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an die Rechte und Pflichten des frühern Reichsvogtes. Wenige Jahre später folgte der Krieg, in welchem Bern, nach einer glücklichen Entscheidungsschlacht, mit einer wahren Wuth in weitem Umkreise die Burgen des Adels brach und deren Herren zwang, das Bürgerrecht der Stadt anzunehmen, das heisst ihre Schlösser und ihre Unterthanen militärisch der Stadt zur Verfügung zu stellen. In raschen Sätzen dehnte die Herrschaft sich aus. Drei Mittel waren es vornehmlich, welche dabei in Anwendung kamen: Kauf oder Pfandlösung, durch welche die ihre Ersparnisse mit Glück und Geschick politisch verwerthenden Bürger die verschuldeten Rittergeschlechter allmählig depossedirten; kriegerische Gewalt gegen diejenigen Herren, welche versuchten, der sie umschlingenden Macht sich zu erwehren; und die Burgrechts- oder Bürgerrechtsverträge mit denen, die sich freiwillig in ihr Schicksal fügten. Den letztern Weg betraten namentlich die umliegenden Klöster.

Am Ende des 14. Jahrhunderten sass beinahe auf allen Burgen innerhalb der Grenzen des jetzigen bernischen (alten) Kantons ein Burger von Bern, sei es als Besitzer der Herrschaftsrechte, sei es als Vogt und Verwalter im Namen der Stadt. Im Jahr 1415 trat die Bürgerschaft vermöge kaiserlichen Privilegs in die Rechte der Landgrafen ein, 1471 mediatisirte sie gewissermassen die Twingherren ihres Gebietes, und seit der Reformation vollends fühlte sie sich als « christliche Obrigkeit von Gottes und Rechtswegen über alles in ihrem Machtbereiche liegende Land, das sie nun mehr und mehr zu einem homogenen Ganzen umzuschmelzen begann.

Diesen historischen Prozess müssen wir uns gegenwärtig halten, wenn wir verstehen wollen, wie die

Bürgerschaft von Bern, als Körperschaft, sich als die rechtmässige Eigenthümerin des von ihr erworbenen Gebiets betrachten konnte als Eigenthümerin beinahe in demselben rein privatrechtlichen Sinne, wie der Besitzer eines Bauernhofes, der das von seinem Vater ererbte Gut durch gelegentlichen Kauf arrondirt hat. Der Souverän, der hier als legitimer Regent von Gottes Gnaden das Szepter trägt, ist nicht die einzelne Person des Monarchen, sondern eine Kollektiv person. eine erbliche Korporation.

Dieser Voraussetzung entsprach es durchaus, dass die Regierung zunächst weder ein eigentliches Gesetzgebungsrecht, noch ein Recht der Besteuerung für sich in Anspruch nahm. In ersterer Beziehung waren die hergebrachten Gewohnheitsrechte ausdrücklich oder selbstverständlich vorbehalten und unterlagen erst ganz unmerklich gewissen Abänderungen im Sinne allmäliger Ausgleichung; und was die Staatseinkünfte betrifft, so bestanden diese in Gefällen und Abgaben, welche in ihrem Ursprung durchaus auf privatrechtlichen Besitztiteln beruhten und keinen andern Charakter hatten, als die Renten und Kapitalzinse des einzelnen Bürgers.

Das ist die Voraussetzung des Eigenthums, auf welcher das ganze System der politischen Organisation des alten Bern, die Behauptung und die Anerkennung des politischen Vorrechts der Stadtbürger beruhte. So lange diese Rechtsanschauung, die Anwendung des privatrechtlichen Eigenthumsbegriffs auf staatsrechtliche Verhältnisse, den allgemeinen politischen Vorstellungen und dem Zeitbewusstsein entsprach, musste die ganze Verfassung als ebenso natürlich wie rechtmässig erscheinen. Wie war nun diese Verfassung selbst?

Die Verfassungsurkunde.

Eine Verfassungsurkunde im modernen Sinne besass die Bernische Republik nicht. Die Konstitutionen, in welchen die Völker die allgemeinen Normen und Formen ihres staatlichen Lebens feststellen und systematisch geordnet verurkunden, sind bekanntlich neuern Datums. Dennoch hatte Bern etwas dem Aehnliches, was als Verfassungsurkunde gelten und uns als Quelle zur Erkenntniss der politischen Grundsätze und Einrichtungen dienen kann. Es sind diess einerseits die sogenannten « Burgerspunkten», anderseits das «Rothe Buch».

Das Rothe Buch, dessen vollständiger Titel lautet: < Ordnung, wann und wie die Gesetz gemacht und abgeänderet, auch darnach gerichtet werden soll», enthält die eigentlichen allgemeinen Grundgesetze von konstitutioneller Bedeutung, freilich ohne jeden Versuch einer systematischen Anordnung oder Eintheilung. Jeder Beschluss des Rathes, dessen Natur und Wichtigkeit diess zu rechtfertigen schien, wurde successiv, unter Annullirung früherer bezüglicher Bestimmungen, der Sammlung einverleibt. Den Ursprung und die erste Form des Rothen Buches vermögen wir nicht nachzuweisen, eine polemisch gegen die Regierung gerichtete Schrift vom Jahre 1744 behauptet, das alte Rothe Buch sei absichtlich zerstört worden, um die Erinnerung an frühere demokratische Zustände in Vergessenheit zu bringen. Wir halten uns an die letzte Gestalt, welche das Buch am 30. April 1703 erhielt, und welche mit einigen spätern Zusätzen und Abänderungen bis zum Jahre 1798 in Gültigkeit geblieben ist.

Ungefähr ein Jahr zuvor war auch die andere Sammlung der organischen Gesetze, die << Burgers

punkten», einer Revision unterworfen worden. Tillier spricht in seiner Berner Geschichte ') zuerst im Jahre 1651 davon, dass unter dem Namen der Burgerspunkten viele Beschwerden untersucht worden seien, welche zu Stadt und Land besondern Unwillen erregt hatten, und denen abgeholfen werden sollte. Dem entspricht auch die Vorrede zu der neuen Ausgabe vom 6. und 7. April 1702, wo es heisst, dass « in der Regierungsform mehrere Missbräuche eingeschlichen und daher allerlei Unordnung und verderbliche Neuerungen überhand nehmen wollen »; wesshalb beschlossen wurde, durch einen Ausschuss « die Burgerspunkten zu durchgehen und ouch, was etwa daran verspürenden Missbräuchen und Unordnung Schranken zu setzen, wohlbedachtlich überlegen lassen ». Demzufolge fand in diesem zweiten konstitutionellen Kodex vorzugsweise dasjenige Aufnahme, was als formelle Garantie für die Aufrechthaltung der bürgerlichen Rechte und Freiheiten betrachtet wurde. In Wirklichkeit ist ein eigentlicher sachlicher Unterschied kaum zu bemerken, und für unsere Darlegung der bernischen Staatsverfassung wird bald das eine, bald das andere der beiden, übrigens immer noch bloss handschriftlich vorhandenen, Bücher als Quelle dienen müssen.

Eines geht aus dem Gesagten bereits hervor: dass es ein Irrthum ist, diese Verfassung als etwas Starres und Unabänderliches anzusehen. Eine Veränderung durfte zwar nur vorgenommen werden, « wenn solche für so gut erachtet, dass zwei Drittel dafür sind »; im Uebrigen lag in der oben angegebenen Einrichtung vielmehr geradezu die Möglichkeit einer << permanenten Partialrevision ». « Gleichwie die Frei

1) Bd. IV, 143.

heit eines Standes (Staates) und die wesentliche Form eines Regiments beständig und unbeweglich und auf die Ewigkeit angesehen sein sollte, also müssen im Gegentheil die Mittel, damit sie zu diesem Zweck dienen mögen, zuweilen abgeändert und nach Beschaffenheit der Zeiten eingerichtet werden. » ')

Wir fassen hier zunächst nur die Einrichtungen in's Auge, wie sie im Anfang des 18. Jahrhunderts sich gestaltet haben.

Die Souveränetät.

Die staatliche Souveränetät lag ursprünglich und grundsätzlich in der Gesammtheit der Bürger der Stadt, der « communitas burgensium de Berno», d. h. Derjenigen, welche die durch besondere Verträge oder durch Ueberlieferung fixirten Rechte und Pflichten der Mitgliedschaft an diesem Körper übernommen hatten. 2) Das Bürgerrecht war keineswegs erblich, es musste stets erneuert werden und ging durch Auswanderung, durch Nichterfüllung der bezüglichen Pflichten, ohne weiteres verloren. Erst allmälig galt die Fortdauer in der Familie und die Uebertragung vom Vater auf den Sohn als etwas Selbstverständliches.

In der Zeit der grössten politischen Kraftentwicklung war das Interesse des Landmannes, durch Annahme des städtischen Bürgerrechts des Rechtsschutzes und der Rechtsprivilegien der Reichsstadt theilhaftig zu werden, ebenso stark, als der Wunsch der Bürger

1) Rothbuch pag. 323.

2) Siehe die freilich etwas tendenziöse, aber doch reichen urkundlichen Stoff bietende Arbeit von R. Fetscherin über: Die Gemeindeverhältnisse von Bern im 13. und 14. Jahrhundert, in den Abhandlungen des historischen Vereins von Bern, Bd. II (1851).

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