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Mafse Eifer und Interesse entgegenbringen, wenn dieselbe für ihr praktisches Ziel so bedeutungslos ist? Dazu kommt nun, dass jetzt der Stoff der Skripta in der Regel aus dem Schriftsteller genommen werden soll. Was ist natürlicher, als dafs sie, statt ihre ganze Kraft dem Verständnis des Inhalts zuzuwenden, ihre Aufmerksamkeit nur auf die Form richten, sich möglichst viele Konstruktionen und Wendungen einzuprägen suchen, die möglicherweise beim Extemporale Verwendung finden können?,,Beim Lesen der alten Geistesheroen steht ihnen fort während das lateinische und griechische Skriptum wie der steinerne Gast im Don Juan neben der mit herrlicher Geistesnahrung besetzten Tafel und verbittert ihnen jeden reinen Genufs. Wenn Plato den Sokrates beweisen läfst, dafs der Tod kein Übel sei, wenn Demosthenes gegen Philipp seine Gedankenheere ins Feld führt, wenn Cicero gegen Katilina donnert, wenn Livius die Schlacht bei Cannae schildert: da kann der arme Schüler, anstatt vom Geiste jener grofsen Schriftsteller einen Hauch zu verspüren, die kleinliche Angst nicht los werden, dafs irgend etwas von den gelesenen Wörtern oder Redensarten in dem nächsten Skriptum vorkommen könne. Krampfhaft klammert er sich bald an diese, bald an jene Phrase, während die grofsen und schönen Gedanken für ihn verloren gehen.“1) Wenn das jetzt auch im Griechischen nur noch für die IIB gilt, so ist es doch im Lateinischen noch in vollem Mafse richtig. Ist es da nicht natürlich, dafs der Inhalt der Lektüre noch mehr als bisher als Nebensache behandelt wird und dafs sie sich mit Transen darüber wegzuhelfen suchen? Solange also das lateinische Abgangsskriptum besteht, wird es auch die Achse bilden, um die der Unterricht sich dreht, der erwähnte Notstand wird sich immer dringender fühlbar machen, je mehr die Folgen der verminderten Stundenzahl in den Mittel- und Unterklassen sich oben zeigen, und die Lektüre wird Stiefkind bleiben.

Man mache also die Bahn zu den neuen Zielen frei durch Beseitigung einer Einrichtung, die im Widerspruch mit dem Grundgedanken des ganzen Werkes steht. Man lasse in der Formenlehre das Regelmäfsige und die notwendigen Abweichungen, die der Schüler nicht selbst finden kann, namentlich die unregelmäfsigen Verbalstämme, tüchtig lernen und gründlicher, auch durch Hinübersetzen einüben, Nebensächliches aber überlasse man der eigenen Beobachtung der Schüler oder der gelegentlichen Behandlung bei der Lektüre, wie das schon jetzt z. B. mit der Akkusativendung is statt es, den Formen nummum, sestertium, dixere, mutastis u. a. geschieht. Die Syntax richte man nicht mehr deutsch-lateinisch, sondern lateinischdeutsch ein, d. h. man frage nicht mehr: wie giebt der La

1) Wirth, 36 Gründe gegen das deutsch-fremdsprachliche Übersetzen,

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teiner die und die deutsche Wendung wieder? sondern: was bezeichnet die und die lateinische Ausdrucksweise und welche deutsche haben wir dafür? Beim Gerundium und Gerundivum z. B. lasse man nicht mehr alle möglichen Fälle des Gebrauchs in den einzelnen Kasus auswendig lernen, sondern entwickle das Wesen des einen als eines deklinierten Infinitivs, des anderen als eines passiven Verbaladjektivs mit der Bedeutung des Müssens oder Sollens, und zeige dann an reichlichen Beispielen, durch welche Wendungen wir beides ersetzen. Man frage nicht mehr: in welchen Fällen steht der abl. causae oder instrum.? sondern was bedeutet er und wie wird er übersetzt? Nicht mehr: wann ist der abl. und wann der gen. qualit. zu wählen? sondern was bezeichnen beide und welche Ausdrucksweisen haben wir dafür? Nicht mehr: in welchen Sätzen und nach welchen Konjunktionen steht der Konjunktiv? so dafs der Modus nur als eine zufällige Begleiterscheinung gewisser Wörter sich darstellt, sondern was drückt der Indikativ und was der Konjunktiv aus? Und aus den Begriffen der Thatsachen und der Vorstellungen leite man dann die innere Notwendigkeit des einen oder des anderen Modus für die grofse Masse der Sätze ab und stelle hinterher die wenigen Abweichungen davon zusammen. Man schaffe ferner eine korrekte und konsequent durchgeführte Satzlehre als gemeinsame Unterlage für alle Schulsprachen, deren Möglichkeit und Notwendigkeit ich in Heft 37 der,,Lehrproben und Lehrgänge" dargethan habe. So entsteht eine lateinischdeutsche Grammatik, die wirklich der Lektüre dient, deren Zweck nicht mehr ist, eine grofse Masse lateinischer Eigentümlichkeiten mechanisch dem Gedächtnis einzuprägen, um sie selbst anzuwenden, sondern die beide Sprachen vergleicht und feststellt, welche deutschen Ausdrucksweisen gewissen lateinischen entsprechen. Das ist eine sprachlich-logische Denkarbeit, bei der nicht blofs die Masse des bisherigen Gedächtnis materials sich bedeutend vermindert, sondern bei der auch Sprachkenntnis überhaupt gewonnen wird, die sich dann leicht auf das Griechische und Französische übertragen läfst, ja auch im deutschen Unterricht viele dort sehr trockene und langweilige Erörterungen überflüssig macht. Diese Syntax nun mufs in den Mittelklassen systematisch, nicht blofs gelegentlich im Anschlufs an die Lektüre behandelt werden, und deshalb sind dort mit vollem Recht besondere Grammatikstunden angesetzt. Damit müssen mündliche und schriftliche Hinübersetzungen verbunden sein, aber dieselben sind nicht mehr auf Bildung lateinischen Stiles zu richten, sondern nur auf Einübung der einzelnen in der Grammatik behandelten sprachlichen Gesetze. Wie die Grammatik der Lektüre, so soll das Skriptum der Grammatik dienen, deshalb sprechen die methodischen Bemerkungen von ,,Grammatik und die dazu gehörigen Übungen", und ordnen für die Mittelstufe ,,die systematische Einübung der weiter notZeitschr. f. d. Gymnasialwesen L. 9.

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wendigen syntaktischen Gesetze" an. Deutsche Perioden sollen die Schüler bilden lernen, lateinische nur analysieren und verstehen. Daher müssen sich alle Exerzitien eng an die Grammatik anlehnen, um das hier jedesmal behandelte Material gleichsam in Fleisch und Blut überzuführen. Sind die Bedingungssätze behandelt, so mufs möglichst jeder Satz des Übungsstückes die Schüler zur Wahl zwischen den drei Arten derselben nötigen. Das wird aber sehr schwer sein, wenn die Übungsbücher zusammenhängende Erzählung, zumal im Anschlufs an den zuletzt dagewesenen Lesestoff enthalten sollen. Diese bedingen immer notwendig die Beobachtung vieler, namentlich auch stilistischer Gesetze zugleich und werden dadurch schwierig, während das eigentlich einzuübende Neue dabei nur wenig zur Anwendung kommt, wenn man nicht durch künstliches und gewaltsames Zurechtrenken des Textes z. B. eine Anzahl verschiedener Bedingungen hineinbringen will. Überdies werden solche Skripta in dem Mafse, wie sie blofse Rückübersetzungen enthalten, bei Klassenarbeiten mechanisch aus dem Gedächtnis hervorgeholt, zu Haus aus dem Schriftsteller abgeschrieben und enthalten fast gar keine Übung. Gerade die sogenannten Regelsätze sind hierzu am geeignetsten. Läfst sich denn nicht z. B. der Unterschied zwischen dem acc. c. inf. und dem faktischen quod am besten einüben an Sätzen wie:,,dafs in einem Staate Ankläger sind, ist nützlich“ und: dafs in Athen viele falsche Ankläger waren, war dem Staate verderblich"? Daran kann der Scharfsinn der Schüler sich genügend üben, um den Unterschied zu ermitteln, ohne dafs ihre Aufmerksamkeit fortwährend durch alle möglichen anderen Schwierigkeiten abgelenkt wird. Warum diese Sätze in zusammenhängende Erzählung eingeflochten werden müssen, verstehe ich nicht. Dieser systematische Betrieb der Grammatik nun mit den zugehörigen Übungen wäre vielleicht auch in Ila noch in zwei bis drei Wochenstunden wünschenswert, um dort die wichtigeren Gesetze der griechischen, lateinischen und deutschen Syntax vergleichend zusammenzustellen, das würde in hohem Mafse alles früher Gelernte klären und befestigen und nicht blofs die Lektüre, sondern namentlich die sprachlich-logische Bildung fördern. In I aber müfste dann Ernst gemacht werden mit dem Grundsatz: Grammatik nur im Anschlufs an die Lektüre und nach Bedürfnis derselben.

Die durch solche Beschränkung frei gewordene Zeit nun verman zu reichlichen und planmäfsigen Übungen im Übersetzen, dann wird der Tertianer an seinen Cäsar, der Sekundaner an seinen Livius und Cäsar u. s. w. mit ausreichenden und brauchbaren Kenntnissen und hinlänglich erstarkter Denk kraft herantreten, um ihn auch ohne unerlaubte Hilfsmittel zu bewältigen. Als einzige Zielleistung setze man für die Abgangsprüfung eine angemessene Übersetzung aus dem Lateinischen. Dann werden namentlich in den Oberklassen Lehrer und Schüler, nicht mehr beengt und abgelenkt durch zwingende Nebenrücksichten, mit Eifer

diesem Ziele zustreben; in dem Bewusstsein der Wichtigkeit dieses einzigen Zieles werden die einen bald verbesserte Methoden in der Behandlung der Schriftsteller finden, und das wird zusammen mit der konzentrierten Kraft der anderen Resultate ergeben, bei denen wirklich von einem Eindringen in den Inhalt der Lektüre die Rede sein kann. Und dann prüfe man versuchsweise die Abiturienten auch einmal in der Grammatik: ich bin überzeugt, man wird, wenn man richtig prüft, gründlichere, jedenfalls wertvollere Kenntnisse finden als jetzt. Die Probe ist doch eigentlich im Griechischen schon gemacht. Ich erteile diesen Unterricht ohne Unterbrechung seit 27 Jahren in Prima und Sekunda, spreche also gewifs aus Erfahrung, wenn ich behaupte, dafs der Wegfall des Skriptums in diesen Klassen der Lektüre genau um so viel genützt hat, wie dadurch mehr Zeit für dieselbe gewonnen wurde, während für die Grammatik nichts verloren ist. Weshalb aber im Lateinischen die Wirkung nicht dieselbe sein sollte, kann ich nicht absehen. Dann wird auch die bisher nur allzu begründete Klage verstummen, dafs das fremdsprachliche Übersetzen den deutschen Ausdruck verderbe. Dies geschieht allerdings einmal durch das mangelhafte, offenbar nach dem Lateinischen gebildete Deutsch, das den Schülern besonders in den Oberklassen meist zum Übertragen vorgelegt wird und das nicht selten nach Form und Inhalt sich wie ein übersetzter lateinischer Aufsatz ausnimmt, am allermeisten aber durch das schlechte, halb wörtliche halb freie Übersetzen, wie es meist üblich ist und auch in den bekannten Freundschen Transen sich findet. Aber zu behaupten, dafs das Übertragen in wirkliches echtes Deutsch den Gebrauch der Muttersprache verderbe und nicht vielmehr eine vortreffliche Förderung desselben sei, wäre doch ein Unsinn. Endlich aber und darauf lege ich ein grofses Gewicht wird ein Hauptkrebsschaden, der Unfug des Transenwesens, wenn nicht ausgerottet, so doch auf ein zulässiges Mafs beschränkt werden. Treten an Stelle der jetzigen Extemporalien erst Klassenübersetzungen aus dem Lateinischen, für die dann nicht blofs ein grammatisch richtiges, sondern ein leidlich gefälliges Deutsch zu verlangen ist, und wissen die Schüler, dafs nach diesen allein ihre Leistungen beurteilt werden, dafs ebenso das Bestehen der Prüfung von einer solchen abhängt, so werden sie, abgesehen von den unverbesserlich leichtfertigen, sich hüten, sich auf Transen zu verlassen, sie werden gezwungen wie imstande sein, selbst zu arbeiten, und wenn sie bei den schwierigeren Schriftstellern eine gute Übersetzung zu Hilfe nehmen, was ich bei Sophokles geradezu empfehle, so werden sie dieselbe so benutzen, dafs sie ihnen nichts schadet. Auch in dieser Beziehung habe ich im Griechischen in I gute Erfahrungen gemacht. Es wird mit einem Worte Ernst und Nachdruck in den Betrieb der Lektüre kommen, während jetzt zwar ein neues Ziel gesteckt, aber der alte Kurs im wesentlichen beibehalten ist. Corbach. A. Waldeck.

ZWEITE ABTEILUNG.

LITTERARISCHE BERICHTE.

1) K. Schenk, Belehrungen über wirtschaftliche und gesellschaftliche Fragen auf geschichtlicher Grundlage. Für die Hand des Lebrers sowie zum Selbstunterricht. Leipzig 1896, B. G. Teubner. VIII u. 400 S. gr. 8. 5 M.

Wie die neuere Geschichtsschreibung nicht mehr blofs den Staat und seine äufsere Entwicklung darstellt, sondern auch die wirtschaftlichen Verhältnisse, die auf ihnen sich aufbauende Gliederung der Gesellschaft und die wechselseitige Beeinflussung von Staat und Gesellschaft in den Kreis ihrer Forschung gezogen und sich so bedeutend erweitert und vertieft hat, so hat auch der Geschichtsunterricht auf der Oberstufe der höheren Schulen durch die neuen Lehrpläne von 1892 die Aufgabe erhalten, die Verfassungs- und Kulturverhältnisse der Griechen und Römer und die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung unseres Volkes besonders zu berücksichtigen. Um aber zugleich das historisch-politische Verständnis der Gegenwart bei den Schülern zu fördern und für ihre nationale Gesinnung fruchtbar zu sein, sollten diese Belehrungen über wirtschaftliche und gesellschaftliche Fragen in vergleichender und den Stoff nach verschiedenen Gesichtspunkten gruppierender Zusammenfassung dargeboten werden.

Damit war den Geschichtslehrern der höheren Schulen eine zwar recht dankbare, aber auch höchst schwierige Aufgabe gestellt, da wohl einzelne Lehrproben und Hinweise für die gewünschte Art des Unterrichts vorhanden waren, es aber an zusammenfassenden derartigen Darstellungen noch ganz fehlte und besonders die Kenntnis wirtschaftlicher und sozialer Verhältnisse und ihrer Bedeutung auch bei Historikern von Fach nicht immer in genügendem Mafse vorhanden war. Wiederholt haben sich deshalb auch die Direktoren-Versammlungen der letzten drei Jahre mit der Frage beschäftigt, wie diese verlangten und jetzt wohl allseitig als notwendig anerkannten Belehrungen zu gestalten seien, und zahllose und zum Teil recht verschiedene Ansichten sind geaufsert worden, ohne dafs jedoch damit die Frage praktisch gelöst worden wäre. Endlich ist nun in dem vorliegenden Werke ein Buch erschienen, das den Lehrern praktisch zeigen will, wie

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