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welche sich in den orientalischen Versionen nicht finden, mit der Calumnia übereinstimmt. So wie die meisten frühern und spätern Bearbeiter der Geschichte von den „Sieben Meistern," erlaubte sich Frater Johannes mehr oder weniger bedeutende Aenderungen der Rahmenerzählung und vertauschte manche von den eingeschachtelten Erzählungen seiner Vorlage mit andern, die er entweder andern Werken oder dem Volksmunde entnahm, vielleicht auch selbst Manches erfindend. Aber ein älteres Werk von einem König und seinem verleumdeten Sohne hat der, wie es scheint, ziemlich gelehrte Mönch gewiss gekannt; ebenso wie der Verfasser des Erasto, der sich ja von den andern Bearbeitungen fast ebensoweit entfernt, wie der Dolopathos.

Ein anderer von Oesterley nicht berücksichtigter Umstand ist die geringe Verbreitung des Dolopathos. Während die Calumnia und ihre Ausflüsse in vielen Manuscripten und zahllosen alten Drucken vorhanden sind, existiren vom lateinischen und französischen Dolopathos nur sehr wenige Handschriften, und die Ehre des Drucks wurde ihnen erst in unserem Jahrhunderte zu Theil. Liegt da nicht die Vermuthung nahe, dass der Dolopathos erst zu einer Zeit entstand, als die Calumnia bereits weit verbreitet war und sich ihren treuen Leserkreis erworben hatte?

Ueber das Verhältniss des französischen Dolopathos zu seinem lateinischen Original findet man in Oesterley's werthvoller Vorrede und in G. Paris' meisterhafter Kritik von Oesterley's Arbeit (in Romania, Paris 1873, S. 486 sq.) ausführliche Untersuchungen, so dass ich hier darauf nicht weiter einzugehen habe. Auch hat A. Eberhard Emendationen zu Oesterley's Dolopathos 1875 in Magdeburg herausgegeben. (Romania 1875 S. 291.)

Viel weniger Schwierigkeiten als der Dolopathos machen. uns die andern französischen Bearbeitungen. Eine solche in Versen unter dem Titel: Li Romans des sept sages de

Rome hat zuerst Adelbert von Keller nach einer Handschrift aus dem dreizehnten Jahrhundert 1836 in Tübingen herausgegeben, während von den Prosaübersetzungen schon Ausgaben aus dem fünfzehnten Jahrhundert existiren.

Auch sind die Handschriften der Prosabearbeitungen sehr zahlreich vorhanden in Paris allein neunzehn, in Belgien vier, in England drei, während nur eine vollständige Handschrift in Versen bekannt ist. 1)

Unter dem Titel Deux redactions du Roman des sept sages hat Gaston Paris in den Publicationen der Société des anciens textes français zwei alte französische Prosabearbeitungen 1876 in Paris herausgegeben, unter Voranschickung einer höchst wichtigen Einleitung. Von diesen zwei Versionen ist die eine, Les sept sages de Rome nach dem Manuscript der Pariser Nationalbibliothek Nr. 5036, (96753 alt) die andere, Istoire des sept sages de Romme nach dem Genfer Druck von 1492 edirt. Erstere steht der von Keller herausgegebenen Version sehr nahe.

§ 11. Eine Handschrift des Romans in der Wiener Hofbibliothek in sehr schlechtem Latein aus dem fünfzehnten Jahrhundert (Nr. 3332) ist nach Mussafia (Beiträge S. 93), vielleicht die Quelle der italienischen Bearbeitungen, oder bildet vielmehr das Mittelglied zwischen den französischen und italienischen Bearbeitungen. Von diesen wurde eine in Prosa (wahrscheinlich aus dem vierzehnten Jahrhundert) zuerst sehr incorrect von Giovanni della Lucia in Venedig 1832 unter dem Titel: Novella antica scritta nel buon secolo della

1) G. Paris, Deux redactions S. IV Hermann Varnhagen in Zeitschrift für romanische Philologie 1877 Bd, I 555,

lingua, dann 1862 in Bologna u. d. T. Storia d'una crudele matrigna und 1865 ebenda von Prof. Antonio Cappelli u. d. T. Il libro dei sette savi di Roma herausgegeben. (Zambrini 1272. 301 4687. 626.) Im vorigen Jahre wurde der von Della Lucia benutzte Codex wieder aufgefunden und ein correcter Abdruck von F. Roediger in Florenz 1883 besorgt. 1) Diese Versionen haben mit Ausnahme einer einzigen (König und Seneschallsfrau) dieselben Erzählungen, welche sich in den meisten französiscnen Bearbeitungen finden. In der von D'Ancona herausgegebenen alten italienischen Uebersetzung (Il libro dei sette savj di Roma, Pisa 1864), die auch sonst von della Lucia's Ausgabe ganz verschieden ist, findet sich auch diese bei della Lucia fehlende Erzählung, so dass sie in Bezug auf Zahl, Ordnung und Inhalt der Erzählungen genau mit dem von Keller (S. LXIV) erwähnten französischen Manuscript 4096 der Pariser Bibliothek übereinstimmt. Auch die Namen der einzelnen Weisen in dieser italienischen Version sind den im erwähnten französischen Manuscript am ähnlichsten. Eine andere italienische Version in Prosa, welche sich dadurch auszeichnet, dass sie statt der Erzählung „Ehemann ausgesperrt" eine andere enthält, in welcher eine Frau den Freund ihres Mannes in ähnlicher Weise wie die Königin den Prinzen in der Rahmenerzählung verleumdet, und in der die „Erfüllte Profezeiung" fehlt, hatte bereits Graf Alessandro Mortara vor einigen Decennien gefunden. Sie wurde 1865 vom Britischem Museum erworben (Sign. Addit. 27429) und 1881 von Hermann Varnhagen in Berlin u. d. T. Eine italienische Prosa version der Sieben Weisen herausgegeben.

1) Giornale storico della letteratura italiana anno I 1883 S. 187. Der Zusatz,,in dialetto veneto" in der Notiz des Giornale ist mir nicht recht verständlich; denn der Text Della Lucia's ist toscanisch und nur hie und da stösst man, wie Mussafia (Jahrbuch IV 168) bemerkt,,,auf ein dialectisches Wort, was auf einen nicht toscanischen, zunächst ,venezianischen, Schriftsteller oder Abschreiber deuten dürfte,"

Ausser diesen erst im Laufe dieses Jahrhunderts wieder bekannt gewordenen alten italienischen Bearbeitungen, die aber schwerlich älter als das Dekameron sind, gibt es noch eine aus dem sechzehnten Jahrhundert, die sich für eine Uebersetzung aus dem griechischen ausgibt, und unter dem Titel J compassione voli avvenimenti di Erasto mehrmals gedruckt wurde. 1)

Ferner hat Pio Rajna in der Scelta di curiosità letterarie (Heft 176 Bologna 1881), eine, wie er nachweist, wahrscheinlich zwischen 1420 und 1470 von einem Venetianer verfasste italienische Version in Octaven, nach einem Manuscript aus der zweiten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts herausgegeben.

Ihr Titel lautet: Questo libro trata di Stefano fiolo de uno imperador di Roma el qual trata de beli amaistramenti und enthält sie viele obscöne Stellen.

In der Anordnung der ersten dreizehn Erzählungen stimmt sie ganz genau mit der Ausgabe La Lucia's überein. Dann sind acht, oder vielmehr zwölf Erzählungen (da in Nr. 14 und 18 je drei Erzählungen enthalten sind) eingeschoben, welche in keiner andern Version der Sieben Weisen vorkommen; nur die zwanzigste ist der Erzählung des dritten Weisen im Dolopathos ähnlich. Den Schluss bildet wieder die Erfüllte Profezeiung." Im Ganzen sind es also 22, und wenn man die eingeschalteten mitzählt, 26 Erzählungen.")

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Ich übergehe hier die zahlreichen deutschen, schwedischen, spanischen, holländischen und englischen Bearbeitungen, die Boccaccio nicht benutzt haben konnte, und erwähne nur noch,

1) Venedig 1542, 1551, 1552, 1565, 1583, Neapel 1784, Turin 1853. Einige Ausgaben haben auf dem Titel „Avvertimenti" statt ,,Avvenimenti." Eine französische Uebersetzung des Erasto erschien 1565 in Paris, eine spanische 1573, eine englische 1674. (Ellis, Specimens S. 410, Gamba bibl. 85, Grässe II 465, Keller LXXVII, Brunet II 437. D'Ancona XXXI note 1).

2) Nach Rajna's ausführlichen Mittheilungen in der Romania VII S, 22-51, 369– 406 und X S. 1 sq.

dass eine deutsche Uebersetzung im sechzehnten Jahrhundert von Modius wieder ins Lateinische übertragen wurde. (Keller XXXVI. Brunet II. 440.)

§ 12. Die Aenderungen, welche das Werk in diesen zahllosen Bearbeitungen und Uebersetzungen erlitt, betreffen sowohl die Rahmenerzählung, als die eingeschobenen Erzählungen. In ersterer wurden Schauplatz der Handlung, Personen und einzelne Details verändert, letztere unterlagen theils denselben Umänderungen, theils wurden manche von ihnen ganz weggelassen und andere an ihre Stelle gesetzt. Hiebei ist es nun bemerkenswerth, dass manche Erzählungen, wie z. B. „der redende Vogel“, „Hund und Schlange" und vorzüglich solche, welche Böses von den Frauen erzählen, sich einer solchen Beliebtheit erfreuten, dass sie fast in alle Bearbeitungen aufgenommen wurden, während andere nur in einer oder in zwei vorkommen.

In Bezug auf die Haupterzählung bemerken wir folgende Verschiedenheiten:

In der lateinischen Calumnia, in den Sept sages, in den deutschen und italienischen Bearbeitungen wird der Prinz von sieben Weisen gleichen Ranges erzogen. 1) In der hebräischen

1) Sie heissen in Keller's Ausgabe: Bancillas, Ausire, Malquidas, Gentullus, Cathons, Jesse, Berous; bei D'Ancona: Baucils, Ausiles, Innachindas, Lentulus, Catone, Giesse, Marco; in einer deutschen Uebersetzung: Pantillas, Gratton, Waldeach, Jesophus, Cleophas, Joachim ; in der Ausgabe von G. Paris: Bencilas, Lentulus, Cathon, Gessé, Mauquidas, Aussire, Meros; in der Genfer Ausgabe von 1492: Pancillas, Lentulus, Craton, Malquedrac, Josephus, Cleophas, Joachim; in Varnhagen's Ausgabe Bencillas, Auxlex, Litalus, Malchidras, Cato...?... Arcius; in Rajna's Ausgabe: Benziles, Lentulis, Ansiles, Malchidas, Catone, Espe, Charaus; im Sandabar, venetianer Ausgabe: Sandabar, Jofkot, Apollonius, Lucanus, Aristoteles, Biner, Omer; (Sengelmann 27. 32) nach Carmoly: Sandabar, Hippokrates, Apollion, Lokman (?) Aristoteles, Biber und Omar. (Carmoly S, 53),

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