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2. Die Episode der ersten Erzählung von der Vermittlerin, welche die Zeichensprache des verliebten Mädchens nicht versteht, und als vortrefflicher Postillon d'amour dient, wie der gute Beichtvater in der 23. Novelle des Dekameron.

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Unter den von Jülg übersetzten 22 Märchen ist das schönste das dreizehnte, von den dankbaren Thieren." 15. erinnert theils an die „Kraniche des Ibykus“, theils an das deutsche Märchen von Rumpelstülzchen. Das 19. scheint mir eine Parodie der Tapferkeitsproben zu sein, durch welche grosse Helden oder abenteuernde Ritter schöne Prinzessinen erwerben. Das 22. ist die Geschichte von Midas mit den langen Ohren, und schliesst mit der humoristischen Mittheilung, dass in Folge dieses Ereignisses die Mode aufkam, Klappenmützen zu tragen. Das eilfte, von dem Manne, der sich in die Statue des Buddha versteckte und dadurch zu einer Frau mit der bescheidenen Mitgift von einem Mass Edelsteine gelangte, hat eine entfernte Aehnlichkeit mit der Novelle vom Engel Gabriel. (Dek. IV N. 2.)

Was ist nun die Tendenz der Erzählungen des SiddhiKür? Darauf gibt uns die Einleitung zur Antwort:

„Alle diese Erzählungen werden mitgetheilt, damit, wenn „man deren von den Weisen zusammengestellten Hauptinhalt „in sein Herz aufgenommen, man durch Vortragen, Hören „und Lesen die höchste Vollendung erlange. (Jülg S. 1.)

§ 16. Fast ebenso eigenthümlich wie bei der Vetâlapantschavinçati ist die Rahmenerzählung des mongolischen Ardschi Bordschi, welcher auf dem Sanskritwerk Singhasana Dwatrinsati oder Vikramatscharitra beruht: Ardschi will den Thron des Königs Vikramaditya besteigen, wird aber daran von 32 Holzfiguren gehindert, die ihm Geschichten aus dem Leben dieses Königs erzählen, mit dem Refrain: „Wenn du

ein solcher König sein solltest, dann setze dich auf diesen Thron.“

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In der zweiten Erzählung wird über die Erziehung dieses Königs berichtet, der Weisheit, Zauber- und Diebeskunst, Lügen und Handeln" lernt. Eine französische Uebersetzung dieser Singhasana Dwatrinsati gab Baron Lescallier nach einer persischen Uebersetzung 1817 in New-York heraus, eine bengalische erschien 1818 in Serampur.) Jülgs Ausgabe und Uebersetzung sind bereits oben erwähnt worden.

§ 17. Unter den Sammlungen von Erzählungen in Sanskrit ist eine der interessantesten die des Somadeva, welcher ungefähr zwei Jahrhunderte vor Boccaccio am Hofe Kaschmir lebte.

von

Er verfasste diese grosse aus achtzehn Büchern bestehende Sammlung, deren Rahmen die Geschichte des Königs Udayana von Vatsa, seiner zwei wunderschönen Gemahlinnen und seines Sohnes bildet, wie er selbst sagt (Cap. I. S. 4), nicht aus Begierde nach dem Ruhme der Gelehrsamkeit, sondern um leichter dem Gedächtnisse das bunte Märchennetz zu bewahren.

Es ist auch wirklich eine bunte Sammlung der verschiedenartigsten in einander geschachtelten Märchen, Fabeln und Erzählungen, die er uns in diesem „Meer der Erzählungsströme", wie der Titel des Werkes lautet, bietet, und es ist sehr zu bedauern, dass dieses Werk, welches so viel Unterhaltendes und über indische Sitten Belehrendes enthält, uns noch so wenig zugänglich ist. Es sind darin viele ältere Sammlungen von Erzählungen aufgenommen, als: das Pantscha

1) Loiseleur, Essai historique vor den 1001 nuits. Paris 1838 S. XXI Note 3. Benfey I. 22.

tantra, die Vetalapantschavinçati u. s. w. (Brockhaus XI. XII. Benfey I. 18. 419).

Besonders häufig sind in dieser Sammlung die Erzählungen von Heiligen, Eremiten und Büssern, sowie von Zauberern, Dämonen und Gespenstern. Aber auch die Schliche und Listen böser Frauen werden oft erzählt.

Somadeva's Werk geniesst in Indien grosses Ansehen und wurde auch in's Persische übersetzt. Professor H. Brockhaus hat davon die ersten fünf Bücher 1839 und weitere 12 Bücher 1862 und 1866 in Leipzig herausgegeben. Auch hat er die ersten fünf Bücher u. d. T.: „Die Märchensammlung des Somadeva Bhatta aus Kaschmir" in's Deutsche übersetzt. (Leipzig 1843.) Vom sechsten Buche gab er einen Inhaltsauszug in den Berichten der k. sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften zu Leipzig Bd. 12, 1860. Eine englische Uebersetzung u. d. T. „The ocean of the streams of story" von Professor Tawney erscheint seit 1880 in Kalkutta. Ins Französische hat E. Lancereau einiges übersetzt.

Unter den Erzählungen Somadeva's, die mit europäischen verwandt sind, verdient besonders die von Phalabhuti (Cap. 20) hervorgehoben zu werden, welche mit dem Fabliau du roi qui volt fere ardoir le fils de son senechal (bei Meon. II. 331; Schillers Gang nach dem Eisenhammer) auffallende Aehnlichkeit hat. 1) Der König, der diesen frommen Bramanen auf Anstiften der Königin tödten lassen will, gibt seinem Koch den Befehl: „Wer zu dir kommt und die Worte sagt: Der „König wird heute mit der Königin speisen, darum bereite „eilig das Essen vor! den sollst du tödten und aus seinem „Fleische heimlich uns morgen ein süsses Gericht bereiten" und schickt dann den Phalabhuti mit dieser Botschaft zum

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1) Dem Fabliau noch ähnlicher ist die Erzählung in den türkischen Vierzig Vezieren.

(bei Behrnauer S. 250). Vergl. auch Oesterley, Gesta Romanorum S. 749.

Koch. Der fromme Bramane aber lässt die Uriasbotschaft vom Sohne des Königs ausrichten. Dieser wird vom königlichen Koch nach dem erhaltenen Befehle getödtet, dem königlichen Paar als feines Gericht vorgesetzt und von Diesem verzehrt. Als der König am andern Tage den Phalabhuti unversehrt erblickt und die Verwechslung erfährt, stürzt er sich mit der Königin in den Tod und Phalabhuti übernimmt die Regierung. (S. 62-64).

An die Leiden Ugolino's erinnern die des Ministers Sakatala (Cap. 4 Bd. I S. 32), welcher mit seinen hundert Söhnen in eine finstere Höhle eingesperrt wird. Sie erhalten alle zusammen nur eine Schüssel Reis und einen Becher Wasser täglich. Die Söhne überlassen dem Vater die ganze Nahrung, damit er am Leben bleiben und an ihren Feinden Rache nehmen soll. Sakatala sieht alle seine Kinder den Qualen des Hungers erliegen, wird aber endlich befreit und rächt sich an seinen Feinden. (S. 33. 34.)

In den mir zugänglich gewesenen Büchern Somadeva's finden sich nur vier Erzählungen, welche mit Novellen des Dekameron Aehnlichkeit haben, nämlich:

A. Vom Bramanen Lohajanga (Cap. 12. Bd. I. S. 121-132), welcher sich auf ähnliche Art rächt wie der Pariser Student Rinieri an der stolzen Wittwe Helena. (Dekameron VIII. Nov. 7.)

Makarandanshtra, die Mutter der Rupinika kann die Liebe ihrer Tochter zu dem schönen aber armen Lohajanga nicht leiden und lässt ihn daher durchprügeln und davonjagen. Nach langer Abwesenheit kehrt er mit einem wunderbaren Reitvogel versehen zurück, gibt sich für den Gott Wischnu aus, geniesst die Liebe der Rupinika und rächt sich an der bösen Makarandanshtra, indem er sie, unter dem Vorgeben er werde sie lebend zum Himmel tragen, mit kahlgeschorenem Kopf, die eine Hälfte des Körpers mit Russ, die andere mit Ocker be

malt auf die höchste Spitze eines Tempels hinstellt und dem allgemeinen Gelächter preisgibt.

Wir sehen, dass die Beleidigung, noch mehr aber die Rache in dieser Erzählung der Novelle ähnlich ist. Nur ist bei Boccaccio die Geliebte die Beleidigerin, bei Somadeva aber deren Mutter, während die Tochter ihrem Liebhaber treu bleibt und ihn auch zuletzt heirathet.

Die Verspottung und Blossstellung eines gelehrten Mannes oder Dichters durch eine buhlerische Frau, sowie die raffinirte Rache des Mannes, finden wir in vielen mittelalterlichen Erzählungen und Bildwerken, in denen meistens der „Zauberer Virgilius" die Hauptrolle spielt. 1)

Die Moral ist in allen diesen Erzählungen dieselbe: Man soll Bramanen, Gelehrte und Dichter nicht beleidigen.

B. Von Madanavega (Buch 6 Cap. 33) ist bereits oben (II 13a S. 74) die Rede gewesen.

C. und D. Von Vidushaka's wunderbarem Ritt und von Kirtisena wird weiter unten zu Dek. X. N. 9 und III. N. 9 ausführlich gesprochen.

§ 18. Kurze Erwähnung verdient noch das nicht vollständig erhaltene, wahrscheinlich im eilften Jahrhundert unserer Zeitrechnung geschriebene Werk Dandi's Dasakumâra Tscharitra. (Geschichte der zehn jungen Prinzen.)

Es werden darin die Abenteuer des Prinzen Rajâvahana und seiner neun Kameraden erzählt und enthält es grösstentheils Erzählungen von Entführungen, Ehebrüchen und Mordthaten, Courtisanen, Dieben und Spielern, welche uns die indische Gesellschaft jener Zeit von einer sehr schlechten Seite

1) Vergl. Hagen II 509; III S. CXXX sq. Dunlop Liebrecht Ankg. 253 S. 483. J. G. Th. Grässe, Beiträge zur Literatur und Sage des Mittelalters. Dresden 1850 S. 35 und unten, zum Proemio des vierten Tages des Dekameron. (V. § 3.)

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