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Als legtes Ergebniß für unsere Zeit sprechen wir aus: Europa huldigt mit den aus ihm hervorgegangenen transatlantischen Staaten einem gemeinsamen Recht. Dieses aber ist in vielen Stücken noch eine bloße Autoritätslehre ohne ein schon vollendetes allseitiges Bewußtsein und ohne absolute Sicherheit der Anwendung. Die unentbehrliche Vorausseßung für seine zunehmende Festigkeit ist ein bleibendes Gleichgewicht der Staaten, beruhend auf consolidirter Nationalkraft und gegenseitiger Achtung, nicht blos zu Lande, sondern auch zur See. Ein solches Gleichgewicht ist noch nicht gewonnen und hat ohne Zweifel noch manche Schwankungen der Staatengestaltung und politischen Machtstellung zu bestehen, vielleicht auch Krieg und Umsturz, wenn nicht weise Mäßigung und Berechnung des Völkerwohles und Völkerrechtes darüber hinwegführen.

„Ein ewiges Gleichgewicht," bemerkte schon Jean Paul, „sezt ein Gleichgewicht der vier übrigen Welttheile voraus, welches man, wenige Librationen abgerechnet, der Welt dereinst versprechen kann —." Immerhin ist einstweilen ein Europäisches Völkerrecht schügend in das allgemeine Bewußtsein getreten und steht auf einer höheren Stufe der Humanität, als jedes bisherige, insonderheit das der alten Welt. In diesem war der Krieg und egoistisches Staatsbewußtsein die Grundlage, in jenem ist der Friede und das sociale Menschenbewußtsein vorherrschend geworden.

Giltigkeits-Gebiet des Europäischen Völkerrechtes.

7. Seiner geschichtlichen Wurzel gemäß hat das Europäische Völkerrecht volle Geltung nur in dem Kreise christlicher Völkerstaaten in und außerhalb Europa's, die mit gegenseitiger Anerkennung einen dauernden politischen Verkehr nach den in der Europäisch - christlichen Staatengenossenschaft hergebrachten Rechtsgrundsägen unter der moralischen Gesamtbürgschaft aller Betheiligten (§ 5) unterhalten, eine wahre gegenseitige Dikäodofie, ein commercium iuris praebendi repetendique. Es findet dagegen nur eine zwanglose, nach der zu erwartenden Reciprocität abgemessene, also eine bloß conventionelle politische Anwendung gegen nicht christliche

Staaten'; und auf gleiche Weise verhält es sich mit neu entstehenden oder entstandenen Staaten, die noch keine allseitige Anerkennung in dem Gebiete des Europäischen Völkerrechtes erlangt oder noch keinen ausgesprochenen Charakter angenommen haben. Der Verkehr mit ihnen ist ein bloß nach Politik und Sittlichkeit zu regelnder.

Zu den muselmännischen Staaten und Fürsten sind die Europäischen zwar seit den Kreuzzügen in mannigfache Vertragsverbindungen getreten2; im Uebrigen aber war und blieb das Verhalten nur durch politische Convenienz geregelt3, da das eigene Völkerrecht der Moslim, wie es im Koran vorgezeichnet ist, so wie die religiöse Ausschließlichkeit und darin beruhende Sitte jener Völker mit einer unbedingten gegenseitigen Anwendung der Grundsäge des Europäischen Völkerrechtes nicht verträglich ist. Erst seit dem Eintritte der hohen Pforte in die Europäische Staatengenossenschaft und deren „öffentliches Recht" (§ 6) ist für sie und ohne Zweifel auch für ihre Nebenländer die Beobachtung des Europäischen Völkerrechtes ihrerseits und gegen sie zur Rechtspflicht geworden, wobei fich allerdings die Beschränkung stillschweigend von selbst verstehen wird, daß sich kein Theil gegen seine Religion Etwas zu thun, zu unterlassen oder zu dulden verpflichtet haben wolle, wodurch dann immer noch die Tragweite der Aufnahme in das „Europäische Staaten - Concert" in Frage gestellt wird. Mit anderen muselmännischen Mächten hat übrigens ein Gleiches nicht stattgefunden.

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1) Auf ein natürliches Rechtsgesetz verweist hierbei Phillimore, Internat. Law. I. p. 20. Die allgemeinen Phrasen der daselbst angeführten Manifeste und Schriftsteller beweisen das nicht.

2) Ward, Enquiry I, 166. II, 321.

3) Mably, droit des gens t. II. p. 13. Wheaton, Intern. Law § 10 (fehlt in der französischen Ausgabe).

4) Vergl. Pütter, Beitr. S. 50.

5) Geschichtliches über die politischen Verhältnisse der Europäischen Mächte zur h. Pforte s. in Herrm. Abeken († 1852) „der Eintritt der Türkei in die Europ. Politik." Mit Vorwort v. Stüve. Berl. 1856.

6) Namentlich für Aegypten und das Paschalik Acre, in Gemäßheit des Separatactes zu der Convention von Gr. Britannien, Oesterreich, Preußen, Rußland und der Pforte vom 15. Juli 1840. Art. 5: „Tous les traités et toutes les lois de l'Empire Ottoman s'appliquent à l'Egypte et au paschalik d'Acre, comme à toute autre partie de l'Empire O." (Martens) Murhard Nouv. Réc. gen. I, p. 161.

Obwohl man nun Piraten, selbst bei staatlicher Organisation als Subjecte des internationalen Rechtes nicht anerkennt, sondern als Rechtlose betrachtet (§ 15. 104): so hat doch die Noth und frühere Schwäche der Seemächte zu einer gewissen Anerkennung der sogenannten Barbareskenstaaten und zur Eingehung von zum Theil sehr schmachvollen Verträgen, besonders zu dauernden Handelsverbindungen geführt'. Hierbei hat es bis jezt sein Bewen= den behalten. Von einer Anwendbarkeit des Europäischen Völkerrechtes kann im Uebrigen keine Rede sein, außer denjenigen Barbaresken, welche zu den Nebenlanden der Pforte gehören.

Aeußere Erkenntnißquellen des Völkerrechtes im Allgemeinen.

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8. Das Europäische Völkerrecht, so weit es für alle Glieder der Europäischen Staatengesellschaft gleiche Verbindlichkeit hat, ist ein größtentheils ungeschriebenes Recht ius non scriptum indem sich selbst für Vereinbarungen über gewisse leitende Grundsäge eine urkundliche Zustimmung Aller nicht leicht nachweisen lassen wird. Eine vollständige Codification ist zur Zeit weder mit Erfolg versucht, noch auch leicht in Aussicht zu stellen. Es besteht aus Consensualgesehen, welche in den verschiedensten Formen (§ 3), namentlich in Verträgen, zum Theil nur durch die übereinstimmende Handlungsweise der Staaten Anerkennung erlangt haben, zum Theil

1) Leibnitz, Cod. dipl. p. 13. 14. Bynckershoek, Quaest. iur. publ. I, c. 17. Nau, Völkerseerecht § 130. Ward, II, 331. Phillimore, I, 80. 81.

2) Beispiele von derartigen urkundlichen Vereinbarungen Europäischer Hauptmächte, welchen nächstdem die anderen theils ausdrücklich theils stillschweigend beigetreten sind, wenn auch erweislich nicht insgesammt, hat der Wiener Congreß und die Pariser Conferenz von 1856 geliefert. S. die Anlagen.

3) Eine Erklärung der Völkerrechte decretirte die französische Nationalversammlung am 28. Oct. 1792 und beauftragte damit den Abbé Grégoire. Er übergab sein Project 1795 in 21 Säßen. Die Convention gab jedoch aus Politik die Sache auf. Man findet dasselbe mit einer Kritik von J. Bentham und mit Gegenbemerkungen in Isambert, Annales politiques. Par. 1823. Introduction, gegen Ende. Auch sind darüber die sehr verständigen Bemerkungen von Martens, Einleitung in d. Europ. V. R. 1796. Vorrede S. V. zu vergleichen. Der neueste Codificationsversuch ist: Précis d'un Code du dr. intern. par Alph. de Domin-Petrushevecz. Leipz. 1861.

aus Abstractionen aus dem Wesen allgemein gebräuchlicher Institutionen, so wie aus der übereinstimmenden Sitte und Bildung der Nationen, wie z. B. dasjenige, was hier überall für ein Unrecht gehalten wird, auch für die Staaten und deren Leiter schwerlich ein Recht jein fann'.

Als Zeugnisse für einzelne Säge dienen die Geschichte, die Autoritäten der Wissenschaft (§ 10), desgleichen die Urtheile der Gerichtshöfe, welche über völkerrechtliche Fragen zu entscheiden Anlaß und Berechtigung haben, wobei jedoch die Kritik nicht ausgeschlossen ist und nicht etwa dasjenige, was der Gerichtshof Eines Landes, wenn auch von noch so hoher Autorität, angenommen hat, einen völkerrechtlichen Grundsay ohne Anderes beglaubigen kann2. Die legte Frage bleibt immer, ob sich eine Uebereinstimmung aller Glieder der großen Staatengesellschaft nachweisen oder präsumiren laffe. Daß hierneben auch ein particuläres, internationales Recht unter gewissen Staaten der Europäischen Genossenschaft auf gleichen Grundlagen und nach besonderen Zeugnissen bestehen könne, versteht sich von selbst (§ 3 a. E.).

Im Besonderen: Staatliche Verhandlungen und Verträge.

9. Als die vorzüglichste äußere Erkenntnißquelle des Europäischen Völkerrechts erscheinen die Europäischen Staatshändel und Völkerverträge, in deren Geiste und Buchstaben sich die Uebereinstimmung der Nationen oder ihrer Regierungen beurkundet findet.

1) Dies Alles drückte schon Bynckershoek mit den Worten aus: Ius gentium oritur e pactis tacitis et praesumtis, quae ratio et usus inducunt. Quaest. iur. publ. III, 10. Darin ist dann auch eingeschlossen, was die Römischen Juristen naturalis ratio, Neuere recta ratio nennen, die Naturrechtslehrer aber sogar zu einer an sich verbindlichen Lex naturalis stempeln mochten.

2) Großen Werth legen vornehmlich die Britischen und Americanischen Publicisten den Aussprüchen ihrer Gerichtshöfe aus bekannten Gründen bei. Man darf diese nationalen Autoritäten nicht überschäßen und z. B. mit Phillimore I, 51 die Prisengerichtsurtheile nicht ohne Weiteres als Quelle des V. R. ansehen. Nur die Uebereinstimmung der Judicatur verschiedener Staaten kann für diese einen internationalen Grundsaß und präsumtiv durch seine ausreichende Begründung auch gegen andere bezeugen. Einen besonneneren Gebrauch macht hiervon Hurd, Topics § 94 s.

Im Alterthum lag darin fast die einzige Manifestation eines gemeinsamen Rechtsprincips. Die Verträge der alten Welt stehen jedoch meist nur auf einer geringen Stufe von Bedeutsamkeit; selten gehen sie über die nächsten actuellen Interessen hinaus; entweder tritt aus ihnen das Wehe der Besiegten entgegen oder die Gründung einer kürzeren oder längeren Waffenruhe, nicht selten jedoch auch die Stiftung eines Handelsverkehres und selbst einer Dikäodosie nach gleichen freundlichen Rechten'.

Auf einer fast noch tieferen Stufe stehen politisch die Staatenoder vielmehr Fürstenverträge des Mittelalters. Der Staat selbst lösete sich wesentlich in privatrechtliche Verhältnisse und Interessen auf; man verfügte über Staaten und Völker wie über Privateigenthum; nur das Lehnsverhältniß und die Kirche genoß oder gewährte hiergegen einigen Schuß, oft auch diesen kaum2.

Eine Vertragspraris der politischen Interessen begann im fünfzehnten Jahrhundert, mit mancherlei Vor- und Rückschritten3, gleich

1) Eine verdienstliche Sammlung der alten Völkerverträge findet sich in Barbeyrac Supplément au corps universel diplom. de J. Du Mont, à la Haye 1739. t. I. Von dem bedeutendsten Interesse sind darin die griechischen ovußoda nɛgì rov μỷ àðızɛiv, insbesondere die Verträge zwischen Athen und Sparta, Rom und Carthago, dann zwischen Kaiser Justinian und Cosroes 561 n. Chr. Barb. part. II, p. 196.

2) Auch die Verträge jener Zeit finden sich bei Barbeyrac a. a. D. P. II. Bemerkungen darüber bei Ward II, 231 s.

3) Nachweisungen und Darstellungen dieser neuen Vertragspolitik und Staatshändel s. in I. F. Schmauß, Einl. z. d. Staatswissensch. Lpz. 1740. 1747. 2 Thle. Fr. Ancillon, Tableau des revolutions du systême politique de l'Europe. Berl. 1803-1805. 4 t. Par. 1806. 6 Vols. Deutsch übers. v. Mann. Berl. 1805. 4 Bde. Ge. Fréd. de Martens, Cours diplomatique ou tableau des relations extérieures des Puissances de l'Europe. Berl. 1801 (t. I. II. Guide diplomatique. t. III. Tableau). Desselben Ge. Fr. v. Martens, Grundriß einer dis plom. Gesch. der Europ. Staatshändel und Friedensschlüsse. Berl. 1807. Koch, Tableau des revolutions de l'Europe. Par. 1807. 3 Vols. n. ed. Par. 1813. 1814. 4 Vols. Abrégé de l'histoire des traités de paix entre les puissances de l'Europe, par Koch. à Bâle. 1796. 97. 4 Vols. refondu par Fr. Schoell, à Par. 1817. 1818. 15 ts. Darnach Comte de Garden, Hist. des traités etc. Par. 1849. t. XIV 1859. C. D. Voß, Geist der merkw. Bündnisse des 18. Jahrh. Gera 1801. 1802. 5 Thle. des 19. Jahrh. 1803. 1804. 2 Thle. Histoire générale et raisonnée de la diplomatie française par Mr. de Flassan. Par.

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