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daß jedoch irgendwie ein rechtlicher Anspruch darauf begründet sein wird'.

Eine Zurückhaltung des Gesandten, so wie der mit ihm befriedeten Personen und Sachen im fremden Territorium kann unter keinem Vorwande stattfinden, ausgenommen um eine Retaliation zu üben. So lange keine Frist zum Abzuge gesetzt und abgelaufen ist, sind keine anderen gerichtlichen und außergerichtlichen Hoheitsacte gegen ihn für zulässig zu halten, als diejenigen, welche selbst schon während der Ausübung der gesandtschaftlichen Functionen zulässig waren. Insbesondere können auch jetzt keine Schuldklagen förmlich eingeleitet, noch auch Arreste wider die befriedeten Personen und Sachen angelegt werden. Die fremde Staatsgewalt kann daher lediglich auf einem vermittelnden Wege für das Interesse ihrer Unterthanen hinsichtlich etwaiger Forderungen an den Gesandten und dessen Begleiter sorgen, z. B. durch eine öffentliche Bekanntmachung des bevorstehenden Abganges und durch eine Intercession wegen Berichtigung oder Sicherstellung der etwa liquidirten Schulden; jedoch dürfen die Pässe deshalb nicht vorenthalten werden. Vindicationsklagen, selbst in Ansehung beweglicher Objecte, die sonst zu den befriedeten gehören würden, sind nicht ausgeschlossen, folglich auch nicht die vorläufige Beschlagnahme derselben, soweit sie ohne Antastung der persönlichen Unverlegbarkeit ausführbar ist2.

Bleibt eine gesandtschaftliche Person nach gänzlicher Ablegung ihres völkerrechtlichen Charakters in dem auswärtigen Staate, so leben auch alle dadurch gehemmten Rechtsverfolgungen in Ansehung der Civilansprüche auf. Dagegen läßt sich in Betreff der etwaigen Verbrechen und Vergehen, welche sie während ihrer diplomatischen Mission begangen haben könnte, keine weitere Verantwortlichkeit annehmen, indem jene nach dem Princip der Erterritorialität von der gesetzgebenden Gewalt des fremden Staates unabhängig war. Civilansprüche sind durch das Völkerrecht selbst geschützt.

1) Von dem, was sonst hierin üblich war, s. Moser, Versuch IV, 531. Beiträge 432 ff. Leyser, sp. 671, Cor. 6. Jetzt vertritt meistens die Ertheilung von Orden die Stelle der vormaligen Geldgeschenke. Vgl. Mirus § 180—182.

2) Merlin sect. V, § 4, Nr. 6 u. 7. Größere Berechtigungen sucht Evertsen d. J. der Justizgewalt gegen fremde Abgesandte zu vindiciren.

Sweite Abtheilung.

Die diplomatische Kunst 1.

Ihr Wesen.

227. Auch die Diplomatie oder die staatsmännische Thätigkeit in auswärtigen Angelegenheiten ist eine Kunst, ein sich bewußtes Können. Aber um dieses wahrhaft zu sein, darf sie weder eines vernünftigen Grundes entbehren, noch auch vernunftwidrige Zwecke verfolgen. Ihr Grund ist nun kein anderer, als das Recht der vertretenen Staaten, ihr Zweck nur das Wohl und rechtliche Interesse derselben. Niemals also müßte die Diplomatie, ohne zu entarten, ein Werkzeug jener Politik sein, die sich alles Selbst-Zuträgliche erlaubt hält, oder einer unbegrenzten Herrsch- und Eroberungssucht dient, oder eine gänzliche Abschließzung gegen andere Staaten bezielt; sie darf sich ebenso wenig selbst als Zweck setzen, geschäftig sein ohne Princip, oder spielen mit der Verwirrung, um daraus Gewinn zu ziehen; sie darf sich endlich nicht als die Schöpferin des Schicksales der Nationen betrachten, sondern nur als eine Dienerin der Geschichte. Sie muß wissen, daß die Geschicke der Völker einer höheren Ordnung unterworfen sind; daß jedem Staate sein eigenthümliches Leben in der Kette der Dinge angewiesen ist; daß es zwar durch gewaltige Anspannung der Kräfte möglich ist, von dem geschichtlich vorgezeichneten Wege abzuweichen und die Bedeutung eines Staates über sein Gleichmaß mit anderen zu erheben; daß indessen jede übermäßige Anstrengung ihr baldiges natürliches Ziel findet, in Erschlaffung übergeht, und dann auch der über Gebühr erhobene Staat unrühmlich in seine vorige Lage, ja oft noch tiefer herabstürzen kann, als er bei natürlicher Benutzung seiner Kräfte fortdauernd behauptet haben würde. Darin eben besteht nun das ächte diplomatische Wissen als Voraussetzung diplomatischer Thätigkeit, nämlich in einer gründlichen Auffassung der Geschichte und gegebenen Verhältnisse, nicht etwa, um bloß Beispiele daraus für das eigene Handeln oder eine Prognose zu erhalten, sondern um das Wirkliche und Nothwendige

1) Die bereits zu § 199 angegebenen Schriften berühren diesen Gegenstand ebenfalls, obwohl meist nur in seiner Aeußerlichkeit. S. indessen noch: Kölle, Betrachtungen über Diplomatie. Stuttgart und Tübingen 1838.

in den gegebenen Verhältnissen selbst zu erkennen; Aufgabe der Kunst ist es hiernächst, darauf das fernere Verhalten für das Recht und das Wohl des Staates zu bauen, auf sittlichem Wege das Schlechte und Schädliche zu bekämpfen, bis zum letzten Augenblicke endlich die Ehre des Staates aufrecht zu erhalten'. Falsch aber ist es, wenn die Diplomatie fich bloß zur Dienerin einer einseitigen Ansicht, einer Kastenrichtung hingiebt; wenn das System, welches sie vertheidigen und durchführen will, nicht aus der Nothwendigkeit hervorgeht, nicht in der Geschichte und der Bewegung des Weltgeistes begründet ist; denn alsdann hat sie das Schicksal, und gewiß nicht unverdienter Weise, daß sie ihre Zwecke nicht nur nicht erreicht, sondern eher zu einem entgegengesezten Ziele durch ihre einseitigen Bestrebungen hinwirkt.

Ist demnach überhaupt Wahrheit der Grund und das Ziel der diplomatischen Kunst, so dürfen auch ihre Mittel nur der Wahrheit entsprechen: sie darf keine Kunst des Truges sein. Darin hat sie, wie in manchen anderen Stücken, Aehnlichkeit und Berührungen mit der Redekunst. Auch die Redekunst findet ihr eigentliches Feld in der Wahrheit, ihr künstlerischer Zweck kann nur sein, von nicht gekannten oder noch unklaren Wahrheiten zu überzeugen; fie entartet, wenn sie sich zu unmoralischen oder widerrechtlichen Zwecken gebrauchen läßt.

Entstehung und Ausbildung der diplomatischen Kunst.

228. Vermöge der eben angedeuteten Verwandtschaft zwischen Rede- und politischer Kunst sehen wir im Alterthume auch die Führung der Staatenverhandlungen meistens in den Händen oder in dem Munde bedeutender Redner. Redner und Staatsmann und Gesandter waren daher meist Eine Persönlichkeit; als besonderer Gegenstand der politischen Wissenschaft tritt die Diplomatie noch nicht hervor, so ausgezeichnete Diplomaten sich auch schon im Alterthume nachweisen lassen.

Im Mittelalter war, wie so vieles Andere, die Diplomatie theils in den Händen der unterrichteten Geistlichkeit, theils besorgten

1) Sehr gute Bemerkungen in diesem Sinne s. schon bei Mably, Principes des négociations chap. 2, womit auch noch Macchiavelli, del Principe chap. 25 verglichen werden kann.

sie die Männer vom Degen; kurz, einfach, kunstlos. Mit der Unterdrückung der Volksfreiheiten und Corporationen, mit dem Uebergange des Lehnstaates zum absoluten Regierungsstaate wuchs auch eine der bereits oben (S. 11) geschilderten Politik mit gleicher Färbung dienende Diplomatie auf. Es war im Allgemeinen eine Lügendiplomatie, wie man selbst kein Bedenken hatte, einzugestehen; die Kunst der Verstellung im positiven Gewande der Lüge. Qui nescit dissimulare nescit regnare, und: Lügen mit Lügen gelten, war der Wahlspruch. Kein Mittel galt dabei ́ für unerlaubt, am wenigsten Bestechung. Ludwig XI. von Frankreich und Ferdinand der Katholische waren die Hauptrepräsentanten dieser Richtung'.

Die größere Verfeinerung der Sitte und bessere Erziehung, auch der Einfluß der Wissenschaft in ihrer lebendigen Verbreitung mit dem Ausgange des 15. Jahrhunderts, brachte wenigstens einen Schein von gutem Glauben und Recht in die Diplomatie, wenngleich das Geheimniß, List und künstliche Vorwände ihre Hauptwerkzeuge blieben. So zur Zeit Carls V. und Philipps II. Weiterhin umringte sie sich mit einem Nimbus von Galanterie, feinem Weltton und Aeußerlichkeiten aller Art; sie ward das Spiel der Höfe und Hofintriguen; den Gipfelpunkt bildet das Zeitalter Ludwigs XIV. Der Hof von Versailles war gleichsam der Parnaß der Diplomatie, welchem man mit wenigen Ausnahmen während des ganzen vorigen Jahrhunderts huldigte. Bei aller Täuschung und geschmeidigen Verhandlungsweise war es aber doch immer ein Schein des Rechtes, den man allen Ansprüchen und Forderungen anzukleben suchte. Welche Mühe gab sich nicht die Französische Diplomatie, um mit Rechtsgründen darzuthun, daß das Testament Carls II. von Spanien dem früher abgeschlossenen Theilungsvertrage vorgehen müsse; welch ein Hohn des Rechtes waren die Französischen Reunionskammern, und wie schwach die ersten und legten Präterte der Theilung Polens?

Nur hin und wieder taucht in dieser Periode der Französischen Hofdiplomatie ein redlicherer Charakter auf, ein Bestreben um die Sache selbst, um Wahrheit und Evidenz, z. B. an dem Westphälischen Friedenscongresse, wenn auch in der pedantischen Gestalt von.

1) Man s. Flassan, Histoire de la dipl. fr. I, 235. 246. 247. 306.
2) Mably a. a. D. chap. IV, p. 37. Flassan p. 372.

3) Lamberty, Hist. du siècle I, p. 221. 243.

Doctoren der Rechte; sodann in der Britischen Diplomatie, welcher man, wenigstens seitdem Großbritannien seine freie und unabhängige Stellung eingenommen hat, nicht den Vorwurf machen kann, daß sie durch Täuschungen ihre Ziele zu erlangen gesucht habe. Eher könnte man ihr Nücksichtslosigkeit und Derbheit bei vielen Gelegenheiten vorwerfen. - Mit dem ganzen Ungestüme des Republikanismus, oft sogar formlos, trat die Französische Diplomatie in der Revolutionsperiode auf. Sie hatte keine andere Basis als die der Macht und Convenienz. Kein Rechtsverhältniß galt mehr dagegen. Dieser Geist der Diplomatie behauptete sich auch unter Napoleon; nur die Form wurde wieder monarchisch, der Ton aber schneidend und tödtend. Als ihr Mittelpunkt beseitigt war, hatte die Diplomatie der Höfe vornehmlich nur die Herstellung eines politischen Gleichgewichtes zur Aufgabe. Die Rückkehr zur Basis war ihr verschlossen; sie mußte über Seelen und Länder wie mit dem Tranchirmesser verfügen; dann aber hatte sie ihre zum Theil nur willkürliche Gestaltung in eine mysteriöse Rechtsmetaphyfik zu hüllen, worin Legitimität der Hauptbegriff war, dessen offener Erklärung manches Hinderniß entgegen stand.

Ihre neuere Aufgabe schien vorzüglich Friede, Handel und Industrialismus zu sein, allgemeine Behaglichkeit und Wohlhäbigkeit!

Diplomatische Charaktere 1.

229. Große diplomatische Charaktere sind zu allen Zeiten eine Seltenheit gewesen; manche sind wohl selbst der Geschichte unbekannt geblieben; diejenigen vorzüglich, welche nur in untergeordneter Stellung arbeiteten, dennoch aber die Hauptfactoren unter fremdem glänzenderen Namen waren. Oft verschweigt die Geschichte die diplomatischen Thaten der Staatsmänner; denn nicht immer ist es erlaubt gewesen, in die Werkstätte zu schauen und den Schleier zu lüften.

Wir haben hier nicht den Raum, noch weniger den Beruf, eine Geschichte der Diplomatie in den Lebensbildern ihrer Organe zu schreiben, am wenigsten aus der Gegenwart, deren Geschichte noch nicht beendigt ist. Welche große Reihe würden nicht schon diejenigen 1) Einzelnes hierzu liefert Wicquefort II, ch. 17. Desgl. Vergé, Diplomates et Publicistes. Par. 1856.

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