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Anschauung, dass die poetische Raserey mit dem Bewusstsein nichts zu schaffen habe, ist wohl kein Wort mehr zu verlieren.

Interessant sind nun für den zuletzt angedeuteten Fall die Anfangsstadien der Schöpfung von „Judith" und ,,Genoveva", die einen gewissen Parallelismus aufweisen. Am 2. Oktober 1839 wird die „Judith" begonnen, nach einer Woche, am 8., findet die Seligkeit des schaffenden Dichters einen Ausweg ins Tagebuch (I 172); abermals nach einer Woche, am 16., ist der Enthusiasmus für die Tragödie plötzlich ausgelöscht. „Frau Doctorin Amalie Schoppe fand sich veranlasst, das Wasser hinzuzutragen" (Ta 1174). Am 13. September 1840: Anfang der „Genoveva“, wieder nach einer Woche, am 21., Höhepunkt. Diesmal hält der Strom etwas länger an, aber am 10. Oktober stockt Genoveva. „Ideen habe ich in Massen, aber sie kommen nicht in den Fluss. Eine verfluchte Uhr, die ich in meinem Schlafzimmer höre, hindert mich am Schlaf, das wirkt dann auf die Vormittags-Arbeit ein. Ich will, um die Leute zu zwingen, ihre Uhr wegzunehmen, Nachts die Flöte blasen" (Ta I 226f). Die Störung ist hier nicht so unmittelbar wie bei der „Judith", und wohl darum ist der poetische Atem diesmal länger gewesen; er setzt auch bald wieder ein. Merkwürdig ist dann wieder, dass in beiden Fällen der November ohne Aufzeichnung über die Arbeit verstreicht. Durch kleine äussere Verdriesslichkeiten wird ihm auch später die poetische Stimmung vernichtet, so durch Mitteilung der ersten vier Akte von Herodes und Mariamne" an Holbein, der die sofortige Aufführung ablehnte. Auch hier war eine Hochflut des Schaffens kurz vorhergegangen: am 9. und 22. August 1848 vollzog Hebbel die beiden Eintragungen. Er fügte dann hinzu: „Man sollte vorsichtig werden; die Stimmung des Dichters hat zu viel vom Nachtwandeln, sie wird ebenso leicht zerstört, wie der Traumzustand, worin dies geschieht" (Ta II 304).

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So jäh aber die poetische Stimmung aussetzen kann,

Palaestra. VIII.

3.

so plötzlich kann sie auch eintreten. „Die ganze steife prosaische Stimmung setzt sich plötzlich ohne alle Vermittlung in ihr Gegentheil um" (Br I 126). So hatte auch Goethe an Schiller ') geschrieben: „Mir ist es jetzo zu Mute, als wenn ich nie ein Gedicht gemacht hätte oder machen würde. Es ist das beste, dass die Stimmung dazu unerwartet und ungerufen kommt". Aus der humoristischen Stimmung, erklärt Hebbel einmal beiläufig, indem er sie der lyrischen entgegensetzt, erwachse nach seiner Erfahrung das Drama (Br II 28). Meint er damit das Bildnergefühl des über seinem Stoff stehenden und seiner Sache sicheren Dichters?

III. Geistige Thätigkeit.

Wie geht nun aber der Prozess selber vor sich? Zunächst bietet schon der zur Production drängende Zustand, die Übersättigung der Seele des Dichters, Eigentümlichkeiten, die durch Vergleich mit denen anderer Dramatiker ebensowohl Berührungspunkte als individuelle Begrenzung erkennen lassen. Hebbel erzählte Emil Kuh: „Die Mehrzahl seiner Dramen kündigte sich ein jegliches mit einer Gesichtserscheinung an, wonach er sofort wusste, dass der schöpferische Augenblick nahe sei. Bei dem ersten Akte seiner Genoveva habe ihm beständig die Farbe eines Herbstmorgens vorgeschwebt, beim Herodes vom Als er den Anfang bis Ende das brennendste Roth. Epilog zur Genoveva dichtete, da habe er eine angeschossene Taube fliegen sehen, und so oft der Moloch sich meldete, in Rom, in Neapel, wie in Wien, sei vor ihm ein Felsen mit uralten bemoosten Stämmen aus dem Meer emporgestiegen"). In solchen Erscheinungen trifft sich Hebbel mit Otto Ludwig, dem bekanntlich die vorausgehende musikalische Stimmung zur Farbe wird 3), „entweder tiefes, mildes Goldgelb oder ein glühendes Karmosin"). Während

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aber bei Hebbel das Auftauchen sowohl, als auch das Vorhandensein der Gesichtserscheinung für das dichterische Schaffen fruchtbar wird, stürzt sich Ludwig nicht wagemutig in den Productionsprocess, sobald sein Farbenspectrum in klarster Sinnlichkeit vor ihm steht, und es bezeichnet wie nichts anderes seine innerste dichterische Natur, dass er es mit dieser Sinnlichkeit „in jedem Augenblick und in den heterogensten Umgebungen und Beschäftigungen" wie einen Mahner sich umschweben lässt. Es setzt sein ganzes Wesen in Aufregung, „in einen Zustand, ähnlich dem einer Schwangern, der Geburt nahe und in der Geburtsarbeit, ein liebend Festhalten und doch Hinausdrängen des, was vom eigenen Wesen sich losgelöst hat, Ding für sich geworden ist" ). Schiller kennt in diesem zur Production drängenden Zustand nur die musikalische Grundstimmung. Grillparzer dagegen: nach einer langen Incubationsperiode kommt endlich die „Ahnfrau“ zum Durchbruch. Auf einem Spaziergang bringt er die zehn Anfangsverse zusammen, schreibt sie ohne weitere Absicht" am Abend auf und geht zu Bett. „Da entstand nun ein sonderbarer Aufruhr in mir. Fieberbitzen überfielen mich. Ich wälzte mich die ganze Nacht von einer Seite auf die andere. Kaum eingeschlafen, fuhr ich wieder empor. Und bei alledem war kein Gedanke an die Ahnfrau, oder dass ich mich irgend eines Stoffes erinnert hätte. Des anderen Morgens stand ich mit dem Gefühle einer herannahenden, schweren Krankheit auf“. Nach dem Frühstück kehrt er in sein Zimmer zurück, sieht seine zehn Verse, setzt sich nieder und der poetische Strom ist entfesselt'). Bei Grillparzer also findet die Einstellung des seelischen Zusammenhangs auf die poetische Stimmung in seinem Bewusstsein keinen unmittelbaren Widerhall. Ja, dieser entschieden mehr als Hebbel sinnliche Dramatiker erlebt in seinem Dichten etwas der Hebbel'schen Erfahrung

1) Otto Ludwig, a. a. O. 220.

2) Grillparzer, Werke (Sauer) 19. 64.

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direkt entgegengesetztes. Ihm wird nicht etwas selbsthervorgebrachtes, sondern etwas von aussen gebotenes zu einer Art von Symbol und Stütze. So erzählt er, dass er während der Arbeit am Ottokar immer wieder das Titelblatt seiner Quelle, eines „Mars Moravicus" in folio betrachtete das Bild des Kriegsgottes in voller Rüstung. Und jedesmal kehrte er zu ihm zurück, so oft sich seine Bilder zu schwächen schienen. ,,Ebenso hatte, als ich an den Argonauten schrieb, die turmartige Wendeltreppe in dem Hofe eines uralten Nachbarhauses, in den eines der Fenster unserer damaligen Wohnung ging, meiner Phantasie zu einem willkommenen Stützpunkt gedient“ '.) Bei den erstgenannten Dichtern aber spiegelt sich das noch ungeborene, zum Werden drängende Werk in einem — man darf wohl sagen symbolischen Erlebnis, das nichts anderes ist als die sinnliche Projection des in poetische Stimmung geratenen, seelischen Zusammenhangs sei es nun, dass er sich wie bei Otto Ludwig und Schiller einfach in Sinnesvertretung äussert oder wie bei Hebbel sich einige Male sogar zum bestimmt umgrenzten Bild verdichtet.

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Diese Thatsachen scheinen mit dieser Erklärung meines Erachtens ohne weiteres summarisch verständlich, wenn man sie mit denjenigen in Zusammenhang bringt, die Fechner) unter der Überschrift,,Der direkte Faktor" bespricht, nur mit dein Unterschied, dass Fechner der inzwischen so genannten „,audition colorée" von aussen, d. h. vom Standpunkt der Receptivität, näher rückt. In den angeführten Fällen aber ist sie und ihre Steigerung zum concreten Bild der Ausdruck des productiven Zustandes. Schliesslich sind Sinnesempfindungen nicht nur Symbole für die Gegenstände der Aussenwelt 3), sondern ebensogut Symbole für Thatsachen des Innenlebens.

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Hebbel versichert einige Male, dass er entgegen dem Gebrauch vieler anderer Dichter ohne Plan und Schema.

1) Grillparzer a. a. O. 110.

2) Fechner, Vorschule der Aesthetik.

3) Helmholtz, Popul.-wissenschaftl. Vorträge, 18766, S. 49.

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H

zu Werke gehe. So schreibt er an die Prinzessin von W. am 2. Dezember 1858 (Br II 475):,,Sie fragen mich nach dem Plan zum zweiten Teil (der Nibelungen). Da muss ich Ihnen ein Geständnis machen, das ich nur auf dem Markt zu wiederholen brauchte, um meines Scheiterhaufens bei dem nächsten kritischen Auto-da-fé sicher zu sein. Ich habe keinen, ja ich habe nie einen, auch zum Demetrius nicht. Wenn Dingelstedt die Freundlichkeit gehabt hat, von diesem Stück mit Liebe zu sprechen, so ist es in Folge einer mündlichen Rhapsodie geschehen, die ich wahrscheinlich noch früher vergass, als er. Mir ist ein Drama im buchstäblichen Sinne dasselbe, was einem Jäger eine Jagd ist; ich bereite mich so wenig darauf vor, wie auf einen Traum und begreife nicht einmal, wie man das kann. Ich sehe Gestalten, mehr oder weniger hell beleuchtet, sei es nun im Dämmerlicht meiner Phantasie oder der Geschichte, und es reizt mich sie fest zu halten wie der Maler; Kopf nach Kopf tritt hervor und alles Übrige findet sich hinzu, wenn ich's brauche". Danach bekommt auch die Äusserung in der Besprechung des Schiller-Körner'schen Briefwechsels 1) eine ganz persönliche Färbung. „Die Begeisterung, die ein Künstler für seine Ideale hegt, kann er nur dadurch beweisen, dass er sie mit allen ihm und der Kunst zu Gebote stehenden Mitteln zu verleiblichen sucht; dadurch, das Jemand verzückt in die Wolken schaut und ausruft: welch eine Göttin erblick' ich kommt keine Göttin auf die Leinwand. Ja, es ist nicht einmal wahr, dass er selbst eine sieht, er erobert sie sich erst durch's Malen, er würde in seinem ganzen Leben nicht zum Pinsel greifen, wenn sie vor ihm schon alle Schleier abgelegt hätte". Vielleicht greifen bei Grillparzer die Vorarbeiten, die sich bei Hebbel lediglich auf Gedankensammlung (Br I 219, Ta passim) und Vertrautmachen mit den Volkszuständen (Br II 475) beschränken, schon mehr in die eigentlich dichterische Sphäre hinüber.

1) Werke X 175 f.

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