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Annalen

der

Stände Verhandlungen.

Europ. Annalen 2tes St. 1816. (Stände:Verhandl.)

Einleitung.

Der Anwachs der bürgerlichen Gesellschaften entwickelt von Zeit zu Zeit neue gesellschaftliche Bedürfnisse, die, ans fangs nur dunkel gefühlt, den Menschen zur Befriedigung derselben gleichsam nur durch politischen Instinkt treiben. Sezen sich der Befriedigung Hindernisse in den Weg, so schwillt die Masse der unbefriedigten Kräfte zu einer Hdhe an, wo wenn die Bedürfnisse in der Natur des Menschen wirklich gegründet sind, ein gewaltsamer Ausbruch noth, wendig erfolgen muß. Man nennt diese Ausbrüche, wenn sie mit einer allgemeinen Völker-Bewegung verbunden sind, und von einem idealen Grundsäße ausgehen, Weltkama pfe, und solcher Weltkämpfe zählen wir drey: die Kreuzzüge, den Reformationskrieg und den Revolus tions: oder Feodalitätskrieg.

Jeder dieser Kämpfe bereicherte wieder das Gebiet der menschlichen Kenntnisse mit einigen, wenigen, Säßen und Ansichten, die, als Erzeugnisse der gåhrenden Zeit, durch keine menschliche Macht vernichtet werden konnten, und jedesmal eine Umformung der gesellschaftlichen Verhältnisse gebie terisch erheischten. So haben die Kreuzzüge den foge= nannten dritten Stand in's Daseyn gerufen, und ihm das Gefühl seiner bürgerlichen Rechte und seiner Wichtigkeit eingeimpft. Der Reformationskrieg errang ihm die re ligiöse Freyheit, und eröffnete dadurch ein neues Reich geisti ger Ansichten, die bald den beschränkten Zustand der bür gerlichen Gesellschaften fühlbarer machten, und mittelbar

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den Revolutionskrieg herbeyführten, der die feoda len und merkantilischen Bande sprengen sollte. Scheint gleich dieser Zweck auf einige Zeit ausgesezt zu seyn, so hat doch

dieser Kampf eine solche Masse neuer politischer Ansichten entwickelt und durch alle Bürgerklassen aller Völker verbreitet, daß der genannte Zweck moralisch nothwendig erreicht werden wird. Wir wollen versuchen, die Ausbeute des legten Kampfes an neuen gesellschaftlichen Ansichten in Kürze zusammen zu stellen; es sind eben so viele Pråmiffen, aus denen man die Ereignisse der nächsten Zeit mit Zuversicht folgern kann.

Das Bedürfniß einer kriegerischen Erziehung der Völker, da die Erfahrung an uns selbst gezeigt, daß senz timentale Weichlichkeit und der Hang, die Lösung metaphysi= scher Fragen und Zurückgezogenheit von allem praktischen Leben als das höchste anzusehen, die Völker zur Unterjochung reift; die Nothwendigkeit der gleichen Besteurung und gleichen Gerechtigkeitspflege für alle Klass fen der Slaatsbürger, jene der Aufhebung oder Einlösung feodaler Vorrechte, die, in Zeiten entstanden, wo der Adel den Krieg auf seine Kosten führen musste, von dem Augenblicke an drückend und ungerecht wurden, wo die Laft des Kriegführens (und selbst die Last der Besteurung) vorzüglich den Landbebauer traf; die Ueberzeugungen, daß eine auf bür= gerliche und religiöse Freyheit, auf Theilnahme des Volks am Besteurungs- und Gesetzgebungsrechte, und auf Volksvertre tung gegründete monarchische Verfassung die möglich beste fey; daß die einzig vortheilhafte Volksvertre tung aus allen Volksklassen, und nicht aus einigen privilegirten Kasten hervorgehen müsse; daß es Grund fåhe eines natürlichen Volksrechts (nicht nur Völs kerrechts) gåbe, deren Verlegung jeder Eroberer schwer büffen müsse. Solche angeborne Volksrechte sind: Selbst: ständigkeit unter einheimischen Königen; Besitz der Seeküsten und der Mündungen der einheimischen Flüsse; Freyheit des Meers, dieser großen Völkerstraße; Unverleßlichkeit des Privateigenthums in Seekriegen wie in Landkriegen; Frey: heit der Ladung unter neutraler Flagge; Preßfreyheit und

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Achtung der moralischen Volksthümlichkeit; Konsolidirung nach gemeinschaftlicher Abstammung, und Begrånzung nach Sprachen und Wasserscheiden Dieses sind die Ansichten und Grundsäße, welche so viele Heldentode der Menschheit erkauften. Auf diese Grundfäße foll ein neuer Bau der bürgerlichen Gesellschaft aufgeführt werden. Gebaut wird, daran ist kein Zweifel, denn es liegt die Bestätigung vor unsern Augen; und wenn wir allenthalben jene Grundfåge anerkannt und zu Grundlagen des neuen Baues ange= nommen fåhen, so könnten wir unbekümmert die Entwicklung der neuen gesellschaftlichen Formen abwarten. Allein so ist es nicht.

Eine Partey, für die 25 Jahre großer Erscheinungen fruchtlos sich abrollten, will'sie für nicht dagewesen erklåren, weil sie ihren Privilegien verderblich waren; eine ganze Generation, die in einer neuen Schöpfung entstanden und gelebt, foll in die Trümmer der alten hinabsteigen, und da ihren Himmel finden; beugen soll sich die Willensstärke der unendli chen Mehrzahl vor dem Eigensinn der schwächlichen Minderzahl. Sie erklärt sich gegen gleiche Besteurung und gleiche Gerechtigkeitspflege, und, erzürnt, daß Völker und Könige aneins ander sich schließen, weil diese Eintracht beyde gerettet, drångt sie sich als unberufener Volksvertreter zwischen beyde und ruft:,,Nicht für eure Selbstständigkeit ward der lange ,,Kampf gekämpft, sondern für Wiederherstellung meiner ,,Herrschaft über euch beyde; nicht die magna charta foll gel.,ten, die Gott in jedes Menschen Herz geschrieben, sondern ,,nur das, was meine Pergamente besagen." Aber diese Partey ist nicht die einzige, welche dem Wohlseyn der Völker und ihrer Eintracht mit ihren Herrschern im Wege steht; demokratische Bewegungen drohen wieder, die hablose Menge in ihre Wirbel zu ziehen; Ehrgeiz will den erwachten kriegerischen Geist der Völker zu Eroberungen verleiten; merkantile Habsucht wirft die natürlichen Volksrechte, kaum dem bluti

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