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wahrheiten verteidigt worden sei. Sicherlich war es nicht blofs in Wirklichkeit, sondern auch der darüber schwebenden Idee nach weit von der Vollkommenheit entfernt; aber man hätte doch auf das Gerede über das Unnütze und Unzeitgemäfse des auf dem Gymnasium erworbenen Wissens mit tiefer geschöpften Argumenten antworten können. Es ist verdienstlich, wenn der gesunde Menschenverstand die Spinnewebe öder pädagogischer Wortkramerei zerstört; aber es liegt doch auch in seinem Wesen, jede merkliche Erhebung über das farblos Gewöhnliche und im gemeinen Sinne Natürliche zu meiden wie zu hassen. Treibt man freilich den vollen etymologischen Wert dieses Ausdrucks ein, so steht die Sache wesentlich anders. Denn wird der gesunde Menschenverstand als gleichbedeutend gefafst mit jener sana mens und iudicii sanitas, deren höchste Potenz die incorrupta iudicii integritas ist, so giebt es allerdings keine höhere Instanz. wöhnlich aber wird das Wort heute in demselben abgeschwächten Sinne gebraucht wie bon sens im Französischen. Was aber ist der bon sens? Die Fähigkeit, l'aptitude à bien juger sans aucune culture et dans un ordre de vérités un peu terre à terre et toutes pratiques. Dafs sich früher mit dem Worte ein vornehmerer Sinn verband, beweist der Anfang des Discours de la méthode von Descartes, wo geredet wird von der puissance de bien juger et de distinguer le vrai d'avec le faux, qui est proprement ce qu'on nomme le bon sens ou la raison.

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Die Pädagogik wird also doch eine psychologische Grundlage suchen und sich im Umgange mit der Philosophie für ihr Thun stärken müssen. Will sie aber warten, bis eine unanfechtbare und allgemein anerkannte Psychologie in allen Teilen ausgebaut ist, so wird sie nie ihre Zeit gekommen glauben dürfen. Sie darf es nicht wie ungeschickte Gelehrte machen, welche vor lauter Vorbereitungen und über dem ewigen Wegschaffen von Hindernissen ihr ganzes Leben hindurch nicht zur Sache kommen. Solange die Menschen sich selbst gleich sind, werden wechselnde Meinungen, reine Irrtümer, Falsches mit Wahrem gemischt in endlosem Strome sich vorbeibewegen. Rusticus exspectat, dum defluat amnis. At ille labitur et labetur in omne volubilis aevum. Da gilt es mutig hineinzuspringen, an sich und an die Wahrheit zu glauben. Mufs, was nicht auf einen Felsen gebaut ist, darum gleich in einen Sumpf oder auf Flugsand gebaut sein? Wer aber eine reine Lösung des pädagogischen Problems in nächster oder ferner Zeit für möglich hält, der hofft zu viel. Um stets mit Sicherheit auf den werdenden Menschen wirken zu können, müfste man erstens den Menschen überhaupt, zweitens dieses Individuum von Grund aus kennen.

Überdies ist zwischen der praktischen Pädagogik und der Theorie der Pädagogik zu unterscheiden. Eine unanfechtbare Theorie der Pädagogik ist allerdings nur auf der Grundlage einer

unanfechtbaren und reich ausgeführten Psychologie möglich. Der praktische Pädagoge aber übt, in seiner Eigenschaft als Pädagoge, eine Kunst vielmehr als eine Wissenschaft. Was ihm vor allem not thut, ist vielmehr die Fähigkeit, mit intuitiver Sicherheit die Eigentümlichkeit seines Zöglings zu erfassen und dieser entsprechende Einwirkungen auszuüben. Auch sonst im Leben sind die bis ins einzelne genau berechneten und mit voller Klarheit des Bewusstseins auf das Wollen anderer ausgeübten Wirkungen sehr selten. Immerhin aber giebt die Theorie dem, in welchem die Natur nicht mit reiner und voller Kraft waltet, ein Gefühl der Sicherheit und bewahrt ihn vor ängstlichem Tasten und Fehlgreifen. Mag auch das pädagogische Genie die pädagogische Kunst mit der Sicherheit ausüben, mit welcher der Gebildete seine Muttersprache gebraucht, die grofse Mehrzahl der Pädagogen wird im besten Falle damit verfahren, wie gute Schüler, am Ziele angelangt, mit den fremden Sprachen verfahren, die man sie gelehrt hat. Auch hier gilt der Satz, dafs das Genie der Urquell der Regeln ist. Aber die Zahllosen, die keine Genies sind und die heutige Zeit mit ihrem sehr verbreiterten und hochgesteigerten Bildungsbedürfnis hat sehr viel Pädagogen nötig, werden immer darauf angewiesen bleiben, die gar leise in ihrem Innern tönende und durch allerhand fremdartiges Geräusch fortwährend übertönte Stimme der Natur durch das Studium der Theorie zu verstärken. Der Lehrtrieb freilich ist dem Menschen so gut wie der Lerntrieb angeboren. Aber man baue nur nicht so fest darauf. Was ist dem Menschen nicht alles angeboren! Eben weil er die Keime zu allem Möglichen in sich trägt, ist die Durchschnittsbegabung ohne künstliche Stützung und Stärkung kaum für ein Gebiet recht ausreichend. In jedem normalen Menschen steckt auch etwas von einem Dichter. Aber aus der breiten Masse ragen nur wenige hervor, die auch nur Erträgliches hervorzubringen vermögen. Schöpfungen nun vollends, die den Dichter überdauern oder gar in ferne Jahrhunderte hineinreichen, werden wie Wunder angestaunt, wie geglückte Besteigungen in majestätischer Einsamkeit thronender Bergesriesen.

Von der im engeren Sinne künstlerischen Begabung kann man nun freilich sagen, daf's, wenn sie überhaupt eine künstliche Steigerung und Stärkung nötig hat, sie nicht echt ist und darum besser thut, sich im Nachempfinden des von anderen Geschaffenen zu bethätigen, als sich unter Not und Qual doch nie recht gelingendes Eigenes abzuringen. Soll man über die Kunst des Pädagogen auch so streng urteilen? Soll man auch hier nur das wirklich Vortreffliche gelten lassen und mit Horaz ausrufen: Mediocribus esse magistris

Non homines, non di, non concessere parentes? Sicherlich ist auch das pädagogische Genie eine nur hier und da auftauchende Seltenheit. Der Bedarf an eigentlichen Pädagogen

ist aber ein zu grofser, als dafs man auf diesem Gebiete die Dienste der Mittelmäfsigkeit verschmähen dürfte. Künstler, Dichter, Philosophen, Schriftsteller aller Art sind freilich auch Erzieher des Menschengeschlechts. Sie sprechen aber von höherer Warte aus, mit weithin vernehmlicher Stimme. Ja der blöden Menge, die sie umsteht, unverständlich, werden ihre Worte weiter tōnend oft erst verständlich, werden nicht selten erst sinnvoll für künftige Geschlechter. Die Thätigkeit des eigentlichen Pädagogen hingegen ist an seine Person gebunden, und es sind immer nur wenige, auf welche sie sich zugleich erstrecken kann. Wie soll da der Bedarf gedeckt werden, wenn man allen nur mäfsig Begabten prinzipiell das Recht, als Pädagogen zu wirken, aberkennen wollte? Die pädagogische Theorie möchte also doch wohl unentbehrlich sein. Sie allein kann der bescheidenen Anlage die Richtung und Wirkungskraft geben. Vor allem unentbehrlich ist der elementare Kursus dieser Theorie, der leicht zu lehren, leicht zu lernen und leicht zu handhaben ist.

Aber mit jedem hinzukommenden Lebensjahre wird leider der Zögling schwerer zu behandeln. Zahlreicher, mannigfaltiger, unübersehbarer werden die Einwirkungen von aufsen, verwickelter sein Inneres; immer besser lernt er es, dem beobachtenden Blicke sich zu entziehen, immer geringer wird seine Willigkeit sich zu ergeben, auf sich wirken zu lassen. Sokrates, der Pädagoge xar' oxyv, das leuchtende Vorbild aller Erzieher, hat vergebens versucht, dem Willen des Alcibiades die dauernde Richtung auf das Vernünftige und Gute zu geben. Dem Seneca, einem der gröfsten Kenner des menschlichen Herzens, der noch dazu frei war von theoretischem Eigensinn und sich anzubequemen wufste, ist es nicht gelungen, das Ungeheuer in Nero zu bändigen. Die Bemühungen des ernsten, strengen, mit gröfster Konzentration auf das Wesentliche gerichteten Bossuet, aus dem Sohne Ludwigs XIV. etwas zu machen, endigten mit dem eklatantesten Mifserfolge, den man sich vorstellen kann. Als Katharina II. von Rufsland durch die glänzendsten und schmeichelhaftesten Bedingungen D'Alembert aus seinem Mansardenstübchen in Paris nach Petersburg zu locken und als Erzieher für ihren Sohn, den Thronfolger, zu gewinnen suchte, gab er ihr diese denkwürdige Antwort:,,II y a trente ans que je travaille uniquement à ma propre éducation, et il s'en faut bien que je sois content de mon ouvrage. Jugez du peu de succès que je devrais me promettre d'une éducation infiniment plus importante, plus difficile et plus étendue". Wer an diese und ähnliche Beispiele denkt, dem mufs bei seinen pädagogischen Bemühungen bange werden, um so banger, je gröfser sein Eifer und sein Pflichtgefühl ist. Man wird also gestehen müssen, dafs in der Natur des zu Bildenden Schwierigkeiten liegen, über welche zu siegen selbst die gröfsten Meister der Unterrichts- und Erziehungskunst nicht sicher sind.

Aber auch mit Rücksicht auf die Natur des Lehrers und Erziehers selbst mufs das Unterrichtsproblem als ein inkommensurables gelten. Die pädagogischen Genies sind ebenso selten wie die Dichtergenies. Aber selbst wenn man von der Erfüllung des Ideals absieht, wie vielen Hindernissen begegnet der Lehrer und Erzieher in seinem eigenen Wesen, um auch nur gewöhnliche Wirkungen erzielen zu können! Es giebt keinen Beruf, der höhere und vielseitigere Anforderungen stellte. Wie gering an Zahl sind die Berufsthätigkeiten, für welche es überhaupt einer vollen und gereiften Menschlichkeit bedarf! Wer sich durch Titel nicht täuschen läfst, wird gestehen, dafs, wenn man von einer verschwindend kleinen Anzahl Stellen absieht, selbst die Aufgaben der höheren Beamten mit durchaus subalternen sittlichen wie geistigen Kräften bewältigt werden können.

Erwägt man im Gegensatz dazu, welche Vereinigung höchster geistiger und sittlicher Eigenschaften zu einem vollkommenen Lehrer und Erzieher nötig ist, bedenkt man ferner, dafs sogar, um einer vollen und durchaus erfreulichen Wirkung sicher sein zu können, auch eine hervorragende körperliche Ausrüstung für diesen Beruf erforderlich ist, so wird man ausrufen: Ut Phoenix, quingentesimo quoque ille anno semel nascitur. Zum Glück aber ist das unter allen Umständen Unentbehrliche durch Lehre und Erziehung verhältnismäfsig leicht zu verschaffen. So mühevoll deshalb auch die Thätigkeit des Elementarlehrers sein mag, unter gewöhnlichen Verhältnissen kann er des Erfolges sicher sein. Erstens kommt ihm die natürliche Lernlust des Schülers mit einer Stärke und Frische entgegen, die sie eben nur in ihrem ersten Stadium haben kann. Dazu kommt die völlig unanfechtbare Autorität, mit welcher er seinem Zögling gegenübersteht. Nicht blofs der äufsere Gehorsam ist hier das Natürliche und Gewöhnliche dieser ist von allen Altersstufen verhältnismäfsig leicht zu erzwingen und bei dem gemeinsamen Unterrichte eine unerlässliche Forderung, sondern hier ist der Regel nach auch jene innere Willigkeit vorhanden, die durch keinen Zweifel, durch keine individuelle Auflehnung getrübt ist. Die Einwirkung des Bildners begegnet also keinem nennenswerten Widerstande. Ohne Zögern, gern, voll Vertrauen öffnet sich ihm die junge Seele. Die Sache ferner, die er zu lehren hat, ist objektiv betrachtet eine so einfache, dafs auch die bescheidenste Lehrerintelligenz ausreicht, sie im Grunde zu erfassen und sich ihrer völlig zu bemächtigen. Und auch seine erzieherische Thätigkeit hat es nur mit den grofsen, in der natürlichen Richtung des werdenden Charakters liegenden Hauptsachen, nicht mit einem feinen Ausbau des Innern zu thun. Daher auch der Ausdruck der Zuversicht und Sicherheit, der auf dem Gesichte des Elementarlehrers liegt: er weifs genau, was er zu erstreben hat, er kann seine Wirkungen genau berechnen, und klar erkennbar ist auch der Erfolg seiner Be

mühungen. Es ist deshalb auch von dem Augenblicke, wo man angefangen hat mit Besinnung zu unterrichten, der Traum der Methodiker gewesen, dem Lehrer der höheren Stufen dieselben Vorzüge zu verschaffen. Dabei hat es nicht an ungerechten Klagen über die Gymnasiallehrer gefehlt. Vor allem hat man die Schwierigkeiten des späteren Unterrichtens und Erziehens unterschätzt. Gewisse grobe didaktische Hauptsachen bleiben allerdings für alle Stufen dieselben. Wie erweitert sich aber mit jedem Jahre der Kreis des Unterrichtsobjekts! Wie verwickelt, wie schwer zu erkennen, zu würdigen, zu beeinflussen ist im Laufe weniger Jahre das Innere des Schülers geworden! Zu äufserem Gehorsam, zu regelmäfsiger äufserer Pflichterfüllung ist er ja immer noch durch den männlichen Willen des Lehrers zu zwingen. Aber sein Geist wie sein Charakter ist immer häufigeren, immer tiefer gehenden Einwirkungen ausgesetzt, über welche der Lehrer, zumal beim öffentlichen Massenunterrichte, keine Macht hat und welche sich meist sogar seiner Aufmerksamkeit entziehen. Dazu kommt die mehr und mehr erstarkende Individualität des Schülers, welcher der allgemeine Unterrichtsbetrieb nie genau entsprechen kann und die fortwährend durch das Aufzwingen eines stets zum Teil antipathischen Unterrichtsstoffes gereizt wird. Wie eine harmlose Wunde durch langes Reiben gefährlich werden kann, so wird auch die anfänglich nur leise Abneigung des Schülers bisweilen infolge der täglichen Berührung mit dem Fremden, sich ihm Aufnötigenden zu einem wahren Hasse. Aber οὐδὲν βίαιον ἐμμένει τῇ ψυχῇ, in yuz, sagt Plato. Die Seele mufs sich willig ergeben, sonst kann von einer ernsten, den Geist und das Herz wirklich bildenden Einwirkung nicht die Rede sein. Hat sich der Hafs gegen die Schule aber überhaupt erst in der Seele eingenistet, so wird auch alles andere, was der individuellen Begabung und Neigung des Schülers sehr wohl entsprochen haben würde, trotzig zurückgewiesen. Welche imponierende geistige wie sittliche Reife mufs der Lehrer besitzen, der allen sichtbaren und unsichtbaren feindlichen Mächten, die ihm die Arbeit erschweren, zum Trotz auf ein schon weiter fortgeschrittenes Wesen einen wirklichen Einflufs gewinnen will! Zum Zwecke des Examens und um Berechtigungen zu erlangen, wird ja vieles bereitwillig gelernt, und nicht selten zieht die aufsere Willigkeit, zu der man sich eben bequemen mufs, auch eine Art von innerer Willigkeit nach sich. Aber von da bis zu jener vertrauensvollen, nach Anregungen heifs verlangenden Hingabe ist doch noch ein weiter Schritt. Ein Lehrer, der diese Wirkung mit Schülern einer höheren Stufe erzielen will, und zwar nicht blofs hin und wieder in einer Unterrichtsstunde, mufs etwas wahrhaft Dämonisches in seinem Wesen haben und mehr als ein Mensch sein. Denn man vergesse nicht, dafs die Schule eine künstliche Einrichtung ist und stets bleiben wird. Es ist objektiv unmöglich, zumal bei dem Massenunterrichte, mit

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