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zeigen. Die Personen, welche in diesen Erzählungen handelnd auftreten, begnügen sich nicht damit schlechte Handlungen zu begehen, sondern suchen sie noch durch eine falsche Moral zu vertheidigen. Die gefährlichen Lehren, dass der Zweck die Mittel heiligt, und dass der Körper nicht sündigen kann, finden wir hier; ebenso auch Anweisungen für Courtisanen, wie sie sich ein einträgliches Renommée erwerben und sich bereichern sollen.

Ein Auszug dieses Werkes in Sanskrit erschien 1804 in Serampur (Grässe IV, 995), ein englischer Auszug im Quarterly oriental magazine von Calcutta 1826-1827 und eine französische Uebersetzung von Hippolyte Fauche 1862 in Paris. Ausserdem gibt es auch, wie ich glaube, eine Ausgabe des Originals mit lateinischer und eine deutsche Uebersetzung.

Der erste Theil einer Ausgabe mit kritischen und erklärenden Noten von G. Bühler erschien 1873 in Bombay.

§ 19. Orientalischen Ursprungs scheint auch die Novelle von Nathan und Mitridanes (T. 10 N. 3) zu sein, deren Quelle vielleicht Saadi's Erzählung von Chatemtai und dem. König von Yemen ist. 1) Boccaccio hat wohl Saadi's Werk nicht gekannt, aber solche übertreibende Schilderungen orientalischer Gastfreundschaft wurden von Pilgern und Reisenden gewiss besonders gern und oft wiedererzählt und konnten daher schnellere und weitere Verbreitung als andere Erzählungen finden. Hatemtai's Freigebigkeit wird oft im Divan von Boccaccio's Zeitgenossen Hafis erwähnt, und wird von ihr noch weiter unten bei Besprechung der Novelle von den beiden Freunden (Tag X. N. 8) die Rede sein. *)

1) Fruchtgarten, zweite Pforte. S. 71 der Uebersetzung von Schlechta - Wssehrd. Wien 1852.

2) Ueber Sammlungen von orientalischen Erzählungen und Märchen im Allgemeinen vergl. noch Grässe IV 994-999 und Loiseleur Deslongchamps, Essai historique vor der Ausgabe der 1001 nuits. Paris 1838. Die englische Uebersetzung des persischen Romans Hatemtai, welche Grässe (1. c.) erwähnt, war mir nicht zugänglich.

III. Frankreich.

§ 1. In den französischen Bearbeitungen der Sieben Weisen sehen wir neben dem orientalischen Element schon das europäischritterliche hervortreten. Die romantische ritterliche Poesie entwickelte sich am frühesten und vollständigsten in Frankreich und der Einfluss der französischen Literatur auf die der andern Völker Europa's war im Mittelalter eben so bedeutend wie in der neuesten Zeit.

Die Italiener Martino da Canale und Brunetto Latini fanden, dass die französische Sprache cort parmi le monde et est la plus delitable à lire et à oir que nulle autre und beim deutschen Dichter Rudolf von Ems galt französisch als die Sprache, mit der man leicht durch die Welt kommt. Auf französisch verständigt sich in seinem Gedicht „Der gute Gerhard" der deutsche Kaufmann mit dem Heidenfürsten in Afrika und mit der Prinzessin von Norwegen.

"So sint gesalutiret mir

ich sprach, gramarzi-bêa sir!

(V. 1532-56. 2160-62).

Wie heutzutage ein französisches Buch, kaum dass es in Paris die Presse verlassen, schon in Deutschland und Italien übersetzt wird, so war auch im Mittelalter das Heer der Nachahmer französischer Geistesproducte im Norden, Osten und Süden dieses Landes nicht gering. Damals war aber noch

nicht alles literarische Leben Frankreichs in Paris concentrirt und dieses Land hatte auch nicht den einheitlichen Charakter, den es in den letzten Jahrhunderten angenommen hat. Im Norden machten sich normännische Einflüsse, im Süden spanische und arabische geltend.

Die Loire schied zwei Sprachen und zwei Literaturen, die von einander fast so verschieden waren, wie von der italienischen Sprache und Literatur. Nach der Verschiedenheit des Bejahungswortes nannte man damals die Sprache des nördlichen Frankreichs langue d'oil, die des südlichen langue d'oc und die italienische mitunter di si.

So wie das italienische hatten aber auch beide Sprachen Frankreichs, besonders die nördliche, ihre Dialekte. 1)

Die italienische Sprache hat das Si und ihre ganze damalige Form behalten, die nordfranzösische hat sich seit jener Zeit sehr verändert, man nennt sie jetzt schlechtweg französisch und sagt oui statt oil; die langue d'oc aber, welche, weil sie vorzüglich in der Provence gesprochen wurde, auch provenzalische genannt wird, ist zum Dialekt degradirt worden.

Aber nicht nur in der Sprache, auch in Inhalt und Form unterschied sich die nordfranzösische Poesie von ihrer Schwester im Süden und wenn man von geringen Ausnahmen absieht, so kann man sagen, dass im Norden die Epik, im Süden die Lyrik herrschte. Während im Süden die Troubadours in gekünstelten und gezwungenen Formen in Albas, Serenas und Redondas die Damen ihres Herzens priesen, oder in Tenzons und Sirventesen ihre Feinde verspotteten und verwickelte Rechtsfragen aus dem Codex der Liebe zu lösen suchten, erzählten die Trouvères des Nordens in ihren Lais und Fabliaux, so wie in den endlosen Ritterromanen, in der schlichten und einfachen Form der meistens achtsilbigen Reimpaare Ritter- und Feengeschichten, Wunder und Begebenheiten des alltäglichen

1) P. Daunou, Discours sur l'état des lettres au XIIIe siècle. Paris. s. a. S. 270-1.

Lebens, die listigen Streiche untreuer Frauen und Ehemänner, oder die Leichtfertigkeiten und Betrügereien der Mönche.

Ueber den verschiedenen Charakter der nord- und südfranzösischen Literatur spricht sich Dante wie folgt aus:

Allegat ergo pro se lingua Oil, quod propter sui faciliorem ac delectabiliorem vulgaritatem, quicquid redactum sive inventum est ad vulgare prosaicum, suum est: videlicet biblia cum Trojanorum Romanorumque gestibus compilata et Arturi regis ambages pulcherrimae, et quam plures aliae historiae ac doctrinae. Pro se vero argumentatur alia, scilicet Oc quod vulgares eloquentes in ea primitus poetati sunt, tanquam in perfectiori dulciorique loquela; ut puta Petrus de Alvernia et alii antiquiores doctores.')

Der eigentliche Ritterroman musste bei dem Ansehen, das die Chevalerie genoss, auch in Südfrankreich Interesse haben, und hat dort wohl auch Vertreter gehabt; allein bis jetzt sind nur sehr wenige Ritterromane in provenzalischer Sprache bekannt geworden.

Fauriel wollte freilich den Ursprung aller französischen Ritterepen nach dem Süden verlegen; aber auch er hätte die hohe Bedeutung von Vidal's Zeugniss für das Gegentheil achten müssen. Dieser Troubadour des dreizehnten Jahrhunderts sagt nämlich in seiner la dreita maniera de trobar: La parladura francesca val mais et es plus avinenz a far romanz et pasturellas; mas cella de Lemosin val mais per far vers et cansons et serventes."

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Es ist auch Fauriel, trotz aller Mühe, die er sich gegeben, in seiner „Histoire de la poésie provençale" nicht gelungen, die Existenz einer bedeutenden epischen Literatur in provenzalischer Sprache überzeugend nachzuweisen.

Auch die Erwähnung epischer Stoffe in den Gedichten der Troubadours beweist durchaus nicht, dass sie Bearbeit

1) De vulgari eloquio lib. I cap. 10. Florenz 1857, Opere minori di Dante II p. 172.

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ungen derselben in provenzalischer Sprache kannten. Ich kann hier nur den Worten Bartsch's beipflichten, dass wir in allen Fällen, wo die provenzalischen Anspielungen aus nordfranzösischen Dichtern erklärt werden können, unbedenklich solche und nicht provenzalische anzunehmen haben; wo das nicht der Fall ist, liegt in den meisten Fällen immerhin (eher) noch die Möglichkeit vor, dass französische Dichtungen verloren gegangen als die Wahrscheinlichkeit, dass die Anspielungen sich auf provenzalische Dichtungen beziehen." 1)

Mitunter bearbeiteten die Trouvères auch antike Stoffe, so finden wir z. B. Fabliaux von Pyramus und Thisbe (Barbazan II. 326) und Narcissus (ibid 143). Beide sind nach Ovid gearbeitet aber ungemein amplificirt und mit endlosen Reden und Liebesklagen überladen. Was Ovid (Metam. IV. 55 und III. 340) in 110 und 170 Zeilen erzählt, das gibt der französische Dichter in 885 und 1010 wieder und um die vier Worte lux tarde discedere visa zu übersetzen, braucht er sieben Zeilen.

Auch sonst findet sich sehr viel Langweiliges in diesen Dichtungen; aber die, welche zeitgenössische Ereignisse behandeln, haben grossen Werth als Schilderungen der Sitten ihrer Zeit und ihres Landes. Ihr mannigfaltiger Inhalt bot spätern Dichtern die verschiedenartigsten Stoffe zur Bearbeitung: Ein Fabliau ist die Quelle von Schiller's Gang nach dem Eisenhammer (Du roi qui volt fere ardoir le fils de son senechal: in Orell's altfr. Grammatik S. 361 und Meon II. 331), und dem Fabliau vom Ritter qui faisait parler les co... et les cu.. (Barb. I. 409) entnahm Diderot die Idee zu den bijoux indiscrets. Hebel's Erzählung von Zundelheiner, Zundelfrieder und Dieter ist fast eine Uebersetzung von Jehan de

1) Vergl. Villemain, Tableau de la litterature au moyen age, supplément à la sixième leçon vol. I 227. Schlegel, Observations sur la litterature provençale, in seinen Essais litter. et hist. Bonn 1842 p. 278-81. Notice sur M. Fauriel in Hist. litt. de la France vol. XXI S. XXX. Bartsch im Jahrbuch für romanische Philologie 1878 Bd. II 318.

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