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erreichen suchen muss, was es eigentlich von den staatlichen Organisationen zu verlangen berechtigt ist.

Das ist aber immer bloss ein vorübergehender Zustand. Wenn derselbe bis zu einem gewissen Punkte gediehen ist, erwacht in dem Staat, gleichzeitig mit der Einsicht in die Gefahr einer solchen Konkurrenz, auch das Bewusstsein seiner Aufgaben und sobald diese gesellschaftlichen Forderungen durch ihn ihr Recht finden, so wird auch aus dem Gesellschaftsrecht wieder Staatsrecht, aus der Soziologie Staatswissenschaft.

Die natürliche Gemeinschaft unter den Menschen, und ihre gesellschaftliche Gruppirung beruht, wenn man von der Familie als der ersten und unumgänglichsten Gruppe absieht, wesentlich auf drei Bedürfnissen; diese stets vorhandenen Interessen schaffen sich mit Nothwendigkeit ihre Lebenskreise, im Staat, als dessen Bestandtheile, wenn es angeht, sonst ausser demselben. Es sind: ein gleichartiger Glaube an übersinnliche Dinge, eine gleichartige Geistesbildung, und gleichartige materielle Interessen, vorzugsweise eine gemeinsame Nothlage; daraus entstehen die Glaubensgenossenschaften, die Bildungsklassen, die theilweise auch der letzte Grund der politischen Parteien sind, und die wirthschaftlichen Interessengruppirungen. Je nach dem vorwiegenden Bedürfnisse eines Zeitalters nimmt die religiöse, die humanistische, oder die jetzt vorzugsweise sogenannte soziale Frage, oder Frage des materiellen Wohlbefindens den ersten Rang und gleichsam die Führung in den Gedanken der Völker ein. Wo dann diese Fragen zeitweise sehr übermächtig werden, oder vielleicht gar sich momentan zum Angriff auf die alte Staatsordnung vereinigen, lösen sie den bestehen

den Staat auf, der ihren Ansprüchen nicht mehr genügen kann, und versuchen es, einen neuen zu schaffen. In diesem Stadium befinden wir uns seit der sog. Reformation, die eine « soziale Frage» unter Führung der Religion war, zum zweiten Male (die französische Revolution war nur die erste Phase der heutigen Bewegung), und die Frage ist eigentlich bloss die : Kann das jetzige Staatswesen den, berechtigten religiösen, humanistisch - politischen und materiellen Anforderungen, neben der Aufgabe seiner Selbsterhaltung, genügen wie der politische Liberalismus es annimmt oder muss wirklich eine andere Art von Staat, gütlich oder gewaltsam, geschaffen werden. was der eigentliche Fundamentalsatz aller Sozialisten ist?')

1) Wir sind in Versuchung, hier für den Leser eine kleine orientirende Bibliographie anzuhängen, wollen uns aber statt dessen auf sehr Weniges beschränken; das Viele macht ohnehin. wie Jeder bezeugen wird, der darin einige Erfahrung hat, die Sache nicht klarer; es wäre im Ganzen eher wünschenswerth, dass über diese zunächst formelle « soziologische » Frage noch Besseres gelesen werden könnte. Der Hauptfehler ist vorläufig der trockenstatistische, gar nicht plastische Charakter der soziologischen Schriften und ihre Idee, alle menschlichen Dinge unter dem Gesichtspunkt des « Positivismus », d. h. eigentlich mit Verwerfung alles dessen, was nicht geradezu sinnlich wahrnehmbar ist, betrachten zu wollen, meistens sogar überdies beeinflusst von dem Bestreben, die Hypothesen des Darwinismus aus der Naturwissenschaft auf alle andern Wissenschaften zu übertragen. Wir prophezeien der Soziologie in der Rechtswissenschaft keinen langedauernden Bestand. Der Staat und das Recht kann nur auf historischer Grundlage. (weder philosophisch, noch naturwissenschaftlich) verstanden werden. Zur Orientirung dienen besonders: Spencer: The principles of sociology. Dargun: Soziologische Studien. Lange: Geschichte des Materialismus.

Sudre: Geschichte des Kommunismus. - Gumplowicz: Grundriss der Soziologie. Menger: Untersuchungen über die Me

I.

Die sozialistische Welt- und Staatsanschauung hat in unserer Zeit zwei Vertretungen. Die eine davon ist ein Theil der katholischen Kirchenregierung 1), die andere die internationale sozialistische Partei. Das Fundament der einen ist ein theologisches, der andern ein materialistisch - wissenschaftliches. Ihnen beiden gegenüber steht jetzt nur die historisch - politische Auffassung des Staates, die um der Selbsterhaltung dieser historischen Staaten willen die Forderungen der sozialen Parteien in ihren letzten Gründen ablehnt, in

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thode der Sozialwissenschaften und der politischen Oekonomie insbesondere. Knies: Die politische Oekonomie vom geschichtlichen Standpunkt. Funk-Brentano: La civilisation et ses lois, morale sociale. Dilthey: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Stoerk: Studien zur soziologischen Rechtslehre in Band I des Archivs für öffentliches Recht ». Den Gedanken eines vollständigen Neuaufbaues der Rechtswissenschaft auf einer naturwissenschaftlichen Basis vertreten, neben der älteren und allgemeineren «philosophie positive» von Comte, in neuerer Zeit besonders die Schriften eines deutschen Privatgelehrten, Albert Post in Oldenburg.

Eine vortreffliche Uebersicht über mehrere dieser Schriften bietet ein 1888 erschienenes kleines Buch von Schmoller: Zur Litteraturgeschichte der Staats- und Sozialwissenschaften.

1) Dieselbe setzt sich in unserm Sinne keineswegs aus lauter Geistlichen zusammen, sondern aus Allem dem, was in dieser Leitung gegenwärtig Macht und Einfluss besitzt. Dass dazu namentlich auch Juristen gehören und seit jeher gehört haben, ist selbstverständlich; ohne sie würde es kaum einen auf das praktische Staatsleben einwirkenden Ultramontanismus geben. Auffallend war uns aber dennoch, jüngst eine Aeusserung des greisen Döllinger zu lesen, der in dieser Hinsicht als eine Autorität gelten darf, dass er selbst eigentlich keinen ultramontanen Theologen, sondern nur ultramontane Juristen gekannt habe. Auch in der Schweiz haben nicht die Theologen sondern die Juristen den goldenen » und den Sonderbund gemacht.

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der Zukunft aber eine grundsätzlichere, vorläufig noch wenig ausgebildete Welt- und Staatsansicht, die wir die evangelisch-liberale nennen würden, wenn nicht beide Bezeichnungen, aus denen dieses Wort sich zusammensetzt, einen Nebensinn angenommen hätten, den sie ursprünglich nicht besassen.

Die beiden sozialistischen Staatslehren werden, wie überhaupt alles Menschliche, viel verständlicher, wenn sie aus dem trockenen Formalismus ihrer Lehrbücher und Parteidemonstrationen auf lebendige Menschen zurückgeführt werden, die sie ursprünglich geschaffen oder formulirt haben, und es zeigt sich dabei, dass jede von ihnen einen sehr bestimmten. ausgezeichneten Repräsentanten und ebenso jede einen wissenschaftlichen Vorläufer hat. Die Urheber der christlichsozialen Richtung im Sinne der katholischen Kirchenregierung sind: der heilige Augustin, Bischof von Hippo, und der heilige Thomas von Aquino, die der materialistisch-sozialen der deutsche Philosoph Fichte und der Agitator Ferdinand Lassalle.

Der Erstgenannte, Aurelius Augustinus, ist einer der merkwürdigsten Menschen, die jemals über diese Erde geschritten sind, eine jener genialen und zugleich problematischen » Naturen, wie sie gewöhnlich an der Schwelle neuer Epochen der Menschheit erscheinen. Menschen, die selbst Räthsel sind und Andern Räthsel aufgeben. 1) Sein Leben war kurz fol

1) Der jetzt viel mehr genannte Thomas von Aquino ist hloss sein Nachfolger und Interpret, etwa was wir jetzt einen Professor der Theologie und zugleich des Staatsrechts nennen würden, ein Mann des Wissens, kein künstlerisches Genie. Das, was in Augustin noch freier Gedanke ist. hat hier die << Wissenschaft, die stets der genialen Kunst folgt. bereits regularisirt und alles dessen entkleidet, was gefährliche Konsequenzen haben könnte. Es ist bezeichnend für die jetzige Welt, dass sie ihn und nicht Augustin zu ihrem Patron erwählt.

gendes: Geboren zu Tagaste in der römischen Provinz Africa, aus einer gemischten Ehe eines heidnischen Vaters mit einer christlichen Mutter, in dem Jahrhundert, in welchem aus dem Christenglauben eine Wissenschaft wurde, musste er gewissermassen in sich selbst in hervorragender Weise die Kämpfe zwischen Heidenthum und Christenthum und zwischen lebendigem Christenthum und formaler Theologie durchmachen, welche die Welt damals bewegten und bis zu einem gewissen Grade immer bewegen werden. Darauf beruht das Interesse, das wir Alle an ihm nehmen; als blosser Theologe der katholischen Kirche würde er für die meisten Nichttheologen nur eine sehr geringe Anziehungskraft besitzen. ')

Nach einer stürmischen Jugend war Augustin zuerst Professor der Grammatik in seiner Vaterstadt

1) Die Schriften des hl. Augustin sind, soweit wir sie kennen und nach unserm heutigen Geschmacke beurtheilt, etwas langweilig, (selbst die civitas Dei ist in dem grössern Theile ihres Inhalts kaum recht lesbar), mit. Ausnahme jedoch seiner Selbstbekenntnisse (confessiones), der Geschichte seiner innerlichen Bekehrung zum Christenthum, die zu den ergreifendsten Büchern aller Zeiten gehört. Unser menschliches Verhältniss zu Augustin, das viel lebendiger ist, als das zu Thomas, beruht ganz allein auf diesem Buche, während umgekehrt die wissenschaftlichen Schriften des Letztern den bedeutenderen Eindruck machen. Die Selbstbekenntnisse Augustins zeigen indessen auch den Menschen nur in den Tiefen einer Selbsterniedrigung, die bloss ein Durchgangspunkt ist, nicht auf der Höhe des Sieges über die Welt, der darauf folgen kann und soll. Merkwürdig ist in den confessiones» die Idee einer sozialistischen Genossenschaft in der Art der Fourieristischen phalanstères». Augustin hatte, wie er erzählt, vor seiner Bekehrung den Plan gefasst, eine solche kommunistische Genossenschaft mit einigen Freunden zu gründen. Zwei sollten die Geschäfte derselben führen, die Uebrigen sich ganz der Philosophie und den Studien widmen.

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