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Seite stehen würde, wenn sie mit ihren Werken der Menschheit nicht Genüsse darbringen würde, und alle jene Kunst, welche glaubt, der Schönheit entrathen zu können, verfehlt ihren Zweck. Nur gegenüber einem schönen Werke wird es dem Menschen zum Vergnügen, sich eingehend damit zu beschäftigen und sich in die Ideen des Künstlers zu vertiefen. Der Künstler darf die Schönheit nicht grundsätzlich verachten. Er denke daran, dass die Kunst durch Jahrtausende Hand in Hand mit der Schönheit gegangen ist, dass die Kunst ihre grössten Erfolge zu allen Zeiten, besonders aber im Dienste der Religion, nur der Schönheit verdankt, mit der sie ihre Werke so verschwenderisch ausstattete, und er wird aus der ganzen Vergangenheit die Lehre ziehen können, dass auch für alle Zukunft die Kunst ohne Schönheit keinen dauernden Sieg davontragen wird.

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Das Verhältniss der Kunst zur Natur einerseits und zur formalen Schönheit anderseits ist in beständigem Wechsel begriffen. Es schwingt pendelartig etwa in Zeiträumen von halben Jahrhunderten von einer Seite nach der anderen. In früheren Zeiten allerdings in viel längeren Perioden. Ursprünglich hatte die Naturwahrheit den Vorrang, unter ihrem Zeichen trat die Kunst unter die Menschen. Bei der spätern Darstellung mythischer und göttlicher Wesen, wobei die Phantasie zur intensivern Mitwirkung gelangte, mochte das Streben nach. einer idealen Schönheit das Uebergewicht bekommen haben, bis die Wahrheit sie abermals entthronte. So ging es in beständiger Abwechslung, deren Ursache in unserm psychologischen Verhalten allen Erscheinungen gegenüber zu

suchen ist, bis in unsere Tage hinunter. Eine dauernde, ausschliessliche Verbindung mit der formalen Schönheit, im Sinne der Auffassung einer bestimmten Zeit, gereicht der Kunst niemals zum Vorteil, sie geräth auf conventionelle, akademische Abwege, verliert den Blick auf das Leben und damit auch die sicherste Führung. Sie muss darum von Zeit zu Zeit wieder an der Natur gesunden, sich erfrischen, neue Kräfte, neue Anschauungen gewinnen. Das ist ein ganz natürlicher Prozess. Ist sie an der Brust der Natur wieder erstarkt, so findet sie für die neuen Ideen auch wieder die neuen Wege.

Wir leben augenblicklich in der Phase des vorherrschenden Verlangens nach Naturwahrheit. Die Periode des Verschönerns der Natur und des Lebens ist vorbei. Wie sie sind, werden sie würdig genug befunden, Gegenstand der Kunstdarstellung zu sein. Die Kunst fühlt sich berufen, der Menschheit wieder einmal die Wahrheit zu sagen, sie aufzuklären über Vorgänge in ihrem gesellschaftlichen Organismus; sie erörtert sociale Fragen, sie beleuchtet die Contraste der Anschauungen in den verschiedenen Ständen. Sie deckt mit Vorliebe pathologische Zustände auf und weist mit gewissem Behagen auf die Striemen der Peitschenhiebe des Schicksals. Da gibt

es freilich nicht viel Schönes zu sehen. Das Publikum liest, sieht und hört mit lebhaftem Interesse diese Offenbarungen, aber einen Genuss trägt es nicht mit sich. Das einst so beliebte erzählende Genre der Darstellung von Scenen aus der Familie, aus dem Volk, von der Strasse und aus dem Wirthshaus z. B. ist fast ganz verschwunden, besonders seit dieses Gebiet und seine Meister von Muther eine so unverdiente Zurücksetzung erfahren hat. Wenn die hervorragendsten Meister einer Zeit ihr Bestes daran ge

setzt und damit auch ihrer Zeit wirkliche ästhetische Genüsse bereitet haben, so kann man doch nicht bloss unseren augenblicklich auf entgegengesetzter Seite befindlichen Standpunkt für die Beurtheilung einer solchen Periode als allein massgebend ansehen. Jene Werke haben ihrem Publikum gewiss eine viel allgemeinere Freude bereitet, als viele Schöpfungen der modernen Kunst unserer Zeit. Darum hat sich nun die Malerei mit Vorliebe der Landschaftsmalerei, die Bildnerei dem Akt unter irgend einem Titel zugewendet. Das ist doch unanfechtbare Natur und hier hat die moderne Kunst mit ihrem intensiven Studium der Feinheiten in Ton-, Licht- und Schattennuancirungen und Stimmungswerthen ganz ausserordentliche Erfolge aufzuweisen. Vielleicht stand die Landschaftsmalerei nie auf solcher Höhe wie eben gegenwärtig. Die Figurenmalerei hat mit ihr einen innigen Bund geschlossen, die Menschen werden als Farbenwerthe in die Landschaft hineinversetzt, um die Farbenharmonie zu ergänzen, die Lichter aufzuhellen oder sonst welche Gegensätze hervorzubringen und umgekehrt spielt in der Figurenmalerei ein landschaftlicher Hintergrund eine ähnliche Rolle.

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Eine eigenthümliche Erscheinung unserer Zeit ist die starke Tendenz des Hervorhebens der Persönlichkeit und damit das Streben nach Originalität, unter dem sowohl Naturwahrheit als auch Schönheit zu kurz kommen, denn gerade nach diesen Seiten verschmähen es die Träger dieser Tendenz, ihre Kräfte zur Geltung zu bringen. Es ist schon oben darauf hingewiesen worden, wie der persönliche Charakter, die Individualität des Künstlers ganz von selbst sich seinem Werke aufprägt, er braucht diese

gar nicht so besonders zu betonen, dass die Absichtlichkeit sich merken lässt. Selbst in den Zeiten, welche die Befreiung des Individuums von den Schranken einer traditionellen Anschauung energisch genug betrieben hat, wie in der Renaissance, machte sich kaum je eine solche gekünstelte Originalität geltend, wie es heute der Fall ist, und doch war jeder Künstler für sich so individuell,. dass sich seine Werke scharf von denjenigen anderer trennen. Es mag wohl heute die enorme Produktion an Kunstwerken dazu drängen, durch ausserordentliche Vorführungen die Blicke des Publikums auf sich zu lenken - und die Neigung des Publikums selbst, etwas Besonderes höher einzuschätzen, als ein noch so fein durchgeführtes Werk, das sich von den Bahnen der Tradition nicht so weit entfernt, was die Künstler zu solchen Mitteln, sich geltend zu machen, führt, I aber sie sollten eben bedenken, dass die Originalität allein auch nicht genügt zu einem dauernden Erfolg, dass jedes Kunstwerk, das der Naturwahrheit und der Schönheit entbehrt, sich selbst richtet.

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Die moderne Kunst perhorrescirt grundsätzlich alle Tradition. Gewiss fordert alle Überlieferung zu kritischer Prüfung ihrer weitern Existenzberechtigung auf. Wir sollen uns ihr nicht ohne weiteres hingeben, sondern selbst erkennen, was wir von ihr zu halten haben. Und wir müssen uns darüber klar sein, dass wir mit der Beseitigung einer Tradition, einer Gewohnheit, einer bestimmten Form des Ausdrucks einer Richtung unseres inneren Lebens. den Boden unter den Füssen wegziehen und dafür etwas anderes geben müssen. Alte Gebräuche in den Gewerben können durch neue, wissenschaftlich begründete Einrich

tungen ersetzt werden, aber in den traditionellen Sitten des Volkes, wie in der Kunst, welche auch mit seinem Empfindungsleben zusammenhängt, ist unser Intellekt nicht massgebend für die Beurtheilung bestimmter von altersher überlieferter Gebräuche. Eine neue Anschauung kann unserer vormaligen Auffassung der Natur näher liegen, eine andere Art der Darstellung uns interessanter oder sympathischer sein, wenn auch nur aus unserem angebornen Abwechslungsbedürfniss— aber sie hat nur dann einen wirklichen dauernden Werth, wenn sie die Erscheinungen der Natur oder die Stimmungen unserer Seele treuer und vollkommener wiedergibt, als die frühere Kunst oder wenn sie in Tiefen und Geheimnisse eindringt, die vorher der Kunst verschlossen waren. In diesem Sinne darf man gewiss verschiedenen Strömungen der modernen Kunst ihren Vorrang vor dem Vergangenen zugestehen. Wie reich und mannigfaltig hat sie nicht ihr Gebiet besonders nach der Seite der Darstellung des Empfindungslebens ausgestaltet! Es ist eine neue Welt, die sie uns zeigt, eine neue Seite unseres Daseins spiegelt sich in ihr, aber wir müssen dafür traditionelle Anschauungen über das Wesen des ästhetischen Genusses opfern oder wenigstens bedeutend erweitern.

Wir sehen nicht mehr bloss Erfreuliches, geniessen nicht mehr bloss Lustgefühle als Ziel der Kunst, sondern haben beim Genuss eines Kunstwerks, sowohl der bildenden wie der dichtenden Kunst im Geiste oft recht unangenehme und peinliche Erlebnisse durchzumachen und müssen solche hinnehmen, in dem Bewusstsein, dass wir ein wahres, getreues Bild des Lebens vor uns haben (wie Hauptmann's «Hannele», Tolstoi's «Macht der Finsterniss», Gorki's «Nachtasyl»). Die Zeit, in welcher die

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