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Der russische Kanzler fasst seine Ausführungen folgender

massen zusammen:

Notre Auguste Maître ne saurait admettre, en droit, que des Traités, enfreints dans plusieurs de leurs clauses essentielles et générales, demeurent obligatoires dans celles qui touchent aux intérêts directs de son Empire. 1)

Es gelang Russland sodann in dem Pontusvertrag vom 13. März 1871, die Aufhebung der Artikel 11, 13, 14 und des Abkommens mit der Pforte im Pariser Frieden durchzudrücken, sodass dieser Vertrag die Grundlage der jetzigen völkerrechtlichen Lage des schwarzen Meeres bildet.

§ 5.

Die Völkerrechtliche Lage des schwarzen Meeres

in der Gegenwart.

Die Bestimmungen über die völkerrechtliche Lage des schwarzen Meeres sind verschieden in Zeiten des Friedens und des Krieges.

Allgemein ist der Pontus der Handelsschiffahrt aller Nationen frei und gleichmässig geöffnet.

Da die Neutralisation des schwarzen Meeres durch den Pontusvertrag aufgehoben und dieses den Rechtcharakter des mare liberum angenommen hat, dürften eigentlich die Kriegsschiffe aller Nationen sich dort aufhalten.2) Da jedoch der

1) Strupp I, S. 285.

2) cfr. später.

Meerengenvertrag die Dardanellen und den Bosporus für alle nichttürkischen Kriegsschiffe mit Ausnahme der vertraglich festgesetzten Fälle schliesst, können nur die Kriegsschiffe der Uiermächte Russland, Bulgarien, Rumänien und Türkei das schwarze Meer in Friedenszeiten befahren. Diesen Mächten steht auch natürlicherweise das Recht zu, auf ihren Küstengebieten militärische und maritime Arsenale zu errichten und über die Küstengewässer eine beschränkte Gebietshoheit auszuüben. Zu den erwähnten Ausnahmen gehört zunächst das Recht der Signatarmächte des Pariser Friedens je zwei Stationsschiffe an der Donaumündung zu halten und das Recht leichte Kriegsschiffe im Dienst der Gesandtschaften in Konstantinopel durch die Meerengen zu senden. Ausserdem ist der Hohen Pforte durch das Londoner Protokoll als Aequivalent für die Aufhebung der Neutralisation des schwarzen Meeres das Recht erteilt worden, Kriegsschiffen „des puissances amies et alliées" in Friedenszeiten die Meerengen zu öffnen, falls sie es zur Aufrechterhaltung der Bestimmungen des Pariser Friedens für notwendig erachtet. Aus diesem Artikel der offensichtlich gegen Russland gerichtet ist, geht hervor, dass auch in Friedenszeiten Kriegsschiffe der Westmächte in das schwarze Meer einfahren dürfen d. h. vor Ausbruch eines Krieges, um entweder die Bestimmung des Pariser Friedens aufrecht zu erhalten, oder richtiger gesagt, um in einem drohenden Kriege der Türkei beizustehen, da ja im Frieden keine wirkliche Gefahr für die Bestimmungen des Pariser Friedens bestehen kann.

Welche Bestimmungen des Pariser Friedens gemeint sind, ist nicht gesagt, doch geht aus dem Gang der Verhandlung hervor, dass man Art. 7 im Auge hatte, der von der Unabhängigkeit und Integrität des osmanischen Reiches handelt.')

Da der Krieg der Hohen Pforte die freie Handhabung der Meerengenschliessung und Oeffnung zugesteht, ist es wohl möglich, dass von dieser die Meerengen den Kriegsschiffen seiner Verbündeten geöffnet werden können, sodass diese in

1) Goriainow, pag. 297.

das schwarze Meer einfahren können, um dort gegen die Flotte der türkischen Feinde zu kämpfen. Die Annahme, das schwarze Meer könne nicht Kriegsschauplatz sein, entbehrt jeder Begründung und wird am besten durch das Bombardement der bulgarischen Hafenstadt Varna seitens der Türken widerlegt, ohne dass irgendwelcher Widerspruch der Grossmächte erfolgte. Natürlich gelten auch hier die Küstengewässer der Neutralen als neutrales Gebiet, in denen keine kriegerische Handlung vorgenommen werden darf 1). Auch steht den neutralen Mächten das Recht zu, zur Wahrung ihrer Neutralität Schutzmassnahmen in den Küstengewässern zu treffen, z. B. Minen zu legen, soweit sie den vertraglich festgesetzten technischen Anforderungen genügen.

Das schwarze Meer befindet sich in der eigentümlichen Lage, dass es, obgleich vom theoretischen Standpunkt ein mare liberum, praktisch im gewissen Sinne ein mare clausum ist. Internationale Verträge beschränken aus rein politischen Gründen die natürliche Bestimmung des schwarzen Meeres zur vollen Ausnützung der Kriegsflotten seiner Uferstaaten zu dienen und verhindern aussenstehende Staaten in der Ausübung des Rechts, ihre Feinde, in diesem Falle Russland, Bulgarien, Rumänien, in deren Gewässern anzugreifen, solange die Hohe Pforte neutral bleibt.

1) Liszt, § 9 Abs. II.

B. Der Bosporus und die

Dardanellen.

§ 6.

Einleitung.

Die Völkerrechtliche Lage der Meerengen ist eins der am meisten bestrittenen Probleme des Völkerrechts, da sich hier viele widerstreitende Interessen treffen, die alle eine Berechitigung haben. Der Staat, durch dessen Landgebiet Meerengen führen, ist natürlicherweise bestrebt, diese Gewässer seiner vollen Souveränität, unter Ausschaltung jeder fremden Einwirkung, zu unterstellen. Dem entgegengesetzt richtet sich das Trachten aller anderen Nationen danach, Meerengen, die Teile des Ozeans verbinden, der uneingeschränkten Beherrschung durch den Besitzerstaat zu entziehen, um so ihr Interesse an der freien Schiffahrt zur Geltung zu bringen. Der Zwiespalt dieser Interessen tritt besonders scharf hervor, sowie ein Meerengenbesitzerstaat im Kriegsfall zu seiner Sicherheit Vorkehrungen trifft, die den neutralen Handel unterbinden und damit die Frage aufkommt, ob die Rechte der Neutralen über die der Kriegführenden zu stellen sind.

Bisher hat das theoretische Völkerrecht keine Verschmelzung beider Interessen herstellen können. Man ist geteilter Ansicht darüber, ob hier das Verkehrsinteresse der ganzen Welt über die nationalen Forderungen und Rechte eines Volkes zu stellen ist und in welchem Umfang diese eventuell zugestan

denen Rechte gelten sollen. Allgemein angestrebt wird die Verkehrsfreiheit in Meerengen. Internationale Verträge haben teilweise Rechtsformen geschaffen, doch sind die Bestimmungen nicht einander gleich, da die Konventionen, teils aus wirtschaftlichen, teils aus politischen Gründen von Fall zu Fa!! geschlossen, verschiedenen Zwecken Rechnung tragen.

Im folgenden will nun der Verfasser versuchen, die Meerengenfrage rein theoretisch zu entwickeln und an dem gewonnenen Gesichtspunkt die völkerrechtliche Entwicklung des Bosporus und der Dardanellen zu bemessen, sowie die gegenwärtige Rechtslage, wie sie durch internationale Verträge festgelegt ist, zu fixieren.

§ 7.

Freie Meerengen.

Für die völkerrechtliche Bedeutung und Rechtslage von Meerengen ist ihre geographische Lage und Beschaffenheit bestimmend. Von Interesse für eine theoretische Beurteilung sind überhaupt nur gewisse Arten von Meerengen 1), während die übrigen ausgeschieden werden, da sie der offenen, also unbedingt freien See, gleichgestellt werden. Zu diesen gehören solche Verbindungsstrassen zwischen offenen Meeren, die zu breit sind, als dass sie von Strandbatterien beherrscht werden könnten. In diesem Falle steht den Uferstaaten über die Küstengewässer eine beschränkte Souveränität zu, während die dazwischenliegende Wasserfläche als freies Meer anzusehen ist 2). Es kommen also nur Meerengen in Betracht die

1) Westlake, pag. 93.

2) Encyclopädie der Rechtswissenschaft, Bd. II, S. 1014; Hall, S. 161.

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