeder zugleich sich selber und dem Ganzen angehöre, dass er, seiner eignen Freiheit sich bewusst, sie in Uebereinstimmung bringe mit dem Gesetze, der Freiheit Aller, dass er, ein Theil des Ganzen, doch

nicht willenlos in demselben aufgehend, sich selber und den Seinige Viel, und Allen mindestens Etwas sey und seyn dürfe, dieser Aufgabe gilt das Ringen der letzten Jahrhunderte, für ihre möglichst glückliche Lösung arbeitet die Gegenwart. Dies Streben liegt, seiner selbst sich mehr oder minder bewusst, der in dieser Zeit so auffallend überall hervortretenden Neigung zu Grunde, Associationen zu bilden, zu Gesellschaften sich zu vereinigen, in welchen das Individuum aus seiner Isolirtheit heraustritt, um zwar auch seine eigenen Interessen im Kreise der Vielen zu vertreten, aber auch ihre Interessen zum Massstabe jener zu nehmen und den Egoismus für die Liebe aufzugeben.

Ein solcher Mechanismus nun des Staats- Ganzen mit der Bürgschaft für die Freiheit des Einzelnen, freilich in dem Gewande alter, patriarchalischer Verhältnisse, bietet sich in den Mosaischen, wesentlich demokratischen Institutionen dar. In der hier zuerst auftretenden „Gemeinde“ (auf deren früh gelegtem Grunde das neueste Gemeindewesen sich auferbauet hat, aber meist nur für kirchliche Zwecke, während jene Alles umfasste) war das Volk durch seine Häupter repräsentirt, in seinen Rechten und Freiheiten geschützt, wie es überhaupt die deutlich ausgesprochene und in einer Reihe von Institutionen sich bewährende, auch sonst schon anerkannte Tendenz des Gesetzgebers ist, ein tiefes Gefühl für Freiheit im Volke zu begründen. Was in irgend einer einzelnen Familie des Volkes gedacht wurde, an gemeinnützigen Entschlüssen reifte, es durfte nicht untergehen, vor der Volksgemeinde konnte es sich geltend machen. Hier fanden die Propheten, den Königen gegenüber, den Schutz der freien Rede, sie, die aus allem Volke hervorgingen, um die Verbrechen der Grossen zu geisseln. Hier verschaffte sich der Volksbefreier augenblicklich Gehör und Kriegsschaaren, und es würde uns ganz unverständlich bleiben, wie ein Einzelner, ein Weib, das im Volke sich erhob, so rasch Erfolge gewinnen konnte, wenn wir diesen lebendigen Mechanismus, durch welchen alle einzelnen Glieder mit dem Ganzen und mit einander in Beziehung standen, nicht kennten. Freilich war diese patriarcha'ische Volksrepräsentation in einem kleinen Volke von etwa drei Millionen Seelen leichter, als bei grossen Nationen, doch ist es anzuerkennen, wie lange und wie viel im Ganzen sie gewirkt Mit ihr steht die gesetzlich eingeführte allgemeine Wehrpflichtigkeit in Verbindung, so wie der Ausschluss jedes Ständeunterschiedes, eben so auch die Verhinderung einer isolirten Casten-Gelehrsamkeit und einer Alles unterdrückenden

hat.

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