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um Abwandlungen innerhalb des herrschenden Systemes, nicht um einen Umschlag von Grund aus handelt. Ein solcher aber lag hier vor. Die Dekrete der Nationalversammlung, deren Vollziehung Delessart vermieden hatte, wurden nun als Geseze betrachtet; die neuen Minister waren sich ihrer Aufgabe bewußt, dieselben zur Ausführung zu bringen. Für das Ministerium der aus wärtigen Angelegenheiten war Anfangs ein Mann in Vorschlag gekommen, der in der bisherigen Diplomatie, namentlich bei den Verhandlungen mit Trier, einen gewissen Namen erworben hatte. Aber, so heißt es in einem Artikel des Patriote français, alle Die, welche mehr Energie, Einsicht und Patriotismus verlangen, sind für Dumouriez.

Claude-François Dumouriez war ein seit langer Zeit in den europäischen Verwickelungen im Osten und Süden vielgenannter diplomatisch militärischer Agent des Hofes von Versailles, diesem also keineswegs fremd, den neuen Meinungen auch deshalb zugethan, weil sie eben das Uebergewicht bekommen hatten, nicht gerade aus innerem Enthusiasmus, so daß man auch jezt von vornherein gesagt hat, er werde kein zuverlässiger Bundesgenosse der Jakobiner sein. Allein auf seine persönlichen Meinungen kam es so sehr nicht an. Das Ereigniß, in Folge dessen er in die höchste Stelle aufrückte, fesselte ihn zugleich an das System, welches durch dasselbe den Play behielt.

Ursprünglich war er bei seiner Berufung nach Paris bestimmt gewesen, Delessart zu unterstützen; aber es war ihm nicht entgangen, wie gefährlich die Lage desselben durch seine Unterhandlung mit dem Kaiser dem Comité diplomatique gegenüber wurde; er hatte sich vielmehr eben diesem angenähert. Es bezeichnet den ganzen Um schwung der Dinge, wenn er dem Könige, bei dem er nun als Minister eintrat, erklärte, er sei nicht ein Minister wie die bisherigen: er sei der Mann der Nation. Ludwig XVI. blieb dabei, daß auch er ja nichts als die Constitution wolle. Aber die Idee derselben war verändert. Gleich die erste Depesche Dumouriezs, welche nach Wien abging, schlug doch, indem sie alte Forderungen wieder= holte, einen anderen Ton an, als die vorangegangenen. Und wenn die diplomatische Discussion früher aus dem Grunde hintangehalten worden war, daß die Aufforderung an den Kaiser nicht in der gewohnten ministeriellen Form geschehen war, so fiel dieser Beweggrund nach dem 10. März weg. Die Aufforderung war jest peremptorisch und vollkommen gültig, und eine Antwort darauf mußte über Krieg und Frieden entscheiden.

In dem Momente dieser Krisis hat man doch noch den Versuch einer Reaction für möglich, den Erfolg derselben für nicht ganz hoffnungslos gehalten. Wenn der König den Entschluß nur fassen könnte, sich an die Spiße einiger Bataillone zu stellen, so würde es ihm leicht sein, die Höhle der Jakobiner zu schließen. Die Königin schien allen Muth dazu zu haben, aber durch Besorgniß für ihren Gemahl und ihre Kinder zurückgehalten zu werden. Was aber hätte auch daraus erfolgen können, da die Faction die Staatsgewalt be= reits in den Händen hatte? Der eigenste Sinn der Königin war es immer gewesen, ihrer verzweifelten Lage durch die Einwirkung der auswärtigen Mächte ein Ende zu machen; der Ausbruch des Krieges war nicht so ganz gegen ihr Interesse, wie es hätte scheinen können. Wie die Dinge damals standen, ließ sich mit Grund erwarten, daß die revolutionäre Armee besiegt werden, die legitimistische der auswärtigen Mächte den Sieg davontragen würde. Dem Könige wird die Betrachtung zugeschrieben: wenn das Schicksal der Waffen den verbündeten Mächten günstig wäre, so würde er dadurch wieder zu einer befestigten constitutionellen Gewalt gelangen; wenn der Ausschlag anders ausfalle, so würde es ihm zum Verdienst angerechnet werden, den Krieg provocirt zu haben.

Uchtes Capitel.

Allgemeine Gegensätze. Stimmungen in Berlin. Französische Kriegserklärung. Ausbruch des Krieges.

Niemand machte sich eine Illusion darüber: ein Krieg in Europa stand bevor, zunächst ein Waffengang zwischen den beiden großen Reichen, welche auf dem Continent einander gegenüber standen, dem französischen und dem deutschen. Auf beiden Seiten fanden Rüstungen und Bewegungen der Truppen statt. Erwägen wir noch einmal, wodurch diese Gefahr eines Conflictes veranlaßt wurde. Man hat wohl gesagt, der romanisirte gallische Stamm habe sich in dem Adel des vor Alters eingedrungenen germanischen wieder entledigen wollen; daran dachte jedoch Niemand in dieser Zeit; der Adel bestand auch aus zahlreichen einheimischen Elementen. Auch rührte der Streit nicht etwa daher, daß auf der deutschen Seite die Absicht vorgeschwebt hätte, die in den letzten Jahrhunderten erlittenen Verluste wieder herbeizubringen. Die Entzweiung entsprang nur aus der Störung der bestehenden eingelebten Verhältnisse und der Gefahr einer völligen Vernichtung derselben durch die Revolution. Einen unbeschreiblichen Eindruck hatte die Aufhebung der Feudalverfassung und der damit zusammenhängenden Vorrechte in aller Welt gemacht; denn eben darauf gründeten sich die europäischen Staaten, namentlich auch das deutsche Reich. Aber auch hieraus ist der Krieg nicht unmittelbar entstanden. Die Emigration des französischen Adels fand Theilnahme bei den deutschen Reichsfürsten, besonders da die eigenen Rechte derselben durch die Decrete der französischen Nationalversammlung verlegt wurden; aber die beiden großen deutschen Mächte nahmen nicht Partei für sie. Hatte doch die lezte Regierung von Oesterreich zu sehr analogen Mitteln gegriffen, und man wußte recht wohl, daß

der Anstoß zum Kampfe gegen die Privilegien von dem franzö= fischen Hofe selbst ausgegangen war. Die Emigranten wurden von Desterreich zurückgewiesen und fanden nur wenig Eingang in Preußen. Was den ernstlichen Streit, der zum Kriege führen mußte, anregte, war nicht die erste, sondern die zweite Phase der Revolution: mit der Constitution von 1791 hätten sich die deutschen Mächte vertragen, besonders wenn sie so ausgebildet worden wäre, daß der König sich einer ehrenvollen Selbständigkeit erfreut hätte. Aber eben das Gegentheil geschah. Die Idee der Volkssouveränetät machte sich Bahn, und zwar in zwiefacher Weise. Das Königthum wurde nur noch als eine Uebertragung durch das Volk und dessen Repräsentanten angesehen; der König wurde der Selbständigkeit beraubt, auf welcher auch seine Sicherheit beruhte; und wenn nun die Verwandten des bourbonischen Hauses, besonders das Oberhaupt des österreichisch - lothringischen, dessen Schwester die Königin von Frankreich war, ihre Autorität einseßten, um dem Könige von Frankreich eine erträgliche Eristenz zu verschaffen, so wandte sich die einmal ergriffene Idee der Nationalsouveränetät auch gegen diese Einmischung; sie verwarf jede Theilnahme der europäischen Welt an dem Schicksale des Königs von Frankreich und erweckte hiefür die Sympathie der Nation. Die Faction, welche diese Ideen am lebhaftesten ergriff, behielt, durch ihre Affiliationen in der Hauptstadt und in den Provinzen verstärkt, auch in der legislativen Versammlung die Oberhand.

Es ist begreiflich, daß nun Kaiser Leopold dagegen Partei nahm; doch geschah das mit großer Zurückhaltung und Vorsicht. Er war sehr zufrieden, als Ludwig XVI. zu erkennen gab, daß er von freien Stücken in die lezten anstößigen Decrete der Nationalversammlung eingewilligt habe. Ich weiß nicht, ob man jemals ernstlich an diese Freiwilligkeit geglaubt hat: officiell wurde sie angenommen; aber durch die geheimen Mittheilungen vom fran= zösischen Hofe mußte man von dem Gegentheil überzeugt werden. Um weiteren Aggressionen vorzubeugen, nahm der österreichische Staatskanzler einen Gedanken wieder auf, den zuerst der Kaiserselbst gefaßt hatte, und der dahin ging, vermittelst eines allgemeinen europäischen Einverständnisses, wie man sagte, Concertes, der französischen Bewegung Einhalt zu gebieten; der Gedanke der Königin Marie Antoinette war immer gewesen, durch eine Erklärung von Europa, die durch eine bewaffnete Demonstration zu unterstüßen sei, der Faction zu imponiren, von der sie bedroht wurde. Wir bemerkten, wie

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dadurch die Idee von der vollkommenen Unabhängigkeit einer souveränen großen Nation gefördert werden mußte und gefördert wurde. Die historisch begründete europäische Convenienz und das unbedingte Recht einer Nation, für sich selbst im Inneren und nach Außen maßgebende Beschlüsse zu fassen, traten einander entgegen.

Niemand wird bezweifeln, daß Oesterreich in seinem Rechte war, wenn es gegen die Revolution Stellung nahm: es hatte von der aufkommenden Bewegung für seine Provinzen, die Niederlande sowohl wie die oberdeutschen Vorlande, einen unmittelbaren Angriff zu bes fürchten; überdies kam es dem Kaiser zu, die in ihren Rechten verlezten Reichsstände zu vertreten; an eine glückliche Ausführung des Unternehmens knüpfte der Staatskanzler, wie wir oben sahen, die weitaussehendsten Pläne einer Uebermacht Desterreichs über ganz Europa.

An einen Widerstand gegen Frankreich aber konnte Desterreich nicht denken, wenn es nicht Preußen auf seiner Seite hatte. Was aber konnte Preußen vermögen, sich einem fremden Systeme an= zuschließen, das es bisher bekämpft hatte? Man hat wohl gemeint, eine durch die Revolution veranlaßte Erhebung retrograder Ideen habe die beiden Höfe vermocht, gemeinschaftliche Sache zu machen; aber wie wäre es dann zu erklären, daß sie sich den Emigranten nicht anschlossen, was sie doch in Wahrheit nicht thaten? Die Besorgniß vor dem Umsichgreifen der revolutionären Ideen ist ohne Zweifel vorhanden gewesen: man hat einmal in Berlin von einem Verbot der Jenaer Literaturzeitung gesprochen, weil ver wandte Auffassungen durch sie befördert würden; aber sogleich hat man davon Abstand genommen, weil es dem Buchhandel schaden und ein unangenehmes Aufsehen machen würde. In den Verhandlungen, welche gepflogen wurden, findet sich keine Erwähnung dieses Motives. Die österreichisch-preußische Verbindung entsprang, wie wir wissen, aus ganz anderen Beweggründen. Wir dürfen diese wohl ebenfalls recapituliren.

In dem Momente, da Friedrich Wilhelm II. an der Erreichung der umfassenden Pläne, die ihm bei der Tripelallianz vorschwebten, durch die Weigerung der Polen, den Schuß, den er ihnen angedeihen ließ, durch Abtretung von Territorien zu vergüten, die wegen ihrer deutschen Bevölkerung und ihrer geographischen Lage für den preußischen Staat erforderlich waren, verhindert oder vielmehr bei diesem Anlaß auf das Tiefste verlegt wurde, ging er plöglich zu dem Gedanken über, durch eine Pacification mit Desterreich alle anderen Schwierigkeiten, die ihm widerwärtig waren, wegzuräumen. Er faßte ein

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