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Menschengeschlechtes in dem Verkehre der Nationen und Staaten eine sichere Basis zu geben, worauf jeder Einzelstaat auch ein Hebel ist'.

Natur der Völkergeseße.

3. Als Regulative eines giltigen Völkerrechtes betrachten Viele nur die in Verträgen oder in gegenseitiger gleichförmiger Behandlung deutlich kund gegebene Uebereinstimmung der Staatsgewalten nebst der Analogie der hierdurch vereinbarten Grundsäge. Andere stügen es vornehmlich auf Gewohnheit; noch Andere sehen ein höheres, alle Staaten verpflichtendes Geseß hinzu, ein Naturrecht, welches sie philosophisch construiren. Die Wahrheit ist, daß, wie schon bemerkt, für unabhängige Staaten ein giltiges Recht nur durch gemeinsamen Willen (consensu) besteht, welches zu seiner Giltigkeit weder einer ausdrücklichen Anerkennung in Verträgen, noch einer Bestätigung durch Gewohnheit überall bedarf, vielmehr sind dieses nur einzelne Arten der formellen Erscheinung des Völkerrechtes. Es giebt nämlich

I. ein schon aus innerer Nöthigung anzuerkennendes, darum auch keiner ausdrücklichen Anerkennung bedürftiges gegenseitiges Recht der Staaten, insbesondere der in einem gleichartigen Culturgrade stehenden Staaten. Denn es giebt Grundsäge, die kein derartiger Staat verleugnen darf, wenn er dauernd und mit Sicherheit an dem gemeinsamen Staatenverkehre Theil nehmen will, deren Anerkennung also auch jeder bei dem andern vorausseßt, weil er sonst alle Verbindung mit demselben vermeiden und aufheben würde. So ist von selbst in dem Friedlichzusammenbestehenwollen das Recht der gegenseitigen Achtung der Persönlichkeit enthalten; so in dem Wollen eines zuverlässigen Verkehres das Recht der Verträge und Gesandtschaften; so in der Ausschließung eines ewigen Kriegszustandes das

1) Diese großartigere Ansicht findet sich bereits in des Spaniers Franz Suarez († 1617) Werke de legib. et Deo legisl. II, 19, 4. Vgl. v. Ompteda Literatur I, 187. Ueber die sociale Aufgabe des Völkerrechts s. nun Nob. v. Mohl Staatsr. Völkerr. Pol. Tüb. 1860. I. S. 578 ff.

2) Auch von dem Völkerrecht gilt, was Modestin in 1. 40. D. de Legib. sagt: Omne ius aut necessitas fecit aut consensus constituit, aut firmavit consuetudo. Vergl. unten bei § 8- die Worte von Bynckershoek Quaest. iur. publ. III, 10.

Geseß einer menschlichen Kriegführung. Ein solches ungeschriebenes, von selbst verstandenes Recht verkennen wollen, hieße die Sittlich=" keit der christlichen Staaten auf die niedrigste Stufe stellen. Da= neben giebt es allerdings noch

II. ein durch bestimmte Willensacte geseztes Recht. Dieses wird begründet und bezeugt innerhalb gewisser Staatenkreise: a) durch allseitige stillschweigende oder ausdrückliche Anerkennung eines allgemeinen Grundsages in Einem gegebenen Falle ohne Beschränkung auf denselben;

b) durch den Inhalt und Geist der Staatenverträge; c) durch die gleichförmige Anwendung und Beobachtung des nämlichen Grundsages in gleichartigen Fällen, wobei einerseits die Meinung von einer Verpflichtung gegen den Andern, andrerseits dessen Meinung von einem Forderungsrecht vorwaltet; das Staaten Herkommen, die Staaten - Obser= vanz. Ihr Beweis ergiebt sich vorzüglich aus dem Dasein gegenseitiger gleicher Interessen und aus der Reciprocität der Behandlung.

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Verschieden davon ist das bloß einseitige innere Staatsherkommen jeder einzelnen Macht wider auswärtige Staaten und Unterthanen, bestehend in Beobachtung gewisser Marimen gegen Auswärtige, der eignen innern Ordnung gemäß, oder aus Rücksichten der Menschenliebe und Gefälligkeit (comitas gentium'), so lange sie nicht zu einem Völker-Herkommen geworden ist, oder aus noch engeren rein subjectiven Rücksichten, wie die f. g. Staats- Galanterie oder die freiwillige Beobachtung gewisser Anstandsregeln (§. 194).

Neben dem in solcher Weise begründeten gemeinsamen Staatenrecht einer bestimmten Völker - Vereinigung kann es natürlich auch besondere Rechte gewisser Staaten unter einander geben, deren Entstehungsarten weiterhin nachgewiesen werden sollen (§. 11).

1) Die Bedeutung dieser comitas ist im V. R. oft über- bisweilen unterschätzt worden. Daß sie eine Quelle des internationalen Rechtes sein kann, ist unleugbar, namentlich bei gleichem Interesse an Gegenseitigkeit. Im Besonderen nimmt man darauf Bezug im sogenannten internationalen Privatrecht. Erörterungen darüber s. in John C. Hurd, Topics of Jurispr. conn. with conditions of freedom and bondage. New York 1856. § 78 sqq.

Inhalt des Völkerrechtes und Verhältniß zur Politik.

4. Keine gesellschaftliche Verbindung kann auf einen ewigen Frieden Rechnung machen; und nicht bloß der einzelne Mensch, auch die Nationen fündigen an sich und unter einander. Zur Sühne und Emporhebung aus dem Versinken dient der Krieg. Ein goldenes Zeitalter ohne ihn, ohne seine Nothwendigkeit, wäre ein Zustand der Sündlosigkeit der Völker. Gewiß erzeugt auch der Krieg geistige Bewegung und stählt Kräfte, welche im Frieden schlafen oder versumpfen und ohne Erndte bleiben'. Immerhin ist er die Herstellung des Friedens, ein Schuß gegen das Unrecht und gegen Störungen der Freiheit des vernünftigen Völkerwillens. So kann ihn also auch das Völkerrecht nicht ignoriren, vielmehr hat es ihm recht eigentlich das Gesez vorzuschreiben. Es zerfällt daher selbst wesentlich in zwei Abschnitte:

I. in das Recht des Friedens, oder die Grundverhältnisse der Staaten im friedlichen socialen Zusammenbestehen in Rücksicht auf Personen, Sachen und Obligationen;

II. in das Recht des Unfriedens, oder das Actionenrecht2, welches die Wege und Grundsäge der internationalen Rechtsverfolgung befaßt.

An beide schließt sich sodann noch

III. die äußere Staatenpraris, insbesondere Recht und Form des diplomatischen Verkehres3.

1) „Nullum omnino corpus sive sit illud naturale sive politicum, absque exercitatione sanitatem suam tueri queat. Regno autem aut reipublicae iustum atque honorificum bellum loco salubris exercitationis est. Bellum civile profecto instar caloris febrilis est, at bellum externum instar caloris ex motu, qui valetudini inprimis conducit. Ex pace enim deside et emolliuntur animi et corrumpuntur mores." Baco Serm. fidel. t. X. p. 86. S. auch Polybius IV, 31.

2) Ius belli. Von Ifidor ius militare genannt. c. 9. 10. D. 1.

3) Gegen obige Anordnung, welche der juristischen Anschauung und Gewöh nung sehr nahe liegt, haben sich manche Stimmen erklärt, z. B. Bulmering, die Systematik des V. R. Dorpat 1858, auch Mohl u. A. Die kunstvollste Methodik wird jedoch in der Ausführung immer wieder auf die obigen Categorieen zurückführen oder ein stilles Sehnen danach erzeugen. Der Verfasser hat sie nicht aus Bequemlichkeit oder Gewöhnung festgehalten.

Einzelne Theile des Völkerrechts find das Seerecht, das s. g. internationale Privatrecht und Fremdenrecht.

Neben dem Völkerrecht und unter den Staatswissenschaften ihm am nächsten steht die äußere Politik der Staaten oder die Klugheitslehre von dem richtigen Verhalten eines einzelnen Staates gegen die anderen. Ein Widerspruch zwischen Völkerrecht und Politik, wenn er auch in der Praris öfters vorhanden ist, kann naturgemäß nicht stattfinden; es giebt nur Eine Wahrheit und keine sich widersprechenden Wahrheiten. Eine sittlich correcte Politik kann niemals thun und billigen, was das Völkerrecht verwirft, und andererseits muß auch das Völkerrecht gelten lassen, was das Auge der Politik für den Selbstbestand eines Staates schlechterdings als nothwendig erkennt. Denn der Vorbehalt dieses Selbstbestandes ist ohne Widerrede die Bedingung des Eintrittes in eine Völker-Genossenschaft, ebenso gewiß auch der Vorbehalt der eigenen Volkswohlfahrt im Zwiespalt' mit der Wohlfahrt Anderer, wo die Frage des Rechtes oder der Selbsterhaltung nicht vorliegt.

Natürliche Garantie des Völkerrechtes: das Gleichgewicht der Staaten.

5. Auch da, wo sich ein bestimmtes Völkerrecht im Bewußtsein und in der Uebung der Nationen befestiget hat, zeiget die Geschichte unzählige Gefahren und Verlegungen desselben auf. Es ist vorzüglich dem Anreize der Macht blosgestellt, über andere zu herrschen und sie sich dienstbar zu machen. Zu seinem Schuße kann indessen ein gewisses Gleichgewicht der Staaten und Nationen unter einander wesentlich beitragen. Dieses Gleichgewicht besteht im Allgemeinen darin, daß jeder Einzelstaat, indem er sich zu einer Verlegung des Völkerrechtes an Anderen entschließet, eine gleichkräftige Reaction nicht nur des Bedrohten, sondern selbst der übrigen zu erwarten hat, welche an demselben völkerrechtlichen System Theil nehmen, um einer gefährlichen Veränderung der bestehenden Staatsverhältnisse entgegen zu wirken. Praktisch ist es nicht blos mit einem materiellen Gleich

1) Denn ohne solchen wird eine sittliche Politik nicht vergessen, was Cicero (de off. III, 6) und mit ihm Lactant. (Inst. div. VI, 6) gesagt: Qui civium rationem dicunt habendam, externorum negant, hi dirimunt communem humani generis societatem etc.

gewicht der einzelnen Staaten unter einander denkbar, welches allerdings geschichtlich selten oder nie existirt hat und, wenn ja zuweilen vorhanden, dennoch einer steten Veränderung unterworfen wäre, da die Nationalkraft sich nicht in allen Staaten gleichmäßig entwickelt, førtschreitet und finkt; sondern es kann auch auf einer moralischen Gesamtbürgschaft ungleicher Staaten beruhen, vermöge deren alle Glieder einer Staatengesellschaft sich verpflichtet halten, der bedenklichen Uebermacht Einzelner vorzubeugen und mit vereinter Macht entgegen zu treten. Natürlich darf aber auch hier die erforderliche physische und moralische Kraft der Uebrigen zur Abwehr des Mächtigsten nicht fehlen, sonst wird diesem gegenüber Gleichgewicht und Völkerrecht ein leerer Schall. An und für sich aber ist die Idee eines politischen Gleichgewichtes der Staaten durchaus keine Chimäre, wofür sie Manche erklärt haben, sondern eine höchst natürliche für Staaten, die sich zu demselben Recht bekennen wollen; nur die Anwendung, welche davon zu manchen Zeiten gemacht ist, und die Folgerungen, die darauf gebaut wurden, sind verwerflich'.

II.

Das Europäische Völkerrecht.

Geschichtliche Genesis 2.

6. Schon in der alten Welt finden sich übereinstimmende Völkergebräuche im wechselseitigen Verkehre, vornehmlich in Betreff der

1) Die Schriften über das Europäische Gleichgewicht finden sich nachgewiesen in v. Ompteda Lit. II, 484 ff., v. Kampß n. Lit. 98. 99 und in Klüber dr. des gens § 42. S. auch Fichte, Reden an die D. Nation. Berl. 1808. S. 411-417. Ueber den Einfluß der Idee des Gleichgewichts auf das Völkerrecht vergl. den folg. §.

2) Hauptwerk, R. Ward, Enquiry into the foundation and history of the law of nations in Europe, from the time of the Greeks and Romans to the age of H. Grotius. Lond. 1795. 2 Vols. Dann H. Wheaton, histoire des progrès du droit des gens depuis la Paix de Westphalie. Leipz. 1841. 2. éd. 1846. Müller-Jochmus, Gesch. d. Völkerr. im Alterthum. Leipz. 1848. F. Laurent (Prof. à Gand.). Histoire du dr. d. g. Par. 1851. T. I-VIII; 3. ed. 1853. de Wal, Inleiding tot v. W. d. h. Volkenregt. Groning. 1835. p. 124–171.

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