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Es ist daraus zu schliessen, dass das Christenthum nicht beabsichtigte, einen « christlichen Staat », oder eine civitas Dei» zu gründen, noch viel weniger ein

dem oft zu geistlosen Religionsunterricht kennen und zeitlebens danach beurtheilen. Auch hier, wie in allen Dingen, die man richtig beurtheilen will, heisst es «tolle, lege», urtheile nach den Urkunden, nicht nach einer Auslegung derselben.

Es wäre für jeden über diese Dinge nachdenkenden Menschen, der nicht bloss blindlings einer Parole folgt, der Mühe werth, einmal nachzusehen, was Christus selbst über diese so viel besprochenen Institutionen Staat und Kirche und ihr Verhältniss zu einander geäussert hat. Ueber dieses Letztere direkt nichts, sonst Folgendes:

Ev. Math. Vl, 24. Niemand kann zwei Herren dienen.

XIII, 37–40. Das Reich Gottes wird nie ausschliesslich auf der Welt bestehen.

XV, 6—8. 20. Alle äussern gottesdienstlichen Formen sind gleichgültiger Natur.

XV, 24. Seine eigene Mission ist an sein eigenes Volk gerichtet, der Patriotismus ist also etwas Berechtigtes und Niemand darf sich dessen entäussern aus angeblich höhern Gesichtspunkten.

XVI, 17. 18. 21. Die Wahrheit kann nicht von Menschen gelehrt werden, die Verfolgung aber der Wahrheit ging von der damaligen Kirche aus. Vgl. XX, 18.

XVII, 27. Die staatlichen Vorschriften sind zu respektiren, selbst wo sie ungerecht sind.

XVIII, 1-3. Hierarchische Ueber- und Unterordnung gibt es im Reiche Gottes keine.

XVIII, 19. 20. Eine gottgefällige religiöse Genossenschaft könnte ebensogut aus zwei oder drei Menschen bestehen, wie aus Vielen.

XX, 25-27. In der Kirche kann es keine Gewalt und gesetzliche Autorität geben. cf. Johannes Kap. III. Das Reich Gottes ist eine völlig innerliche Sache. (cf. Joh. IV, 24. V, 34. XVIII, 36 und verschmäht alle äussere Herrschaft. VI, 15.)

XXII, 9-14. Die Kirche besteht auch selber gar nicht aus lauter Gerechten, ist also nicht eine vollkommene Gesellschaft.

Das ganze XXIII. Kapitel ist nur Eine förmliche Predigt gegen alle kirchliche Autorität und Hierarchie.

getheiltes Reich von zwei Schwertern, das thatsächlich stets «mit sich selbst uneins ist und daher nicht bestehen kann.» Das Individuum, der einzelne Mensch,

Math. VII, 28-29. Markus I, 22. Die Lehrart Christi war nicht die eines Gelehrten, also nicht mit unserer Theologie zn vergleichen.

Markus III, 28. Selbst Diejenigen, die keinerlei Glauben an Cebersinnliches haben, oder Christus verspotten, sind leichter zu retten, als Die, welche einen von der Natur unabhängigen Geist leugnen. cf. Lukas XII, 10.

III, 24. Ein getheiltes Reich kann nicht bestehen. cf. Lukas XI, 17.

XII, 17. Die staatlichen Einrichtungen der Zeit haben mit dem Gottesdienst nichts zu thun und hindern ihn nicht. cf. Lukas XX, 25.

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Lukas IV, 4. Das menschliche Leben ist nicht bloss eine Magenfrage ».

VII, 25. Die Höfe und die vornehme Gesellschaft überhaupt sind schwerlich jemals der Aufenthalt des wahren Glaubens. Denn:

XVI, 15. << Was hoch ist unter den Menschen, das ist ein Gräuel vor Gott ».

X, 22. XI, 36. Theologische Spekulationen über das Wesen Gottes und Christi sind gänzlich unfruchtbar und werthlos. ef. XX, 46 und Math. XI, 27.

XVII, 20. XVIII, 17. Die civitas Dei besteht nicht in äusserlich sichtbarer Form. Und die sie nicht wie Kinder nehmen, also ganz ohne theologische oder philosophische Spekulation. kommen nicht hinein. Am allerwenigsten die Weisen und Klugen », cf. Math. XI, 25. XVIII, 3. Markus III, 33–35.

XXII, 25. Alle äussere Gewalt und Macht ist Sache des Staates.

XXIII, 9. XIII, 32 enthalten die grösste, aber bloss passive Opposition gegen den Landesfürsten. Dagegen wird selbst die römische Usurpation als eine von Gott anerkannte Obrigkeit erklärt: Joh. XIX, 11.

Lukas IX. 55. Geistliche Gerichtsbarkeit ist nirgends vorgeschrieben. cf. Joh. VIII, 11. XII, 47. Die geistliche Gesetzgebung ist überhaupt ein Nothbehelf. Markus X, 5. Die Kirche kann

nicht die Gesellschaft, ist der natürliche Träger der christlichen Gedanken auf Erden. ') In ihm sollen sie immer neu in jeder Generation zum Durchbruch gelangen und auf diese Weise allmälig und innerlich den Egoismus überwinden, auf dem das gewöhnliche menschliche Dasein im Einzelnen und in dem gesellschaftlichen Zustande beruht. Diese religiösen Ideen werden zwar stets auch eine Form von Gemeinschaft suchen, weil der Mensch eben in allen seinen Gedanken nach Gemeinschaft strebt. Aber die Gemeinschaft ist nicht das Wesentliche dabei. Das Wesentliche ist die volle innere Wahrheit des individuellen Lebens, d. h. die persönliche Ueberzeugung und die Willensrichtung, ohne die alle Gemeinschaft nichts hilft. Die relativ beste Art der kirchlichen Organisation ist diejenige, welche dieser innern Ueberzeugung am meisten Vorschub leistet und am wenigsten Heuchelei oder blossen Formalismus erzeugt, welche die grössten

vollends nicht in weltlichen Dingen Richter sein wollen. Ev. Luc. XII. 13.

Joh. V, 41-44. Der christliche Glaube ist mit Ehrgeiz absolut unvereinbar, ebenso mit Habsucht; vgl. Lukas XVIII, 25. Math. VI, 19.

Ueber diesen authentischen und hinreichend verständlichen Aeusserungen haben nun 19 Jahrhunderte ein ungeheures, immer neu diskutirtes Lehrgebäude von sogenanntem Kirchenrecht » aufgerichtet, das ihnen oft schnurgerade widerspricht. Nicht mit Unrecht sagt daher ein Gelehrter unserer Tage: Unsere Gedanken über Christus und sein Werk interessiren uns weit mehr als die seinigen.

1) Charakteristisch dafür, dass es auch unter der Herrschaft des neuen Bundes » keineswegs auf irgend eine Zugehörigkeit zu einer Kirche ankommt, sondern die Reinheit der Absicht des Einzelnen eine direkte Verbindung mit Gott bewerkstelligen kann, die keiner Mittelspersonen bedarf, ist die Erzählung in Apostelgesch. Kap. X.

Feinde alles wahren kirchlichen Lebens sind. 1) Ist aber einmal irgendwo eine solche societas minus imperfecta vorhanden, so wird sie ihren bewegenden Einfluss auf den Staat, der die naturgemässe Organisation der Gesellschaft für die Zwecke des nichtreligiösen Lebens ist, auch ohne besondere äussere Machtmittel nicht verfehlen, da ja die beiden Genossenschaften aus den nämlichen menschlichen Individuen bestehen, deren wirkliche Ueberzeugung von den Endzwecken des menschlichen Lebens nicht eine doppelte sein kann. 2)

Sie scheint3) es jetzt vielfach geworden zu sein; sonst, wenn die Kirche Christi ihre Pflicht thäte und seit jeher gethan hätte, gäbe es keinen Sozialismus. Derselbe ist unseres Erachtens der offenbare Beweis und die Strafe dafür, dass Staat und Kirche, namentlich aber die letztere, ihre Schuldigkeit gegenüber den Armen und

1) Es ist diess auch, nebenbei gesagt, das einzige Prinzip, das ein friedliches Nebeneinanderbestehen verschiedener, vollkommen unabhängiger Staaten und Kirchen ermöglicht, während Ultramontanismus und Sozialismus ihrer Natur nach international sind, Weltstaaten und Weltkirchen erheischen.

2) Wenn die Kirche den Staat nicht geistig beeinflusst, so beweist diess zuallernächst immer nur, dass es ihr selber an innerer Kraft und Wahrheit fehlt. Daher räth ein Prediger der Gegenwart nicht mit Unrecht: «Bringet erst den geistlichen Theil der Religion in Ordnung, das Uebrige wird dann von selber nachfolgen. »

3) Sie scheint es zwar nur. Die meisten Menschen der heutigen Zeit, besonders in den sog. gebildeten Klassen, haben gar keine feste religiöse Ueberzeugung, und wenn sie in diesem Zweifelzustand keine Befriedigung finden, so suchen sie auch nicht eine solche (die sich finden lässt), sondern eine Autorität, die leichter zu finden ist.

Elenden versäumt haben, so dass sie nun daran erinnert werden müssen. Das ist das wahre Wesen des Sozialismus, dass er eine Zuchtruthe an unserem Geschlecht ist. Damit ist er auch gottgewollt (so gut wie der Krieg es unter Umständen sein kann) und hat einstweilen ein Recht, zu bestehen. Daraus fliesst auch seine Kraft, die ihn wie ein drohendes Verhängniss über Völkern, die falsche Wege wandeln, sich erheben lässt und unwiderstehlich auf Augenblicke der Weltgeschichte macht. Niemals aber könnte ein materialistischer Sozials taat in irgend einer Form Bestand haben, noch ist überhaupt ein gesellschaftlicher Zustand denkbar, der bloss auf der sogenannten « Magenfrage » aufgebaut ist und alle geistigen Interessen der Menschheit derselben nachsetzt.

Wir bestreiten die unzweifelhaften Mängel des bestehenden gesellschaftlichen Zustandes nicht, aber die meisten der vorgeschlagenen Heilmittel würden noch schlimmer und unerträglicher sein als diese Uebel.

Zunächst ist es nicht das Kapital in Privathand, das allein die jetzigen Uebelstände verursacht, und der Uebergang desselben in Staatshände würde nichts verbessern. Denn, ganz abgesehen von den ungeheuren Schwierigkeiten eines solchen kolossalen Besitzwechsels, ist der Staat, wie überhaupt jede juristische Person, ein strengerer Gläubiger als der Privatmann für die Geldbedürftigen. Ein nicht ganz unerheblicher Theil der Beschwerden dieser Klasse rührt gerade daher, dass in unserer Zeit an die Stelle des patriarchalischen, in manchen Fällen wahrhaft menschlich-freundlichen Verhältnisses zwischen Gläubiger und Schuldner von solchen Rücksichten befreite Geldinstitute getreten sind. Die gegenseitige Hülfsbedürftigkeit

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