Wenn also in Meerengen, die zwar Eigengewässer sind, aber freie Meere verbinden, die unbeschränkte Gebietshoheit des Staates im Frieden durch das Verkehrsprinzip eingeschränkt wird, so muss ihm erst recht die Möglichkeit gegeben sein, kraft seiner Gebietshoheit zu seiner eigenen Verteidigung und Sicherheit Massnahmen zu treffen. Dazu würde mit Bezug auf fremde Kriegsschiffe eine Fahrtordnung gehören, die genaue Bestimmungen über Anmeldung, Anzahl, Fahrt und Aufenthalt etc. trifft, wodurch es dem betreffenden Staat möglich würde, verdächtige Schiffe während der Durchfahrt zu beobachten und eventuell die Passage gar nicht zu gestatten, wenn er Feindseligkeiten erwartet. Eine erhöhte Bedeutung gewinnt der Gegensatz zwischen den nationalen Interessen des Meerengenbesitzerstaates und dem Recht auf passage innocent der übrigen Völker, wenn jener sich im Kriegszustande befindet. Auch hier stellen namhafte Völkerrechtslehrer die Forderung, dass Meerengen für den Weltverkehr frei bleiben müssen, da die Neutralen den Krieg garnicht gewollt haben, folglich ihre Interessen nicht geschädigt werden dürfen. Verfasser kann sich dem nicht anschliessen und gesteht dem Meerengenbesitzerstaat, sowie er sich im Kriege befindet, das Recht zu, in seinen Eigengewässern alle Mittel zur Verteidigung und Wahrung seiner Interessen anzuwenden. Dazu gehört die Sperrung von Meerengen. Hier müssen die Interessen der neutralen Schiffahrt, vor dem Recht und der Pflicht des Meerengenstaates, die weitgehendsten Sicherheitsmassnahmen zu seiner Verteidigung zu treffen, zurücktreten. Wenn die gegenteilige Ansicht dem Staat in Friedenszeiten gestattet, zur Sicherstellung seines Landgebiets, zur Wahrung der Zoll-, Steuer-, Verkehrs- und Gesundheitsordnung Vorkehrungen zu treffen, wie er sie für ausreichend hält und wenn ferner einem neutralen Staat zu seiner Sicherheit und zur Wahrung seiner Neutralität gegen die Kriegführenden das Recht eingeräumt wird, seine Küstengewässer durch Ausstreuen von Minen zu schützen, muss doci wohl mit gleicher Berechtigung verlangt werden, dass ein Staat im Kriege der jederzeit drohenden Gefahr mit allen Mittein begegnen darf. Dazu gehört, dass er im Kriegszustande Meerengen die, in ihrer ganzen Breite Küstengewässer, sein Landgebiet durchschneiden und im Bereich seiner Kanonen liegen, für jeden Verkehr sperren darf. In diesem Sinne hat auch das Völkerrechtsinstitut und die zweite Haager Friedenskonferenz 1907 bei Verhandlung über das Legen von Minen entschieden. Holland stellte den Antrag: „En tous cas les détroits qui unissent deux mers libres ne peuvent pas être barrés"). Der Antrag fand lebhaften Widerspruch, indem auf Beeinträchtigung der Souveränität hingewiesen wurde und ferner darauf, diese Bestimmung sei,,découlant des stipulations conventionelles au sujet des certains détroits. Nachdem auch Japans Bevollmächtigter gegen den Holländischen Vorschlag gesprochen hatte, allerdings den Wunsch äusserte, dass Meerengen auch im Kriege nach Möglichkeit offen bleiben sollten, erklärte der russische Gesandte ,,Que, le régime de certains détroits étant reglé par des traités speciaux, basées sur des considérations politiques, les stipulations concernant ces détroits ne peuvent faire l'objet d'une discussion . . . Je suis chargé de déclarer ... que la question du régime des détroits unissant de mers libres ne rentre pas dans la compétance de la conférence et que la délégation Impériale ne pourra participer à la discussion d'aucune des propositions y relatives.") Bei der Beratung des Artikels 3 (6) der Minenkonvention: ,,Bei Verwendung von verankerten Minen sind für die Sicherheit der friedlichen Schiffahrt alle möglichen Vorsichtsmassregeln zu treffen", gab der türkische Bevollmächtigte folgendem Rückhalt der Hohen Pforte Ausdruck: La Délégation Impériale Ottomane croit de son devoir de déclarer qu'étant comme la situation exceptionelle créé par les traités en vigeur aux détroits des Dardanelles et au Bosphore, détroits qui sont partie intégrante du territoire, le gouvernement impérial ne saurait d'aucune façon prendre un engagement quelconque 1) Actes et documents de la Conférence de le Haye 1907 Bd. 3, Anhang XII, pag. 262. 2) Actes et documents de la Conférence de la Haye 1907, Bd. 3, pag. 406. tendant à limiter les moyens de défense qu'il pourrait juger nécessaire d'employer pour ces détroits en cas de guerre, ou dans le but de faire respecter sa neutralité.1) Auf Grund dieser Einwände kam das Komitee zu dem Entschluss, keine Ausnahmebestimmungen betreffend die Meerengensperrung zu treffen. Sie dürfen also von dem Besitzerstaat durch Minen gesperrt werden, soweit diese den technischen Anforderungen der durch das Haager Abkommen von 1907 festgestellten Minengesetze nicht widersprechen.") Völkerrechtswidrig wäre dagegen eine Blockade der Dardanellen und des Bosporus durch feindliche Flotten3) und eine Absperrung durch Minen) von türkenfeindlicher Seite, da dadurch nur der Handel der Neutralen unterbunden würde. 1) Actes et documents de la Conférence de la Haye 1907, Bd. 3, pag. 287. 2) Abkommen VIII der 2. Haager Friedenskonferenz bestimmt: Art. 1. Es ist untersagt: 1. Unverankerte selbsttätige Kontaktminen zu legen, ausser wenn diese so eingerichtet sind, dass sie spätestens eine Stunde nachdem der sie Legende die Aufsicht über sie verloren hat, unschädlich werden. 2. Verankerte selbsttätige Kontaktminen zu legen, wenn diese nicht unschädlich werden, sobald sie sich von ihrer Verankerung losgerissen haben. von 3. Torpedos zu verwenden, wenn diese nicht unschädlich werden, nachdem sie ihr Ziel verfehlt haben. Gezeichnet wurde dieses Abkommen von 7 Staaten Russland nicht. Vorbehalte machten Türkei, Grossbritannien, Deutschland, Frankreich. Ratifiziert haben von den Grossmächten Deutschland, Amerika, Oesterreich, Frankreich, England. 3) Art. II des VIII. Abkommen der zweiten Haager Friedenskonferenz sagt: "Es ist untersagt, vor den Küsten und Häfen des Gegners selbsttätige Kontaktminen zu legen, zu dem alleinigen Zwecke, die Handelsschiffahrt zu unterbinden. 4) Ausgeschlossen ist die Blockierung eines Teils der offenen See, sowie einer offenen Meerenge. Liszt § 41 IVb. 87 § 10. Entwicklung der völkerrechtlichen Lage des Bosporus a) Bis zum Frieden von Kutschuk-Kajnardji 1774. Die Rechtslage der Meerengen von Konstantinopel, unter den oben dargelegten Grundsätzen des Völkerrechts betrachtet, hat im Laufe der Jahrhunderte als Folge der wechselnden völkerrechtlichen Stellung des schwarzen Meeres Veränderungen erfahren. Als die Türken 1357 Galipolis an der Meerenge erobert und befestigt hatten, suchten sie den Handel der westeuropäischen Staaten nach dem schwarzen Meere ganz zu verhindern oder nach Möglichkeit zu unterbinden.1) Sobald sie am Ausgang des 15. Jahrhunderts in den Besitz der ganzen Küste des Pontus gekommen waren, erhoben sie zur Grundregel des ottomanischen Reiches das Verbot für jede aussertürkische Schiffahrt im schwarzen Meer. Um diese Massregel streng durchführen zu können, wurde auch der Bosporus für fremde Schiffe geschlossen. Dagegen blieb der Verkehr vom Mittelmeer bis Konstantinopel unbehelligt. Der Sultan machte also von seinem Souveränitätsrecht, über die Zulassung Staatsfremder zur Schiffahrt in seinen Eigengewässern unabhängig zu entscheiden,) für den Bosporus Gebrauch, nachdem sich die Türken eine genügende Flotte geschaffen hatten und 1) Vgl. oben I, S. 16. 2) Liszt, § 904. daher keine stipulations spéciales für die Schiffahrt auf dem schwarzen Meere zu gewähren brauchten. Es handelte sich in dieser Zeit darum, durch Sperrung des Bosporus der türkischen Seehandelsschiffahrt im schwarzen Meer die Monopolstellung zu sichern. Dass der Ausschluss fremder Schiffe nicht ganz durchgeführt wurde, da die Dardanellen offen blieben, erklärt sich daraus, dass Konstantinopel als Umschlaghafen eine bedeutende Rolle spielte. Aus der Geschichte des 16. bis 18. Jahrhunderts geht hervor, dass die Hohe Pforte unentwegt die alte Regel des ottomanischen Reiches auf Grund ihres Souveränitätsrechtes, schroff durchführte, und dass alle diplomatischen Künste, für die Schiffahrt ihres Landes Sonderrechte zu erlangen, namentlich vonseiten der französischen Gesandten, an der türkischen Unnachgiebigkeit scheiterten. Der Vertrag von 1609, durch den Thomas Roe für England Holland folgte 1612 das Recht erwarb, dass englische Kaufleute auf türkischen Schiffen im schwarzen Meer und im Bosporus Handel treiben durften, durchbrach die alte ottomanische Regel nicht, da fremde Fahrzeuge nicht zugelassen wurden. Es beweist im Gegenteil, wie fest die Hohe Pforte an dem Grundsatz des geschlossenen schwarzen Meeres festhalten wollte und zu diesem Zweck auch den Bosporus sperrte. Des weiteren ist dieser Vertrag ein Beleg dafür, dass ein Staat nur dann das Bestimmungsrecht über seine Eigengewässer verliert, wenn er freiwillig oder gezwungen vertraglich verzichtet. Dadurch, dass die europäischen Mächte sich überhaupt auf diese Vertragsbasis einliessen, erkannten sie der Hohen Pforte das Selbstbestimmungsrecht über ihre Eigengewässer zu. Das Recht, alle Souveränitätsrechte über die Meerengen auszuüben, stand der Türkei nach dem theoretischen Völkerrecht so lange zu, als die Dardanellen und der Bosporus in das türkische Territorialmeer, den Pontus Euxinus führten, also bis zum Jahre 1774. |