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man es deshalb ein verkehrtes oder unwürdiges Ziel der Erziehung und Bildung nennen, die edleren, echt menschlichen Kräfte im Menschen zu pflegen und ihn zu dem zu bilden, was man Humanität genannt hat? Ist, wer so erzogen worden ist, dadurch für sein Jahrhundert unbrauchbar geworden, so, meine ich, spricht das nicht gegen die Schule, sondern gegen das Jahrhundert: nicht die Schule soll dann reformiert werden, sondern das Jahrhundert soll in sich gehen und aus seiner Verirrung zur Wahrheit und Natur zurückkehren. Eine Humanität andererseits, von welcher kein Weg zu besonderen, natürlichen Aufgaben des Lebens hinüberführte, wäre nicht die echte Humanität. Der allgemeine Satz aber, dafs alle Schulen, die später ansetzenden Fachschulen ausgenommen, zur Humanität bilden müssen, steht unerschütterlich fest. Oder meint man, dafs man ihnen ihr Ziel besser formuliert, wenn man sagt, sie sollten zum Bürger bilden, zum Bürger dieser Zeit, dieses Volkes? Ein Streit darüber hätte auch gar nicht entstehen können, wenn man nicht, von dem wahren Sinne des Wortes absehend, an die Irrtümer und Extravaganzen viel mehr gedacht hätte, welche den historischen Erscheinungsformen des Humanismus angehaftet haben. Fafst man das Wort aber in dem echten Sinne, den es meist schon im Lateinischen hatte, so sagt der Satz etwas so Selbstverständliches, dafs es fast paradox scheint, wenn man ihn anfeinden hört. Trivial wird man jedenfalls einen Satz nicht nennen dürfen, der zu den Grundüberzeugungen der Besten unseres Volkes gehört hat und in der zweiten Hälfte des vorigen und am Anfange dieses Jahrhunderts so oft mit Geist und edler Wärme erörtert worden ist. In der Folge hat sich dann freilich der Begriff der Humanität wieder ungebührlich verengert. In der Schwärmerei für das Altertum meinten wohl viele, kein anderer Weg führe zur Humanität, als die Beschäftigung mit den Alten. Welche herrschende Strömung hätte sich auch je von Übertreibungen fern gehalten? So waren auch für das Altertum begeisterte Philologen, die damals in der Schulverwaltung und bei pädagogischen Erörterungen die erste Rolle spielten, zu sehr geneigt, das Moderne zu verachten und die Wirkungskraft der antiken Humanitätsstudien zu überschätzen. Die Wahrheit ist, dafs der Genius der Menschheit aus den Werken der Alten, wenn auch nicht ausschliefslich, so doch am vernehmlichsten, wie Herder sagt, zu uns spricht. Auch die Menschlichkeit der Alten war weder ganz reif noch ganz rein, aber sie war es der Hauptsache nach. Sie ist weniger durch konventionelle Elemente getrübt als irgendeine andere Kulturperiode. Aufserdem besitzt sie den für die Zwecke der modernen Schule unschätzbaren Vorzug einer naiven Klarheit und Jugendlichkeit. Aber kein wahrer Mensch von heute wird sich in diesen Kreis wollen fest bannen lassen. Wir sind wirklich in wesentlichen Punkten seitdem reicher geworden, nicht blofs,

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indem wir unsere Herrschaft über die Natur im Siegesschritt ausgedehnt haben dieser Fortschritt hat uns, wenn man seine Wirkung auf die Massen überblickt, nur aufserlich reicher gemacht, dafür aber wichtige Seiten unseres Innern geschädigt sondern auch innerlich reicher, wie sich das jedem klaren Auge im Spiegel der modernen Litteraturen zeigt. Soll man nun diese Beschäftigung mit dem spezifisch Modernen einfach der Zeit nach dem Austritt aus der Schule überlassen? Das thut die Schule schon längst nicht mehr. Aber sie könnte nach dieser Richtung viel weiter gehen, nicht blofs durch reichere Ausnutzung der deutschen modernen, wenn auch nicht modernsten Litteratur, sondern auch durch stärkere Herbeiziehung des Französischen und Englischen. Denn allerdings tōnt aus dem Altertum sehr wichtigen und berechtigten modernen Gedanken und Empfindungen kein Echo entgegen. Das Gymnasium, die vornehmste Schule, sollte eine solche Lücke nicht unausgefüllt lassen, natürlich ohne deshalb das Antik-Klassische, ohne welches keine tiefer wurzelnde Bildung möglich ist, zu schmälern.

Das pädagogische Problem wird demnach, mit Rücksicht auf die dreifachen Schwierigkeiten, mit denen wir uns beschäftigt haben, als inkommensurabel gelten müssen. Für keine Aufgabe des Lebens sind die Bedingungen, von welchen eine reine Lösung abhängt, so zahlreich, so feiner Natur, so verwickelt. Aber ,est quadam prodire tenus, si non datur ultra'. Stets wird zwischen dem Ideal und selbst der gelungenen Wirklichkeit ein weiter Zwischenraum bleiben. Immerhin soll man aber dem Ideal nachstreben. Selbst Utopieen, die offenbar über das Mögliche und Erreichbare hinausweisen, können eine eigentümlich beflügelnde Wirkung haben. Gefährlich nur sind die Ideale, welche auf ein weites Ziel in falscher Richtung weisen: sie wirken verwirrend und verursachen eine beklagenswerte Vergeudung von Zeit und Kraft. Auch der gute Lehrer ist sich in seinem dunkelen Drange des rechten Weges wohl bewufst. Erreicht er auf diesem Wege auch nicht das Höchste, tamen natura duce a recta via non aberrabit. Sobald der Mensch aber aus der instinktiven Übung einer Thätigkeit zu einer methodischen Übung fortschreitet und sich mit klarem Bewusstsein weite Ziele setzt, beginnt das Irren und Fehlgreifen. Das ist eine leidvolle und unentrinnbare Notwendigkeit, die aber nicht davon abschrecken darf, immer wieder Versuche zu machen, sich aus den Tiefen dumpfer Bewufstlosigkeit zu den überschauenden Höhen zu erheben. Aber das Streben wird lange nach verschiedenen Richtungen auseinandergehen. Es ist dem Menschen eben zu natürlich, sich und seine Neigungen zum Mafsstab der Dinge machen zu wollen. So werden auch alle methodischen Erörterungen über den höheren Unterricht zu stark einerseits durch die Strömung unserer Zeit, andererseits durch das persönliche Interesse derer beeinflufst, welche durch

Geschick, Eifer und Gewandtheit im Parteibilden es zu der Rolle von Stimmführern in der heutigen Reformbewegung gebracht haben. Das Wichtigste aber bleibt immer bei einer inkommensurablen Aufgabe, die Hauptrichtung nicht zu verlieren. Ist diese aber mit der herrschenden Zeitströmung, wie heute, im Widerspruch, so darf man von einer erleuchteten Unterrichtsverwaltung erwarten, dafs sie die Schule, wie diejenigen, welche sich dem ebenso beglückenden als mühevollen Berufe des Lehrers gewidmet haben, vor den einseitigen Anforderungen der Fachwissenschaft wie vor den banausischen Ansprüchen der praktischen Leute zu schützen suche. Trotz ihrer besseren Einsicht wird sie das allerdings nicht immer können ein neuer Grund von dem Inkommensurabeln des pädagogischen Unterrichtsproblems zu reden -; denn der Zeitgeist ist übermächtig und zwingt selbst die Überzeugungstreue zu Zugeständnissen. Ein Hauptmittel für den Lehrer aber, sein ganzes Thun in der Richtung zu erhalten, möchte die Philosophie sein. Nur müfste es weder die im weiteren Sinne scholastische noch auch die modernste, vom Zeitgeiste und von der Entwicklung der Fachwissenschaft beeinflufste Philosophie sein, die immer Neigung zeigt, bald zur Philologie, bald zur Geschichte, bald zur Naturwissenschaft und Medizin zu werden. O. Weifsenfels.

Grofs Lichterfelde bei Berlin.

Cicero und Drumann.

Es ist unzweifelhaft, dafs die Cicero-Studien seit einigen. Jahren in ein neues Stadium getreten sind. Nachdem seit geraumer Zeit die von Drumann begründete und von Mommsen bestätigte Auffassung trotz des Einspruchs der Litteraturhistoriker (Abeken, Bernhardy, Teuffel, Schwabe, Boissier) geherrscht hat und unter dem Einflufs einer subjektiven Geschichtsschreibung zum Gemeingut der Gebildeten geworden ist, beginnt sich langsam, aber sicher ein Umschwung zu vollziehen, der sich zwar vorläufig noch auf die Kreise der Fachmänner beschränkt, der aber allmählich weiter um sich greifen wird. Zu den ersten Vorkämpfern des Cicero redivivus darf ich wohl ohne Überhebung meine Abhandlung,,Die Bedeutung der Ciceronianischen Schriften für das Gymnasium" (Zeitschrift für das Gymnasialwesen 1888 Heft 12) zählen, der bald meine von der Kritik beifällig begrüfste Biographie,, Cicero, sein Leben und seine Schriften" (Berlin 1891) gefolgt ist1). Fast gleichzeitig wurde

1) Sehr günstig urteilt über Cicero auch Gardthausen ,,Augustus und seine Zeit" 17 (Leipzig 1881)

dasselbe Ziel von einem andern Standpunkt aus, aber in demselben Sinne von O. Weifsenfels angestrebt, der in seinem schönen Buche,,Cicero als Schulschriftsteller" (Leipzig 1892) meine noch allzu sehr von der einseitig historisch-politischen Beurteilung beeinflufste Auffassung in wesentlichen Punkten ergänzt und berichtigt hat. Aber alle diese Bestrebungen entbehrten nur zu sehr der wissenschaftlichen Grundlage, so dafs sie über die mehr oder minder treffende Darstellung von ästhetischethischen Urteilen nicht hinauskamen. Erst O. E. Schmidt, ein durch zahlreiche Einzeluntersuchungen bereits vorteilhaft bekannter Forscher, hat den Weg gewiesen, auf dem man allein den fest gewurzelten Vorurteilen erfolgreich begegnen kann. In seinem sorgfältigen und scharfsinnigen Werke,,Der Briefwechsel des M. Tullius Cicero von seinem Prokonsulat in Cilicien bis zu Casars Ermordung" (Leipzig 1893) hat er auf Grund einer gründlichen Quellenuntersuchung die vermeintliche Wissenschaftlichkeit Drumanns für die Jahre 51-44 auf die Dauer erschüttert. Was ein unbefangener Kenner Ciceros längst ahnte oder wufste, ist nunmehr für jeden wissenschaftlich denkenden und wahrheitsliebenden Forscher eine festbegründete Thatsache, dafs der Cicero Drumanns (und Mommsens) ein Zerrbild ist. Der rustige Gelehrte beabsichtigt demnächst auch für die übrige Lebenszeit Ciceros den wissenschaftlichen Beweis zu erbringen, so dafs wir von ihm in hoffentlich nicht allzu langer Zeit eine wissenschaftliche Cicero-Biographie zu erwarten haben.

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Einen bescheidenen Beitrag zu dieser nicht nur für die Wissenschaft, sondern für unsere gesamte Bildung hochwichtigen Frage möchte diese Abhandlung bieten. Ich komme damit einer Forderung nach, die schon vor Jahren H. Nissen in seinem Aufsatze,,Der Ausbruch des Bürgerkrieges 49 v. Chr." (Historische Zeitschrift 1881 S. 86) aufgestellt hat: so verlohnt es sich der Mühe, bei dieser Behauptung zu verweilen, einmal um die historische Methode oder richtiger die Akrisie zu kennzeichnen, mit welcher Drumanns gepriesene ,,eiserne Gelehrsamkeit" zu Werke geht, zweitens um die wissenschaftliche Grundlage zu beleuchten, auf welcher die heutige Geringschätzung gegen die politische Thätigkeit des grofsen Redners beruht".

So steht nämlich die Sache: entweder hat Drumann richtig über Cicero geurteilt, und dann ist auch Mommsens Charakteristik berechtigt, und Ciceros Schriften müssen rücksichtslos aus dem Lehrplan unserer Gymnasien verbannt werden oder Drumann gehört unter die Zahl der tendenziōsen Geschichtsklitterer, und Mommsen teilt, trotz seiner grofsen Verdienste als Forscher, in dieser Hinsicht sein Los. Tertium non datur. Ob ich damit die ,,Ehrfurcht" verletze, die M. Hertz, der scharfe Rezensent meiner Geschichte der

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römischen Litteratur" (Deutsche Litteraturzeitung 1894, Nr. 23), an mir schmerzlich vermifst, weifs ich nicht. Ich habe bisher geglaubt und glaube es auch ferner, dafs es für wissenschaftliche Untersuchungen nur eine Voraussetzung giebt, die Wahrhaftigkeit. Sollte ich irren, so bitte ich um Belehrung; ein Autoritätsglaube ist meines Wissens in der Philologie noch nicht als bindend anerkannt worden.

Ich gehe nun Drumanns Werk der Reihe nach durch und hebe die Punkte heraus, wo seine Ausführungen in offenbarem Widerspruch mit den Quellen stehen.

1. Die Ausbildung Ciceros.

Nachdem Drumann von der rhetorisch-juristischen Vorbereitung Ciceros gesprochen hat, sagt er von seinem Unterricht in der Philosophie (Geschichte Roms V S. 227):,,Welches System ihn aber auch zuerst beschäftigen mochte, immer war es ein Nachteil, dafs man ihn mit Kenntnissen überfüllte. Bei der Masse des fast gleichzeitig und in schnellem Fluge Angelernten gelangte er um so weniger zur Selbständigkeit. Nur wurde in dem pädagogischen Treibhause die Liebe zum Lernen nicht in ihm erstickt, wie sonst wohl Übersättigung mit gar mannigfacher und unverdaulicher geistiger Kost für die Zeit verdirbt, wo man denkend lernen soll, und nun mit Überdrufs und Dünkel nur Abspannung und Leere zurückbleibt, nach dem Sprüchwort, wie gewonnen,

so zerronnen".

Zunächst springt in die Augen, dafs der letzte Satz mit seiner scharfen Verurteilung der Überbürdung ganz unangebracht ist, da Drumann selbst zugiebt, dafs er auf Cicero keine Anwendung findet (vgl. auch VI S. 416-417). Wozu also der Zusatz, der den flüchtigen Leser gar leicht gegen den ,,überbürdeten“ Jüngling einnehmen könnte? Drumann mufs eben auch da, wo er zu seinem Bedauern loben mufs, einen Tadel anbringen, sei es auch ohne direkte Beziehung auf Cicero. Doch vergleichen wir nun die Quellenstellen, die Drumann gewissenhaft anführt:

Orator 3, 12 Fateor me oratorem non ex rhetorum officinis, sed ex Academiae spatiis exstitisse. De off. 2, 1, 4 Cui (sc. philosophiae) cum multum adulescens discendi causa temporis tribuissem. De nat. deor. 1, 3, 6 nec mediocrem primo tempore aetatis in eo studio operam curamque consumpsimus

et principes illi, Diodotus, Philo, Antiochus, Posidonius, a quibus instituti sumus. Tusc. 5, 2, 5 Cuius (philosophiae) in sinum cum a primis temporibus aetatis nostra voluntas studiumque nos compulisset. Ad fam. 13, 1, 2 etiam a Phaedro, qui nobis, cum pueri essemus, antequam Philonem cognovimus, valde ut

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