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somit dem Hofzauberer Saladins, der seine Künste zu Gunsten Torello's anwendet.

Im Schlafe, wie dieser, wurden auch drei Burschen aus Rapperswil von einer alten Zauberin aus der Fremde in die Heimat gebracht und legten in einer Nacht einen Weg zurück, zu dem sie sonst mehrere Monate gebraucht hätten. 1)

Ebenso brachte der Sänger und Zauberer Klingsor über Nacht den schlafenden Sänger Heinrich von Ofterdingen mit Hilfe seiner Geister von Siebenbürgen nach Eisenach in Thüringen, damit er den ihm gesetzten Termin nicht versäumen sollte. 2)

Als um das Jahr 1514 der Stadtpfeifer von St. Gallen grosse Lust hatte zur Tagsatzung in Baden noch am selben Tage zu gelangen, sagte ihm der berühmte Theophrastus Paracelsus: „Gehe hinaus zur Schiesshütte, dort wirst du einen Schimmel gesattelt angebunden finden, lös ihn ab, sitz auf, aber hüte dich, dass du kein Wort redest, bis du zu Baden absitzest!" Der Stadtpeifer that wie ihm geheissen, das Zauberross legte den Weg von zwanzig Stunden in einer halben zurück, liess sich zu Baden an der Schlosshalde zur Erde nieder und verschwand. 3)

Der Stadtpfeifer erzählte aller Welt von seiner teuflischen Reisegelegenheit, Andere wurden aber für solche Geschwätzigkeit hart bestraft.

Der arabische Reisende Ibn Batutah, ein Zeitgenosse Boccaccio's, erzählt, dass er während seines Aufenthalts in Mekka, den verrückten Hassan kennen lernte, der aus folgender Ursache den Verstand verloren hatte: Er äusserte einst gegen einen Fakir den Wunsch, seine Mutter in Marokko zu sehen. Der Fakir befahl ihm die Augen zu schliessen und sich an seinen Mantel festzuhalten. Dann brachte er ihn in

1) Henne-Am Rhyn 1. c. N. 604 S. 295.

2) Grimm, Deutsche Sagen Nr. 563 II. S. 300.

3) Henne-Am Rhyn 1. c. Nr. 650 S. 316.

einer Nacht zu seiner Mutter und nach vierzehn Tagen auf dieselbe Weise wieder zurück nach Mekka, verbot ihm aber etwas von dieser Reise zu erzählen. Als Hassan dem Verbot zuwider handelte, machte ihn der Fakir stumm und wahnsinnig. 1)

Auch dem Ritter Thedel Unverfährt von Walmoden im deutschen Volksbuche (Simrock, Volksbücher IX. 397) wurde vom Teufel eingeschärft, nicht zu verrathen, von wem er sein schwarzes Zauberross bekommen, auf dem er in einer Nacht von Jerusalem nach Braunschweig ritt. Als er sich aber in Liefland bereden liess, das Geheimniss zu verrathen, musste er nach drei Tagen sterben.

Mit den hier aufgeführten Beispielen von wunderbar schnellen Reisen ist aber dieses Thema nicht erschöpft, da noch mehrere andere in Werken enthalten sind, welche mir nicht zugänglich waren. Auch habe ich mich auf die zu einer bestimmten Reise herbeigeschafften wunderbaren Beförderungsmittel oder zu einer solchen speciell commandirten Geister beschränkt, und die stabil angestellten Wunderlocomobile nicht erwähnt. So berichtet die jüdische Legende (Midrasch Koheleth II 25), dass König Salomo einen grossen Adler besass, auf dem er in einem Tage nach Palmyra ritt. Nach mohamedanischen Sagen bediente er sich zu seinen Reisen des Ostwindes, wobei freilich schwer zu begreifen ist, wie er dann mit demselben Winde zurückkehren konnte.

Von Reisen auf riesigen Vögeln berichten auch die Alexandersagen und die Erzählungen der 1001 Nacht 2), und das Fahren durch die Luft kommt in buddhistischen Werken so

1) Voyages d'Ibn Batoutah texte arabe accompagné d'une traduction par C. Defremery et le Dr. B. R. Sanguinetti. Paris 1853-58, vol. I. 371. Ibn Batutah war während der Pest i. J. 1348 in Damaskus und beendete seine Reisebeschreibung i. J. 1356, also bald nach der Vollendung des Dekameron.

2) Pseudo-Kallisthenes Buch II. Kap. 41 bei Dr. H. Weismann, Alexander vom Pfaffen Lamprecht, nebst geschichtlichen und sprachlichen Erläuterungen etc. Frankfurt a/M. 1850 Bd. II 137. Sindbads Reisen in 1001 Nacht, bei Habicht und Hagen II. 250 sq.

häufig vor, dass Benfey (I. 159) darauf verzichtet, besondere Stellen anzuführen.

In vielen Märchen kommen Wunschmäntel, Teppiche, Hüte, Siebenmeilenstiefel und andere wunderbare Beförderungsmittel vor, welche jedem dienen, der sie besitzt, ohne Rücksicht auf dessen Würdigkeit oder auf den Zweck der Reise. Sie gehören einem andern Sagenkreise als die Novelle von Torello an, und können daher hier nicht in Betracht gezogen werden. 1) Aus dem bisher Gesagten wird man jedoch schliessen können, dass Boccaccio für diese Novelle nicht eine Quelle hatte, sondern aus einer Reihe von Sagen und Legenden einzelne Züge entnahm, die er zu einem prachtvollen Ganzen zusammensetzte.

§ 5. Von den bereits oben (zu T. II N. 9 S. 141) erwähnten, u. d. T. Due antiche novelle anteriori al Decamerone herausgegebenen italienischen Novellen behandelt die zweite, ebenfalls schon früher von Lami (Novelle letterarie XVI. S. 193. 241) publicirte, das Sujet von Boccaccio's Guiscardo und Ghismonda (T. IV N. 1). Sie ist nichts als eine Abkürzung von Boccaccio's Novelle mit Beibehaltung derselben Namen, und steht im Manuscript nach Boccaccio's Corbaccio, unter einer Sammlung von Erzählungen von bösen Frauen, die ihren Familien Schande gemacht, als: Biblis, Medea, Helena, Dido, Phädra, Pasiphae, Lamech's Frau u. s. w. Lami bemerkt, dass der anonyme Autor die Geschichte von Ghismonda für ebenso wahr hält, wie die von ihm nacherzählten Fabeln der alten Autoren, und schliesst daraus, dass er sie nicht aus Boccaccio geschöpft habe. Lami scheint vergessen zu haben,

3) Vergl. hierüber Liebrecht Dunlop. Anmk. 327 und Nachtrag S. 491 und 542, Benfey I. 159 sq. Liebrecht im Jahrbuch III. 147, Una novellina popolare Monferrina, illustrata.. da St. Prato, Como 1882 und über Boccaccio's Novelle überhaupt den interessanten Aufsatz yon P. Rajna in der Romania v. J. 1877 S. 359-368.

wie oft Boccaccio von spätern Autoren als glaubwürdige Geschichtsquelle citirt wurde, und übersah wohl auch, dass der Anonymus nicht sehr kritisch in der Auswahl seiner Quellen verfuhr. Auch den Mangel an Uebereinstimmung, den er zwischen der Erzählung des Anonymus und der Boccaccio's bemerkt haben will, habe ich nicht gefunden und sehe auch nicht ein, wie er durch diese Nichtübereinstimmung die Behauptung, dass Beide aus einer ältern Quelle schöpften, bekräftigen will. Jedenfalls unterliegt es keinem Zweifel, dass der Anonymus nicht die Quelle Boccaccio's war, und wenn man mir auch nicht zugeben will, dass Jener Boccaccio's Novelle im Auszug wiedergegeben habe, so wird man höchstens behaupten können, dass beide aus einer Notiz in irgend einer alten Chronik oder aus einer mündlichen Tradition ihre Erzählungen bildeten.

Die Novelle vom Liebhaber als Pilger (T. III N. 7) hat manche Aehnlichkeit mit einem in Italien weit verbreiteten Volksliede „L'amante confessore" oder „Il falso pellegrino..) Doch ist das Volkslied vielleicht erst aus Boccaccio's Novelle entstanden.

1) Bei Marcualdi, Canti popolari liguri, umbri etc. S. 158 und bei Ferrario, Canti popolari Monferrini, in Strenna della Rivista Europea 1872 6. 126.

V. Religiöse Bestandtheile der erzäh

lenden Literatur.

§ 1. Wir haben bei Betrachtung der orientalisch - monarchischen, französisch-ritterlichen und italienisch- bürgerlichen erzählenden Literatur schon hie und da den Einfluss der mittelalterlich-christlichen Lebensanschauung wahrgenommen, und bleiben uns in diesem Abschnitte nur jene Werke zu betrachten, in denen das christliche Element das dominirende ist, ohne sich jedoch den Einwirkungen der andern mittelalterlichen Bildungselemente zu entziehen.

Die christliche schöne Literatur des Mittelalters bestand hauptsächlich aus Parabeln und Heiligengeschichten, welche zwei Gattungen ihre Vorbilder in der Bibel haben. Schon die Bibel bedient sich der Parabeln, um nützlichen Lehren und heilsamen Wahrheiten den Weg zum Herzen des Menschen zu bahnen, und diess ist auch das Charakteristische der christlichen Literatur des Mittelalters. Parabel und Allegorie hatten sich nicht nur der christlichen Theologie bemächtigt, sondern zogen auch die Mythologie der Griechen und Römer in die Dienste des Christenthums. So sollte der von Hunden zerrissene Actäon das Symbol des gemarterten Christus sein und die Aeneis sollte die Reise des Apostel Petrus nach Rom vorstellen.

Ebenso wie die Parabeln lehnten sich die Heiligengeschichten in gewisser Beziehung an die Bibel an: Es war näm

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