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Besondere Entstehungsgründe der Einzelrechte der Staaten.

12. Rechtsverhältnisse einzelner Staaten, welche nicht schon nach gemeingiltigen Grundsätzen des Völkerrechtes von selbst eristiren, können begründet werden:

1. durch Verträge der Betheiligten;

2. durch Occupation, d. h. durch Besitzaneignung, welcher kein schon vorhandenes Recht eines Andern entgegenstehet,

von welchen beiden noch in der Folge ausführlich zu handeln ist. Außerdem läßt sich eine gültige Rechtsbehauptung nur noch stützen. 3. auf unvordenklichen Besitzstand;

4. auf Herkommen oder Observanz, wenn ein Staat gegen den Andern oder wenn mehrere unter sich gegenseitig durch eine oder mehrere Handlungen die Anerkennung einer dauernden Verpflichtung unzweideutig dargelegt haben, ohne dabei in einem Irrthum oder in einem Zwange begriffen gewesen zu sein'; 5. auf Besizergreifung einerseits und ausdrückliche oder stillschweigende Aufgebung des bisherigen Rechtszustandes andrerseits. Dagegen kann weder von s. g. vermutheten oder vorausgeseßten stillschweigenden Conventionen als einer Quelle von Specialrechten die Rede sein, wenn man darunter nicht etwa den fünften Fall oder die Analogie der Verträge und eines bestimmten Herkommens versteht, welche in diesen beiden Quellen selbst mit eingeschlossen ist, noch auch läßt sich eine allgemeine Anerkennung des Institutes der Verjährung durch bestimmten Zeitverlauf unter den Europäischen Nationen nachweisen*, so immanent auch an sich jedem geschlossenen

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Personen spricht. Klagen über Mißverstand des Wortes und über ungebührliches Hineinziehen des ganzen Ceremoniels in das Völkerrecht finden sich schon in v. Ompteda, Lit. § 206.

1) S. vorzüglich Günther, Eur. Völkerr. I, S. 16-20. 28-31. Martens nahm nur eine unvollkommene Verbindlichkeit des Herkommens an. Völkerr. § 30. 2) Dagegen bereits Klüber, Dr. d. g. § 3. Martens begriff darunter hauptsächlich den obigen fünften Fall.

3) Martens a. a. D. § 62. Klüber § 4. Günther I, 20.

4) Eine vielbehandelte Schulfrage, m. s. die Monographien bei v. Ompteda § 213 und v. Kampß § 150 die aber dadurch nicht weiter gebracht ist. Die Praxis hat sich allezeit gegen das Aufdringen eines positiven Institutes der Art gesträubt. Zusammengesetzte Staaten- und Bundeskreise können dasselbe aller

Rechtssystem die Idee oder Nothwendigkeit einer Verjähruug ist'. Die Dauer von Staatenrechten, welche nicht durch Zweck und Convention auf bestimmte Zeit beschränkt sind, ist daher an sich von dem Verlaufe gewisser Jahre nicht abhängig; sie bestehen so lange, als der Berechtigte sie nicht aufgegeben hat oder in die Unmöglichkeit gekommen ist, sie ferner geltend zu machen. Die Aufhebung kann erfolgen entweder im Wege des Vertrages oder durch einseitige Dere= liction, wodurch dann von selbst ein entgegenstehender Besiß jeder Anfechtung überhoben wird; eine Dereliction kann aber allerdings auch aus einem langen Zeitverlauf zu erschließen sein, wenn der vormals Berechtigte Gelegenheiten des Widerspruchs oder der Wiederausübung seines Rechts hat vorübergehen lassen. Immer jedoch entscheidet hier nur die rechtliche Natur eines Verzichtes.

Was den unvordenklichen Besitzstand betrifft (antiquitas, vetustas, cuius contraria memoria non existit), so kann darunter nur ein solcher gemeint sein, wo der Beweis, daß es jemals anders war, nicht geführt werden kann und demnach die Vermuthung entstehet, daß die Sache oder das Recht dem besitzenden Subject von Anfang an gehört habe. Der jezige, schon uralte Besitzstand ist eine vollendete Thatsache, wogegen die Geschichte nichts vermag. Wie viele Staatenrechte, Grenzen und Besizungen würden nach blos theoretischen Rechtsgründen, oder wenn man nach den Rechtstiteln früge, anzufechten sein, wenn nicht das vor der Geschichte geborgene Alter sie niederschlüge?

Außerdem muß freilich auch den Staaten gesagt sein: hundert Jahre Unrecht ist noch kein Tag Recht.

dings aufnehmen. So galt es ehemals unter den Mitgliedern des Deutschen Reiches. Unter den heutigen Souveränen Deutschlands ist es aber wegen der Verhältnisse, die sich nicht aus jener Zeit herschreiben, schwerlich noch anwendbar.

1) Richtig sagt Pinheiro Ferreira zu Martens Not. 31, daß man droit (eigent= lich Rechtsnothwendigkeit) und loi de préscription unterscheiden müsse.

2) Uebereinstimmend H. Groot II, 4, 1 ff. und die meisten seiner Commentatoren. Auch Pufendorf IV, 12, 11. Vattel II, 11, § 149. Wheaton II, 4, § 4. Phillimore I, 323.

3) Hierüber noch immer sehr gut: C. E. Waechter, de modis tollendi pacta inter gentes.

Groot a. a. D. § 7 ff.

Vattel II, 11, § 143.
Sttg. 1779. § 39 f.

de Steck, Eclaircissements de divers sujets. Ingolst. 1785. Günther, Völker

recht I, 116 f.

Besizstand, als subsidiarischer Regulator der Staatenverhältnisse.

13. So weit es an einem flar erweislichen Recht ermangelt, ist die Gestaltung des eigenen Rechtskreises allezeit noch der freien That, dem Willen des Einzelnen überlassen. Hierin liegt auch die Macht des jeweiligen Besitzstandes, als eines wenigstens provisorischen Regulators der Staatenverhältnisse. Es ist nämlich jeder Besitz, den eine Person wissentlich ergreift oder ausübt, als freiheitliche That die Sehung und Erklärung eines subjectiven Rechtes, welches zwar keine entgegenstehenden objectiven Rechte zu beseitigen vermag, dennoch aber deren Uebung hindert und sich bis zu dem Austrag eines etwaigen Streites als Recht der freien Person geltend macht. Muß darum selbst das gesetzliche Recht im Innern der Staaten dem Besitz einen gewissen Schuß leihen, so versteht sich jene Geltung des Besizes (des s. g. uti possidetis oder des status quo) um so viel mehr nach dem freien Recht der Nationen unter einander. Und selbst für Dritte außer den Betheiligten und deren Angehörigen ist wenigstens einstweilen der Besithstand eine Thatsache, welche das Recht selbst vertritt und die unter ihm entstandenen Rechtsverhältnisse sanctionirt, als wären sie von dem wirklich Berechtigten ausgegangen1; nur mag dem Willen und Rechtszustand des Leztern für die Zukunft kein Zwang oder Eintrag angethan werden, auch ist Niemand verbunden oder berechtigt, einem bereits überwiesenen unrechtmäßigen Besitzer die Rechte eines provisorischen Eigenthümers ferner zuzugestehen. Anwendungen dieser Säge werden in der Folge sich ergeben.

Die Natur des Besizes für sich selbst ist übrigens im Völkerrecht wesentlich keine andere, als im Privatrecht. Nur die näheren Bedingungen zum richterlichen Schutz des Besizes kommen dort nicht in Betracht. Es genügt die Thatsache des für sich Selbst-Besizens, ausgenommen in Staatensystemen, wo es eine unblutige Dikäodosie der Genossen nach bestimmten Gesetzen giebt, wie im Deutschen Bunde nach vormaligen gemeinen Reichsrechten. Hier können auch

1) Wir finden diese Lehre bei Groot I, 4, 20. II, 4, 8. § 3 und sonst. Schmalz, Völkerr. 208. Klüber, dr. des gens. § 6. Wildman, Intern. L. I, p. 57. Dieses Princip befolgt auch der Päpstliche Stuhl. Man s. die Erklärung desselben d. non. Aug. 1831 in den Beilagen. S. auch unten § 49.

die civilrechtlichen Besitzfehler, ein clam aut vi aut precario possidere, geltend gemacht werden. Nicht blos Sachen, sondern auch Gerechtsame kann ein völkerrechtlicher Besihstand als iuris quasi possessio ergreifen. Unwissend aber übt man keinen Besit' und auch nicht weiter, als die thatsächliche Innehaltung reicht; den Staat vertreten dabei die Organe der Staatsgewalt und deren Beauftragte.

1) S. schon Groot III, 21, 26.

Erstes Buch.

Das Völkerrecht oder die Grundrechte der Nationen

in Friedenszeiten.

Erster Abschnitt.

Die Subjecte des Völkerrechts und ihre internationalen Rechtsverhältnisse.

I. Ueberhaupt.

14. Vermöge des Charakters und Begriffes des heutigen Völker

rechtes können nur Staaten und deren Souveräne als unmittelbare Rechtssubjecte, auf welche sich jenes beziehen läßt, angesehen werden. Mittelbar sind es auch in einzelnen Beziehungen deren Unterthanen und Diener, unter diesen, als besonders privilegirt, die diplomatischen Vertreter. Voraussetzung zu dem vollen Mitgenuß des Europäischen Völkerrechtes ist dabei überall die Zugehörigkeit zu dem Europäischen Staatenkreise oder eine friedliche Stellung zu demselben, die eine gegenseitige Anwendung der Grundsätze des internationalen Rechtes bedingt und erwarten läßt.

Nur gewissermaßen steht jeder einzelne Mensch, er gehöre zu irgend einem Staate der Welt oder er sei staatenlos, also der Mensch an und für sich, unter dem Völkerrecht (§ 1 und 58). Und so wenig wie der Einzelne ein selbstständiges unmittelbares Subject nach internationalem Recht darstellt, so wenig ist dies auch der Fall mit Asso= ciationen, Corporationen, Communen, so lange sie keine wirkliche staatliche Existenz erlangt haben (§ 15), wie z. B. mit Handelsgesellschaften oder Vereinen (Hansen), wenn gleich sie in älterer Zeit sich zuweilen

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