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V. Das Verhältniss der Eidgenossenschaft zu Frankreich Ende der II. Periode. A. Die allgemein politischen Beziehungen zwischen Frankreich und der Eidgenossenschaft.

Von jeher war Frankreich darauf ausgegangen, die Schweiz unter seinen Einfluss zu bringen. Immer war es Frankreich gewesen, das die Beziehungen zwischen Frankreich und der Schweiz möglichst eng zu knüpfen gesucht. Seit der Schlacht bei St. Jakob an der Birs, WO es die militärische Tüchtigkeit der Schweizer zum ersten Male kennen und schätzen gelernt, waren seine Bestrebungen unablässig darauf gerichtet, so viel Schweizer als nur möglich in den Kriegen gegen seine Feinde zu verwenden. Ohne die vielen Schweizersöldner hätte Frankreich niemals eine so kühne Politik verfolgen können, und es schraubte dieselbe jeweilen um so höher, je mehr Schweizer unter seinen Fahnen dienten. Der politische Vortheil Frankreichs an der Verbindung mit der Schweiz war zu allen Zeiten ein enormer gewesen. Von jeher aber war die gänzliche und unbeschränkte Realisirung dieses Vortheils an den nationalen Interessen der Schweiz gescheitert.

Zwar hatte auch die Schweiz ein grosses Interesse an diesem freundnachbarlichen Verhältnisse; seit ebenso langer Zeit als Frankreich auf ihre krieggeübten Bürger, war die Schweiz auf das französische Geld, auf die französischen Produkte und auf den ergiebigen französischen Handel angewiesen. Ein gegenseitiger Austausch dieser Vortheile unter den beiden Ländern war somit wie von selbst gegeben. Zur Regulirung desselben. sehen wir Frankreich und die Schweiz schon seit Mitte des 15. und namentlich seit dem Anfang des 16. Jahr

hunderts Verträge abschliessen, die in der Folge stets wieder erneuert wurden. Allein so lange die Schweiz ein selbstständiger Staat war, konnte sie nicht immer, konnte sie nicht unbedingt der Politik Frankreichs dienen, wenn dieses ihr noch so grosse ökonomische Vortheile bot. Als ein nationales Gemeinwesen mit ganz besonderen Interessen musste sie unter allen Umständen dann der Politik Frankreichs entgegentreten, wenn dieselbe ihrer eigenen, nationalen Politik zuwiderlief. Namentlich durften die Eidgenossen bei ihren Verbindungen mit Frankreich folgende zwei Eventualitäten nicht ausser Acht lassen:

1) Frankreich konnte zu mächtig werden und die Eidgenossenschaft selbst in ihrer Existenz bedrohen; dann mussten sie es bekämpfen, statt unterstützen. Oder:

2) Es konnte der Schweiz zeitweise geboten sein, Rücksicht auf andere Staaten zu nehmen, und dann durfte sie Frankreich gar nicht oder nicht in gewohnter Weise mit Truppen unterstützen.

Für beide Fälle aber mussten die Eidgenossen die Hände frei haben, um eine Politik verfolgen zu können, die vor allem und ausschliesslich dem Vortheil des eigenen Staates Rechnung trug. So sehr die Schweizer, als Bewohner eines rauhen und wenig produktiven Landes, die hohe ökonomische Bedeutung Frankreichs für ihren Staat schätzen mussten, ihre Politik durften sie nie, unter keinen Bedingungen, mit der Politik Frankreichs identifiziren, ohne über kurz oder lang in dessen Abhängigkeit zu gerathen.

Diese Erkenntniss liegt dem ewigen Frieden zu Grunde und ebenso dem Widerstreben, unter welchem der Verein schweizerischerseits angenommen wurde.

Dass die Eidgenossen der Annahme des Vereins

einen so hartnäckigen Widerstand entgegengesetzt hatten, trotzdem sein Inhalt für sie sehr günstig war, kennzeichnet am besten die Abneigung, die sie von jeher gehabt, die mit so warmen Worten stets angetragene französische Freundschaft als Grundlage ihrer Politik anzuerkennen.

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Der Verein beschränkte die politische Selbstständigkeit der Schweiz keineswegs; anderseits hatte diese ein grosses Interesse daran, dass Frankreich gegenüber ihrem Erbfeind, dem Hause Habsburg, eine kräftige Politik führe. So lange Frankreich seinen Länderbesitz nicht auszudehnen, seine Macht über einen gewissen Rahmen hinaus nicht zu erweitern suchte, diente es auch den schweizerischen Interessen, indem es die spanisch-österreichische Grossmacht in Schranken hielt. Sofern eine Erhöhung der Macht Frankreichs nöthig war, damit es den spanisch österreichischen Einfluss dämpfen könne, war es für die Schweizer ein Gebot der Klugheit, der höchsteigenen nationalen Politik, Frankreich zu unterstützen. Allerdings, sobald Frankreich zu mächtig und den andern Staaten Europas, wie der Schweiz, gefährlich zu werden drohte, dann musste auch die Schweiz sich gegen Frankreich wenden, ihm seine Truppen entziehen oder es gar bekämpfen helfen. Aber der Verein hinderte die Schweiz durchaus nicht daran. Dieser Vertrag sollte ausdrücklich nur Geltung haben für den Fall, dass der König von Frankreich von andern Staaten angegriffen würde. Nur sofern dritte Staaten den Länderbesitz, die Macht Frankreichs, verringern wollten, sollte, laut dem Verein, die Schweiz höchstens 16,000 Söldner liefern. Wenn Frankreich selbst andere Staaten angriff, wenn es seine Macht auf Kosten von anderen mehren wollte, für diesen Fall hatten die Eidgenossen im Verein ihre Hülfe nicht zugesagt. Ueberdies waren sie einer

jeder Verpflichtung, Hülfe zu leisten, enthoben, wenn sie ihre Bürger in französischen Diensten zur Vertheidigung ihres Landes brauchten. Diese Bestimmungen des Vereins vertrugen sich demnach sehr wohl mit der Selbstständigkeit der Eidgenossenschaft, und sie sind. jedenfalls nicht Schuld daran gewesen, dass unser Vaterland zwei Jahrhunderte später in Abhängigkeit gerieth. Es ist viel mehr zu sagen, dass, wenn formell durch diesen Vertrag die Verbindung zwischen Frankreich und der Eidgenossenschaft enger gestaltet wurde und die Folgen dieser Verbindung sich an den Verein, als den concreten Urheber knüpfen, nichtsdestoweniger das im Verein festgestellte politische Verhältniss zwischen den beiden Staaten durch die damaligen gegenseitigen. Interessen gefordert und nur ein nothwendiges Produkt dieser letzteren war. Wäre der Verein bloss ein Erfolg der politischen Intrigue gewesen, hätte er nicht 3 Jahrhunderte lang die Verhältnisse zwischen 2 unabhängigen Staaten geregelt. Dass er so lange massgebend gewesen ist, beweist eben, wie sehr er von Anfang an in den gegenseitigen Bedürfnissen und Interessen begründet war, denn diese blieben während des 16., 17. und 18. Jahrhunderts im Wesentlichen die gleichen. Es entspricht ganz der concreten Anschauungsweise unserer Vorfahren, wenn sie, statt die bezgl. Zustände selbst, den in seiner Vertragsform fasslicheren Verein zum Gegenstand ihres Unwillens machten; allein wie der Verein eigentlich nichts anderes ist, als der formelle Ausdruck bestehender Zustände, so hat auch die Abneigung gegen denselben eine weit über den Vertragsact hinausgehende Bedeutung. Sie bezeichnet überhaupt die instinktive Furcht, welche die Eidgenossen vor jeder engen politischen Verbindung mit Frankreich hatten. Diese Furcht war um so gerechtfertigter, als sie ihren

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wahren Grund hatte in zwingenden, nach damaliger Anschauung unabänderlichen Verhältnissen. Die Gefahr aber, welche in diesen lag, war ebenso constanter Natur, wie diese Verhältnisse selbst und konnte so wenig als dieselben durch einzelne Rechtsgeschäfte wesentlich verändert d. h. erhöht oder vermindert werden. Denn am allerwenigsten kann man von internationalen Staatsverträgen sagen, dass sie die Beziehungen zwischen den Contrahenten schaffen, sondern sie greifen wesentlich regelnd in dieselben ein und markiren nur die Phasen in deren naturgemässem Entwicklungsprozess. Sodann sollte man auch bezgl. des Vereins nicht übersehen, wie sehr es bei internationalen Verträgen für deren vortheilhafte oder nachtheilige Anwendung auf den Charakter, auf die Tüchtigkeit, auf die Verfassung der beiden Contrahenten ankommt. Auch der nachtheiligste Vertrag wird den gesunden Willen eines Volkes auf die Dauer nicht vernichten können, und der fehlende Wille einer Nation, ihre Interessen zu wahren, kann durch den vortheilhaftesten Vertrag nicht ersetzt werden. Die Verträge zwischen der Eidgenossenschaft und Frankreich von 1521 und 1777 sind in ihren wesentlichen Bestimmungen einander gleich'), aber ebenso wenig als der erstere die Eidgenossen im 16. und 17. Jahrhundert daran hinderte, ihre eigene nationale Politik gegenüber der französischen aufrecht zu erhalten, ebenso wenig

1) Formell ist der Vertrag von 1777 der Eidgenossenschaft günstiger noch als derjenige von 1521, indem der Kriegsdienst im ersteren nicht als die Hauptsache hervorgehoben wird. Dies finden einige Schriftsteller besonders merkwürdig, wir finden es sehr natürlich: Der Kriegsdienste der Schweizer war Frankreich 1777 unbedingt sicher, es hatte also keinen Zweck, das im Vertrag besonders zu stipuliren, was ohnehin schon bestand.

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