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der oben (pag. 8) angeführte Pessimismus von Gentz ist leider die Denkungsart vieler heutigen Menschen. Es freut sie nichts mehr, als wenn sie Grösseres, bei näherer Besichtigung und nach dem «Zeugniss von Augenzeugen und Nächststehenden», auf ihrem eigenen Niveau finden können.

Das ist nach unserer Auffassung der grösste Vorwurf, den man der Geschichte machen kann, dass sie stets aus nicht ganz sichern Quellen schöpfen muss, und dadurch kommen wir nun auf die Hauptfrage, nämlich ihre Glaubwürdigkeit und die objektive, oder mehr subjektive Methode der Geschichtschreibung.

III.

Die Hauptfrage bleibt immer die, ob und inwieweit, oder unter welchen Umständen man der Geschichte überhaupt Glauben schenken, ihre Berichte als die wirklich zuverlässige Schilderung vergangener Zustände und Menschen ansehen dürfe, und aus dieser Frage ist die in unserer Zeit vielleicht übermässig in den Vordergrund gestellte Forderung der sogenannten «Objektivität» hervorgegangen.

Wenn es sich um eine Geschichtschreibung in der Art der alten Historiker handelte, die im Wesentlichen und vorzugsweise nur beschreiben, was sie selbst gesehen und erlebt, oder wenigstens von nach ihrer Auffassung zuverlässigen Augenzeugen in Erfahrung gebracht haben, so würde die Forderung der Objektivität nichts anderes bedeuten, als ein zuverlässiges, von keiner Leidenschaft getrübtes, durch hinreichende Bildung zum Sehen mehr als gewöhnlich befähigtes Auge, und einen Charakter, der nur die Wahrheit sucht und vertreten will und dazu auch geeignet ist. Gegenwärtig aber ist die Geschicht

schreibung aus den Händen der Feldherren und Staatsmänner in die der Fachgelehrten übergegangen, und sie wird nicht nach eigener Anschauung der Ereignisse, sondern nach sorgfältiger wissenschaftlicher Ermittlung der darüber bestehenden dokumentarischen Zeugnisse oder sonstigen Spuren geschrieben, sehr oft, gewöhnlich sogar, von Leuten, deren Anlagen und Eigenschaften von denen der ehemals handelnden Personen verschieden sind.

Diese Art von Geschichtschreibung kann immer nur in einer Auswahl und Sichtung einer grösseren Anzahl von historischen Spuren bestehen, die mit kundiger Hand und grossem Verständniss für das Menschenleben zu machen ist. Nicht Jeder ist dazu befähigt, selbst wenn er die nöthige Vorbildung und den nöthigen Fleiss besitzt, sich in dieser Art in den Geist vergangener, oft sogar in ihrem Wesen dunkler Zeiten zu versetzen.

Gefährlich sind, wie schon ausgeführt, besonders: die blossen Materialsammler, die nie zu einer richtigen Abgränzung gelangen, oder über dem Eindruck des ihnen. imponirenden Stoffes den Leitgedanken der Auswahl verlieren. Taine ist ein solches Beispiel hervorragender Art. Ebenso die einseitigen Beurtheiler, die von vornherein entschlossen sind, nur eine ihrem Geiste adäquate Anschauungsweise der vergangenen Dinge zur Geltung gelangen zu lassen, und alles unter diesem Gesichtswinkel betrachten. Wir können Macaulay unter den bedeutenderen und angeblich objektiven Geschichtsschreibern davon nicht gänzlich freisprechen; die Biographen fallen fast alle naturgemäss mehr oder weniger in diesen Fehler. Endlich die «Ueberblicker » in der Art der Weltgeschichten, die eigentlich nur ein «Urtheil» der Jetztzeit über die Vergangenheit im Auge haben, das von dem

Leser lediglich Zustimmung verlangt und ihn gar nicht in den Fall setzt, an der Hand hinreichend und glaubwürdig gesammelter Thatsachen sich dasselbe selbst zu bilden.

Es ist auch ganz und gar richtig, was schon öfter gesagt worden ist, dass überhaupt nicht blosse Gelehrsamkeit den Geschichtsforscher und Geschichtschreiber ausmacht, sondern eine besondere Art von Geist, der ihn beseelt: «<le sûr don d'imagination et l'instinct pour le vrai », etwas was nicht auf Schulen, oder in Seminarien gelehrt werden kann.

Deshalb vorzugsweise haben wir so wenig gute Geschichte, weil der menschliche Geist eigentlich zu beschränkt ist, um eine solche Aufgabe ganz zu erfassen, und weil sich daher die Vergangenheit stets in zu engen, oder durch Gelehrsamkeit und sonstige Einsamkeit getrübten Spiegeln spiegelt. Ja, man muss sogar sagen, es gehört, nach obigem Worte, ein gutes Theil, zwar richtig geleiteter und in Schranken gehaltener Phantasie dazu, um Geschichte erfassen und beschreiben zu können. Denn durch solche Intuition muss der Geschichtschreiber ergänzen, was die Zeugnisse aus der Vergangenheit nicht hinreichend, oder nur verworren an die Hand geben, und ein Gelehrter, der ganz ohne dichterische Begabung ist, wird nie ein guter Geschichtschreiber sein. Mit Recht schreibt daher Wilhelm von Humboldt bei Anlass einer Uebersendung einer Abhandlung über die Aufgabe des Geschichtschreibers an Goethe:

«Ein Wort Schillers ist mir immer gegenwärtig ge. blieben und hat mir bei dieser Arbeit oft vorgeschwebt. Er sprach davon, dass man seine historischen Aufsätze zu dichterisch gefunden und schloss: Und doch muss der Geschichtschreiber ganz wie der Dichter verfahren; wenn er den Stoff in sich aufgenommen hat, muss er ihn wieder

ganz neu aus sich schaffen. Das schien mir damals paradox, und ich verstand es nicht recht. Der Bemühung, mir es nach und nach klar zu machen, dankt diese Abhandlung grösstentheils ihr Entstehen.

Das Geschehene ist nur zum Theil in der Sinnenwelt sichtbar, das Uebrige muss hinzu empfunden, geschlossen, errathen werden. Was davon erscheint, ist zerstreut, abgerissen, vereinzelt; was dies Stückwerk verbindet, das Einzelne in sein wahres Licht stellt, dem Ganzen Gestalt gibt, bleibt der unmittelbaren Beobachtung entrückt. Sie kann nur die einander begleitenden und auf einander folgenden Umstände wahrnehmen, nicht den inneren ursächlichen Zusammenhang selbst, auf dem doch allein die innere Wahrheit beruht. Das Unvollständige und Zerstückelte der unmittelbaren Beobachtung zu verknüpfen und zu ergänzen, sei, so fährt er fort, Sache der Phantasie, die im Historiker als Ahnungsvermögen und Verknüpfungsgabe wirkt und der Erfahrung und Begründung der Wirklichkeit sich unterordnet, während der Dichter von der Idee aus frei gestaltet.»>

Der volle Gegensatz hiezu ist die bloss kritische Geschichte ohne eigenes Leben,') oder die materialistische Auffassung, wonach die Geschichte gewissermassen von selbst aus einer natürlichen Evolution entsteht und Abstammung, Land, «milieu» auch den Menschen unbedingt beherrschen und bilden, so dass er eigentlich nur ein Naturprodukt seiner Zeit und seines Volkes ist. Gott bewahre uns vor der Alleinherrschaft dieser Anschauung, die die Sittlichkeit untergräbt und den frei waltenden Gottesgeist aus der Geschichte der Menschheit ausschliesst.

Schwieriger ist die eigentliche Frage der Objektivi tät, die in neuerer Zeit besonders durch Ranke und

1) Criticism is good when it «grows» as an incident to admiration, bad when practised as a dominant function and a special business. J. S. Blackie.

seine Schule gegenüber einer mehr subjektiven Auffassung und Darstellung vertreten wird. Man darf mit diesem Lehrer der modernen Geschichtsforscher soweit unbedingt einig gehen, als er vor allem die Wahrheit in gründ licher Erforschung als die Aufgabe der historischen Darstellung erklärt. <<Nur kein Erdichten, keine Hirngespinnste.» Aber man kann zunächst doch nicht übersehen, dass alles durch den Geist eines jetzigen Menschen aufgefasst und wiedergegeben werden muss, und in diesem Durchgange einen subjektiven Charakter mit Nothwendigkeit annimmt, wenn es nicht eine ganz schattenhafte, blutleere Aufzählung von angeblichen Thatsachen werden soll, so, wie dieselben seinerzeit nicht gewesen sind. Die Schatten müssen Blut trinken, nach den Worten Homer's in der Odyssee, wenn sie zu uns reden sollen, hier das warme und lebhaft pulsirende Blut des Geschichtschreibers. Wenn derselbe kein solches hat, sondern ein gelehrtes Huhn ist, das bloss einige Körner aus den Schutthaufen der Vergangenheit hervorkratzen und aufpicken kann, dann entsteht trotz aller «Objektivität» und <historischen Treue» kein Bild der Vergangenheit, die Schatten reden nicht zu uns. Viele der berühmtesten Geschichten der neueren Zeit haben ein solches todtes Wesen, bei dem man sich, trotz aller Achtung vor ihrer Gelehrsamkeit, sagen muss, so ist es doch nicht gewesen, und lieber wieder zu einem naiven Chronisten, oder zu irgend einem Volkslied der damaligen Zeit greift. Nicht ohne guten Grund sagte daher Bismarck einmal sogar von den Gesandtschaftsberichten, die den «objektiven» Historikern unserer Zeit für besonders werthvolle und fast unanfechtbare Geschichtsquellen gelten: «Wenn sie einmal Geschichte nach den Gesandtschaftsberichten schreiben, so

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