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deutschen Richter verpflichtete, Römisches Recht anzuwenden, sagte die Eidgenossenschaft sich los von der deutschen Gerichtsorganisation. Der Kampf des Volksrechtes gegenüber der formalistischen Schablone, mit welcher die jungen Herren von der Hochschule kamen, dauerte aber fort und ergiebt auch jetzt, als Resultante des Kräfteparallelogrammes, die Rechtsprechung durch die Kantone, vorbehalten einheitliches materielles Recht und Appellation an den Bund.

Die confessionelle Spaltung brachte Uneinigkeit; die confessionell getrennten Eidgenossen betrachteten sich als «<leide Brüder»; die s. Z. aufeinander gepassten, nun nur mehr losen Stücke hielten aber dennoch fest, weil sie zusammengepresst wurden durch den steten Druck von Aussen. Die confessionellen Wirren lieferten uns die Réfugiés; die Genfer édits sind von einem solchen als Civilcompendium compilirt worden.

Ebenso schwierig, wie die confessionelle, war die soziale Spaltung, welche damals in dem Gegensatz von Stadt und Land auftrat. Die Streit-Parole <<Hie Stadt, Hie Land» ist auch in neuzeitigen Ländern noch aktuell, und beruht auf Eifersucht; in der Stadt Geld und Industrie, Handwerk- und Ackerwerkzeuge, Geld- und Geldwechsler zur Belehnung von Boden und Viehhandel, auf dem Land die Nahrungsmittel; in der Stadt der Hypothekarcredit, auf dem Land die Bodenrente.

Gottfried Keller, in einer apokalyptischen Recapitulation der Jahrhunderte, illustrirt an Hand der Erlebnisse der Genossen der Zunft der Schmieden das Verhältniss wie folgt:

Der Landwirth Götz aus der Au berennt im alten Zürichkrieg mit den Schwyzern die Mauern Zürichs und

höhnt seinen Gläubiger, den Kupferschmied, ob er die kupferne Bratpfanne nun zu zahlen habe. Bei einem Ueberfall der Schwyzer durch die Zürcher, am See, eilt der übereifrige Gläubiger seinem fliehenden Schuldner nach bis in dessen rasch vom Land abstossendes Schiff. Dort, mitten unter Feinden, besinnt sich der Gläubiger:

<<Was hilft das Zagen

«Ich packte meinen Götz bei'm Kragen
«Und sprang bordüber in die Fluth,

«Wo er mit mir am Grunde ruht,

<<Bis er die Bratpfann zahlen thut.» —1)

Ein eigenthümlicher Schuldverhaft.

Weder confessionelle, noch soziale Spaltungen haben dieses öffentliche und private Recht der Eidg. Bünde aufheben können, aber die Stagnation des 17. und 18. Jahrhunderts hat seine Ausgestaltung verhindert. Die staatliche Aufhebung der Klöster konnte nicht von einer umfassenden staatlichen Mildthätigkeit ergänzt werden. Als die Tagsatzung von Baden 1551 die Armenlast den weltlichen Corporationen aufbürdete, wurden diese engherzig, schlossen sich in Bürgerrecht und bürgerlichem Recht ab und betrachteten den patriarchalischen Ausschluss der Concurrenz als ein Palladium bürgerlicher Freiheit.2) Noch heute wird mancherorts die beharrliche Weigerung der Erstellung eines Katasters als ein Mittel gegen das Eindringen von Fremden betrachtet.

1) Ballade «Die Johannisnacht», eine drastische Beschreibung, ähnlich Victor Hugo's «Légende des Siècles.»><

2) Mustergültig ist hier die Einrichtung von Baselstadt: Die ansässigen Fremden werden, nach 15 Jahren Wohnsitz, discret gesichtet, und es ergeht dann an die nicht zu leicht befundenen Elemente eine Einladung in dem Sinn, dass ihrer Einbürgerung nichts im Wege steht, worauf durch Erklärung, taxfrei, die Nationalisation erfolgt.

Immerhin hatte dieser Abschluss den legislatorischen Vortheil, dass die Doppelbürgerrechte nicht häufig vorkommen.

Bemerkenswerth aus jener monotonen Zeit ist, dass Friedrich der Grosse, der Nachfolger der einheimischen Landesherren, in den Besitz von Neuchâtel, für dieses Territorium ein besonderes Civilgesetz mit Benutzung einheimischer localer Rechtsquellen einführte.

Diese gute alte Zeit» hörte auf mit dem Einrücken. französischer Truppen in die Unterthanengebiete der Schweiz, unter gleichzeitigem occupationsweisem Nachrücken des französischen Rechts. Der Berner Jura hat dasselbe in drei verschiedenen Stufen bis anhin beibehalten; eine Stufe der jetzige Gerichtsdistrict Freibergen und damalige Bezirk «Mont terrible» hat noch den Code Napoléon unverändert, nach dem Urtext von 1804 von der Hand Cambacérès'.

Die helvetische Republik versuchte es, mit allen civilen Rechtüberlieferungen brechend, ein helvetisches Civilgesetzbuch zu erstellen, dessen fragmentärer Entwurf u. a. folgendes enthält:

<<Im Augenblick der allgemeinen Wiedergeburt «der bürgerlichen Rechte ist es wichtig, besonders «eine ganze Klasse von Menschen zu unterstützen, «welche durch ihre aussereheliche Geburt aus «blindem Aberglauben und barbarischem Vorurtheil <zur bürgerlichen Nichtigkeit, zur Dürftigkeit und «<zur Verachtung verurtheilt scheinen».

«In Erwägung dass: Legitimation nur ein Hülfsmittel, <das aber in der neuen Ordnung der Dinge uner«träglich wird, in welcher alle ausschliesslichen Rechte gehässig sind,»

«

«verordnen: u. s. w.»

Ferner:

Die Vaterschaftklage ist zugelassen') (sogar Eid der Klägerin als Beweismittel, persönliches Erscheinen der Parteien vor Gericht, prov. Massregel der Festnahme des ausländischen Schwängerers) Vaterschaftklage ist aus Gründen des natürlichen Uebergewichts

versagt der älteren Person

(über 24 Jahre) gegen den unerfahrenen Burschen (unter 16 Jahren). Die Ehemündigkeit ist sehr früh vorhanden, nämlich :

(Art. 70) 13 Jahre für das weibliche, 15 Jahre für das männliche Geschlecht, jedoch mit der Bedingung elterl. resp. vormundschaftl. Erlaubniss, als momentum impediens, aber nicht dirimens.

Art. 150: Jedes Scheidungsbegehren muss zuerst zwei Mal vor einen Familienrath gebracht werden. Der Familienrath bestimmt auch die provisorische, und selbst die definitive Zutheilung der Kinder. Zweites Fragment Art. 1-4: Germanische Geschlechtsvormundschaft über die alleinstehenden Frauen; vom 24. Lebensjahr an ein selbstgewählter, aber principiell obligatorischer conseiller tutélaire gleich dem heutigen « trustee ».

In Erwägung zog die Redactionscommission:

1. Ein Handelsgesetz und Handelsgericht.

2. Gleichheit der Söhne und Töchter, auch im landwirthschaftlichen Betrieb.

3. Reform des Erbrechtes, im Sinne einer billigen Konkurrenz des Gemeinwesens mit den natürlichen Erben.

Gemäss Art. 71 der 2ten helvet. Verf., von 1802, sollte das schweiz. Civilrecht nicht mehr obligatorisch, sondern nur noch facultativ gemeinsames Recht werden, in der

1) Also hier nach der Lehre, aber nicht dem Leben von Jean-Jacques Rousseau.

Weise, dass die Kantone eingeladen würden, einen vorgelegten Entwurf zu acceptiren. 1) In gleicher Weise hielt der grosse Staatsmann Stämpfli die erste Etappe der Rechtseinheit, nämlich das schweiz. Obligationen- und Mobiliarsachenrecht, nur thunlich als Einladung an die Kantone zur Promulgation des Munzinger'schen Entwurfes auf ihrem Gebiet. Nach dem Vorgehen der Helvetik war der Rückfall und dann auch das Wiedererheben um so schwerer. Doch gaben sich die Kantone auf ihrem Gebiet wenigstens Mühe, die coutumiers, Localstatuten, Thalschaftsrechte in einheitliches kantonales Recht zu verarbeiten. (So musste Bern 1200 Rechtsquellen berücksich tigen.) Voran ging Waadt. Sein Civilgesetzbuch von 1819 verbietet dabei dem Richter, irgend welches fremde Recht anzuwenden, auch nicht subsidiär und auch nicht als wissenschaftliche Jurisprudenz. Waadt schliesst was wir für das Schw. Civ. G. B. befürworten würden ein corpus juris civilis auch anderer Gesetze civilrechtlichen Gehaltes: also einen code rural, enthaltend Bodenamelioration, Wege, Wasser- und Forsttechnik, ferner Dienstbotengesetz, mit den socialen Gesetzen der Arbeitskraft. Die von Waadt eröffnete Gruppe der romanischen Civilgesetze enthält: 1837 Tessin, 1834-39 Freiburg, 1855 Neufchâtel, Genf und Wallis.

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Die Codices der 1830er Regenerations Periode folgen entweder dem Typus des österreichischen Gesetzbuchs, oder sind eine civilrechtliche Bearbeitung einheimischer Quellen, so Bern 1825, Luzern 1831-39, Solothurn 1841-47, Aargau 1847-1855.

1) Nach dieser Staatsklugheit ohne Saft und Kraft sind unsere Konkordate entstanden, und im Deutschen Bund vor 1870 das Allg. Handelsgesetzbuch.

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