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Falt. Ihm zu entgehen sah man noch Einige, die über die schon brennende Brücke zu gehen versuchten; aber auf hals bem Wege ersäuften sie sich, um nicht zu verbrennen. End: lich da die Russen sich des Schlachtfelds bemächtigt hatten, hörte der Uebergang auf, und eine Todesstille folgte auf das schrecklichste Getdse.

Indem wir gegen Zembin marshirten, rückten wir långs dem rechten Beresina: Ufer hinauf, von wo man deutlich, was jenseits vorging, sehen konnte. Es herrschte eine ausnehmende Kålte, weithin ertönte das bange Pfeifen des Win= bes, burch die Dunkelheit der Nacht leuchteten die zahlrei= chen Feuer des Feindes von den Hügeln herüber. Am Fuße dieser Anhöhen seufzten unsre dem Tode geweihten Gefährten. Welche Schreckensnacht muß ihnen diese gewesen seyn! Die entfesselten Elemente schienen sich zu vereinen, die ganze Na= tur zu berrüben und die Menschen zu züchtigen; Sieger und Besiegte erduldeten diefelben Qualen. Nur sah man bey den Ruffen ungeheure Holzhäufen angezündet; hingegen da, wo fich die Unsrigen befanden, gab es weder Licht, noch Obdach, nur das Gewinsel ließ die Stelle errathen!

Ueber zwanzig Taufend Soldaten oder Bediente, Kranke und Verwundete fielen dem Feind in die Hånde; man schäßte die Anzahl des groben Geschüßes, das wir zurückliessen, auf zweyhundert. Alles Gepåck der beyden Korps, die sich mit uns vereinten, wurden gleichfalls dem Sieger zu Theil. Doch in dieser Betrübten Lage vergaß man den Verlust der Reichthamer und hatte nur das Gefühl der Selbsterhaltung; Jedem schwebte das flagwürdige Schicksal derer vor Augen, die an der Beresina zurückblieben, ohne Hoffnung je ihr Vaterland wieder zu sehen, verdammt ihre übrigen Tage in den Eisfelbern Siberiens zuzubringen, wo ein schwarzes bethrantes Brod der einzige Lohn ihres erniedrigenden Tagwerks seyn würde!*)

* Wie viel an dem leßtern Theil der Schilderung wahr seyn mag, ist hier nicht zu untersuchen. Wie diejenigen, die ihre

(29) November. Als wir heute Zembin verliessen und uns mit den Ueberresten des 4ten Korps zu vereinigen suchten, gedachten wir nochmals mit Bedauern des unglücklichen Lofés einer Menge Freunde, die wir vermissten. Durch eine unwillkürliche Bewegung umarmte man alle diejenigen, die man wieder fand und die man nie wieder zu sehen gehofft hatte. Gegenseitig beglückwünschte man sich einen Tag überlebt zu haben, der uns schrecklicher war als die blutigste Schlacht. Ueberall hörte man die Erzählung der überstandes nen Gefahren, und der Schwierigkeiten, die man zu überwinden gehabt, um dem Tod zu entgehen.,,Ich habe Alles verloren, sagte der Eine, Bediente, Pferde, Gepäck; aber ich will Alles a gern ertragen, wenn ich nur das Leben vor der Kålte, dem Hunger und den feindlichen Waffen rette.“ „Ich habe nichts mehr, sagte ein Andrer, als was ich bey mir tras ge; von Allem, was ich hatte, behielt ich nur die Schuhe zum gehen, und Mehl zum leben; dies sind meine wahren Reichthümer!",,Ich habe Alles verloren, sagte ein Dritter, aber ich bin getröstet, denn durch das Opfer meiner Habseligkeiten rettete ich meinen verwundeten Bruder herüber." Solche Ausrufungen hörten wir einige Tage nach einander. Wer nichts sprach, schwieg nur, um seine Gedanken zu sammeln und der Vorsehung für das wundervoll erhaltene Leben zu danken.

X. Der Niemen.

Der verhängnißvolle Beresina-Uebergang, wobey unfre Reservekorps, in den nåmlichen Zustand geriethen, wie diejenigen, die aus Moskau kamen, verwirklichte die uns långst an= gedrohten Unglücksprophezeihungen. Mit Ausnahme des Schicksals unser Oberhaupts, dem Gott das Leben gefristet

Rückkehr in's Vaterland dem Pariser Frieden verdanken, diese Wohlthat vergalten, und noch ferner vergelten werden, ist weltgeschichtlich!

zu haben schien, um ihn desto långer den Gewissensbissen *) und der Verzweiflung zu überlassen, war Alles voll: bracht! **) Aber welche Pein für diesen Eroberer, die besezten Provinzen noch schneller zu verlieren, als er sie ein: genommen hatte; 'statt Lorbern düftre Zypreffen zu ernten, statt Weihrauch von den Rauchwirbeln brennender, Mordge: füllter Stådte umduftet zu seyn, und seinen Triumphzug von Zwanzigtausend waffenlosen Soldaten begleitet zu sehen, die keine Hemden, keine Schuhe mehr hatten, sich Stiefel_aus alten Hüten machen mussten, sich die Schultern mit Stücken von Säcken, oder Pelzwerk, ja mit frisch abgezogenen Pfer dehäuten bedeckten. Dies waren die Ueberbleibsel von Fünfmalhunderttausend Kriegern, die ohne den Ehrgeiz eines einzigen Menschen auf immer der Stolz Frankreichs und der Schrecken seiner Feinde gewesen wåren.

(29. November.) Wir gelangten ziemlich bei Zeiten nach dem Dorfe Kamen, und man fuhr fort dem Befehl ges måß, auf Pleszenkowize zu marschiren, als Commandant Colaud, der vorwärts gegangen war, eilig zurückkehrte, und ankündigte, daß die Kosacken, 2000 an der Zahl, unter Hurrah-Ruf in die Stadt eingedrungen seyen, und Alles, was sich in den Straßen befunden, niedergesåbelt håtten. Er fügte bey der gestern verwundete Marschall Oudinot wåre so erst eingetroffen gewesen, da aber zum Glücke sich einige Offiziere zu ihm begeben, ihm ihre Hülfe anzubieten oder wenigstens mit ihm zu sterben, håtte der Feind einen Hinterhalt befürch= tet, sich deßwegen auf eine benachbarte Höhe gezogen und von da aus das Haus des Marschalls mit Kanonen beschossen, wie um es kapituliren zu machen; auch wäre der Marschall durch einen Splitter von einem Balken, in den eine Kugel schlug,

*) Gewissensbisse und Napoleon!!!

**) Worte der Napoleonschen Proklamation beym Einmarsch in Rußland.

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in seinem Bette abermals verwundet worden. General Pino habe sich in der nåmlichen Wohnung befunden, und Graf Denthouard, der eben in Pleszenkowize eintraf, håtte gerade noch Zeit gehabt mit feinem Wagen umzukehren.

Diese Nachricht entschied uns in Kamen zu bleiben. Fols genden Tags (30. November) brachen wir vor Tage auf. In Pleszenkowize bestätigte man uns das gestern Gehörte; beym Anblick des Hauses, wo Marschall Oudinot sich aufhielt, erstaunten wir, daß 2000 Kosacken es nicht gewagt, den Mars schall, der nur etliche zwanzig Offiziere zur Vertheidigung hatte, mit Gewalt aufzuheben. Napoleon verweilte hier; der Vicekönig verfolgte seinen Weg, bis zu einem verlassenen *Dorf, das wir nach der Karte für Nestanowicz bey Zawichino hielten.

(1. Dezember.) Heute gegen sieben Uhr Morgens seßte fich der Vicekönig mit einigen wenigen Offizieren an die Spige einiger ihren Fahnen noch getreu gebliebener Grenadiere der königlichen Garde. Nach einem für erschöpfte Leute sehr langen Marsch, erreichten wir den Flecken Ilia. Die Juden, die den größten Theil der Bevölkerung bildeten, hatten ihre Wohnungen nicht verlassen; aus Gewinnsucht brachten sie den Vorrath herbey, den sie uns zuerst verbergen wollten. Man bezahlte sie reichlich, denn in einer solchen Lage ist die elendeste » Nahrung mehr werth als Gold. Ohne diese Hülfe håtten "wir den schäßbaren Obrist Durieu, Unter-Chef unsers Ge neralstabs, verloren, deffen Gesundheit durch die vielen Un'fålle, besonders aber durch die Anstrengung, mit der er ohnablåssig seine Pflicht erfüllte, höchst angegriffen war.

(2ten December.) Unser heutiger Tagmarsch nach Mas Tobeczno war noch långer und ermüdender. Wir hatten zwölf Stunden, ohne wegen der strengen Kålte Halt zu machen, beståndig durch einen ungeheuren Wald zu marschiren. Das einzige beruhigende war die Zuversicht, auf unserer Rechten nicht durch die Kosacken beunruhiget zu werden. Der nach

Wileika zu General Wrede gesandte Hauptmann Jouaud gab uns die Versicherung, daß die Bayern, wiewol durch General Steinheil gedrängt, diese wichtige Stellung noch hielten.

Wir befanden uns bey unserer Ankunft zu Malodeczno in einem kläglichen Zustande. Zum Glücke fanden wir gute Häuser und noch einige anwesende Einwohner, die uns Vors rath verschafften. Folgenden Morgen begab sich Napo= leon's Gepäck auf den Weg, aber gleich außerhalb des Dorfs erschien eine Menge Kosacken, es anzugreifen. Es wåre ihnen auch zu Theil geworden, håtte man es nicht eilig um kehren lassen, und unter den Schuß der noch bewaffneten Truppen gesezt. Der Vicekdnig stund im Begriff abzuges hen, als man ihm ankündigte, wir würden in Malodeczno einen Aufenthalt machen, das Schloß, wo er sich befand, sey aber zu råumen, um es Napoleon abzutreten, der sogleich eintreffen würde.

Diese Ruhe hatte um so viel mehr Werth, als man die Möglichkeit, sich durch viele Nachforschungen Lebensmittel zu verschaffen, benügen konnte. Demohngeachtet starb eine Menge Soldaten in den Straßen. Im Innern der Häuser, wo die Offiziere wohnten, herrschte nicht weniger Elend; der Eine, aus Müdigkeit erkrankt, erklärte daß er nicht weiter ge= hen könne; ein Andrer, dem die Füsse erfroren waren, und der kein Pferd mehr hatte, musste, wiewol voll Muth, in den Hånden der Russen zurückbleiben. Auch die Generale sahen sich denselben Unfällen ausgeseßt, denn viele hatten Bediente oder den Wagen verloren, und konnten sie nicht mehr ersehen. Wen in dieser Lage die kleinste Unpåßlichkeit befiel, musste auf das Leben verzichten. In dieser Lage be fanden wir uns zu Malodeczno, als Napoleon mit Blutzügen jenes verhängnißvolle 29te Bulletin aufzeichnete, das Frankreich und seine Bundsgenossen *) in Trauer versenkte.

*) Lehtere doch wohl nur wegen des schmerzlichen Verlusts so vieler tapfeter Krieger.

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