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Alfred Pernot, Enseignement par l'aspect. Leçons de choses et grammaire. Esslingen-Allemagne, J. F. Schreiber. 143 S.

Die Anschauungsliteratur ist durch das Pernotsche Buch um ein weiteres Hilfsmittel bereichert worden. Wie seine Vorgänger bemüht sich Pernot durch die bildliche Vorführung von Gegenständen die vielgepriesene unmittelbare Verknüpfung der fremdsprachlichen Worte mit den bezeichneten Begriffen ohne das störende Dazwischentreten der Muttersprache❝1) herzustellen. Pernot ist in der Durchführung dieses Lehrideals noch kühner als mancher seiner Vorgänger; er begnügt sich nicht damit, die sinnlich wahrnehmbaren Dinge zur Grundlage für seine sprachlichen Belehrungen zu machen, sondern er bemüht sich, dem Schüler auch solche Begriffe auf dem Wege der Anschauung zuzuführen, welche eine Darstellung im Bilde schlechterdings nicht zulassen. S. 15 bietet das erste Beispiel für diese verwegene Methode. Es handelt sich darum, die Relationsvorstellungen der Grösse und des Alters zu veranschaulichen, Verfasser stellt zu diesem Zwecke einen langen Soldaten einem kleinen rundlichen Herrn in Zivil gegenüber, der mit erhobenem Blick an der überlegenen Gestalt seines martialischen Vis-àvis hinaufschaut. Der Soldat dient, wie man erst aus dem daruntergesetzten Text ersieht, dazu, den Begriff „(très) grand" zu veranschaulichen, während der kleine Herr, der, wie man nun vermuten muss, zur Veranschaulichung des konträren Begriffs (très) petit" dienen sollte, vielmehr den mit dem Begriff der Grösse in keiner Beziehung stehenden Begriff der Dicke versinnbildlicht. Die neben diesem anmutigen Paare abgebildete Figur eines auf Krücken gebeugt einherschreitenden langbärtigen Greises ist ebensowenig glücklich gewählt und in ihrer Bestimmung unmissverständlich zu erkennen, da sie gerade so gut den Begriff „lahm" wie den vom Verfasser gewollten Begriff „alt“ veranschaulicht. S. 50, 51 findet sich ein ähnlich geschmackloses und bedenkliches Verfahren, um dem Auge nicht wahrnehmbare abstrakte Begriffe wie il fait froid, il fait chaud" etc., im Bilde wiederzugeben. Wenn der Verfasser auch hier die Erweckung der begrifflichen Vorstellung an die konkrete bildliche Darstellung knüpft, indem er den Begriff der Kälte durch ein auf einem Schlitten fahrendes Kinderpaar, den Begriff der Hitze in der Person eines von der Sonne beschienenen wohlbeleibten Herrn, der sich seines Rockes entledigt hat und sein Taschentuch auf das Gesicht hält, veranschaulichen will, so kann diese Art der bildlichen Erläuterung ebensogut zu anderen Auslegungen berechtigen, als wirklich von der Notwendigkeit der von dem Verfasser gewollten Deutung überzeugen.

Zu den Vieldeutigkeiten und Missverständnissen dieser Art tritt

1) K. A. Martin Hartmann, Die Anschauung im neusprachlichen Unterricht, Wien 1895, S. 6.

als weiterer Mangel des Pernotschen Buches der Umstand hinzu, dass durch die Vielheit der auf den Bildern dargestellten und nicht deutlich unterscheidbaren Gegenstände die klare Einzelanschauung, welche für die Zwecke des auf konkret-sinnlicher Grundlage aufgebauten Anschau. ungsverfahrens unerlässlich ist, gehemmt wird. Was Wohlfeil, Der Kampf um die neusprachliche Unterrichtsmethode (Frankfurt 1901) S. 20 ff. und Sweet (s. diese Zeitschrift I. S. 276) in dieser Hinsicht rügen, bleibt wahr und wird auch durch Pernots Leistung von neuem bestätigt. Man vergleiche nur einige seiner Vollbilder, um sich zu überzeugen, wie wenig der getadelte Uebelstand, welcher den Anschauungslehrbüchern mehr oder minder allgemein eigentümlich ist, auch bei Pernot vermieden ist. Auf Vollbild S. 7 vermochte ich nicht die Ziffern 11 und 20 in ihrer Bestimmung zu erkennen, ebensowenig vermochte ich zu unterscheiden, ob Ziffer 26 desselben Bildes das Rad der Nähmaschine oder die ganze Nähmaschine bezeichnet. Auf S. 13 kann Ziffer 25 ebensowohl das Kreuz des Fensters als das Fenster selbst bezeichnen. Ueber Dasein und Zweck von Nummer 26 (fenêtre) darf man um so mehr im Zweifel sein, als der Verfasser schon mit Nummer 25 denselben Gegenstand bezeichnet wissen will. S. 27 sind mir die Kindergestalten Nr. 9 und 10 nicht als écolier und écolière kenntlich gewesen, und ebensowenig Nr. 22 als Bezeichnung des forgeron. Auf S. 59 deutete ich Nr. 1 als Kennziffer des Leinwanddaches der Marktbude, nicht der ganzen Bude selbst (ähnlich S. 77, Nr. 13). S. 87, Nr. 7 (semence) ist ebenfalls nicht ohne weiteres zu erraten. Die Mängel des Pernotschen Anschauungsmaterials, welche mit den hervorgehobenen Stichproben nicht erschöpft, sondern nur aufs neue gerügt sein sollen, sind für die Beurteilung der Brauchbarkeit des Buches nicht gleichgiltig. Ob das Buch in den Händen der jungen Landsleute des Verfassers, welche die école primaire oder die classes élémentaires der Collèges und Lycées besuchen, den von dem Verfasser (Vgl. seine Préface!) erhofften Nutzen bringt, wage ich nicht zu entscheiden. Gewiss vermag eine reiche Auswahl von Bildern für die von dem muttersprachlichen Schulunterricht verfolgte Aufgabe, den Schüler aus der Ausdrucksweise der Umgangssprache in die Gewöhnung an die Literatursprache einzuführen, vortreffliche Dienste zu leisten; aber es bleibt mir doch noch fraglich, ob gerade die Pernotschen Bilder in ihrer nicht immer einwandfreien und geschmackvollen Ausstattung die für diesen Zweck wünschenswerten und geeigneten sind. Für unsere höheren Schulen dagegen, welche das Französische als künstlich zu erlernende Fremdsprache betreiben, lässt sich der Gebrauch des Pernotschen Buches mit Rücksicht auf die Bedenklichkeit der von seinem Verfasser vertretenen Methode nicht empfehlen. Die Missverständnisse, welche sich aus der unzulänglichen Ausführung der Bilder ergeben, lassen sich in dem muttersprachlichen (französischen) Anschauungsunterricht zur

Not noch durch Zuhilfenahme von erläuternden Bemerkungen aus dem den Schülern durch ihre tägliche Sprechgewöhnung bereits vertrauten Wortschatz beseitigen. Dieses notwendigen Hilfsmittels aber muss sich der Unterricht unserer höheren Schulen zum allerbesten Teil begeben, wenn er nach dem von Pernot (Préface!) vorgeschlagenen und angepriesenen Verfahren auf Grund der Anschanung" erteilt werden soll und zu diesem Zwecke nach dem Vorgang der Berlitz-Methode grundsätzlich und absichtlich auf das Hilfsmittel der Muttersprache Verzicht leistet. Wie soll man es da noch ohne allzu grosse Umständlichkeiten und ohne die Gefahr neuer Missverständnisse ermöglichen, den Schüler, falls ihm die Undeutlichkeit des Anschauungsbildes in Zweifel versetzt, darüber aufzuklären, dass um nur einen Fall zu nennen Nr. 26 auf S. 7 nach der Absicht des Verfassers die ganze Nähmaschine anzeigt und nicht etwa bloss das Rad, zu welchem jene Kennziffer unglücklicherweise gesetzt ist? Der Schüler wird über den Sinn der mit der betreffenden Nummer versehenen französischen Bezeichnung um so eher im Zweifel bleiben müssen, als ihm sein geringer französischer Wortschatz nicht ermöglicht, die von dem Lehrer gegebenen fremdsprachlichen Erläuterungen zu verstehen, und dem Lehrer für seine Erklärungsversuche der nächstliegendste und sicherste Weg durch die Muttersprache verschlossen bleibt.

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Zu diesen durch die Ausstattung des Pernotschen Anschauungsmaterials nahegelegten Bedenken gegen eine Empfehlung des Pernotschen Buches für den Klassenunterricht unserer höheren Lehranstalten tritt noch eine weitere Erwägung, welche sich aus der Eigenart der zugrunde liegenden Lehrmethode ergibt. Wenn die Bekenner des Anschauungsverfahrens (und mit ihnen Pernot) die Muttersprache von Anfang der fremdsprachlichen Unterweisung an dadurch überflüssig zu machen suchen, dass sie die Gegenstände, deren fremdsprachliche Namen dem Schüler übermittelt werden sollen, im Bilde oder, soweit möglich, sogar in der Natur im Unterricht vorführen und beim Zeigen auf diese Gegenstände den fremden Namen aussprechen und einprägen, um unter Zuhilfenahme des Auges die Vermittelung zwischen den den Schülern unter deutschem Namen bekannten Dingen mit den zum Ausdruck der nämlichen Begriffe verwendeten fremdsprachlichen Lautgebilden herzustellen, so vermag sich eine unbefangene Beobachtung eines solchen Verfahrens von vornherein nicht der Einsicht zu erwehren, dass die sinnenfällige Vorführung von Gegenständen bei weitem nicht ausreicht, um den Wortvorrat einar Sprache, selbst in der für die Zwecke der Schule angezeigten Beschränkung, zu lehren. Begriffe, welche sich weder mit den Augen sehen noch bildlich unmissverständlich genug darstellen lassen, müssen bei der Anschauungsmethode beiseitegelassen werden, und gerade solche Begriffe bilden nicht bloss den eigentümlichen Reichtum jeder Kultursprache, sondern auch die unentbehrliche

Voraussetzung für das Verständnis sowohl der gesprochenen Rede wie der Lektüre, welche beide gut daran tun, geistigen Gehalt anzunehmen, statt sich in oberflächlicher Weise mit äusserlich sichtbaren Dingen zu befassen. Uebertragene Bedeutungen und Eigenschaften, abstrakte Begriffe, stehende Wendungen der Umgangssprache u. s. f., die man nun einmal im sprachlichen Leben nicht entbehren und nimmermehr durch Anschauen, Tasten und Riechen erlernen kann, liegen jenseits der Erreichbarkeit dieser Methode, deren bedenklichster Nachteil darin besteht, dass durch eine allzu weitgehend und planmässig betriebene Beschäftigung der Sinne der ernsten gedanklichen Tätigkeit auf die Dauer entgegengearbeitet wird.1)

Die von den Anschauungsmethodikern angestrebte Beseitigung der muttersprachlichen Bezeichnungen wird sich bei einem solchen auf konkret-sinnlicher Basis aufgebauten Anschauungsverfahren nur auf Kosten der Klarheit und inneren Anschaulichkeit durchführen lassen und wenigstens in den Anfängen der Spracherlernung - immer nur eine rein äusserliche Sache bleiben müssen. Zwischen dem muttersprachlichen Wort und dem durch dasselbe bezeichneten Begriff findet. durchaus nicht ein bloss äusserliches assoziatives Verhältnis statt, welches sich bei der auf eine verhältnissmässig geringe Zeitdauer beschränkten künstlichen Erlernung einer Fremdsprache im Klassenunterricht sogleich von Anbeginn der Erlernung einer Fremdsprache an zugunsten einer unmittelbaren Verknüpfung des Begriffes mit einem fremdsprachlichen Wort ohne Schädigung der Muttersprache auflösen oder in seiner Intensität wesentlich herabsetzen lässt. Selbst wenn der fremdsprachliche Unterricht vermittelst eines geschickt gehandhabten Anschauungsverfahrens, an dessen Vervollkommnung von Seiten fanatischer Reformer mit Eifer gearbeitet wird, durch die Einwirkung auf die Sinne nnd durch unmissverständliche Vorführung von Objekten die Muttersprache als äusserliches Verständigungsmittel voll und ganz zu ersetzen vermöchte, so ist doch der dadurch (nach Ansicht der Reformer) für eine schnellere Spracherlernung erlangte Gewinn tatsächlich nicht in dem Masse von der Erinnerung an die muttersprachlichen Sachbezeichnungen unabhängig, wie von den Reformern so gern behauptet wird. Die Aufmerksamkeit auf einen Gegenstand schliesst vielmehr ihrem Wesen nach in sich, dass sich mit der sinnlichen Wahrnehmung des Gegenstandes eine bestimmte gedankliche Vergegenwärtigung seines Begriffes verbindet. Diese letztere aber, welche den Gegenstand überhaupt erst dem für den Unterricht und seine psychologischen Operationen unfruchtbaren Gebiet der Sinnes wahrnehmungen entrückt und für den Zusammenhang der das Denkbewusstsein

1) Vgl. Kullmann, A., Ueber die Anschauungsmethode mit besonderer Berücksichtigung derjenigen im neusprachlichen Unterricht in Lehrproben und Lehrgänge. 52. Heft (1897) S. 55.

durchziehenden Vorstellungen von Bedeutung werden lässt, kommt dadurch zustande, dass der Anblick eines sinnlich wahrgenommenen Gegenstandes die zu seinem Ausdruck dienende muttersprachliche Wortvorstellung, welche seit der Erwerbung der Anschauung von dem Gegenstande als das organische Mittel seiner gedanklichen Erfassung dient, im Bewusstsein auslöst. Der Anblick eines dem Schüler vorgeführten Gegenstandes, welchen der Lehrer zum Thema seiner Behandlung nimmt, muss demnach, damit das vorgestellte Objekt überhaupt dem Bewusstsein gegenständlich werden kann, die Erinnerung an das zu seinem Ausdruck Ausdruck dienende muttersprachliche Wort im Bewusstsein wachrufen. Es liegt dabei durchaus nicht in der Hand des Lehrers, zu verhindern, dass die Aufnahme des fremdsprachlichen Wortes, welches er als neues Mittel der bewussten gedanklichen Verkörperung eines sinnlich wahrgenommenen Objekts dem Schüler zuführt, nicht anders als von der Erinnerung an das muttersprachliche Wort auszugehen oder doch wenigstens im Zusammenhang mit der Erinnerung an dasselbe zu verlaufen vermag.1) Man denke sich nur eine Klasse von Jungen, welche ihre französische Weisheit aus einem Anschauungsbuche à la Pernot erwerben sollen. „Aha“, denkt der eine beim Anblick des ersten Bildes, mit welchem die fremdsprachliche Unterweisung beginnt, das ist ja ein Tisch, und das ein Stuhl; dort sind auch zwei Schubladen" (die übrigens im Pernotschen Begleittext gar nicht zu ihrem Recht kommen). Der nächste gewahrt diese, der andere jene ihm besonders bekannte oder interessante Sache auf den Bildern. Noch ehe der Lehrer die fremdsprachlichen Worte ausgesprochen hat, hat sich in dem Sprachbewusstsein der Schüler eine ganze Reihe von deutsch gedachten Beobachtungen vollzogen, welchen der Lehrer früher oder später die fremdsprachliche Fassung geben wird. Dass sich die Augen und Gedanken aller Schüler allein auf den von dem Lehrer in diesem oder jenem Augenblick gerade gezeigten und besprochenen Gegenstand hinlenken, ist ohne ausdrücklichen Beweis nicht ohne weiteres ganz selbstverständlich. Eine gleichzeitige und wirksame Kontrolle so vieler Gedankengänge durch den Lehrer ist schlechterdings nicht möglich. Neben manchen glänzenden Beweisen von Aufmerksamkeit und Sammlung auf die von dem Lehrer behandelte Sache werden sich auch ebenso viele Beweise der Zerfahrenheit und Ablenkung finden, welche wohl nur deshalb weniger in den

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1) Auch mit der Einführung einer Strafe für die Verwendung der Muttersprache im Verkehr der Schüler unter sich und mit dem Lehrer, wie eine solche eine zeitlang in französischen Schulen bei den das Französische erlernenden Bretonen im Gebrauch war (s. Gerhardt, Wie erlernen in Frankreich die eingeborenen Nicht-Franzosen das Französische? in Lehrproben und Lehrgänge, 56. Heft (1898) S. 46, Anm. 1), wird unter diesen Verhältnissen nichts bezweckt werden können.

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