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tische Produktion, längst bekannt war. Dennoch und trotz dieser dem Leser lästigen Ueberbürdung mit allen <<Jugendlieben» und dgl., sehen wir darin den Beweis, dass die Welt und vor Allem die deutsche Welt wieder anfängt zu merken, was Poesie ist und was nicht, und das ist der erste Schritt zu einer Besserung auf dem Gebiete der Litteratur.

Für die vielen Leute, welchen die Bedeutung des jetzt allerdings etwas verhallten Ritschl'schen Streits in der Theologenwelt nicht ganz klar geworden ist, ist noch im vorigen Jahre erschienen, «die Dogmatik Albrecht Ritschl's» von Kügelgen. Der «Reichsbote» sagt darüber mit Recht:

«So viel Mühe sich Kügelgen auch gibt, die wesentliche Uebereinstimmung des Ritschlschen Systems mit der biblischen Theologie und Luther darzuthun, es ist verlorene Liebesmühe. Hinter seiner Unterscheidung von Seins- und Werthurtheilen lauert der Skeptizismus, der die Objektivität der Weltanschauung, die Metaphysik der Heilsthatsachen, die Absolutheit des Gottmenschen leugnet oder wenigstens als indifferent dahingestellt sein lässt. Die ganze Vorstellungs-, Denk- und Redeweise Ritschl's hat etwas so Hölzernes, Unlebendiges, Begriffsblasses, Unfruchtbares, dass es förmlich quälend ist, mitanzusehen, wie er sich immer wieder vergeblich müht, die biblische und kirchliche Redeweise möglichst beizubehalten und doch ganz andere Begriffe damit zu verbinden. Durch diese Begriffsfälscherei treibt er allen lebendigen Geist aus der biblischen und kirchlichen Lehre, so dass bei genauem Zusehen nichts mehr übrig ist als eine trockene, nüchterne Morallehre.»><

Aus diesem Grund, weil man instinktiv fühlte, dass hinter der ganzen Ritschl'schen Theologie nichts Reelles stecke, hat sich auch das grössere Publikum nie für diese Phase der neueren Kirchengeschichte erwärmen können.

Ganz anders wird, oder sollte sie wenigstens sich zu dem Folgenden verhalten: Zwei ganz neue Bücher von nicht bloss litterarischem, oder theologisch-wissenschaftlichem, sondern von Lebenswerth, sind: die «Geschichte. Israels» bis auf die Zeit Alexanders des Grossen, von Prof. Oettli in Greifswald, das beste Buch über das alte Testament, das wir kennen, und: Lhotzky, «Religion oder Reich Gottes», eine sehr kritische Beleuchtung der Apostelgeschichte, aber nicht kritisch in dem gewöhnlichen Sinne: beides Bücher für denkende und in der Sache bereits ein wenig versirte Leser, aber für diesevon hervorragender Bedeutung.

In der französischen litterarischen Welt gab die Centenarfeier der am 1. Juli 1804 geborenen Aurore Dudevant, bekannt unter ihrem Schriftstellernamen «George Sand» den Anlass zu vielen Besprechungen dieser fruchtbaren Schriftstellerin und ihrer ganzen Zeit, aus denen man aber, wenigstens in deutschen Landen, Einiges überschlagen darf. Namentlich die Zeiten, welche sie mit einem grundverdorbenen jungen Menschen, wie Alfred de Musset, bald als eine Geliebte, bald als eine Art Mutter zubrachte, die ganz an Rousseau's widerliches Verhältniss zu der Frau von Warens erinnern, sollte man nicht immer von Neuem an das Tageslicht zerren. Es braucht übrigens schon einen verdorbenen Magen dazu, um an einem solchen Haut-goût noch irgend etwas Interessantes zu finden. Daneben aber werden einige Romane der George Sand, namentlich der «Piccinino», auch «Consuelo>> und «<la mare au diable» immer das Entzücken der reiferen Jugend bilden, während andere, wie «Indiana» (durch den sie schriftstellerisch bekannt wurde) heute kaum mehr lesbar sind.

Eine neue Geschichte der französischen Revolution in 4 Bänden ist von dem bekannten französischen Sozialistenführer Jaurès nebst zahlreichen Mitarbeitern unter dem Titel «Histoire Socialiste 1789-1900» herausgegeben worden. Es ist aber nicht eine Geschichte des Sozialis. mus, sondern der französischen Revolution und ihrer Folgen, vom sozialistischen Gesichtspunkte aufgefasst.

Eine recht gute schweizerische Litteraturzeitschrift ist, nach allerlei Versuchen dazu, noch immer nicht vorhanden, Versuche genug, illustrirt und nicht. Woran mag das liegen? Dieselben fangen gewöhnlich mit viel. zu grosssprecherischen Prospekten an, führen eine Armee von angeblichen Mitarbeitern auf, von denen die meisten nachher nichts leisten, vielleicht nicht einmal immer abonniren. Nach einem Jahr oder zweien fängt schon der Muth zu sinken an, da das Organ nicht zu einem <<wahren Bedürfniss für jedes schweizerische Haus» geworden ist, wie der Prospekt es versicherte, und auch im Ausland «das Ansehen der Schweiz nicht erhöht» hat. Dann folgen die Nothschreie nach neuen Abonnenten, oft die Ernennung von Comités aus angesehenen Litteraturfreunden, um die Ursache des räthselhaften Misserfolges zu untersuchen, die doch meistens in dem zu grossen Anfang, oft auch an dem zu bedeutenderen Leistungen nicht ganz geeigneten Redaktor liegt. Alles Grosse fängt eben klein an, nicht mit Trompetenstössen in der Presse, und die Hauptsache bleibt immer, nicht die Unterstützung der Presse oder der Litteraturfreunde, sondern die Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter.

Eine kleinere Schwierigkeit liegt auch darin, dass die französische Schweiz, und vollends die italienische,

sich fast gar nicht um deutsche Litteratur bekümmern, sondern die erstere gänzlich von dem Pariser litterarischen Markte abhängig ist, so dass das Absatzgebiet schweizerischer Litteratur sich nie auf die ganze Schweiz erstreckt.

Dennoch wäre es wünschenswerth, dass die Schweiz eine selbständige und international bedeutende Stellung auch auf diesem Gebiete wahren würde und sich nicht allmählig, wie auf andern, ganz von Brüssel oder Haag abfahren liesse, oder sich, litterarisch wenig. stens, in eine deutsche und eine französische «Provinz» auflöste. Quod Deus bene vertat.

Nekrologie.

Verluste an geistiger Kraft erlitt die Eidgenossenschaft, soweit uns bekannt 1), durch den Tod folgender Personen:

Im April d. J. verlor die Eidgenossenschaft ihren ältesten diplomatischen Vertreter im Ausland, Dr. Arnold Roth von Teufen (Appenzell), in seinem 68. Lebensjahre. Er war zuerst, kurze Zeit hindurch, Sekretär des politischen Departements, sodann Landammann und Ständerath seines Halbkantons, und wurde dann im Jahre 1876 an den wichtigen Gesandtschaftsposten von Berlin gewählt, auf dem er stets die äusserst wünschbaren guten Beziehungen der Schweiz zum deutschen Nachbarreiche mit viel Takt und Würde zu erhalten bestrebt war. Er hatte auch sehr viel Erfolg darin, mit Ausnahme der kurzen Periode des Wohlgemuthhandels, in welcher eine Art Abbruch der freundschaftlichen Beziehungen eingetreten war, die erst mit dem Nachfolger Bismarcks, Grafen Caprivi, wieder aufgenommen werden konnten, wobei aber die Schuld nicht auf unserer Seite lag.

Es ist für die Eidgenossenschaft, wie für alle Kleinstaaten überhaupt, ziemlich schwer, ihre diplomatische Vertretung im Ausland richtig zu gestalten und das System, das nun mit Herrn Roth zu Grabe getragen wird, diese Posten mit gewesenen Staatsmännern zu besetzen, welche dadurch ein gewisses Gewicht besitzen, dürfte,

Das muss man immer in Gedanken beifügen. Die eigentlichen staats- und welterhaltenden Menschen sind, mit wenigen Ausnahmen, die unbekannten.

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