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schon vorher freut und an den der Wanderer noch lange gern zurückdenkt. Wer als Lehrer die fremdsprachlichen Rezitationen von der Hand weist, verzichtet damit zum Schaden der harmonischen Ausbildung seiner Schüler, zum Schaden seines Unterrichts auf ein erprobtes Mittel, das ästhetische und sprachliche Interesse zu wecken.

Es wird sich kaum jemand dem Eindruck verschliessen, dass die Gründe, welche Köhler gegen die fremdsprachlichen Rezitationen vorbringt, samt und sonders im höchsten Grade anfechtbar sind. Trotzdem hat er den Mut, über diese von Hartmann so vortrefflich organisierte und geleitete Unternehmung kurzerhand den Stab zu brechen. „Der Versuch ist fehlgeschlagen, der Boden der Rezitation ist überhaupt zu verlassen," so lautet sein Verdikt. Ist das auch die Meinung der Fachgenosssen? Nach seiner Darstellung sollte man es meinen.

Sie erweckt sogar den Anschein als wäre sein Standpunkt „von behördlicher Seite" sanktioniert. Er weist nämlich auf den Plan der Schulverwaltung hin, nach dem Vorgange Frankreichs junge Franzosen und Engländer heranzuziehen, um Konversationsübungen an unseren Schulen abzuhalten und sieht darin ein abfälliges Urteil über die Rezitationen. Ganz mit Unrecht. Für diese Annahme fehlt jeder Anhalt. Gerade in Preussen ist Hartmanns Unternehmen sehr günstig aufgenommen worden, und dann handelt es sich doch um zwei grundverschiedene Dinge, hier die Veranstaltung eines künstlerischen Vortrags, der die ästhetische Seite des Unterrichts fördern und das Interesse für diesen beleben soll, dort eine Organisation, die durch Konversationsübungen den praktischen Gebrauch der Sprache lehren will. Das eine schliesst das andere nicht im geringsten aus; man kann sagen, dass beide Veranstaltungen sich auf das glücklichste ergänzen könnten. Dabei haben die Rezitationen bedeutende Vorzüge. Sie brauchen den Schulbetrieb so gut wie gar nicht zu stören und verlangen keine nennenswerten finanziellen Opfer. Ist das auch bei der Einrichtung jener Konversationsübungen denkbar? Sollen diese Konversationsstunden den bestehenden Lektionen hinzugefügt werden oder für diese eintreten? Diese eine Frage beleuchtet schon die Schwierigkeit der Sache. Ausserdem sind nach den von mir eingezogenen Erkundigungen in Frankreich nur einige der besten Schüler zu solchen Uebungen zugezogen worden. Man wird also die weitere Entwicklung dieses Planes abwarten müssen und das Gute dann nehmen, wo man es findet.

Köhlers Darstellung gibt aber nicht nur von dem Urteil der preussischen Unterrichtsverwaltung, sondern auch. von der Stellung der Direktoren und Lehrer zu den Rezitationen ein falsches Bild; namentlich müssen Aussenstehende annehmen, dass der hier in Herford angestellte Versuch" mit einem vollständigen Misserfolg geendet habe. Dies ist aber keineswegs der Fall.

Wir

haben hier in drei aufeinanderfolgenden Jahren je eine Rezitation veranstaltet, und zwar vor einer stetig wachsenden Schülerzahl (das Auditorium zählte zuletzt 400 Personen), so dass man sich fragen muss, ob nicht die Zahl der Teilnehmer bereits so gross geworden ist, dass sie die Wirkung beeinträchtigt. Diese war bei den beiden ersten Vorträgen eine ausgezeichnete und bei dem dritten trotz einer vorübergehenden Indisposition des Rezitators so befriedigend, dass die beteiligten vier Lehranstalten ausser der Landwirtschaftschule auch für dieses Jahr eine Wiederholung der Veranstaltung wünschen. Und wie stellt Köhler die Aufnahme, welche Hartmanns Unternehmen in Deutschland gefunden hat, dar? Er spricht nur von den „rezitationsmüden Stimmen“. Von dem überaus günstigen Urteil der überwiegenden Mehrheit, von der bedeutsamen Tatsache dass bisher 130000 Schüler an den Rezitationen teilnahmen, davon redet er nicht. Er hat alles zusammengetragen, was etwa gegen die Rezitationen sprechen könnte, einen Anspruch auf Objektivität kann seine Darstellung daher auch in diesem Punkt nicht erheben.

Kurz, man muss mutatis mutandis Köhlers eigene Worte gegen ihn wenden. Es war ein Versuch, die Rezitationen in Misskredit zu bringen, ein sehr interessanter Versuch; aber er ist fehlgeschlagen.

Herford.

Entgegnung.

F. Böckelmann.

Der vorstehende Artikel meines Kollegen, des Oberlehrers Böckelmann in Herford, hat mich veranlasst, noch einmal meine Aeusserung über die Rezitation im Maiheft der vorliegenden Zeitschrift zur Hand zu nehmen, um zu entdecken, was Böckelmann zu dem scharfen und persönlichen Tone seiner obigen Ausführungen hat veranlassen können. Ich habe auch jetzt in meinem Artikel nichts finden können, was meinem damaligen klaren Vorhaben, mich völlig generell über die Rezitationsfrage zu äussern, zuwider liefe. Der Gedanke, Herforder Verhältnisse zu schildern, hat mir, wie ich aufs bestimmteste versichere, völlig fern gelegen und kommt auch in meinem Aufsatze an keiner Stelle zum Ausdruck. Dass meine völlig sachlichen Erörterungen (ich habe sogar den Veranstaltern der Rezitation meinen aufrichtigen Dank ausgesprochen) als persönlicher Angriff gedeutet und unter diesem Gesichtspunkte erwidert werden würden, konnte ich leider nicht ahnen.

Ich habe in meinem Artikel, im Gegensatze zu Böckelmann, welcher keinen einzigen Einwand gegen die Rezitationseinrichtung gelten lässt, frei zugestanden, dass der Vortrag einer Minorität von tüchtigen und geweckten Schülern eine ästhetische und fachliche Anregung gibt, nur behaupte ich nach wie vor, dass die Nachteile der Einrichtung die geringen Vorteile derselben überwiegen.

Als ordnungsmässige Lektüre für drei, vier, ja fünf verschiedene

Jahrgänge kann ich trotz Böckelmanns Hinweis auf die alten Sprachen das Rezitationsheft nicht ansehen, denn dieses kann in der französischen Lektüre nicht im entferntesten die beherrschende Stellung beanspruchen, wie der Homer in der griechischen, und wenn wirklich einmal im Lateinischen dasselbe Werk desselben Schriftstellers in der Untersekunda und Oberprima gelesen wird, so ist dieser Ausnahmefall nicht zu vergleichen mit der alljährlichen programmmässigen Verpflichtung von vier verschiedenen Klassen auf dieselbe Lektüre. Das letztere ist m. E. ein unnatürlicher Zustand.

Auch stofflich ist die Lektüre des Rezitationsheftes wegen der Verschiedenartigkeit der einzelnen Stücke nicht einwandsfrei. Böckelmann gibt zwar an, dass nach der Velhagen & Klasingschen Aufstellung dieselben Lesestoffe zuweilen der Prima und Sekunda, zum Teil sogar auch noch der Tertia zugewiesen wären, und behauptet, dass überhaupt die Zuweisung einzelner Lesestoffe an bestimmte Klassen mehr oder weniger willkürlich geschehe, doch glaube ich nicht, dass diese Willkür so weit geht, um in der Untersekunda (Gymn.) „Mes Débuts dans le Monde", in Oberprima „Les Adieux de Marie Stuart" lesen zu lassen, unter normalen Verhältnissen wenigstens; aber der Rezitation zuliebe -!

Auch hinsichtlich des Inhaltes kann ich das Rezitationsheft nicht als selbständige Lektüre ansehen; die darin enthaltenen Stücke sind zwar vortrefflich ausgewählt, bestehen aber doch zum grossen Teil aus Gedichten, zum grossen Teil aus Bruchstücken, und bilden so eine zerrissene, in sich verschiedenartige Lektüre. Eine solche kann m. E. nicht als Ersatz für die Lektüre eines grösseren Literaturwerkes dienen. Böckelmann behauptet zwar, dass sich das Heft neben ein oder zwei umfangreichen Werken erledigen liesse; in Wirklichkeit wird es meist nur ein Werk sein, so dass dann ein Gymnasialabiturient in seiner ganzen Schulzeit nur drei! zusammenhängende Werke gelesen hätte; so müssen unter Umständen wesentliche Werte des eigentlichen Unterrichts die Kosten der Rezitation bezahlen. Vermutlich aus dieser Befürchtung hat daher auch in einem mir bekannt gewordenen Falle das Kgl. Prov.-Schulkollegium die Wahl des Rezitations heftes als selbständige Semesterlektüre abgewiesen.

Versucht man nun aber, das Rezitationsheft wirklich neben zwei zusammenhängenden Werken zu bewältigen, so kommt man entweder arg ins Gedränge und muss sich ausserdem vorwerfen lassen, dass man seine Schüler mangelhaft vorbereitet habe,1) oder man macht es, wie

1) Ich bemerke hier, dass Böckelmann eine Stelle meines Aufsatzes missverstanden hat. Ich beabsichtige auf S. 195 nicht, den Schülern das tatsächliche Erfassen des Gedankenganges des Vortrages abzusprechen, sondern weise nur darauf hin, dass dieses Erfassen, da es sich um vorbereitete

Hartmann in seinen neuesten Mitteilungen (S. 12) zeigt: Man übersetzt den Text und lässt die Schüler die Bedeutung der ihnen unbekannten Wörter notieren. Ist das auch noch fremdsprachliche Lektüre? Man sieht, dass die Rezitationsfreunde aus Liebe zur Sache zuweilen auch einige Konzessionen nicht scheuen.

Nein, es bleibt trotz ailedem bestehen, dass nicht nur wegen der „unzweckmässigen Dispositionen des Lehrers", sondern aus Gründen, wie sie im Maiheft dieser Zschr. hinreichend erörtert sind, die Rezitation als eine ausserhalb der Schule stehende Einrichtung störend in die Schultätigkeit eingreift. Dasselbe Verhältnis würde bestehen, wenn im deutschen Unterricht ein Teil der Zeit zur Vorbereitung für dramatische Aufführungen verwendet würde; auch das würde die Schüler anregen und belehren, wäre es aber zweckmässig für die geordnete Schularbeit? Auch hier könnte man vielleicht eine gewisse Katerstimmung beobachten, wenn die Schüler das für einige Wochen nach aussen gewandte Interesse wieder auf die ernstere Schularbeit richten müssen.

Eine auffallende Tatsache sei hier noch erwähnt: Hartmann2) behauptet (Mitteilungen S. 9), der Lehrer habe den grössten Gewinn von den Rezitationen; Böckelmann lässt den Hauptgewinn dem Schüler zufallen. Wer von beiden hat recht? Wenn Hartmann, so wäre damit m. E. die Rezitationsfrage, insofern sie eine Schulfrage ist, gelöst.

Bewegt sich nun die Rezitationseinrichtung in aufsteigender Linie? Schwerlich, denn während in den bisherigen sechs Jahren durchschnittlich 22000 Schüler (resp. Schülerinnen) die Vorträge besucht haben, ist das letzte Jahr mit 20400 Besuchern hinter dem Durchschnitt zurückgeblieben (Mitteilungen S. 8). Auch hier in Herford bezeichnet wohl die Besuchsziffer des vorigen Jahres (400) den Höhepunkt, denn da für die kommende Rezitation die Realschule seit drei Jahren zum ersten Male die Vorbereitung abgelehnt hat und auch einige Gymnasialklassen fernbleiben werden, so dürfte obige Zahl diesmal wohl reichlich um 100 zurückgehen.

Diese und andere Tatsachen (s. Breslau!) sollten doch die Rezitationsfreunde darüber belehren, dass es auch Neuphilologen gibt, die nicht nur Lichtseiten an der Einrichtung sehen. Meine eigene Anschauung darüber hat sich durch die Böckelmannsche Entgegnung kaum geändert. Ich nehme mir vielmehr nach wie vor zwar nicht den „Mut“, ein „Verdikt" zu fällen, wohl aber das Recht, die Ueberzeugung aus

Stücke handelt, sich nicht durch den Vortrag, nicht erst während des Vortrages vollzieht, und dass demnach die Rezitation als Gehörsübung nur geringen Wert hat.

2) Für Herrn Prof. Hartmann möchte ich anbei berichtigend bemerken (s. Mitteilungen S. 9), dass die Einteilung in einen ersten und zweiten Vertreter der neueren Sprachen an unserer Anstalt zurzeit noch nicht vorgenommen ist.

Universität Kiel, Dr. Wendt, Professor an der Oberrealschule vor dem Holstentore): Dr. Henry Bradley-Oxford: „The Oxford English Dictionary"; Dr. Creizenach, Professor an der Universität Krakau: Hamletphilologie: Dr. Hecht, Privatdozent an der Universität Kiel: Der gegenwärtige Stand der Balladenkritik; Dr. Holthausen, Professor an der Universität Kiel: Thema noch unbestimmt; Dr. Jespersen, Professor an der Universität Kopenhagen: System oder Systemlosigkeit in der Behandlung der englischen Grammatik; Dr. Spiess, Berlin: Ein lexikographisches Experiment: Der Wortschatz von John Gower's Confessio Amantis in Zettelform katalogisiert.

Mitgliedskarten sind schon vor Beginn der Versammlung, spätestens bis zum 30. September, bei dem Schatzmeister des Ortskomitees, Herrn W. H. Breymann, zu lösen. Die Zahlungen für die Karten erfolgen durch die Post an die Firma Breymann & Hübner, Hamburg oder per Bank an die Hamburger Filiale der deutschen Bank für W. H. Breymann als Schatzmeister der 48. Vers. d. Phil, u. Schulmänner. Im Empfangsbureau (am 2. Oktober im Dammtorbahnhof, vom 3. Okt. ab im Konzerthaus Hamburg) wird weitere Auskunft, Wohnungsvermittelung durch Herrn Dr. H. v. Reiche, Hamburg 7 angeboten.

Deutscher Neuphilologen-Verband.

Der auf dem 11. Deutschen Neuphilologentage in Köln gewählte Vorstand hat satzungsgemäss am 1. Januar 1905 die Leitung des Verbandes übernommen und bittet in einem Rundschreiben um die tatkräftige Unterstützung aller Verbandsmitglieder.

Schriftliche Anmeldung neuer Mitglieder, die keinem Lokalverbande angehören, nimmt der erste Schriftführer Dr. Oeftering, München, Rumfordstrasse 3/III jederzeit entgegen. Der auf 1 Mk. ermässigte Beitrag ist an den Verbandskassenwart, Gymn.-Professor Dr. Heinrich Gassner, München, Wörthstrasse 33, einzusenden.

Es wird dringend um fortgesetzte rege Beteiligung bei den mannigfachen Arbeiten des Lektürekanon-Ausschusses gebeten. Alle jene Mitarbeiter, die noch weitere Druckformulare wünschen, mögen sich für die englische Abteilung an Prof. Dr. Scherffig am Realgymnasium in Zittau (Sachsen), für die französische an Prof. Dr. Kron, Kiel, Hohenbergstrasse 1 wenden. An diese beiden Abteilungsvorstände sind auch die Gutachten einzusenden..

Zur Förderung der leider immer noch recht lückenhaften und ungenauen Reisestipendienstatistik ergeht an alle Mitglieder des D. N.-V. wiederholt die Bitte, Material, insbesondere auch über die von Städten und Stiftungen gewährten Stipendien an den Vorstand gelangen zu lassen.

Für den 12. allgemeinen deutschen Neuphilologentag, der in der

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