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Unsere Volksschule hat eine ganz anders tiefgreifende Wirkung; dann giebt es zwischen ihr und der Universität eine grofse Menge verschiedenartiger Schulen, die allen Wünschen und Bedürfnissen gerecht werden; endlich ist bei uns auch dem Armen und Niederen der Zugang zu den gelehrten Berufsarten oder doch zu einer höheren Bildung viel leichter gemacht als anderswo. Das alles wirkt vielleicht zusammen, um ein so tiefgehendes Verlangen nach der Fruchtbarmachung der Universitäten für die Zwecke der Volksbildung nicht aufkommen zu lassen. Doch das ist nur eine Vermutung. Vorhanden ist das Bildungsbedürfnis in den Schichten unserer Kleinbürger, Handwerker und Arbeiter auch. Davon habe ich mich neulich erst persönlich überzeugen können. Nach dem Muster der seit einigen Jahren in Frankfurt a. M. veranstalteten öffentlichen und unentgeltlichen Vorlesungen für das Volk sind in diesem Winter wie an anderen Orten so auch in Cassel Volksvorträge gehalten worden. Einer meiner Kollegen, Oberlehrer Sunkel, hat durch unermüdlichen Eifer Interesse für die Sache erregt und, von vielen Seiten unterstützt, sie ins Leben gerufen. In einem vom Magistrat der Residenzstadt Cassel freundlichst bewilligten städtischen Saale findet am Donnerstag jeder Woche ein Vortrag statt, zu dem Leute aller Klassen, vornehmlich aber Arbeiter und Handwerker, Männer und Frauen, in hellen Scharen zusammenstromen. Die Herren, die sich eine Freude daraus machen, dem Volke etwas zu bieten, richten es so ein, dafs sie über einen Gegenstand zwei- oder dreimal hintereinander sprechen, damit ein desto tieferes Wissen erzielt wird. Der eine redet über ansteckende Krankheiten, der andere über das Schöne und die Kunst, der dritte über Elektricität und ihre Bedeutung fürs Leben, der vierte über Uhland, der fünfte über Spohr, der sechste über die Volkswirtschaft in den Vereinigten Staaten u. s. w. Ich kann versichern, dafs ich selten eine so andächtig lauschende und so dankerfüllte Zuhörerschaft gefunden habe, als sie mir in jenen Versammlungen entgegengetreten ist. Es läfst sich dem Volke also auch auf diesem Wege nahe kommen; und da die Universitäten voraussichtlich noch lange nicht bereit sein werden, von ihrer wissenschaftlichen Höhe herabzusteigen, um dem Volke unmittelbar zu dienen, so erwerben sich meiner Meinung nach die Lehrer an den höheren Unterrichtsanstalten Deutschlands ein grofses Verdienst, wenn sie sich an den Volksvorträgen rege beteiligen und von dem Reichtum ihres Wissens und Könnens auch denen etwas zu gute kommen lassen, die in der Jugend nicht viel gelernt haben und in höherem Alter gern noch etwas lernen mōchDie Herren erleben Freude, das kann ich versichern, und die Volkswohlfahrt wird gehoben.

ten.

Cassel.

Christian Muff.

ZWEITE ABTEILUNG.

LITTERARISCHE BERICHTE.

Schneider, Religionsbuch für die oberen Klassen höherer Lehranstalten. 1., 3. und 4. Heft. Berlin 1894, Verlag von Ernst Siegfried Mittler und Sohn. 58, 67 u. 47 S. 8. 2,65 M.

Der Lehrstoff für den evangelischen Religionsunterricht in den oberen Klassen höherer Lehranstalten Bibelkunde, Kirchengeschichte und christliche Glaubens- und Sittenlehre - läfst sich sehr wohl in einem Lehrbuche von mäfsigem Umfange zusammenfassen. Der Verf. hat ihn auf vier Hefte verteilt, von denen das 1. und 2. die Kirchengeschichte, das 3. die Bibelkunde und das 4. die Glaubens- und Sittenlehre behandelt. Das 2. Heft, die neuere Kirchengeschichte enthaltend, ist bereits früher erschienen. Dem aufbauenden Gange des Unterrichtes würde es mehr entsprochen haben, wenn der Verf. dem 1. Hefte die Bibelkunde, die Grundlage des Religionsunterrichtes, zugewiesen und dann erst die Kirchengeschichte hätte folgen lassen. In der Bearbeitung des Lehrstoffes ist er von dem Grundsatze ausgegangen, dafs es weniger auf ein Vielwissen der Schüler als auf die Erweckung einer lebendigen religiösen Überzeugung bei ihnen ankomme. Demgemäfs fehlen in der Bibelkunde die Inhaltsangaben der einzelnen biblischen Bücher und alle Mitteilungen, welche nur für den Geschichtsforscher Bedeutung haben. Im besonderen ist es vermieden worden, die Schüler in die Streitigkeiten einzuführen, welche sich an Fragen über den Ursprung der einzelnen Bücher knüpfen; vermieden ist auch die Erörterung über die Echtheit derselben oder über die Richtigkeit ihrer Überschriften. Ebenso ist es in der Kirchengeschichte nicht auf eine Geschichtsdarstellung nach wissenschaftlicher Methode abgesehen, sondern auf einen Rückblick in vergangene Zeiten, welcher den Schülern das Verständnis für den gegenwärtigen Zustand ihrer Kirche in Lehre, Verfassung, Gottesdienst und Liebesthätigkeit vermittelt. Hiernach nimmt des Verf.s Religionsbuch der Wissenschaftlichkeit gegenüber einen anderen Standpunkt ein als die bekannten neueren Lehrbücher, wie die von Heidrich, Christlieb u. a. Während der Verf. um den Gegensatz durch ein Beispiel zu erläutern von dem Buche Jesaias (3. Hft. S. 32) so spricht, als ob es nur einen Autor habe, und den Deuterojesaias, welchem die Kapitel 40 u. fg. angehören, mit keiner Silbe erwähnt, redet z. B.

Christlieb in seinem Handbuche für den evangelischen Religionsunterricht S. 83 von dem,,zweiten Jesaias", weist ihm seine Stelle nach Hesekiel an und zeigt treffend, wie sich bei ihm die messianische Heilshoffnung vertieft hat. Wenn es nun, wie der Verf. annimmt, auf die Überschrift eines biblischen Buches nicht ankommt, warum soll denn das heute allgemein anerkannte Ergebnis der wissenschaftlichen Bibelforschung, dafs das Buch Jesaias aus mindestens zwei Teilen besteht, einem Primaner vorenthalten bleiben? Auch bedeutsame Fragen der neutestamentlichen Kritik sind unberührt geblieben. Die Mitteilungen über das Evangelium des Matthäus (3. Hft. S. 49) füllen nur 6 Zeilen, während dem 2. Briefe des Petrus doch 5 Zeilen gewidmet sind. In dem kirchengeschichtlichen Hefte ferner hat der Verf. zwar die harten Kämpfe und die schweren Leiden der ersten Christen, sowie die Thaten und Lehren hervorragender Glaubenshelden lebendig geschildert, weil die Kunde von ihnen das Herz erwärmt; von den ältesten Häresieen dagegen, dem Ebionismus, Gnosticismus, Montanismus und Manichäismus, ganz geschwiegen, offenbar weil die wirren Glaubensansichten in ihnen wohl den Verstand beschäftigen können, aber das Gemüt unberührt lassen. In der That sind jene Häresieen längst überwundene Irrtümer, und in der Volksschule braucht ihrer nicht gedacht zu werden. Ob sie jedoch im Unterrichte in den höheren Schulen ganz unberücksichtigt bleiben dürfen, ist eine andere Frage. Bei der Durchnahme der Augustana in Prima ist ihre Kenntnis bei den Schülern jedenfalls erwünscht, und jedem gebildeten Christen wird sie gewifs willkommen sein.

Wenn demnach auch das mit lebendigem religiösen Geiste geschriebene Religionsbuch Schneiders Anerkennung im ganzen verdient, so mufs man doch zweifeln, ob es für den Gebrauch in den oberen Klassen eines Gymnasiums ausreicht. Das 1. und 3. Heft wenigstens, die ältere Kirchengeschichte und die Bibelkunde darstellend, würden jedenfalls einer weitreichenden Ergänzung durch den Vortrag des Lehrers bedürfen. Zum Schlusse sei noch auf ein paar Errata verwiesen. Nach Heft 3 S. 47 veranlafste der Pseudomessias Bar Cochba Vespasian mit Heeresmacht nach Palästina zu ziehen und das ganze Land zu erobern. Bar Cochba lebte jedoch nicht unter Vespasian, sondern zur Zeit des Hadrian, der von 117 bis 138 regierte. Ferner wird S. 59 der in Korinth wirkende Apollos als ein ephesinischer Jude bezeichnet. Derselbe stammte indes nach Apostelgesch. 18, 24 aus Alexandrien. Berlin. J. Heidemann.

Eduard Büttner, Methodisch geordneter Übungsstoff für den Unterricht in der deutschen Rechtschreibung zum Schulund Privatgebrauch. Zweite Auflage. Berlin 1895, Weidmannsche Buchhandlung. VIII u. 256 S. 8. 2 M.

Der ersten Ausgabe des nach den preufsischen, bayerischen und sächsischen Regeln bearbeiteten Buches ist nunmehr nach

13 Jahren eine zweite Auflage desselben gefolgt. Diese stellt sich als eine in mehrfacher Hinsicht verbesserte und um 60 Seiten vermehrte dar. Gleichwohl sind in der Anlage des Werkes keine einschneidenden Änderungen vorgenommen, die mit dem an zahlreichen Schulen eingeführten, von demselben Verf. herrührenden ,,Orthographischen Übungshefte für Schüler" nicht im Einklange. ständen. Durch gemeinsame Benutzung beider Bücher glaubt Büttner eine methodische, vom Leichten zum Schweren fortschreitende Stufenfolge der orthographischen Übungen zu ermöglichen und so den dornenvollen Unterrichtsgegenstand leichter und angenehmer zu gestalten. Seinem Grundsatze, dem Fehlermachen vorzubeugen, ist er in der neuen Ausgabe treu geblieben. Sind die einzelnen Wortbilder gehörig eingeübt, so kommen sie alsdann in einzelnen Sätzen und zusammenhängenden Stücken zur Anwendung. Freilich mufs hier, wie dies nicht anders möglich ist, der Lehrer eine seinen besonderen Verhältnissen entsprechende Auswahl treffen, was bei der grofsen Fülle des gebotenen Stoffes nicht schwer fällt. Ob der Verf. recht daran gethan hat, in den zweifelhaften und noch schwankenden" Fällen eine Schreibung mit Konsequenz durchzuführen, darf billig bezweifelt werden. Das jetzt angehängte Wörterbuch wird mancher mit Freuden begrüfsen und auch die demselben eingefügten Fremdwörter willkommen heifsen. An passender Stelle hat B. auch die unentbehrlichen Regeln über dieselben eingeschoben, während er in der 1. Aufl. geglaubt hatte davon Abstand nehmen zu sollen. Natürlich kann in mittleren und niederen Schulen für die das kleine Werk doch auch berechnet ist nicht ohne weiteres die Fassung der Regeln verwandt werden, die im amtlichen preufsischen Regelbuche § 23-25 vorliegt.

Die sonstigen den Übungen vorgeschickten Regeln sind sehr übersichtlich, lobenswert auch die gelegentlich unter dem Texte gegebenen Anmerkungen. Bedenklich ist mir nur S. 128 die Bemerkung, dafs es besser wäre, vor p und t den Zischlaut in der Aussprache überhaupt zu vermeiden, sowie auch die S. 205 vorgeschlagene Silbentrennung: beste. Das von Wilmanns (Die Orthographie in den Schulen Deutschlands S. 248) beigebrachte Beispiel: lebhafte-ste ist doch im Hinblick auf den ,,geschärften Vokal" in beste" anderer Art. Unrichtig ist die Fassung der Regel S. 143 über hoffentlich und ähnliche Bildungen. Auch hier konnte Wilmanns S. 121 den Verf. vor einem derartigen Fehlgriffe bewahren. Eine wesentliche Neuerung sind die im Anhange gebotenen Hauptregeln der Interpunktion. Ihr Wortlaut wird allerdings manchen Widerspruch hervorrufen. Zu § 1, c (S. 238) ist zu bemerken, dafs nicht blofs der in den Hauptsatz eingeschobene Zwischensatz in Kommata eingeschlossen wird. Wenn ferner „und" oder „, oder Sätze verbinden (ebd. e), so mufs der zweite Satz nicht sowohl ein neues Subjekt, als viel

mehr sein eigenes Subjekts wort haben, mag es auch begrifflich mit dem des ersten Satzes identisch sein. Vgl. z. B.: ,,Plötzlich hemmte sie nun die rasselnde Mühl' in dem Umlauf, Und zu Marie, die den Ofen verspundete, sprach sie gebietend". Zum Semikolon wird das Beispiel angeführt: „Wüstenkönig ist der Löwe; will er sein Gebiet durchfliegen, Wandelt er nach der Lagune, in dem hohen Schilf zu liegen". Dazu (2a) die Regel: .,Das Semikolon steht zwischen Hauptsätzen, welche durch die Betonungsweise als zusammengehörig bezeichnet werden". Auch wenn der dem zweiten Hauptsatze untergeordnete Satz die regelrechte Form eines Bedingungssatzes hätte, müfste gleichwohl hinter,,Löwe" ein Semikolon stehen. Es würde sich also thatsächlich zwischen einem Haupt- und einem Nebensatze befinden, so dafs das Beispiel für den Schüler unglücklich gewählt ist. Unverständlich geradezu ist die Anweisung § 2b:,,Das Semikolon steht vor solchen Nebensätzen, die sich nur lose an den Hauptsatz anlehnen" mit den Beispielen:,,Dich hat der eitle Ruhm bewegt; drum wende dich aus meinen Blicken!" und: ,,Was du sagst, ist allerdings richtig; dagegen liefse sich jedoch auch dies geltend machen". Wenn in c bei mehrfach gegliederten Sätzen die einzelnen Hauptglieder des Vorder- und Nachsatzes durch ein Semikolon von einander geschieden werden, so dürfte jedenfalls kein Beispiel dafür vorgebracht werden, das dieses Satzzeichen auch noch in anderer Verwertung zeigt. Auch wird das Semikolon, wie gerade das dort angeführte Beispiel lehrt, in diesem Falle zum Komma erniedrigt, wenn die betreffenden Sätze durch ,,und" verbunden sind.

Die gebotenen Übungsbeispiele sind, sowohl in den Einzelsätzen als vornehmlich in den zusammenhängenden Stücken, meist dieselben, wie in der früheren Auflage. Die neu hinzugefügten sind, wie jene, geschickt und mit Verständnis ausgewählt. Wenn sie zum Teil auch, wie ich schon ehedem in dem Vorworte meiner Übungsstücke zur deutschen Rechtschreibung“ behaupten zu dürfen glaubte, für Schüler von Gymnasialklassen weniger geeignet erscheinen, SO bleibt nach Ausscheidung des den Elementarklassen Zuzuweisenden immer noch genug übrig, was für höhere Schulen in Betracht gezogen werden kann. Wer freilich, wie Carl Franke in der Rezension meines soeben genannten Buches, auch für das deutsche Diktat lediglich eine Auswahl aus Goethes und Lessings Werken verlangt, kommt auch hier nicht auf seine Rechnung. Nun zweifele ich zwar keinen Augenblick, dafs aus Frankfurt a. M. für das Studium deutschen Wesens viel Gutes zu holen ist, obwohl ich es weniger aus eigener Erfahrung weifs; aber das weifs ich, dafs es dem deutschen Wesen selber nicht eben förderlich ist, wenn wir anfangen, uns in Einseitigkeiten zu verrennen.

Mein Endurteil über das Büttnersche Buch lautet dahin, dafs es auch in seiner neuen Auflage, wie für niedere und mitt

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