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bilden, deren sich die Römische Kirche zu allen Zeiten bedienen konnte! Beschränken wir uns nun darauf, aus der Geschichte der weltlichen Staaten die hervorragendsten Talente kürzlich zu bezeichnen, so treten uns theils große Souveräne selbst, theils Minister der auswärtigen Angelegenheiten und Unterhändler entgegen. Unter den Ersteren schon im Alterthum ein Philipp von Macedonien als Meister der Diplomatie, wenn Klugheit und List mit künstlichen Mystificationen auf diesen Titel einen Anspruch geben. In der neueren Zeit ein Carl V., Heinrich IV., Elisabeth von England, König Wilhelm III. unstreitig der größeste Politiker des 17. Jahrhunderts. Weiterhin Ludwig XIV. und selbst noch sein Nachfolger Ludwig XV., der mit Liebhaberei der Diplomatie sich ergab; Carl Emanuel, Herzog von Savoyen, mit seinem Système bascule; Catharina von Rußland, Friedrich II. von Preußen und Kaiser Joseph II., welche beide sich gern über die diplomatischen Contours hinaussehend, wo möglich durch die That ein Gewicht in die Wage der Völkerschicksale zu legen suchten.

Indeß bei großen Monarchen tritt jede partielle Thätigkeit unter den übrigen Seiten ihres Handelns in den Hintergrund; ausschließliche Charaktere bieten nur die dienenden Diplomaten. Ihre Leistungen, die sie zum Theil selbst in Memoiren der Nachwelt überliefert haben', sind ohne Zweifel auch die beste Musterschule künftiger Diplomaten. Den Anfang machte Italien. Die größeste Zahl bietet Frankreich; in der Zeit Heinrichs IV. einen Sully, de Morney, de Sillery, vor Allem Arnold Dossat, dessen Kunst Offenheit und Redlichkeit war, womit auch allein in Rom ein Erfolg erreicht werden kann; unter Ludwig XIII. den Grafen von Brienne, Marschall von Bassompierre, dann Richelieu mit dem Pater Joseph de la Tremblaye; als Unterhändler vorzüglich den Grafen d'Estrades, und dann weiter unter Ludwig XIV. einen Mazarin, Servien, Colbert und de Torcy, dessen Aufgabe am Utrechter Congresse eine zuletzt doch mit Glück beendigte Sisyphusarbeit war. Weniger hervortretende Talente gewährte das Zeitalter Ludwigs XV.; erst später erschöpfte sich das

1) Verzeichnisse derselben s. bei Klüber, Völkerrecht, Suppl. § 37 f. und in B. de Martens, Guide dipl. Bibl. choisie t. I, p. 509. Mirus II, § 87.

2) S. Reumont, Italienische Diplomaten von 1260-1550 in v. Raumer, histor. Taschenbuch. 1841. S. 373.

diplomatische Genie in Talleyrand de Périgord. - Von Britischen Diplomaten und Unterhändlern nennen wir vorzüglich den Cardinal Wolsey, sodann die beiden Cecil unter Elisabeth und, wenn wir den noch der älteren Diplomatie angehörigen Henry Wotton unter Jacob I. übergehen', als wahrhaft noblen Charakter William Temple, der sich offen zu dem Grundsatze bekannte, daß man in der Politik stets die Wahrheit sagen müsse. Groß wie im Felde so auch in der Unterhandlung war Marlborough, mit edler Haltung und Feinheit; weniger groß, ihm gegenüber, Charles Bolingbroke. Gewährten die Regierungen Georgs I. und II. mehr nur ein Feld für untergeordnete, obwohl mannigfache diplomatische Thätigkeit, so waren es wieder die Pitt3, welche vollkommen das Ideal der Britischen Politik in sich trugen und durch die That lebendig machten, wie sie auch noch in neuerer Zeit in Canning einen nationalen KernRepräsentanten fand. Ebenbürtig den Britischen Diplomaten zur Seite stehen Washington und Franklin.

Unter den übrigen Staaten waren bis zu Ende des vorigen Jahrhunderts besonders die Republiken Venedig und der vereinigten Niederlande ausgezeichnete Schulen für politische praktische Talente; jene hatte ihre Contarini, Cornaro, Soranzo und Nani, lettere ihren Franz von Aarssens, ihren Großpensionär Witt, Hieronymus Beverning, Jan Oldenbarneveld, ihren Hugo und Peter Groot. Spanien rühmt sich eines Olivarez, Don Haro, eines Grafen von Pegneranda. Eine ununterbrochene Reihe sinniger Diplomaten hatte stets das Haus Desterreich. Unsterbliches Verdienst nicht nur für sein Land, sondern auch für den Europäischen Frieden hat sich darunter Graf Trautmannsdorf am Münster-Osnabrückischen Friedenscongresse erworben, während in der Folge Graf Kaunitz mehr die isolirten Interessen des Kaiserhauses wahrzunehmen Gelegenheit und Charakter hatte. Die höchste und glänzendste Stellung war der Desterreichischen Diplomatie im gegenwärtigen Jahrhundert vorbehalten. Metternich

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1) Seine Marime war noch: il volto sciolto, i pensieri stretti; und in Augsburg konnte er noch in ein Stammbuch schreiben: Legatus est vir bonus peregre missus ad mentiendum reipublicae causa.

2) Ueber ihn: Luden, Biographie von W. Temple. Göttingen 1808. Foreign quarterly Rev. 1834, Febr. S. 28.

3) Ueber diese vgl. Flassan Th. IV.

durfte eines Tages sagen, daß er zuweilen Europa regiert habe. In Preußen hat die regelmäßige unmittelbare Theilnahme der Regenten an den Staatsgeschäften den diplomatischen Capacitäten meist nur die Thätigkeit der Ausführung gelassen; aber es wäre undankbar, die Namen eines Dohna, Herzberg, Hardenberg, Wilhelm v. Humboldt und Bernstorff zu vergessen.

Blicken wir nach Scandinavien, so schauen uns die Geister eines Salvius, Orenstierna, in Dänemark die Bernstorff und ein Graf Lynar an. Sollten wir auch noch der Russischen Diplomatie gedenken müssen, so würden wir nicht sowohl geschichtliche Namen anzuführen haben, als das Geständniß machen müssen: sie hat ohne äußere Fehler ihre Zwecke stets auf sicherem Wege zu erreichen gewußt.

Politik der Diplomatie.

230. Die wesentliche Aufgabe der Diplomatie besteht in der äußeren Sicherstellung der Selbstentwickelung eines Staates. Zunächst bestimmt sich also ihr Verhalten aus der wahren, d. h. naturgemäßen politischen Stellung des Staates, den sie zu vertreten hat, an und für sich, so wie desjenigen, mit welchem man in Berührung kommt; diese Stellung muß sie richtig auffassen und sich ganz damit identificiren'. Ein anderes System wird dann eine Macht vom ersten Range, ein anderes die vom zweiten oder dritten Range verfolgen2.

Eine große Macht hat auf Erfolg am meisten zu rechnen, wenn sie in ihrem Verhalten mit vollem Selbstbewußtsein eine weise Mäßig= keit und Schonung verbindet3. Während sie ihre dominirende Stellung zu behaupten sucht, verwerfe sie nie billige Anträge der anderen; sie strebe ihnen zuvor in freundlichen Diensten, schenke aber nicht den rivalisirenden Staaten zu viel Vertrauen und halte sich nie für zu sicher, forge also schon in den Zeiten der Ruhe und des Glückes für die Zeiten der Gefahr. Nie ziehe sie sich ganz in Un

1) Mably, Droit des gens I, 15 und 16.
2) Mably I, 39 f.

3) Mably verweiset in dieser Hinsicht auf das Beispiel der Römer a. a. D. S. 34. 35. Allein dieses paßt nur auf die Zeiten der Republik, als sie noch Führer von tugendhafter Selbstverleugnung hatte. Zu anderen Zeiten haben fie den Beweis des Gegentheils gegeben.

thätigkeit zurück, sondern sie nehme Theil an anderen Angelegenheiten, nur nicht störend, sondern nach der Gerechtigkeit. Was diejenigen Mächte ersten Ranges betrifft, die zwar nicht zu den eigentlich Tonangebenden gehören, jedoch mit ihnen rivalisiren können, so besteht ihre Hauptaufgabe darin, sich in einem billigen Gleichgewichte zu erhalten und sich wohl zu hüten, nicht in den Ton einer herrschenden Macht zu verfallen. Sie haben dabei den Vortheil, daß sie bei Weitem eher Bundesgenossen finden als die Tonangebenden, ein Vortheil, welcher leicht durch Ueberschreitung der Grenzen ihrer Bedeutsamkeit verscherzt werden kann.

Mächte zweiten Ranges haben meist ein natürliches gemeinschaftliches Interesse unter einander, nämlich so viel als möglich Einmischungen und Uebermacht der Staaten ersten Ranges von sich entfernt zu halten. Befindet sich eine der ersteren in der Mitte mehrerer Großmächte, so muß sie ihre Freundschaft und Neutralität stets theuer verkaufen. Erringt eine solche Macht unter glücklichen Conjuncturen Vortheile, so ist es weise, sich daran genügen zu lassen, und nicht nach dem oft betrüglichen Schimmer einer Großmacht zu streben. Die innere Vollendung des Staates ist es, was die Politik solcher Mächte vorzüglich zu erstreben hat.

Mächte dritten Ranges haben hauptsächlich nur an ihre ungestörte Erhaltung zu denken. Neutralität also, oder wenn diese unmöglich wäre, feste Anschließung an einen größeren, Vertrauen bietenden Staat, wird hier die Hauptrichtung der äußeren Politik sein müssen.

Allen Staatsmännern muß es aber in die Seele geschrieben und die stete Triebfeder ihrer Handelsweise sein, die Ehre und das Wohl ihres Staates bis zum letzten Augenblicke festzuhalten und zu suchen, demnach auch nie vor der Gefahr zu zittern, sondern sie zu bekämpfen. Sie müssen die Ereignisse kommen sehen und richtig würdigen, aber sie nicht machen wollen. Nichts ist für die Staaten und das Wohl der Völker so nachtheilig, als Geschäftigkeit der Diplomatie, blos um etwas zu thun. Die Geschichte des vorigen Jahrhunderts liefert hiergegen warnende Beispiele. Die damals herrschende Vertragssucht hat nichts Großes geleistet, sondern oft nur Verwirrungen und Mißverständnisse herbeigeführt'. Schädlich ist auch, zur

1) Mably I, 10 und des Grafen Lynar Staatsschriften I, 216.

selben Zeit mehrere-Händel oder Angelegenheiten zu haben. Ein erreichbares Ziel mit aller Kraftanstrengung verfolgen, unter Beiseitestellung der minder erheblichen oder entfernteren Ziele, ist besser, als die Vergeudung der Kräfte nach verschiedenen Seiten hin'.

Schule der Diplomatie.

231. Die Schule der Diplomatie ist das Leben und die Geschichte. Vergebens wird man für sie Akademien errichten, wenn nicht diese beiden Lehrmeister ein empfängliches Talent ausbilden. — In älteren Zeiten waren es die Männer vom Schwert, welche oft ohne alle gelehrte Vorbereitung in politischen Angelegenheiten ge= braucht wurden, oder Geistliche in der Schule der Hierarchie geformt. Später erst traten die Laienmänner von der Feder dazu. Darüber klagten anfangs die Männer vom Degen, weil jene oft Dinge unter= nähmen, die den Krieg nach sich ziehen; denn da ihr eigenes Leben nicht in Gefahr komme, so fümmere es sie nicht, fremdes Blut vergießen zu lassen?. So haben noch in neuerer Zeit die Degen gemurrt, daß die Federn verderben oder wieder verlieren, was jene erkämpften. Gewiß indessen ist Politik und Diplomatie nicht das Feld des Kriegers. Dieser verlangt oft mehr, als Recht ist, nur nach dem Stande der Gegenwart. Das Recht aber wird immer die sicherste Basis für die fernere Geschichte eines Staates sein. Damit soll nicht gesagt werden, daß Feldherren nicht ebenfalls tüchtige Diplomaten sein können. Die ältere und neuere Zeit hat großartige Beispiele der Vereinigung beider Talente gegeben.

Kann nun auch schon ein politisches Talent ohne schulmäßige Bildung sich zu einem Diplomaten entwickeln, so wird es doch ohne wirkliche Studien keine sichere Stellung, vorzüglich in heutiger Zeit, behaupten können. Das Leben allein, selbst in höherer Sphäre, bildet höchstens Figuranten. Voraussetzen muß man daher bei dem echten Diplomaten ein Durchdrungensein von den Grundsäßen des Rechtes überhaupt, hinreichende Kenntniß des Europäischen Völkerrechtes, der

1) Beachtenswerth sind in dieser Beziehung Macchiavelli, Discorsi II, 1. Mably I, 18.

2) Die Klage findet sich bei Brienne in seinen Memoiren in Beziehung eines von ihm gemißbilligten Tractates von 1661.

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