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oder ausgedehnt sind, so lange kein Theil sich einer Verletzung schuldig macht und den anderen dadurch zur Aufhebung der Verbindlichkeit oder wenigstens zur Suspension derselben als Repressalie berechtigt'; denn bis dahin besteht präsumtiv eine Einheit des Willens, die Grundlage der Vertragsverbindlichkeiten. Eben so sind auch diejenigen Rechtsverhältnisse als rechtskräftig anzusehen, welche durch frühere schon in Vollzug gesetzte Verträge in das Leben getreten, folglich schon vollendete rechtliche Thatsachen sind, vorausgesezt, daß nicht im fünftigen Friedensschlusse eine ausdrückliche Aenderung damit vorgenommen wird.

Ferner treten selbst die allgemeinen friedensrechtlichen Verhältnisse der Staaten während des Krieges nur insoweit außer Kraft, als es Absicht und Nothwendigkeit der Kriegführung erfordert. Das Recht auf Achtung kann selbst dem Feinde nicht abgesprochen werden. und wird im neueren Kriegsgebrauche, besonders unter den Souveränen nicht bei Seite gesezt. Treue und Glauben darf man auch unter den Waffen fordern.

Vertragsverbindlichkeiten, deren Erfüllung noch nicht bewirkt ist, werden theils schon durch den Krieg, wenigstens für die Dauer desselben unmöglich gemacht, wenn ihre Voraussetzung ein Friedenszustand ist; theils können sie überhaupt nicht als fortwirkend gelten, weil ihr Giltigkeitsgrund, nämlich eine dauernde Willenseinheit und die Möglichkeit einer Verständigung nach gleichem freien Rechte durch den Krieg unterbrochen ist, außerdem auch der Völkergebrauch zur Erfüllung früherer Verträge dem Feinde gegenüber nicht verbindet, vielmehr sie als aufgehoben oder suspendirt betrachtet. Ob und welche davon mit dem fünftigen Frieden wieder aufleben, wird sich im vierten Abschnitte dieses Buches herausstellen. Ist die Erfüllung eines streitlosen Vertrages bereits vor oder während des Krieges fällig geworden, so kann sich der glückliche Feind freilich das Object oder

1) Dahin gehört namentlich die Stipulation der sechs Monate zu Gunsten der Unterthanen, ihre Personen und Güter im Falle eines Krieges in Sicherheit zu bringen. Mably a. a. D. v. Steck, Essais sur div. sujets. 1785. p. 5. Ein anderes Beispiel bei Wheaton § 8, 3. S. auch Klüber § 152. Martens § 263. Vattel III, 175. Oke Manning p. 125. Phillimore III, 117.

2) 3. B. geschehene Cessionen von Ländern, Grenzbestimmungen, Eigenthumstitel für Unterthanen u. dergl.

Aequivalent davon mit eigener Willkür anzueignen suchen. Allein diese Willkür ist noch keine rechtliche Thatsache; erst durch den Frieden erlangt sie diesen Charakter.

Allgemeine Menschen- und Privatrechte werden an sich durch den Krieg nicht aufgehoben'; sie unterliegen nur den Zufälligkeiten der Kriegsgeiffel, welche ohne Wahl trifft. Allerdings aber müssen fich die Unterthanen der kriegführenden Mächte denjenigen Beschränfungen unterwerfen, welche eine jede derselben dem Verkehre mit dem Feinde oder mit Neutralen zu sehen für gut findet. So weit dies nicht ausdrücklich geschieht, darf in den Privatrechten der Einzelnen, ja selbst in der Rechtsverfolgung derselben in Feindesland nach neuerem Kriegsrecht keine Veränderung vermuthet werden3.

Einfluß des Krieges auf den Handelsverkehr feindlicher Personen*.

123. Muß man es gleich als Recht jedes Erdenbürgers betrachten, die Verbindungswege der Völker zum Verkehre mit denselben, folglich auch zum Handel zu benußen, und müßte dieses Recht an und für sich wie jedes andere Privatrecht selbst unter den Waffen fortbestehen: so darf es doch nicht in Widerspruch mit den Interessen der Staaten geübt werden, unter deren Schuße es steht; der Handel kann sich leicht mit seinem gewaltigen Nerv zu einer unabhängigen, die Staaten selbst bedrohenden Macht erheben, wie die Geschichte bereits an dem Beispiele der Hanse gezeigt hat; er würde in seiner Freiheit zulezt der Beherrscher der Staaten werden, dessen speculative Einseitigkeit viele edleren Elemente erdrücken könnte; zuverlässig aber würde er schon bei einzelnen Kriegen eine große Abhängigkeit der kriegführenden Mächte von sich herbeiführen, eine gewisse Zweideutigkeit in das streng geschiedene Verhältniß derselben hineinlegen und

1) Vgl. Pufendorf Iur. univ. IV, obs. 206, 2.

2) Die meisten Beschränkungen treffen den Handel. Vgl. darüber den nächstfolgenden Paragraphen.

3) Zachariä 40 B. vom Staat XXVIII, 7, 2 (IV. Bd. S. 103). Was Politik und die Praxis der Einzelstaaten mit sich bringt, darüber vgl. Wurm in der Zeitschr. für Staatswissensch. VII, 350 f. und Massé a. a. D.

4) Schriften über diesen so wichtigen Punkt, freilich zumeist mit Ausdehnung auf die erst später zur Sprache zu bringenden Verhältnisse des neutralen Handels, s. bei v. Kampt § 257.

die Durchführung der Kriegsunternehmungen vielfach durchkreuzen, ja dem Feinde selbst oft zu Gunsten dienen, wenn man sogar unter den streitenden Nationen einen unbeschränkten Handelsverkehr zu gestatten hätte. Denn der Handel hat keinen Feind außer demjenigen, welcher ihn stört, und sein natürliches Princip ist Eigennut ohne Vaterland; auch sein großartiges Verdienst um die Civilisation ordnet sich dieser Triebfeder unter. Es liegt daher in der Natur der Sache, daß ein völlig freier, unüberwachter Handelsverkehr zwischen den Unterthanen der streitenden Theile nicht zugelassen werden kann, vielmehr jeder kriegführende Staat zur Beschränkung derselben Maßregeln zu ergreifen befugt ist. Er darf also nicht allein seinen eigenen Unterthanen mit Androhung von Strafen und Confiscationen die gänzliche Unterlassung oder gewisse Beschränkungen vorschreiben', sondern er kann auch thatsächlich jeden feindlichen Unterthan von solchem Verkehre zurückweisen und Reactionen dagegen gebrauchen, wovon das Nähere in Betreff des Seehandels bei der Seebeute vorkommen wird; er kann feindlichen Handelsforderungen die Klagbarkeit verfagen, z. B. den Versicherungen feindlicher Güter, so wie er andererseits durch Ertheilung specieller Licenzen einen bestimmten Verkehr erlauben mag, wodurch aber natürlich dem feindlichen Theile keine Verbindlichkeit zur Beachtung der Licenz auferlegt wird3. Keineswegs läßt sich übrigens behaupten, daß eine absolute Handels- und Handelsgeschäftssperre unter feindlichen Staaten die Selbstfolge der Kriegseröffnung sei, wenn sie gleich das Gesetz einzelner Staaten. ist. Es bedarf vielmehr deutlicher Erklärungen jeder Staatsgewalt über diesen Gegenstand, wenigstens eines ausdrücklichen allgemeinen Handelsverbotes*, indem die Handelsfreiheit der Einzelnen nicht erst

1) Dies geschah sonst regelmäßig. Vgl. Pufendorf 1. c. obs. 207. Aber es hat auch Beispiele des Gegentheils gegeben. So decretirten die Generalstaaten 1675 in dem Kriege gegen Schweden freien Handel unter den Kriegführenden. Die Britische Praxis s. bei Phillimore III, 105.

2) de Steck, Essais sur div. sujets p. 14 s. Wegen der neuesten Praxis: Wurm a. a. O. VII, 340 ff. Phillimore 1. c. 108.

3) Ueber diese und ihre stricte Bedeutung s. Jacobsen, Seerecht S. 423 f. 719-731. Wheaton, Intern. L. IV, 1 § 22. Oke Manning p. 123. Wildman II, 245. Halleck XXVIII.

4) Vgl. Nau, Völkerseerecht § 263. Anderer Meinung war Bynckershoeck, Quaest. iur. publ. 1, 3 und ist auch noch jezt: Wurm a. a. D. 282 ff.

von dem Staate kommt, sondern von demselben nur seine Beschränkungen zu empfangen hat, der Krieg aber an sich ein absolutes natürliches Hinderniß des Handelsverkehres unter Einzelnen nicht darstellt'. Eben so wenig kann ein Alliirter dem anderen Alliirten eine absolute Prohibition, wenn sie nicht schon durch Vertrag feststeht, zur Pflicht machen wollen; nur offenbare Handelsbegünstigungen des feindlichen Theiles von Seiten eines Alliirten darf der Andere untersagen und thatsächlich dagegen durch Beschlagnahme einwirken.

Persönlicher Kriegsstand und dessen Activ- und Passiv-Subjecte
im Allgemeinen.

124. Nach der modernen Kriegsart Europäischer Nationen tritt ein vollständiger sowohl activer als passiver persönlicher Kriegsstand nur unter den Repräsentanten der feindlichen Staatsgewalten und ihrer Hilfsmächte, so wie unter den von ihnen zum Land- und Seekriege berufenen Personen ein. Die legitimen Bestandtheile der Wehrkraft sind aber nicht allein die s. g. regulären Land- und Seemannschaften, sondern auch die irreguläre Land- und Seemacht, welche 'außerordentlich aufgeboten oder in Disposition genommen ist; ferner nicht allein die zum unmittelbaren Waffengebrauche bestimmten Personen und deren Führer, sondern auch die zu ihrem Dienste angestellten s. g. Nicht-Combattanten, Feldgeistliche, Aerzte, Marketender und Dekonomie-Beamte; mit dem Unterschiede gleichwohl, daß dies selben von den activen Kriegsrechten und insbesondere von den Waffen keinen unmittelbaren Gebrauch machen dürfen, es sei denn aus Noth zur Rettung und Erhaltung ihrer Person. Alle übrigen Unterthanen eines kriegführenden Staates gerathen daneben blos in einen passiven Kriegsstand, insofern nämlich ihr Zusammenhang mit dem

1) Die strenge Britische, Nordamerikanische und Französische Praxis s. bei Wheaton a. a. D. § 13 verglichen mit Valin, Commentar zur Ordonn. v. 1681 III, 6, 3 und Oke Manning S. 123, der dabei richtig bemerkt, daß es sich mehr um einen staatsrechtlichen als völkerrechtlichen Grundsaß handele; auch Massé, Dr. commercial. t. I, No. 335. Wildman II, 15. Halleck XV, 9.

2) Auch hierüber findet man eine ftrengere Ansicht bei Bynckershoeck, Quaest. 1, 10. Wheaton a. a. D. § 14. Wurm a. a. D. 294. Billig aber fragt man, wie ein Alliirter sich anmaßen dürfe, dem Verbündeten Gesetze seines Verhaltens vorzuschreiben und eine Jurisdiction über seine Unterthanen auszuüben, wenn das Bündniß kein Recht dazu ertheilt?

Kriegsheere, so wie Art und Zweck des Krieges, ihre Mitleidenheit unvermeidlich macht'. Jede active Betheiligung an feindseligen Handlungen ist dagegen von der Anordnung des Kriegsherrn abhängig3, sie bestehe in dem Aufgebote Einzelner, oder der ganzen, wenigstens waffenfähigen Nation. Natürlich wird, wenn der Feind selbst einen Vernichtungskrieg erklärt oder factisch führt, oder wenn einzelne Glieder des feindlichen Staates sich nicht nach Kriegssitte betragen, jedem Einzelnen auch das Recht des activen Widerstandes gegeben. Außerdem ist jede feindselige Handlung an Personen und Eigenthum der feindlichen Partei nicht blos eine Verletzung der Kriegsfitte, die der Feind ahnden kann, sondern sogar eine Uebertretung der eigenen Staatsgesetze, wodurch Verletzungen von Personen und Sachen als den Bürgerpflichten zuwider verpönt werden, und sie verfällt entweder dem einheimischen ordentlichen Strafgesetze3 oder besondern Martialgesehen.

1) Vgl. schon Battel III, 15 § 226.

2) Das Allgemeine Landrecht für Preußen sagt dieses in der Einleitung § 81 mit den Worten: „den Schutz gegen auswärtige Feinde erwartet der Staat lediglich von der Anordnung seines Oberhauptes." Eine sonst allgemeine Formel bei Kriegserklärungen war zwar die Aufforderung an alle Unterthanen de courir sus aux ennemis; indeffen deutete dieses schon Vattel a. a. D. § 227 auf ein bloßes Festhalten feindlicher Personen und Sachen. Jetzt möchte sie wohl überhaupt nicht mehr vorkommen. S. übrigens auch Pufendorf, Iur. univ. obs. IV, 206.

3) „Der scheinbare Grund des Gegentheils,“ sagt Abegg, Untersuchungen aus dem Gebiete der Strafrechtswissensch. 1830. S. 86, „ist, daß der Staat, den im Kriegszustande das Unglück traf, in seinen Landestheilen feindliche Truppen aufnehmen zu müssen, weder Pflicht noch Interesse habe, jene Feinde wider Angriffe zu sichern, nachdem an die Stelle des rechtlichen ein Gewaltverhältniß getreten ist. Allein bekanntlich wird durch den Kriegsstand allenfalls ein bellum internecinum abgerechnet, welches nach dem Standpunkte unserer Zeit wohl nicht vorkommt, keineswegs der Rechtszustand in dem Grade aufgehoben, daß für den Bürger, deffen Rechte auch vom Feinde selbst im Wesentlichen anerkannt werden, eine Befreiung von den ihn verbindenden Geseßen, gegenüber wem es auch wolle, gerechtfertigt werden könnte. Man muß nur die bereits gerügte Ansicht aufgeben, daß das Criterium des Strafgesetzes in dem Schutze zu suchen sei, welchen es Jemand gewähre. In wie fern durch den Fall der Nothwehr oder sonstige Modificationen, die durch den Einfluß des Krieges auf das Strafrecht herbeigeführt werden, Straflosigkeit oder Milderung der Strafe entstehen können, in wie fern das Gebiet der Gnade eintreten dürfe, gehört einer anderen Seite der Beurtheilung an.“ S. auch Frisius Rinia van Nauta, de delictis adv. peregrinos, maxime adv. milites hostiles, Groning. 1825, und des Verf. Lehrb. des CriminalRechtes § 37.

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