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III. Die Einrichtung des Geschichtsunterrichtes in Untersekunda und Oberprima der höheren Lehranstalten mit besonderer Berücksichtigung der in den neuen Lehrplänen vorgeschriebenen Belehrungen über unsere gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwickelung bis 1888.

Angenommene Thesen:

1. Die Aufgabe des geschichtlichen Unterrichtes ist, durch Erzielung eines genügend sicheren und umfassenden historischen Wissens in der Jugend historischen Sinn zu wecken, d. h. diejenige Betrachtungsweise zu erstreben, die in den menschlichen Gemeinschaftsverhältnissen das Ergebnis einer langen Entwickelung und darum jeden Versuch eines plötzlichen und radikalen Umsturzes derselben als verhängnisvoll und verderblich, ihre Weiterentwickelung aber als natürlich und notwendig erkennt.

2. Der Geschichtsunterricht ist besonders geeignet, Begeisterung zu wecken und auf den Willen kräftigend einzuwirken, sowie die Liebe zu Volk und Vaterland zu steigern und die treue Hingabe an unser Herrscherhaus zu festigen.

3. Die durch die neuen Lehrpläne geforderten Belehrungen über unsere gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwickelung sind als geeignet anzuerkennen, das Verständnis der politischen Geschichte, die das eigentliche Rückgrat des Geschichtsunterrichtes bleibt, zu vertiefen und so die Erreichung der Aufgabe des geschichtlichen Unterrichtes in höherem Grade zu sichern.

4. Diese Belehrungen sind zusammenfassend da zu geben, wo die Entwickelung der betreffenden Verhältnisse von anschaulicher Bedeutung wird. Verfassung und Verwaltung sind eingehender, als bisher üblich, zu behandeln.

5. In Bezug auf diese Belehrungen hat der Geschichtsunterricht in den übrigen Klassen eine vorbereitende Aufgabe, hat jedoch von keinem anderen Unterrichtsgegenstande eine direkte Erleichterung der ihm zugewiesenen Aufgabe zu fordern, wohl aber vielfache indirekte Förderung zu erwarten.

6. Die Forderung, den Stoff dieser Belehrungen im einzelnen durch besondere Vorschriften abzugrenzen und für den ganzen Staat oder auch nur für eine Provinz völlig gleich zu gestalten, ist abzulehnen.

7. Die sozialdemokratische Bewegung der Gegenwart kann im Unterricht nur als geschichtliche Thatsache in Betracht kommen; in eine Erörterung der sozialistischen Theorieen hat die Schule nicht einzutreten.

8. Der Unterrichtsstoff ist auf allen Stufen dem Verständnis der Schüler entsprechend auszuwählen, angemessen zu gliedern und möglichst einheitlich zu gestalten. Das Persönliche und Konkret-Anschauliche mufs überall in den Vordergrund treten, das Vergangene mit dem Gegenwärtigen in möglichst reiche und lebendige Verbindung gesetzt werden.

9. Die Erzählung, die Schilderungen und Belehrungen des Lehrers sollen seine Persönlichkeit frei und voll zur Geltung bringen und von Heften und Büchern unabhängig sein. Sie haben sich stets der Gegenwirkung der Schüler versichert zu halten und ihre Mitarbeit heranzuziehen.

Der Lernstoff mufs in den Lehrbüchern auch für die neugeforderten Belehrungen vollständig gegeben, Entbehrliches noch entschiedener als früher ausgeschlossen werden.

10. Zusammenfassende Wiederholungen nach sachlichen Gesichtspunkten (auch aus dem Gebiete der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Belehrungen) werden empfohlen. Häufige Wiedereinprägung der Chronologie ist notwendig.

11. Der mündliche freie Vortrag der Schüler ist im Geschichtsunterricht sorgsam zu üben. Ausgearbeitete Vorträge einzelner Schüler

bringen meist nicht die dem Zeitaufwande entsprechende Frucht.

12. Mitteilungen aus den Quellen sind in angemessener Auswahl und mit den unentbehrlichen Erläuterungen zur Belebung des Unterrichtes besonders geeignet, ebenso die Benutzung charakteristischer An

schauungsmittel.

13. Es ist wünschenswert, dafs die Lehrer den Primanern Antrieb und Anleitung zu privater Lektüre klassischer Geschichtswerke geben.

Band XLVIII. 23. Direktoren-Versammlung der Provinz Westfalen. I. Der geschichtliche Unterricht nach den neuen Lehrplänen.

Darlegung 1) des Lehrzieles, 2) des Lehrstoffes, 3) der Lehrmittel, 4) der Lehrart. Hierbei finden Berücksichtigung die Beziehungen

a) zum Betriebe anderer Fächer, insbesondere der Lektüre,
b) zur Pflege christlicher und vaterländischer Gesinnung,

c) zur Bildung eines dem jugendlichen Alter entsprechenden Ver-
ständnisses für gesunde Entwickelung des staatlichen und gesell-
schaftlich-wirtschaftlichen Volkslebens.

II. Was muss seitens der höheren Lehranstalten geschehen, um der zunehmenden Genufs- und Vergnügungssucht der Schüler entgegenzutreten?

Hierbei sind besonders in Erwägung gezogen:

a) die Bestimmungen von § 18 c. d. der Disziplinarordnung,

b) die aus Anlafs der Reifeprüfung vorkommenden Gefährdungen der Schulzucht.

III. Ohne vorherige schriftliche Berichterstattung wurde über folgende Gegenstände verhandelt.

1. Über die nach Malsgabe der neuen Lehrpläne (S. 66 a ß, b ß) in der Klasse anzufertigenden kürzeren Ausarbeitungen über durchgenommene Abschnitte u. s. w.

2. Die abrundende Gestaltung des physikalischen Unterrichtes auf Obertertia und Untersekunda der verschiedenen höheren Schulformen.

3. Welches sind die geeigneten Mittel, auf unseren höheren Schulen das im wesentlichen auf den praktischen, schriftlichen und mündlichen Gebrauch der neueren Sprachen, insbesondere der französischen, bemessene Lehrziel zu erreichen?

4. Sind die Prädikate,,sehr gut, gut, genügend" zur Beurteilung positiver (zur Versetzung berechtigender) Schülerleistungen zweckmässig und ausreichend?

5. Der Betrieb der Jugend-(Bewegungs-)spiele auf den höheren Schulen.

VIERTE ABTEILUNG.

EINGESANDTE BÜCHER.

1. R. Heidrich, Der Sonntags-Gottesdienst in der preufsischen Landeskirche. Berlin 1896, J. J. Heines Verlag. 15 S. (S. A. aus dem Progr. des Gymn. in Nakel 1896).

2. Friedrich Ueberweg, Grundrifs der Geschichte der Philosophie. Dritter Teil: Die Neuzeit. Erster Band: Die vorkantische und kantische Philosophie. Achte, mit einem Philosophen- und LitteratorenRegister versehene Auflage, bearbeitet und herausgegeben von Max Heinze. Berlin 1896, E. S. Mittler u. Sohn. VIII u, 365 S. 6 M. Der zweite (Schlufs-) Band, der im Frühjahr 1897 erscheint, wird die nachkantischen Systeme und die Philosophie der Gegenwart enthalten.

3 Goethe, Hermann und Dorothea. Schulausgabe von L. W. Straub. Stuttgart 1896, J. G. Cotta'sche Buchhandlung. 116 S. geb. 0,80 M.

4. Schiller, Die Verschwörung des Fiesko zu Genua. Für den Schulgebrauch herausgegeben von Oskar Langer. Leipzig 1896, G. Freytag. 172 S. geb. 0,80 M.

5. P. Cauer, Die Kunst des Übersetzens. Ein Hilfsbuch für den lateinischen und griechischen Unterricht. Zweite, vielfach verbesserte und zum Teil umgearbeitete Auflage. Berlin 1896, Weidmannsche Buchhandlung. VIII u. 148 S. 2,80 M. Vgl. diese Zeitschr. 1895 S. 147 ff.

6. O. Immisch, Philologische Studien zu Plato. Heft I: Axiochus. Leipzig 1896, B. G. Teubner. 99 S. gr. 8. 3 M.

7. T. Macci Plauti comoediae ex recensione Georgii Goetz et Friderici Schoell. Leipzig 1896, B. G. Teubner. Fasc. 5-7, je 1,50 M. Textausgabe mit kurzem kritischen Apparat. Fasc. 5: Mostellaria, Persa, Poenulus. Fasc. 6: Pseudolus, Rudens, Stichus. Fasc. 7: Trinummus, Truculentus, fragmenta, conspectus metrorum.

S. P. Galle, Beiträge zur Erklärung der XVII. Rede (Trapezitikos) des Isokrates und zur Frage ihrer Echtheit. Progr. Zittau 1896. 28 S. 4.

9. Goebel, Übersetzung von Buch der Metaphysik des Aristoteles. Progr. Soest 1896. 16 S. 4.

10. H. Guhrauer, Antigone und Ismene. Eine Studie. Progr. Wittenberg 1896. 13 S. 4.

11. Textausgaben französischer und englischer Schriftsteller für den Schulgebrauch. Verlag von Gerhard Rühtmann in Dresden. La France. Lectures géographiques. Ausgewählt und bearbeitet von F. J. Wershoven. Mit 45 Abbildungen, einem Plan von Paris und einer Karte 1896. 198 S. geb. 2 M. The United States of America. Geographische und kulturgeschichtliche Charakterbilder über die Vereinigten Staaten. Ausgewählt und bearbeitet von F. J. Wershoven. Mit 21 Abbildungen und einer Karte. 1895. 183 S. geb. 1,40 M.

12. P. Schmid, Beiträge zur Erklärung von Corneilles Polyeucte. Progr. Grimma 1896. 31 S. 4.

13. Giuseppe Kirchner, Manuale di letteratura latiua ad uso delle scuole classiche. Vol. I: Letteratura arcaica. Livorno 1896, Rafaello Giusti. XX u. 469 S.

14. C. Rochling und R. Knötel, Der alte Fritz in fünfzig Bildern für jung und alt. Berlin, Verlag von Paul Kittel. Die schön ausgeführten Bilder (Querfolio) stellen wichtige oder interessante Ereignisse und Situationen in dem Leben des grofsen Königs dar. Kurzer Text (meist Aussprüche des alten Fritz). Das Werk eignet sich in hervorragendem Mafse zu Prämien. Preis in eleganter Ausstattung 3 M.

ERSTE ABTEILUNG.

ABHANDLUNGEN.

Friedrich Rückert.

Vor 30 Jahren starb einer der edelsten Dichter unseres deutschen Volkes, der mit Stolz und zuversichtlicher Kühnheit sein Selbstlob singen konnte:

Ich bin König eines stillen Volks von Träumen,
Herrscher in der Phantasie en Himmelsräumen . . .
Alle Frühlingsblumen kommen vorzutragen
Meinen Ohren ihre ew'gen Liebesklagen.
Alle Bronnen aus der Schöpfung Tiefen brechen,
Von Geheimnissen mit mir sich zu besprechen. .
Morgenwinde gehet aus auf allen Pfaden,
Mir zum neuen Paradies die Welt zu laden.

Wer dem Druck der Tyrannei mufs draufsen weichen,
Eine Freistadt biet ich ihm in meinen Reichen.

Dort ist Mühsal, Drang, Verfolgung, Not und Kummer,
Hier ist Frieden, Eintracht, Stille, Ruh' und Schlummer.

Erst allmählich fängt die deutsche Nation an, sich ihrer Verpflichtungen gegen einen ihrer gröfsten Söhne bewufst zu werden, und so ist in Schweinfurt, seinem Geburtsorte, ein herrliches Denkmal Friedrich Rückerts enthüllt worden, während eine Marmorbüste und ein Medaillonbildnis in Neusefs und in Coburg, den Aufenthaltsstätten des Dichters, an den gewaltigen Sänger erinnern. Und es bedarf bei Rückert leider dieser aufseren Erinnerungszeichen, um sein Andenken wieder und wieder aufzufrischen. Seine Lieder und Sprüche sind längst zum unverlierbaren Besitz des deutschen Volkes geworden, aber die Persönlichkeit des Dichters ist halb wie verschollen. Ich habe es mir nun zur Aufgabe gemacht, die reiche Zahl der in das Volk gedrungenen und zum Gemeingut aller Gebildeten gewordenen Dichtungen Rückerts zusammenzustellen und es auf diese Weise zu veranschaulichen, dafs uns in ihm einer der volkstümlichsten Dichter geschenkt worden ist. Schon wenn man den hervorragenden Anteil bemifst, der Rückert in dem Jahr aus Jahr ein in den gebräuchlichen Lesebüchern der Schule und der Jugend gebotenen Lesestoffe zuerkannt ist, könnte ihn einen Fürsten der deutschen Lesebücher nennen wird man von seiner ungeheuren Volkstümlichkeit sich überzeugt halten müssen. Und doch wieder dabei, wie schon oben gesagt, diese Verschollenheit der Dichterpersönlichkeit selbst! Versuchen wir daher, uns zunächst über den Lebensgang des grofsen Mannes und den Inhalt seiner Dichtungen genauer zu unterrichten. Rückert war wie Goethe, für den er ja auch zeitlebens eine Zeitschr. f. d. Gymnasialwesen L. 12.

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glühende Verehrung an den Tag legte und mit dem er über 40 Jahre lang zusammen dichtete und wirkte, ein Sohn des sonnigen Frankens. Während aber Goethe die hauptsächlichsten Eindrücke seiner Kinderzeit in dem reich bewegten Getriebe der alten Reichsstadt Frankfurt sammelte, wuchs Rückert seit 1792 in dem stillen protestantischen Pfarrdorfe Frankens Oberlauringen auf, wohin der vierjährige Knabe mit seinem Vater, dem Dorfamtmanne, gekommen war, und hier sog er in Wald und Flur, auf Bergeshōhe und im Wiesenthale jene Liebe zur Natur ein, hier entwickelte sich das sinnige, in sich gekehrte Poetengemüt, der kindlich reine, in Offenheit und Wahrheit ausgeprägte Grundzug seines Wesens. Der stete, innig gepflegte Verkehr mit der Natur zeigte seine Wirkung auch darin, dafs der Dichter mit Vorliebe in späteren Jahren sich in die Einsamkeit zurückzog und mehr und mehr in einer gewissen Eigenart sich von der Mitwelt abzusondern anfing. Grofse Schweigsamkeit wollte man schon an dem Gymnasiasten beobachten, der in seiner Zerstreutheit auch einmal mit Stiefel und Pantoffel in der Klasse erschien; die Würzburger Universitätszeit machte ihm das einsame Studienleben nur noch sympathischer, da der Groll über die sich unglücklich entwickelnden vaterländischen Zustände an seinem Herzen nagte, und als der junge Gelehrte 1811 sich in Jena als Privatdozent habilitierte, machte sich knorrige Ursprünglichkeit und rücksichtslose Selbständigkeit seines Naturells der Art heftig gegen die altzopfigen Professoren Luft, dafs der Dekan entsetzt ausrief: Rückerte commendo tibi modestiam. Die Eigenart des Dichters prägte sich auch in seiner ganzen äufseren Erscheinung aus. Riesengrofs und bleich, mit lang herunterwallenden schwarzen Locken und tiefliegenden funkelnden, braunen Augen machte

er in jeder Beziehung den Eindruck des Ungewöhnlichen. Er trug noch bis in das Jahr 1826 hinein, und selbst in Rom, wo er 1817 längere Zeit weilte, die altdeutsche Tracht, also einen mit Schnurverschlingungen bordierten Sammetrock, auf dem Haupte ein Barett, den ganzen Anzug in tiefschwarzer Farbe, von der nur der breit übergelegte weifse Hemdkragen abwich. So mochte er wohl auf dem Albis bei Zürich in einsamer Bergwanderung dem ihm begegnenden schweizerischen Tondichter Schnyder als ein morgenländischer Zauberer erscheinen, und tief erschrocken machte derselbe tags darauf einem Freunde Mitteilung von der sonderbaren Alpenfigur. Das Groteske der ganzen Erscheinung hatte unser Rückert wohl mit einem Schiller oder Chamisso gemein, und doch verdankt das deutsche Volk gerade diesen drei Dichtern so aufserordentlich zart empfundene liebeatmende Lieder und Poesieen; nur dem in jeder Beziehung vom Glücke verschwenderisch ausgestatteten Goethe war es bekanntlich verliehen, neben der gottbegnadeten, genialen Dichteranlage auch den Vorzug vollständig harmonisch ausgeprägter Männerschönheit

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