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eintreten soll; denn ein völliges Wiederaufgeben derselben ist bei der Natur des amerikanischen Geistes gänzlich ausgeschlossen und würde nur nach einer grossen Niederlage zeitweise eintreten können. Der jetzige Präsident hat in dem Briefe, in welchem er die Candidatur der republikanischen Partei annimmt, sich darüber wie folgt ausgesprochen:

«Er rechtfertigt die Entsendung von Kriegsschiffen nach Panama, Beirut, Tanger und Smyrna. Die Flotte, heisst es, ist der mächtigste Schutz des Friedens, hauptsächlich weil sie gefürchtet und bereit für den Dienst der auswärtigen Politik ist. Sie ist so kaum weniger von Nutzen für die übrige Welt als für die Vereinigten Staaten. Das Aufgeben der Philippinen würde eine Katastrophe bedeuten. Die Stimme der Vereinigten Staaten würde im fernen Osten nichts mehr gelten, wenn die Philippinen aufgegeben würden. Rooseveldt kommt dann auf den Vertrag mit China zu sprechen, der nur Vortheilhaftes für die Zukunft Amerikas enthalte. Die MonroeDoktrin hat neue Kraft erhalten, aber die amerikanischen Republiken wissen heute, dass diejenigen, die Schutz suchen, mit reinen Händen kommen und die Verantwortlichkeit für Ausübung des Rechtes auf Freiheit übernehmen müssen. Das Staatsdepartement ist bis an die Gränze des diplomatischen Brauches gegangen, um der Welt klar zu machen, dass es die ernste Ueberzeugung Amerikas ist, dass die verschiedenartige Behandlung und die Bedrückung der religiösen Ueberzeugungen Akte von Ungerechtfertigkeit sind; und das Staatsdepartement wird fortfahren einen Druck in diesem Sinne auszuüben.» (Allg. Zeitung.)

Ein diesen ergänzender Brief an den gleichen Vorsitzenden der Parteigruppe spricht sich auch über das Verhältniss zu den südamerikanischen Republiken aus. Amerika verlange von denselben nichts, als dass sie gut verwaltet und in finanziell geordneten Verhältnissen seien, und sich

kein <<brutal wrongdoing» zu Schulden kommen lassen, was die Vereinigten Staaten nicht gestatten könnten; worin man wohl nichts Anderes, als eine milde Ausdrucksweise für das erblicken kann, was gewöhnlich Protektorat heisst und jetzt überall in der Luft ist.

Amerika kat kolossale Aufgaben vor sich: Eine schwarze Bevölkerung und in der Zukunft auch noch eine gelbe zu assimiliren, von denen die erstere schon theoretisch das volle Bürgerrecht besitzt, mit der aber doch kein Connubium möglich ist; den ganzen amerikanischen Kontinent mit Ausschluss Englands allein zu beherrschen; in Asien und Afrika und damit selbst in Europa überall seine gewichtige Stimme geltend zu machen; im Innern die Trusts und Eisenbahngesellschaften zu beseitigen und überhaupt den ganz unidealen Geist eines Theils der Bevölkerung beständig zu grossen Ideen und Aufgaben aufzumuntern, oder soweit es nicht geschehen kann, durch eine hinreichende Staatsmacht in Schranken zu halten. Das sind Aufgaben, die jedes menschliche Können übersteigen und bloss mit dem Geiste eines wahren und erleuchteten Christenthums möglich sind. Dies zu erhalten oder wieder zu befestigen ist für die amerikanische Republik die eigentliche Lebensfrage, der keine der beiden hergebrachten, in ihren Anschauungen etwas veralteten Parteien mehr gewachsen erscheint. Da müssen neue, ganz anders denkende Leute kommen, von denen wenigstens der erste, in der Person des jetzigen Präsidenten glücklicherweise bereits vorhanden ist.

Zur Centenarfeier des Anschlusses von Louisiana an das Gebiet der Vereinigten Staaten, die dadurch erst den Ansatz zu der heutigen Ausdehnung gewannen, wurde eine gewaltige Weltausstellung in St. Louis am Mississippi

veranstaltet, zu deren «attractions» u. A. auch eine Anzahl von Vorträgen europäischer Professoren verschiedener Länder, die hiezu eingeladen wurden, und ein Kongress der interparlamentarischen Vereinigung, sowie ein Presskongress gehörten. Von Seite der interparlamentarischen Vereinigung wurde der Präsident der Vereinigten Staaten ersucht, eine neue Friedenskonferenz in Fortsetzung derjenigen von Haag, und zwar diesmal auf amerikanischem Boden zu gelegener Zeit einzuberufen. Das könnte, wenn es gelingt, und die Resultate dann noch bessere sind, als diejenigen von 1899, als ein vollgiltiges Anzeichen dafür gelten, dass die Führung in der Weltpolitik wirk lich von Europa auf Amerika übergegangen sei und dass dort ein Wille herrsche, der etwas kräftiger ist, als die Entschlüsse und Möglichkeiten der Herrscher und Diplomaten der alten Welt.

Deutschland geht nach unserem Dafürhalten, wie wir es schon wiederholt aussprachen, einer schwierigen Zukunft entgegen. Zunächst gilt es, sich als Weltmacht zu behaupten gegen England und Frankreich, mit denen kein dauernder Friede möglich ist, sobald sie den Zeitpunkt zum Aufhören desselben für gekommen erachten; vielleicht auch noch in weiterer Ferne gegenüber Amerika, und alles im Zusammenschlusse mit Russland, was für die inneren Verhältnisse auch keinen Vortheil bedeutet. Das zu überwinden ist nur möglich, nicht mit dem Geist der «Realpolitik», wie man jetzt die Staatsphilosophie des rücksichtslosesten Eigennutzes nennt, noch weniger mit der Diplomatie, die «von Fall zu Fall» rechnet und regiert, so, wie es von 1791 bis 1806 geschah

und bei Jena seinen unrühmlichen Ausgang erlebte1), sondern mit dem starken Idealismus der Freiheitskriege und des Anfangs (nicht des Fortgangs) der Reformation. Die Deutschen sind für diesen geschaffen und sie täuschen sich jedes Mal sehr, wenn sie es den Romanen an List gleichthun wollen, oder ihrer materialistischen Lebensauffassung sich anschliessen, die bei den Germanen gleich in's Grobe ausartet. Von Zeit zu Zeit muss aber eine Generation dies Alles wieder am eigenen Leibe erfahren, damit sie den falschen Göttern entsagt, denen sie im Uebermuth einer trügerischen Prosperität eine Zeit lang gehuldigt hatte.

Italien wird bei den kommenden Kriegen durch Oesterreich, gegen allfällige «lateinische» Allianzanwandlungen (die auch uns nahe berühren würden) neutral erhalten werden, die übrigen Staaten Europa's kommen nicht in Betracht. Auf welcher Seite wir mit unsern Gedanken und Sympathien stehen sollen, mag für manche unserer Landsleute zweifelhaft sein; wir würden zu Deutschland halten. Dasselbe würde aber gut thun, seinen künftigen Verbündeten Russland, so weit als es mit der Neutralität vereinbar ist, im jetzigen Kriege zu unterstützen und nicht den Fehler, den es im Boerenkrieg beging, nochmals und in grösserem Massstabe zu wiederholen. Es scheint uns unzweifelhaft, dass das auch die Gesichtspunkte der deutschen Regierung sind, wenn schon man so etwas, der Natur der Sache gemäss, schwer mit allgemein bekannten Aktenstücken belegen kann, sondern auf Privatmittheilungen angewiesen ist,

1) Es ist sehr am Platz, dass jetzt gerade ein Werk von Dr. Bitterauf, Privatdozent in München, über den Rheinbund und den Untergang des alten Reichs erscheint. Für Deutschland wird das ein Spiegel sein, wie auch für uns die Geschichte der Mediation ein solcher ist.

Die innere Politik Deutschlands zeigt zunächst einen starken Rückgang, von der allzu centralisatorischen Reichsidee, wie sie im Anfang der Freude über die schwer errungene Einheit in den publizistischen Aeusserungen der Katheder auftrat und selbst in unser allzu nachahmenslustiges theoretisches Bundesstaatsrecht überging, zu dem alten, allein richtigen Bundesstaatsgedanken der getheilten Souveränität. Schriften, wie die bekannte von Liebe, die den deutschen Staaten jeden Antheil an der Souveränität absprach, gehören jetzt zu den kaum noch historisch zu beachtenden Zeichen einer vergangenen Zeit. Die Souveränität im Deutschen Reich steht nach der jetzt vorwiegenden Ansicht bei der Gesammtheit der deutschen Regierungen, nicht direkt bei dem Bundesstaat (Kaiser und Reich), wogegen dann eine Theorie verlangt, dass die Reichsregierung die Thronfolgeordnungen der Einzelstaaten zu genehmigen habe und kein Fürst ohne Begrüssung und Zulassung der Reichsgewalt überhaupt Landesherr in seinem Staate werden könne.') Eine Schrift eines Herrn v. Jagemann, früheren badischen Gesandten in Berlin, «die Reichsverfassung», postulirte dagegen bereits die Auflösbarkeit des Reichs durch Vertrag der Einzelstaaten, auf der anderen Seite aber ein «Nothverordnungsrecht» des Kaisers und Bundesraths neben der gewöhnlichen Reichsgesetzgebung.

Die wichtigsten praktischen Ereignisse des Jahres waren: Zunächst der Colonialkrieg gegen die Hereros, einen Eingebornenstamm von Südwestafrika, der schliesslich zur förmlichen Ausrottung dieses Volkes führen muss. Dieser Krieg hatte dann auch schwere Anschuldigungen gegen die dortigen Missionare zur Folge, welchen eine anti

1) Der Streit über die Lippe'sche Thronfolge wird diese Frage zum Austrag bringen.

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