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Geschichte, wo der Staaten und Völker grösster Gipfel ist, wo aber auch derselben Bahn zum Sinken sich neiget.

Im Deutschen als Menschen, auch ohne alle willkührliche Staatsformen, liegt schon das Gepräge und der Grundcharakter desselben als Volk; aber auch umgekehrt, die Eigenthümlichkeit der öffentlichen bürgerlichen Verhältnisse, worin sich der Deutsche befindet, ist sichtbar im Wesen und Privatleben der Einzelnen. So will es die Natur, die grosse Erzieherin der Menschen, der Staaten und Völker. Bei dieser Wechselwirkung ist die Form des öffentlichen Lebens und bürgerlichen Vereins die beste, die dauerhafteste, und verbürget also der Gesammtheit wie dem Einzelnen die sicherste Annäherung zum höchsten Ziel auf der Bahn des Menschen- und Völkerlebens, welche nur den Ausdruck des individuellen enthält. Kurz, das Nationalbedürfniss sey die Schöpferin und der Leitstern bei allen nationellen Formen; und alsdann geht man verbürgt zum wahren, zum höchsten Ziel.

Im Deutschen als Menschen liegt Liebe zu den Wissenschaften, zu den abstrakten, zu den streng gelehrten, so wie zu denjenigen Erfahrungs- und positiven Wissenschaften, deren praktische Anwendung unmittelbar sich im Verkehr der Menschen zeigt. Er liebt die Künste, er ist erfinderisch, gewerbsam, auch Handelsgeist führt ihn selbst in die entferntesten Gegenden der Erde. Wollte ich hier gegen meinen Zweck eine Gelehrten- oder Kunst-, eine Erfindungs-, Gewerbs- oder Handelsgeschichte liefern; wo ist der Zweig derselben, wo ich nicht zum grossen, unsterblichen Ruhm, Deutsche zu nennen hätte? Es sey einem Andern vorbehalten, diesen reinen Tribut der Wissenschaft, der Kunst, der Gewerbe und des Handels, den Deutschen zu zollen! Auch macht nicht einmal die Zahl der einzelnen ausgezeichneten grossen Männer in den verschiedenon Fächern der Wissenschaft und Kunst, den Gipfel der literarischen und Kunsthöhe der Nationen aus; nein, den einzig richtigen Höhemesser gewährt uns in dieser Hinsicht die allgemeinere Verbreitung von Kenntnissen im Gesammtkreise der Nation. Fern sey von mir, irgend einer Nation auch in dieser Beziehung zu nahe treten zu wollen; aber ében so soll auch nicht falsche Bescheidenheit mich hindern, meine Ueberzeugung mit hohem Gefühle zu bekennen: dass Deutschland auch von dieser Seite sich wenigstens gleichzeitig mit ande

ren Nationen in die erste Reihe der literarischen, der Kunstund praktischen Lebensbildung stellen kann. Der forschende Beobachter in den verschiedensten Gebieten unseres Deutschen Vaterlandes wird selbst nach einem Zahlenverhältnisse kein ungünstiges Gleichgewicht in der Gesammtheit finden. Wem sind unsere Universitäten nicht ein stolzes Denkmal deutscher Entwickelung? Selbst Ausländer, nicht immer gerecht gegen uns mit der Wagschale des Verdienstes, räumen der Form dieser unserer wissenschaftlichen Institute, schon wegen ihrer die Wissenschaft, alle einzelnen Haupt- und Hülfszweige als ein Ganzes — berücksichtigenden Umfassung einen grossen Vorzug ein. Wem sind unbekannt die vielen in den einzelnen deutschen Gebieten bestehenden Akademieen der Künste und Institute der Gewerbe, als eben so viele Pflanzschulen der Kunstpflege und der Künsteverbreitung in Deutschland? Wer kennt nicht die vielen Sammlungen, Gallerien und Museen in den einzelnen Gebieten, welche in Eins vereint, das erste Nationalmuseum der Welt bilden würden? Wer sollte alsdann jetzt noch Bedenken finden, den Deutschen den Tribut hoher Achtung im Gebiete der Cultur, in der ersten Reihe der Nationen zu zollen! Nur ungern entsage ich der erhebenden Arbeit, dieses nur skizzirte Gemälde in grösseren Zügen darzustellen. Mein Zweck ist erreicht; ich wollte den Deutschen ohne Beziehung auf seine bürgerlichen Formen betrachten. Nur des einzigen, des höchsten sey noch erwähnt, dass nicht blosses Wissen denselben auszeichnet; nein, mit Ehrfurcht sey es gesagt, hoher religiöser Sinn liegt auch zugleich im Grundcharakter des Deutschen.

Wende ich mich nun aber zu den bürgerlichen Formen; so erkenne ich hierin die sichtbarste Wechselwirkung mit obigem Gemälde.

Es würde mich zu weit führen, wenn ich auch dieses in allen einzelnen Beziehungen so entwickeln wollte, wie es sich dem denkenden Beobachter zeigt. Im Resultate sey es daher mit Wahrheit ausgesprochen: würden die Deutschen im Reiche der Wissenschaft, der Kunst, der Erfindungen, der Gewerbe und des Handels; würden sie im Besitze des ersten Nationalmuseums der Welt seyn, wie sie es jetzt sind, wenn nur Eine Hauptstadt wäre, nur Ein Fürst über diese Bevölkerung von mehr als 30

Millionen Menschen regierte? Ist nicht jenes eben so Folge von diesem? Die grössere Regsamkeit und Mannichfaltigkeit im Privatleben, ist sie nicht eben so Folge der verschiedenen freien politischen Formen, so wie hingegen auch diese ihre grosse Stütze in jenem freieren Charakter der Deutschen finden? Führte nicht jene Liebe zur Wissenschaft und Kunst auch zu der Eigenthümlichkeit desselben, dass er im Reiche des Wissens keine Nationalität erkennt? Der Deutsche achtet und ehrt, er strebt nach dem und eignet sich an, was er für gut und wissenswerth hält, es komme aus welcher Zone, von welchem Volke es wolle. Er ist gerecht gegen jedes Verdienst; und so wie auch diese Eigenschaft desselben in den verschiedenen bürgerlichen Formen ihre Stütze findet, so führt auch selbige zu jener Eigenheit, dass in dieser Hinsicht die Bescheidenheit sich oft in ihrer grössten Ausartung, der Selbstverläugnung, zeigt.

Bei dieser sichtbaren Wechselwirkung zwischen dem Charakter und der Bildungsstufe des Deutschen und Deutschlands bürgerlichen Formen, sey es weit von mir, das Lob der letzteren in sofern anstimmen zu wollen, als es fast zur Erlöschung aller Nationalität führte. Nein, dieses ist gerade der schlüpfrige Gipfel der Höhe, wo ein schmaler Pfad zur sinkenden Bahn und Auflösung Deutschen Volksthums führt. Dem von mir noch zu versuchenden Gemälde unserer neuesten gegenwärtigen politischen Form sey es demnächst vorbehalten, auch darüber meine beurtheilende Ansicht, als Minister eines grossen deutschen Hofes, in dieser Versammlung Deutscher Männer mit Freimüthigkeit vorzulegen.

Für jetzt aber fahre ich fort, den Weg zu verfolgen, wohin mich der berührte, neigende Gipfel geschwächter Nationalität führt. Die Völker sind in ihren menschlichen, so wie in ihren bürgerlichen Verhältnissen das Werk der Zeit; kein Volk, ja ich wage es mit allgemeiner Bestimmtheit zu sagen, kein Volk vermag sich die Form seines öffentlichen Lebens nach blossen Abstractionen zu schaffen, sondern auch selbst unwillkührlich wird diese, wenn sie nicht unnatürlich und daher nur ein Schattenbild des Augenblickes seyn soll, das Resultat der verschiedenartigsten Einwirkungen seyn; Nationalcharakter, geographische Lage, sonstige örtliche Verhältnisse, Sitten, Religion, vorzüg

liche Beschäftigung des Volks, und meistens auch äussere zufällig scheinende Ereignisse schaffen die Formen der Staaten und die nationellen Verhältnisse der Völker. So waren die Deutschen ein Urstamm in der Reihe der Nationen, der aber nur kurze Zeit einen einigen wahren Staat bildete; die älteste Urabtheilung in mehrere Volksstämme auf Germaniens Gesammtboden führte schon im ersten Keime zum späteren Bilde. Ich berühre kaum die einzelnen Stufen der Ausbildung, so wie solche sich im Alterthume des Deutschen Mittelalters verlieren; die Einwirkung des traurigen sogenannten Zwischenreichs des dreizehnten Jahrhunderts, dem — wir nennen wohl Alle den Namen mit hoher Ehrfurcht — Rudolph von Habsburg zum ewigen Dank und Heil des Deutschen Vaterlandes ein Ende machte; ich erwähne nur der Kriege auf unheimischem Boden, des Einflusses geistlicher und weltlicher Macht, welcher hierbei so folgenreich, so wirksam war; ich erwähne ebenso nur der inneren Religions- und bürgerlichen Kriege des sechszehnten und siebenzehnten Jahrhunderts und des Westphälischen Friedens, der das Bild zur beinahe höchsten Stufe vollendete; ich berühre ferner auch hierbei nur der mannichfaltigsten Einwirkung fremder Macht bei Deutscher Zwietracht, um seit dem sechszehnten Jahrhundert bis zum achtzehnten das Gemälde des Sinkens und der Auflösung in unaufhaltbarer Schnelle zu verfolgen. Ich müsste mich in Erinnerungen verlieren, die der deutsche Vaterlandsfreund mit dem Schleier der versöhnten Vergessenheit bedeckt, wenn ich hierbei alle einzelnen Züge und alle Stufen der Geschichte dieser Zeit auch nur berühren wollte. Als Zeitgenossen sind diese uns Allen bekannt; und am Tage der Feier deutscher Eintracht erwähnt und erinnert man sich nur der Vergangenheit, um sich des Glückes der Gegenwart im Kreise Deutscher Männer zu freuen. Das Resultat sey nur gesagt: Deutschland schon seit der frühesten Zeit in mehrere Staaten zerlegt, aber vereint im grossen Bande der Nationalität, deren sichtbares Symbol die Deutsche Kaiserkrone war, erreichte in dieser Art kaum den Anfang des neunzehnten Jahrhunderts.

Die Beendigung des Krieges mit dem revolutionären Frankreich durch den Lüneviller Frieden, die grossen Opfer, wozu das Ende des gerechtesten der Kriege Deutschland nöthigte; der

Reichsschluss von 1803, welcher im Innern von Deutschland Entschädigungen für das schaffen sollte, was man an eine fremde Macht abgetreten hatte; der endlich geschlossene Rheinbund und dadurch bewirkte Niederlegung der Deutschen Kaiserkrone, die hierauf sodann gefolgte Gestaltung im Innern des Deutschen Gesammtgebietes; dieses sind allein die Epochen, welche ich namentlich auszuheben, und als überlebte grosse Schicksale des Deutschen Volks bestimmt anführen zu müssen glaubte.

So stand nun Deutschland da, und nur in gelehrter Abstraction konnte man darin noch eine Nation finden wollen, während es in der Wirklichkeit unter sich getrennte Staaten ohne alles Nationalband als jenes in sich fasste, welches es zur gemeinsamen tributären Abhängigkeit eines fremden Reiches verband.

Diese tiefste Erniedrigung, die ein Volk zu ertragen haben kann, diese war also für dasjenige bestimmt, welches geeignet war, in der ersten Reihe der Nationen zu glänzen, wenn es das eigentiche Band der Nationalität auch so zu ehren verstanden hätte, wie es auch bei der Zerlegung in mehrere Staaten, und selbst mit Beachtung der eigentlichen Vorzüge dieses Verhältnisses, hätte möglich seyn dürfen. Uns Allen ist auch dieser Zustand unserer Nation noch in wehmüthiger Erinnerung, wir Alle kennen aber auch den Heldenmuth, der ganz Deutschland zum treuen Bunde vereinte, um Freiheit und Unabhängigkeit von Aussen zu erkämpfen, und eines neuen Nationalbandes sich wieder würdig zu zeigen. Dieser hohe Preis ward verdient; der achte Juni 1815 vereinte alle deutschen Staaten zu einem Bund, den wir mit Ehrfurcht und Stolz den Deutschen nennen.

So also erscheint Deutschland wieder als ein Ganzes, als eine politische Einheit; wieder als Macht in der Reihe der Völker.

Deutschland war im Laufe der Zeit weder berufen, die Form einer Einherrschaft oder auch nur eines wahren BundesStaates zu gewähren, eben so wenig aber entsprach es dem Bedürfnisse der allwaltenden Stimme der Zeit, ein blosses politisches Schutz- und Trutzbündniss zu schliessen, sondern in der Zeitgeschichte ist Deutschland dazu berufen, einen zugleich die Nationalität sichernden Staatenbund zu bilden. Dieses ist Deutschlands Bestimmung, dieses der Standpunkt der Deutschen Nation in der Reihe der übrigen Völker Europens.

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