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„Hermanu und Dorothea“, welches Gedicht sich bald ter allgemeinsten Theilnahme erfreute, wie sie Göthe seit seinem Werther, und selbst bei diesem nicht so ungetheilt, gefunden hatte. 1) Im August 1796 ward es erfunden, und war der Plan, wie die Entwickelung des Einzelnen bereits im September so weit gedichen, daß es Freunden mitgetheilt werden konnte. Zwei Drittel des Ganzen lagen im Dezember vollendet vor und zum Uebrigen hoffte Göthe im neuen Jahre Lust und Stimmung zu finden. Am 18. Februar schickte er die drei ersten Gesänge an Schiller mit der Bitte um seine und Wilhelm von Humboldt's Bemerkungen; mit dem vierten Gesange hoffte er bald im Reinen zu sein. Wenige Tage darauf kam Göthe nach Jena, wo während des Unwohlseins, das ihn gleich nach seiner Ankunft befallen hatte, der Schaß fast gehoben ward; die wirkliche Vollendung fällt erst in den Mai. 2)

Während des Aufenthaltes zu Jena in den Monaten Februar und März muß Göthe seinem Freunde Schiller den Plan cines neuen epischen Gedichtes mitgetheilt haben, zu welchem ihn seine Betrachtungen über das Wesen des Epos und die verschiedenen möglichen Arten desselben geführt zu haben scheinen. Daß er diesen Plan schon in Jena Schiller mitgetheilt habe, ergibt sich aus einer gleich mitzutheilenden Briefstelle, in welcher von diesem Plane als von einer Schiller bekannten Sache die Rede ist, obgleich im vor

2) Nur Voß, den Göthe selbst verwöhnt hatte, theilte die allgemeine Bewunderung nicht. Er schreibt an Gleim: „Lesen Sie weiter! Sie werden für manche zu leichtfertig gearbeitete Stellen durch sehr schöne entschädigt werden. Die zur Vorrede bestimmt gewesene Elegie beweist binlänglich, daß es ihm Ernst war, etwas, wo nicht bomerisches, doch homeridisches aufzustellen, um auch diesen Kranz des Apollo zu gewinnen. Ich werde mich herzlich freuen, wenn Griechenland's Geist, uns Deutschen ein voll. endetes Kunstwerk gewährt und nicht ängstlich nach meiner Luise mich umsehn. Aber eben so ehrlich denke ich für mich und sage es Ihnen: Luise ist sie nicht! Sieh ich wollte keck thun, und fühle doch, daß ich roth werde." Der alte Peleus Gleim, dessen unglückliche Erwiederung auf die Xenien Voß in fast unbegreiflicher Verblendung gepriesen hatte, antwor tet ganz in diesem elenden Lobhudeltone: „Luise Voß und Dorothea Göthe, Schön beide, wie die Morgenröthe! Luise Voß ist mein, in Lied und in Jdy; Die andre nehme, wer da will!" Verse, ihres Inhaltes würdig! 3 Vgl. Göthe's Briefe an Schiller Nro. 275. 282. 287. 307. 310. In der Chronologie der Schriften hinter Göthes Werken wird die Vollendung auf den 21. März verlegt, wo vielleicht Mai stat März zu lesen ist.

handenen Briefwechsel keine frühere Erwähnung desselben sich findet. 1) Nach der Rückkehr von Jena gerieth Göthe, indem er den patriarchalischen Ueberresten nachspürte, in das alte Testament, welches er rasch durchlas; dies führte ihn zu Eichhorn's Einleitung, wie die fortgesette Beschäftigung mit Homer zu Wolfs Prolegomena. „Es geben mir dabei," schreibt er am 19. April,,,die wunderbarsten Lichter auf." In demselben Briefe an Schiller theilt er seine Gedanken über das Wesen des epischen Gedichtes mit, das, weil es in der größten Ruhe und Behaglichkeit angehört werden solle, den Forderungen des Verstandes pielleicht mehr, als irgend eine andere Dichtart genügen müsse. Eine Haupteigenschaft des epischen Gedichts ist, daß es immer vor- und zurückgeht; daher sind alle retardirenden Motive episch. Es dürfen aber keine eigentliche Hinders nisse sein, welche eigentlich in's Drama gehören. Sollte dieses Erforderniß des Retardirens, welches durch die beiden homerischen Gedichte überschwänglich erfüllt wird und welches auch in dem Plan des meinigen lag, wirklich wesentlich und nicht zu erlassen sein, so würden alle Plane, die gerade hin nach dem Ende zuschreiten, völlig zu verwerfen oder als eine subordinirte historische Gattung anzuschn sein. Der Plan meines zweiten Gedichtes hat diesen Fehler und ich werde mich hüten, bis wir hierüber ganz im Klaren sind, auch nur einen Vers davon niederzuschreiben." Die weiteren Andeutungen über den Plan dieses zweiten epischen Gedichtes, welches eine Jagd darstellen sollte, sind freilich sehr sparsam, genügen aber vollkommen, um die völlige Unmöglichkeit der von anderen, wie von Lehmann (S. 5.), ohne Bedenken befolgten wunderlichen Annahme Riemer's (Mittheilungen II. 632.) darzuthun, nach welcher der Inhalt des in den Wanderjahren erwähnten Jagdgedichtes ohne Zweifel für den jenes zweiten evischen Gedichtes gelten dürfe. Göthe beschreibt dieses Jagdgedicht, in welchem der Mann von fünfzig Jahren „die wackere Leidenschaft zur Jagd in allen ihren Einzelnheiten vorgetragen habe" (B. 18, 231), mit folgenden Worten (daselbst S. 241 f.): „Der Leser derselben belustigt sich an der entschiedenen Jagdliebhaberei und allem, was sie begünstigen mag: erfreulich ist der Jahreszei

Hiernach ist die Darstellung von Lehmann zu berichtigen in seiner mit vieler Einsicht geschriebenen Abhandlung: „Ueber Göthes Novelle: Das Kind mit dem Löwen" (Programm des Gymnasiums zu Marienwerder vom Jahre 1846) S. 4.

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tenwechsel, der sie mannigfaltig aufruft und anregt. Die Eigens beiten sämmtlicher Geschöpfe, denen man nachstrebt, die man zu er Legen gesinnt ist, die verschiedenen Charaktere der Jäger, die sich dieser Lust, dieser Mühe hingeben, die Zufälligkeiten, wie sie befördern oder beschädigen; alles war, besonders was auf das Geflügel Bezug hatte, mit der besten Laune dargestellt, und mit großer Eigenthümlichkeit behandelt. Von der Auerhahnbalz bis zum zweis ten Schucpfenstrich und von da bis zur Nabenhütte war nichts versäumt, alles wohl gesehen, klar aufgenommen, leidenschaftlich verfolgt, leicht und scherzhaft, oft ironisch dargestellt. Jenes elegische Thema klang jedoch durch das Ganze durch; es war mehr als ein Abschied von diesen Lebensfreuden verfaßt." Hier ist offenbar von einem blos beschreibenden Lehrgedichte die Rede, ähnlich den Gedichten des Oppian, Gratius Faliscus, Nemesian, Gaston de Foir, um die Gedichte über Falknerei nicht zu erwähnen. 1) Wie durchaus verschieden von -einem solchen Lehrgedichte, welchem jede eigentliche Handlung abgehn mußte, das „, episch - romantische Gedicht, die Jagd" (vgl. B. 27, 62.) gewesen, ergibt sich aus den weiteren Andeutungen und Erwähnungen, besonders im Briefwechsel mit Schiller. „Ihre Idee von dem retardirenden Gange des epischen Gedichts," erwiedert Schiller auf Göthe's oben angeführten Brief vom 19. April, leuchtet mir ganz ein. Doch begreife ich noch nicht ganz, nach dem, was ich von Ihrer (neuen) Epopöe weiß, daß jene bei dieser fehlen soll." Wenige Tage darauf glaubt Schiller zwei Arten des Retardirens unterscheiden zü müssen, von denen die eine in der Art des Wegs, die andere in der Art des Gehens liege; diese lettere scheine ihm auch bei dem gerabesten Wege und folglich auch bei dem Plane von Göthe's zweitem cpischen Gedichte sehr gut stattzufinden. Die Forderung des Retardirens leitet er aus dem höhern Geseze ab, daß die Handlung, welche der Zweck des Dramatikers sei, beim Epiker blos als Mittel einem absoluten ästhetischen Zwecke diene. Daraus folge auch, daß der epische Dichter gut thue sich solcher Stoffe wohl zu enthalten, die den Affekt, sei es der Neugierde oder der. Theilnahme, schon für sich selbst stark erregen, wo die Handlung also zu sehr als Zweck interessire, um sich in den Grenzen eines bloßen Mittels zu halten.

1) Vgl. Gräfe's Literärgeschichte II, 2, 588, und über das Gedicht de Thou's meine Schrift „Jacques Auguste de Thou's Leben, Schriften und historische Kunst" S. 47 f.

„Ich gestehe, daß ich dieses Leßtere bei Ihrem neuen Gedichte einigermaßen fürchte, obgleich ich Ihrer poetischen Uebermacht über den Stoff das Mögliche zutrauen darf. Die Art, wie Sie Ihre Handlung entwickeln wollen, scheint mir mehr der Komödie, als dem Epos eigen zu sein. Wenigstens werden Sie viel zu thun haben, ihr das Ueberraschende, Verwunderung Erregende zu nchmen, weil dieses nicht so recht episch ist. Ich erwarte Ihren Plan mit großer Begierde. Etwas bedenklich kommt es mir vor, daß es Humboldten damit auf dieselbe Art ergangen ist, wie mir, unge= achtet wir vorher nicht darüber kommunizirt haben. Er meint näm lich, daß es dem Plan an individueller Handlung fehle. Alles, was Sie mir erzählten, schien mir nur der Eingang und das Feld zu einer solchen Handlung zwischen einzelnen Hauptfiguren zu sein, und wie ich nun glaubte, daß diese angehn sollte, waren Sie fertig. Freilich begreife ich wohl, daß die Gattung, zu welcher der Stoff gehört, das Individuum mehr verläßt und mehr in die Masse und ein Ganzes zu gehn zwingt, da doch einmal der Verstand der Held darin ist, der weit mehr unter sich, als in sich faßt. Uebri gens mag cs mit der epischen Qualität Ihres neuen Gedichtes be wandt sein, wie es will, so wird es gegen Ihren Hermann gehalten immer eine andere Gattung sein, und wäre also der Hermann ein reiner Ausdruck der epischen Gattung, und nicht blos einer epischen Spezies, so würde daraus folgen, daß das neue Gedicht um so viel weniger episch wäre.) Aber das wollten Sie ja eben. wissen, ob der Hermann nur eine epische Art oder die ganze Gattung darstelle, und wir stehen also wieder bei der Frage. Ich würde Ihr Gedicht geradezu ein komisch - episches nennen, wenn nämlich von dem gemeinen eingeschränkten und empirischen Begriff der Komödie und des komischen Helvengedichts ganz abstrahirt wird. Ihr neues Gedicht, kommt mir vor, verhält sich ungefähr ebenso zu der Komödie, wie der Hermann zu dem Trauerspiel, mit dem Unterschiede nämlich, daß dieser es mehr durch seinen Stoff thut, jenes mehr durch die Behandlung." Damit man die lezte Aeußerung

') Göthe bemerkte später (Nro. 395. Vgl. B. 32. 209. ff.) das Epos müsse vorzüglich den außer sich wirkenden Menschen darstellen, Schlachten, Reisen, jede Art von Unternehmung die eine gewisse sinnliche Breite fordern; „Hermann" aber stelle mehr nach innen `geführte Menschen dar, nähere sich daher dem Drama. „Die Jagd" würde dem Wesen des Epos in dieser Beziehung mehr entsprochen haben; daß „Hermann“ zur Tragödie hinneige, gibt Schiller (Nro. 396.) zu.

nicht mißverstehe, wie Lehmann (S. 5 Note) gethan zu haben scheint, vergleiche man Schiller's Aeußerungen in seinem vorher er schienenen Aussage über naive und sentimentalische Dichtung" (Bt. 12, 208 ff.), wo er der Komödie in Bezug auf ästhetischen Werth vor der Tragödie den Vorzug gibt, da in dieser schon durch den Gegenstand viel geschehe, in der Komödie nichts durch den Gegenstand, alles durch den Dichter. Der Tragödiendichter behandle seinen Gegenstand immer praktisch, der Komödiendichter theoretisch; jener zeige durch beständige Erregung, dieser durch beständige Abwehrung der Leidenschaft seine Kunst.

Goethe antwortet auf Schiller's Bemerkungen gleich darauf: Mit dem, was Sie in Ihrem heutigen Briefe über Drama und Epos sagen, bin ich sehr einverstanden; so wie ich immer gewohnt. bin, daß Sie mir meine Träume erzählen und auslegen. Ich kann nichts weiter hinzufügen, sondern muß Ihnen meinen Plan schicken oder selbst bringen. Es werden dabei sehr feine Punkte zur Sprache kommen, von denen ich jest im Allgemeinen nichts erwähnen mag. Wird der Stoff nicht für rein episch erkannt, ob er gleich in mehr, als einem Sinne bedeutend und interessant ist, so muß sich darthun lassen, in welcher andern Form er eigentlich behandelt werden müßte. In Bezug auf den Unterschied zwischen Epes und Drama äußert er, in diesem müsse die entschiedene Natur des Menschen herrschen, die ihn blind da und dorthin führe, im Epos der Verstand oder eine zweckmäßige Leidenschaft: Als er am 27. April der Fabel seines neuen Gedichtes nachdachte, um den Plan desselben für Schiller aufzusehen, ergriff ihn auf's neue eine ganz besondere Liebe zu demselben; doch hielt er gerade deshalb mit seinem Plane zurück, da er wisse, daß er nie etwas fertig mache, wenn er den Plan zur Arbeit irgend vertraut oder jemand offenbart habe. Und doch hatte er die Fabel seines neuen Gedichtes bereits mitgetheilt. „Wir wollen uns im Allgemeinen über die Materie besprechen, und ich kann nach dem Resultate im Stillen meinen Gegenstand prüfen. Sollte ich dabei noch Muth und Lust behalten, so würde ich es ausarbeiten, und fertig gäbe es immer mehr Stoff zum Nachdenken, als in der Anlage; sollte ich daran verzweifeln, so ist es immer noch Zeit auch nur mit der Idee hervorzutreten." Die vier Wochen

1) Irrig ist es demnach, wenn er (B. 27, 62.) sagt, er habe den in allen seinen Theilen durchdachten Plan seinen Freunden (Schiller und Humboldt) nicht verhehlt.

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