Images de page
PDF
ePub

Sechster Abschnitt.

Völker- und Kriegs-Recht.

Kap. 91.

Allgemeine Bestimmungen über Nicht-Israeliten.

§. 1. Die Denkweise eines Volkes über andere Völker wird sich in allen Arten von Berührung mit ihren Massen sowohl, als mit Individuen derselben, so wie in den betreffenden gesetzlichen Bestimmungen ziemlich gleichmässig bewähren. Die Behandlung der Fremden als Miteinwohner des Landes, der von denselben im Kriege erbeuteten, durch Unterdrückung ganzer Völkerschaften (wie der Spartanischen Heloten) gewonnenen, oder gekauften Knechte (Sklaven) wird den Geist durchblicken lassen, mit dem ein Volk die Menschenwürde Derer, die nicht zu ihm selbst gehören, sich zum Bewusstsein gebracht hat. Nannten die Griechen und Römer andere Völker in Bausch und Bogen Barbaren, verband sich bei ihnen, in dieser Benennung, mit dem Begriffe der Fremden auch der der Rohen, auf einer weit tiefern Stufe der Menschlichkeit Stehenden, so zeigt sich dies auch sehr deutlich in der (barbarischen) Art und Weise, mit welcher sie die oben angedeuteten Arten von fremden Individuen in ihrer Mitte behandelten. Man hat nun auch die Hebräischen Gesetze als feindlich gegen andere Völker bezeichnet 81 ). Indess nach genauer Würdigung der sich hier bietenden, vollständigen und deutlichen Data, werden wir uns leicht überzeugen, dass die Gesetze Mosis keinesweges den Charakter der Ausschliesslichkeit und Willkührlichkeit gegen Fremde an sich tragen, wie Solches den übrigen Nationen des Alterthums gemein ist. Nirgend findet sich im Mosaischen Rechte ein herabsetzender, ihre allgemeine Menschenwürde verkennender

811) Schon Michaelis erklärt sich I. §. 61. hiergegen, s. auch Winer Rub. Art. Fremde..

Ausdruck in Hinsicht fremder Nationen und Individuen. Und wenn für eine namhafte Reihe von sieben kleinen Völkern ausschliessende Gesetze gegeben sind, so geschieht dies ausnahmsweise, aus bestimmten, wiederholentlich und unzweideutig angegebenen, moralischen Gründen, die mit der eigentlichen Lebensfrage des sich bildenden Staates eng zusammenhängen und die die Moral aller Völker billigen muss. (K. 92. §. 4.).

§. 2. Es ist in dieser Beziehung, und um die Denkweise des Gesetzgebers über Fremde im Allgemeinen kennen zu lernen, von Wichtigkeit, die theils moralischen, theils rechtlichen Bestimmungen ins Auge zu fassen, die er, in Hinsicht fremder Individuen im Lande aufstellt und dringend einschärft:

,,Den Fremdling sollst du nicht übervortheilen 812) und nicht drücken", 2 Mos. 22, 20.

,,Den Eremdling sollst du nicht drücken, denn ihr wisset ja, wie dem Fremdlinge zu Muthe ist, die ihr Fremdlinge waret im Lande Aegypten", 2 Mos. 23, 9.

Der letztere Zusatz, der sich häufig wiederholt, ist nicht zu übersehen, weil er ausser Zweifel setzt, dass an solchen Stellen in der That von Mitgliedern fremder Nationen die Rede ist, die gegen die Israeliten in einem eben solchen Verhältnisse standen, als diese früher zu den Aegyptern.

„Der Ewige, dein Gott ist der grosse Gott der nicht Ansehen (keinen Unterschied der Person) gelten lässt und keine Bestechung annimmt. Er schaffet Recht dem Waisen und der Wittwe und liebet den Fremdling, ihm zu geben Brod und Gewand; darum liebet (auch ihr) den Fremdling, denn Fremdlinge waret ihr im Lande Aegypten" 5 Mos. 10, 17-19.

Gott, deutet diese Stelle offenbar an, ist der einige Gott aller Völker, der, welcher euch Fremdling ist, ihm ist er es nicht, so betrachtet auch ihr den Fremdling als euren Bruder.

[ocr errors]

,Wenn ein Fremdling bei dir, in eurem Lande, weilen wird, so übervortheilet ihn nicht; gleich Einem euerer Einheimischen soll euch der Fremdling seyn, der bei euch weilet, und sollst ihn lieben wie dich selbst, denn Fremdlinge waret ihr im Lande Aegypten", 3 Mos. 19, 33. 34.

812) Vgl. 3 Mos. 25, 14. K. 18. §. 3. n. K. 21. Anm. 263.

Diese sittlichen Verordnungen, die den Fremdling in eine Kategorie mit dem Hebräer stellen, erhalten auch in Bezug auf die armen Fremden praktische Anwendung, indem bei den sittlichen und religiösen Gesetzen zu Gunsten der Armen, in Hinsicht ihrer Zuziehung zu den Opfermahlzeiten, in Hinsicht der Ecken der Felder und der Nachlese, auch des Fremdlings stets ausdrücklich gedacht wird. S. die betreffenden Bestimmungen bei K. 33.

§. 3. Rechtlich wird nun, am Schlusse eines Gesetzesstückes über Gotteslästerung, Todtschlag, absichtliche Beschädigung des Andern an seinem Leibe oder Eigenthum, 3 Mos. 24, 10-23., der Grundsatz aufgestellt:

,,Einerlei Recht sollt ihr haben, Fremdling und Einheimischer sollen gleich seyn, denn ich bin der Ewige euer Gott" 813) V. 22.

D. h. die Gesetze für Schutz und Strafe sollen auf Jenen gleiche Anwendung, wie auf den Einheimischen haben.

Das Recht des Fremdlings soll,,nicht gebeugt" werden, 5 Mos. 24, 17. Einer von den feierlichen Flüchen wird gegen solches Verbrechen ausgesprochen, 5 Mos. 27, 19. (K. 51. §. 2.). Der Richter soll zwischen dem Fremdling und dem Einheimischen unpartheiisch Recht sprechen, 5 Mos 1, 16. 17. Auch ihm waren die Schutzstädte geöffnet, 4 Mos. 35, 15.

Ein anderes wichtiges Gesetz gestattet dem Fremden, der im Lande wohnt, Israeliten in Dienst zu nehmen und solche, wenn sie nicht etwa früher ausgelöst wurden, gleich Israelitischen Herren, bis zum Jobeljahre zu behalten, 3 Mos. 25, 47. (K. 14.). Nur soll man darauf sehen, dass er den Dienenden, wie es Heiden sonst zu thun pflegten, nicht hart behandele, wie auch den Israeliten eine milde Behandlung ihrer heidnischen Knechte geboten war. K. 101. §. 6.

Eheliche Verbindung mit Heidinnen war erlaubt, mit Ausnahme einiger Völker, K. 92. §. 4.

Zinsen durfte man von dem armen Fremden, der an dieser Stelle als Bruder bezeichnet wird, eben so wenig als von dem Einheimischen nehmen (wiewohl von dem durchreisenden, ausländischen Kaufmanne) K. 33. §. 2.

813) Was auch hier nichts Anderes heissen kann, als: der einige Gott aller Menschen, vor welchem Jeder dieselben Rechte hat.

§. 4. Solche rechtliche und sittliche Bestimmungen waren nur geeignet, Fremde ins Land zu locken 814), und das Gesetz ist moralisch um so höher zu stellen, als in religiöser Hinsicht deren Aufnahme, die doch zum Theil nur die Noachischen Gebote, vgl. Apost. 15, 19. 20., annahmen, immer bedenklich seyn musste (K. 65. §. 4.), während auch eine Verwaltung, die auf Ackerban gegründet war, nicht, wie in merkantilischen und Fabrik-Staaten, materielle Veranlassung hatte, Ansiedelungen von Fremden zu begünstigen, alle Fürsorge für dieselben demnach einzig aus menschenfreundlichen Rücksichten hervorging. Die Bezeichnung des Fremden als Thoschab, als eines Ansässigen (K. 100.) lässt ihn auch wohl als Besitzer von Grundstücken denken. In der That fordert Ezech, 47, 22. auf, das Land durch das Loos unter die Israeliten und die Fremdlinge zu vertheilen, die unter ihnen wohneten und Kinder in ihrer Mitte gezeugt hätten; sie sollen ihnen gleich den einheimischen Israeliten seyn und unter deren Stämmen ihr Erbe erhalten.

Frägt sich's nun ob, nach den Besitmmungen des Mosaischen Gesetzes, Ausländer auch im Dienste des Staates verwandt werden durften, so veranlasst Nichts diese Frage zu verneinen. Einmal allerdings wird der Fremde ausdrücklich zurückgewiesen, nämlich für die künftige Wahl eines Königs, der kein Ausländer seyn dürfe, 5 Mos. 17, 15. Dieser Umstand aber, weit entfernt, das eben Gesagte zu widerlegen, scheint es noch vielmehr zu bestätigen, denn Moses stellt, durch besondere Hervorhebung dieses Einen Falles, ihn offenbar als Ausnahme hin. Er setzt selbst ihn als möglich voraus, und indem er dies thut, sagt er gleichwohl nicht im Allgemeinen: deine Richter und Beamten sollen Kinder deines Volkes seyn. Er nimmt keinen Anstand, Jethro (Chobab) einen Midianitischen Priester (freilich seinen Schwiegervater) dringend zu bitten, dass er seinen bleibenden Aufenthalt in der Mitte des Volkes nehme, um dasselbe mit seinen Einsichten zu unterstützen, 4 Mos. 10, 29 ff., und befürchtet auch nicht, dass dies den Ersten im Rathe anstössig seyn werde 815), gleichwie er nicht unterlässt, den Rath, den Derselbe wegen der Einsetzung von Richtern, einer der Fundamental

814) Zur Zeit Salomo's betrug ihre Zahl 153,600, 2 Chron. 2, 16. 815) Die doch sonst in Betreff des öffentlichen Eigenthums, 4 Mos. 36, 1-4. und der ersten Würden, 4 Mos. 16, 1 ff., nicht wenig eifersüchtig waren.

Einrichtungen des Volkes, gegeben, in seinen Gesetzbüchern, mit dem Namen des Urhebers, zu verewigen, 2 Mos. 18, 14 ff. David übergiebt dem Ausländer (2 Sam. 15, 19.) Itthai aus Gath den Oberbefehl über ein Drittheil des Heeres, 2 Sam. 18, 2., ohne dass der sonst so sehr eifersüchtige Joab hieran Anstoss nimmt.

§. 5. In gottesdienstlicher Beziehung sind folgende Grundsätze aufgestellt.

-

,,Wenn ein Fremdling, der jetzt sich aufhält bei euch, oder der unter euch seyn wird in künftigen Geschlechtern, ein Feueropfer darbringt dem Ewigen, so wie ihr thut, also soll auch er thun; die Gesammtheit einerlei Gesetz soll seyn, euch mit dem Fremdling, ein ewiges Gesetz für eure Geschlechter, ihr mit dem Fremdlinge sollt gleich seyn vor dem Ewigen. Eine Vorschrift und ein Verfahren soll gelten für euch und den Fremdling, der sich aufhält bei euch," 4 Mos. 15, 14—16.

Der Nichtisraelit durfte also Opfer darbringen, und es wird hierbei nicht gefordert, dass er und die Seinigen beschnitten seyen, wie denn die Israeliten selbst während ihres 40jährigen Aufenthaltes in der Wüste keine Beschneidung vornahmen, Jos. 5, 5. Jedoch wird, wenn der Nichtisraelit das Passah opfer darbringen und an diesem Mahle Theil nehmen wollte, ausdrücklich gefordert, dass er und die Seinigen sich sollten beschneiden lassen, gleichwie auch Israeliten, die aus irgend einem Grunde noch nicht beschnitten waren, das Passahopfer nicht darbringen durften, so dass auch hier ein Gesetz für Beide galt, 2 Mos. 12, 48. 49. (vgl. die Commentatoren).

Der Ausländer, wenn er Opfer darbringen will, muss sich auch darin den Israelitisch - rituellen Vorschriften fügen, dass er nichts Fehlerhaftes zum Opfer bringe, 3 Mos. 22, 25 816).

Ein schönes Denkmal Israelitischer Toleranz ist es, wenn Salomo, bei seinem Weihe - Gebete in dem neuerbauten Tempel, auch ausdrücklich um Erhörung des Ausländers bittet, der nach diesem Tempel kommen würde, um in demselben zu Gott zu beten, 1 Kön. 8, 41. 43,

816) Was ein Heide heiliget, als Hebe oder Zehnten darbringt tritt auch nach Rabbinischer Bestimmung vollständig unter die betreffenden gesetzlichen Kategorieen, Therum III, 9.

« PrécédentContinuer »