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ließen, nicht in Abrede gestellt werden kann, selbst wenn der Begriff „Rotrouenge" heute nicht mehr bekannt gewesen wäre.

Mit dieser musikalischen Form ist freilich, was den die Musik begleitenden Liedtext anbelangt, inhaltlich kein einheitliches Kunstwerk verbunden. Es ist sowohl das ernste Kreuzzugslied wie die schelmische Pastourelle, die schwermütige Romanze wie das heitere Liebeslied vertreten. So bezeichnet, wie schon P. Meyer zutreffend bemerkt hat1), die Rotrouenge weniger die literarische Gattung als vielmehr die eigentümliche musikalische Form.

Ist nun die Rotrouenge auch in der Tat die Bezeichnung, die jenen Liedern mit der oben beschriebenen musikalischen Form zukommt? Als diese Form entstand und man sich genötigt sah, dieselbe zu benennen, konnte man natürlich die verschiedensten Namen dafür ersinnen. Nahe aber lag auf jeden Fall, eine Bezeichnung zu wählen, die die Erscheinung nicht nur von andern, ähnlichen unterschied, sondern, wenn angängig, sie so zu wählen, daß sie gleichzeitig eine gewisse Erklärung einschloß, die sich am besten an das Hauptmerkmal der Erscheinung anlehnte. Der Name Der Name „rondel" z. B. hängt aufs engste mit der Form desselben zusammen 2), ebenso ist der Name Pastourelle doch auch nicht so ganz willkürlich gewählt, und so liegt es nahe, auch in dem Wort „Rotrouenge" zunächst nach einer Bedeutung zu fahnden, die mit der Sache, die es bezeichnen soll, in irgendeinem Zusammenhang steht.

Da das Hauptmerkmal der oben besprochenen musikalischen Form die Wiederholung ein und derselben Tonreihe ist, so sollte. man zunächst in dem Wort Rotrouenge nach diesem Merkmal suchen. Und in der Tat scheint auch in dem Wort der Begriff eines Wiederholens su stecken, denn sonst wäre nicht einzusehen, wie das provenzalische Verb retronchar, das von retroncha<re

1) P. Meyer, Romania XIX (1890) S. 40.

2) Vgl. die Ausführungen von Joh. de Grocheo (Musiktheoretiker um 1300 in Paris): Cantilena vero quaelibet rotunda vel rotundellus a pluribus dicitur, eo quod ad modum circuli in se ipsam reflectitur et incipit et terminatur in eodem. Gedr. Joh. Wolf, Die Musiklehre des Johannes de Grocheo, in Sammelbände der internationalen Musikgesellschaft, Leizig I (1899), S. 92.

troencha retroensa abgeleitet ist und zweifellos,, wiederholen "1) bedeutet, zu eben dieser Bedeutung kommen könnte. In den Leys d'Amors heißt es nämlich: «Cobla (= Vers) retronchata es dicha, can en la fi de cascun bordo (= Verszeile), o de dos en dos, o de tres en tres, o de mays, segon que's volra aquel que dictara, oz en la fi de cascuna cobla, hom retorna una meteyssha dictio, o can en cascuna cobla hom retorna un meteysh bordo, o dos (pero de dos no es gayre acostumat) »). Deshalb heißt es in der Definition der retroncha, nachdem gesagt worden ist, wovon sie handelt: «Et aquest dictatz sec lo compas de vers cant al so e cant a las coblas, quar pot haver de 5 a 10 coblas. Et es dicha retroncha quar es de coblas retronchadas; no per autra cauza; e quar lassus havem mostrat qu'es cobla retronchada, per so no qual ques ayssi ne tractem. »3) Deutlicher kann die Bedeutung des Wortes retroncha nicht ausgesprochen werden. Da retroncha retroensa, so ist keine andere Möglichkeit als die, in dem ersten Bestandteil von retroncha das lat. retro zu sehen, das auch die Bedeutung von ,,wiederholen" gehabt haben muß. Das provenzalische retroncha <retroensa und das frz. retro(w)ange sind aber dieselben Wörter. Wenn also von Wackernagel als Etymon von Rotrouenge lat. *retroientia angegeben wurde, so scheint diese Etymologie, trotz der Einwände P. Meyers1), nicht so ganz verfehlt gewesen zu sein. Ich kehre damit an den Ausgangspunkt dieser Betrachtung zurück, und überlasse es den Etymologen, auf Grund der oben gegebenen Darstellung der Rotrouenge als einer musikalischen Form und dieser Darstellung ist die Studie einzig und allein gewidmet das letzte Wort über die Worterklärung zu sprechen.

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1) Die Stellen, die hier in Betracht kommen, stehen in den Leys d'Amors, und zwar u. a. in der Definition der dansa, gedr. Bartsch, Chrestomathie provençale, Marburg (1904) S. 403; Appel gibt im Glossar seiner Chrestomathie für «<retronchar» an diesen Stellen „abschneiden" an, während Bartsch mit „wiederholen" übersetzt.

2) Gatien-Arnould, Las Leys d'Amors I S. 286.

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3) Gatien-Arnould, Las Leys d'Amors. I S. 346.

4) Vgl. oben S. 6. Wie kommt es denn, daß im Altfrz. das Wort «retrograde» vorkommt, wenn lat. retro immer zu «riere» geworden sein soll?

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Abert, Hermann, Die Musikanschauung des Mittelalters und ihre Grundlagen. 1905. 8. VI, 273 S.

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Niccolo Jommelli als Opernkomponist. Mit einer Biographie. Mit Porträt. 1908. gr. 8. VII, 461 S. und 64 S. Musikbeilagen. 20,Andrade Caminha, P. de, Poesias ineditas publicadas pelo Dr. J. Priebsch. 1898. 8. XLIII, 562 S. 16,Andresen, Hugo, Eine altfranzösische Bearbeitung biblischer Stoffe. Nach einer Pariser Handschrift zum ersten Male herausgegeben. 1916. gr. 8. IV, 85 8.

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9,Audefroi le Bastard, des, Lieder und Romanzen. Kritische Ausgabe nach allen Handschriften von Arthur Cullmann. 1914. gr. 8. VI, 149 S. Bernart von Ventadorn, Seine Lieder. Mit Einleitung und Glossar herausgegeben von Carl Appel. 1915. 8. CXLV, 404 8. mit Abbildungen auf 5 Tafeln und 23 weiteren Facs.-Tafeln. 26,Dichtungen der Troubadors. Auf Grund altprovenzalischer Handschriften teils zum ersten Male kritisch herausgegeben, teils berichtigt und ergänzt von Adolf Kolsen. Heft 1-3. -1919. gr. 8. Subskriptionspreis je 3,; Einzelpreis je 3,60 1. Heft (Nr. 1-16). 1916. S. 1-80. 2. Heft (Nr. 17-34). 1917. S. 81-160.

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Du Chevalier au Barisel. Neu herausgegeben mit Einleitungen, Anmerkungen und Glossar von O. Schultz-Gora. 4. Auflage. 1919. kl. 8. XVI, 226 S. Gennrich, Friedrich, Musikwissenschaft und romanische Philologie. Ein Beitrag zur Bewertung der Musik als Hilfswissenschaft der romanischen Philologie. 1918. 8. 53 8.

3,

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