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Sprachen in ähnlicher Weise nutzbar machen, wie es die Gymnasien mit den toten Sprachen von jeher getan haben und noch tun.

3. Wir wollen uns aber auch keine Methode durch irgend ein Schulbuch vorschreiben lassen.

Seitdem die Reformer an der Arbeit sind und sie sind sehr fleissig, das muss man ihnen zugeben ist eine Unzahl von Schulbüchern erschienen, alle mehr oder weniger ausgestattet mit Anweisungen für die Lehrer und mit mehr oder weniger guten Uebungsaufgaben, questionnaires etc. Das Das ist dann für einen gedankenlosen Lehrer ein sehr bequemes Leben: er arbeitet das Buch Seite für Seite durch, lässt die Aufgaben anfertigen, arbeitet mit den Schülern die Uebungen etc. durch und „erreicht so auf die bequemste Weise sein Ziel.) Er braucht sich keinen Schlachtplan für das ganze Schuljahr zurechtzumachen, er braucht nicht zu überlegen: wie behandelst du diesen Stoff? wie machst du jenes klar? Wo findest du die besten Apperzeptionsstützen? welche Mittel verwendest du zur Einübung? wo stecken besondere Schwierigkeiten? wie führst du vom Bekannten zum Unbekannten? wie vom Leichteren zum Schwereren? wäre es nicht zweckmässiger, zuerst dies Kapitel durchzuarbeiten und dann jenes? und was derartige Fragen für den denkenden Lehrer mehr sind. Oder: er hat es im vorigen Jahre auf die eine Art probiert, er ist mit den Erfolgen nicht recht zufrieden und fängt es nun einmal anders an. Alle diese Sorgen sind ihm durch die neuerliche Schulbücherfabrikation abgenommen. Er hat eine gebundene Marschroute, die er inne halten. muss, die ihn zum „Ziele" führt. Merkt denn dieser Lehrer gar nicht, ein wie armseliger Tropf er ist? Merkt er denn nicht, dass das, was er tut, jeder andere auch tun könnte, sofern er nur die Sprache „beherrscht? Hat er dazu Pädagogik, Psychologie, Didaktik und Methodik studiert, um sich nun gedankenlos am Gängelbande eines anderen führen zu lassen? Wo ist seine Selbständigkeit? Wo seine Persönlichkeit und Individualität? Er ist zum gedankenlosen Handwerker degradiert. Das ist aber den Reformern einerlei. Ihnen ist die Hauptsache das Buch und nicht der Lehrer, denn das Buch bleibt sich immer gleich, der Lehrer aber hängt ab von äusseren Verhältnissen, von seinem Befinden etc.")

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1) Ueber die questionnaires gibt allerdings Münch, Didaktik und Methodik des französischen und englischen Unterrichts V p. 24. 1895 zu: „Sofern dieselben dem Lehrer die Aufgabe der Frageformung abnehmen sollen, sind sie eine zwar etwas beschämende Beigabe." Nein, die sämtlichen Reformbücher sind für die Lehrerschaft beschämend!

2) Vergl. Hartmann, Neuphilologisches Zentralblatt 1902. Mai/Juni p. 138. Doch halte dagegen Münch a. a. O. p. 8: „Und ebenso, dass die Rolle des Schulbuches eine recht untergeordnete bleibt gegenüber der des Lehrers."

Die ganze neuerliche Schulbücherfabrikation ist auf dem Holzwege. Methodologische Bemerkungen und didaktische Fingerzeige gehören überhaupt nicht in ein Schulbuch. Das Schulbuch ist für die Hand der Schüler da, aber nicht für den Lehrer. Der Lehrer hat seine wissenschaftliche Grammatik im Kopfe oder zu Hause, die elementare Grammatik aber hat er auf alle Fälle im Kopfe.

Zu diesen Eselsbrücken für die Lehrer rechne ich auch die Plötzschen Lehrbücher, die vom Lehrer nur verlangen, dass er una hora doctior sei als der Schüler. Nach Plötz kann jeder Primaner jeden Sekundaner, dieser den Tertianer etc. unterrichten: er braucht nur immer eine Lektion voraus zu sein. Und diese Bequemlichkeit ist allein der Grund für die grosse Verbreitung der Plötzschen Lehrbücher vor der Reformerzeit.

4. Daher verlangen wir in den Händen der Schüler eine systematische Grammatik auf wissenschaftlicher Grundlage, die zwar alles Unwesentliche, Unwichtige, Unnötige und Entlegene fernhält, die aber doch andererseits nicht so dürftig sein. darf wie die auf induktivem Wege herausdestillierten Produkte der reformerischen Lehrbücher. Denn die Grammatik soll den Schüler durch seine ganze Schulzeit hindurch begleiten, er soll sie in jedem Augenblick zu Rate ziehen können, und sie soll ihm auch noch nach der Schulzeit ein zuverlässiger Berater sein. Nur eine systematische Grammatik bietet die erwünschte Uebersichtlichkeit, so dass in jedem Augenblick jede Einzelheit an der richtigen Stelle zu finden ist. Und wenn eine solche Grammatik wirklich in Anmerkungen und in Kleindruck etwas mehr enthält, als gerade für den Unterricht nötig ist, so ist das auch kein Fehler. Aber man scheint heutzutage geradezu eine gewisse Angst davor zu haben, dass es einem fleissigen Schüler einfallen könnte, sich über schwierigere und entlegenere Dinge in der Grammatik Auskunft zu holen und sich dadurch den Schein der Gelehrsamkeit und Wissenschaftlichkeit zuzuziehen - und das ist wohl der schwerste Vorwurf, den man jetzt einem Menschen machen kann.

Nur durch eine systematische Grammatik wird die Freiheit der Methode gewährleistet. Die einzigen Vorschriften, die wir uns gefallen lassen wollen, die aber nur von der Unterrichtsverwaltung und von dieser auch nur in grossen Zügen, nicht spezialisiert, gegeben werden dürfen, sind die über die Ziele. Die Ziele für die einzelnen Klassen, sowie das Endziel, mögen festgelegt werden, der Weg aber, der zum Ziele führt, sei frei. Die Erreichung des Zieles soll der Revisor verlangen; auf welchem Wege es der Lehrer erreicht. hat, gehe ihn nichts an. Die akademisch gebildeten Lehrer brauchen keinen Vormund.

5. Mit Rücksicht auf das Gesamtziel der Schule verlangen wir

für die Lektüre wertvollen geistbildenden Lesestoff, der die Kinder gleichzeitig einführt in das Geistesleben des fremden Volkes, sie die Heroen der Literatur kennen lehrt etc. Grosse Denker und Dichter sind international; sie gehören nicht einer Nation an, sondern allen, wie sie selbst ja das Produkt der internationalen Weisheit und Wissenschaft sind. Darum gehören die grossen französischen und englischen Geister nicht nur Frankreich und England an, sondern sie gehören ebensogut uns Deutschen. Und darum gehören sie auch in die deutsche Schule, und wenn sie hier nicht im Urtext gelesen werden könnten, dann müssten sie doch in guten Uebersetzungen gelesen werden. In dieser Beziehung ist für die Schule das Beste und Höchste gerade gut genug. Daher verlangen wir besondere Berücksichtigung der klassischen Zeiten, der grossen Denker und Dichter, Geschichtsschreiber und Redner der beiden fremden Völker, in der Poesie vor allem die Krone der Dichtung, das Drama, in der Prosa vor allem historische Stoffe, die immer noch am bildendsten sind.

Dagegen weisen wir entschieden zurück die Unterhaltungsliteratur der neuesten Zeit und die Jugendschriften. Von all den Sammlungen französischer und englischer Schriftsteller für die Schule sind die meisten für den Unterrichtsbetrieb ungeeignet. Das, was oft noch das Wertvollste an diesen Büchern ist, wird dann noch sorgfältig ausgemerzt. Vergl. die Ausgabe Rollers von Jacques Naurouze: Frères d'armes (Freytag, Leipzig) Vorrede p. V: „Verschiedene Episoden geschichtlichen und kulturgeschichtlichen Inhaltes mussten teilweise ganz wegbleiben oder sind nur in vereinfachter Form wiedergegeben worden." Schilderungen und Kleinmalereien, wie sie um gleich das Beste herauszugreifen Loti gibt,

sind für die Schulen, so schön sie sind, unbrauchbar. Solche Bilder wirken nur, wenn sie in einem Zuge gelesen werden, und weil die Lehrer das selbst ja wohl tun und Freude und Genuss an diesem Lesestoffe haben, bringen sie sie in die Schule hinein und vermeinen, die Schüler hätten nun denselben Genuss. Aber dieser geht doch vollständig verloren, wenn der Schüler die Sprache noch nicht so weit beherrscht, dass er sie ohne Mühe lesen kann, wenn er sich womöglich noch darauf vorbereiten, wenn er gar vorher das Lexikon wälzen muss, und wenn dann in der Woche 3 bis 5 Seiten gelesen werden. Einen solchen Stoff aber derartig durchzuarbeiten wie in der Prima eine Sophokleische Tragödie das lohnt doch wohl nicht. Dieses Zerreissen einer abgerundeten Schilderung kommt mir immer vor, als wenn man bei einem grossen Gemälde, statt den Totaleindruck auf sich wirken zu lassen und in sich aufzunehmen, die einzelnen Gruppen, Dinge, Personen etc. herausnimmt und einer genauen Besichtigung unterzieht, sich auch wohl daran erfreut, aber das Ganze ausser acht lässt. Aber daran sind ja die Reformschüler durch die Einzelbetrachtung der Hölzel

man

schen und anderer Anschauungsbilder gewöhnt, und sie werden es auf geistigem Gebiete ebenso machen. Völlig verfehlt aber ist es, wenn nun den Inhalt einer solchen Schilderung womöglich zu Sprechübungen benutzt! Ziel der Schullektüre ist es vielmehr, die Schüler zu befähigen, dass sie später, wenn sie die Schule verlassen haben, imstande sind, solche Lektüre ohne Vorbereitung und ohne fremde Hilfe mühelos zu treiben, und dass sie dann einen wirklichen Genuss davon haben. Dazu hat uns alle ein systematischer Grammatikunterricht in Verbindung mit mustergültigem Lesestoff befähigt und wird auch die kommenden Geschlechter wieder dazu befähigen. Die reformerischen Lehrer aber scheinen immer wieder zu vergessen, dass sie selbst (wenigstens die älteren) einen anderen Unterricht genossen haben, der sie einigermassen in das Geistesleben des fremden Volkes eingeführt hat, dass sie sich an den Mustern der grossen Dichter und Denker, Geschichtsschreiber und Staatsmänner geübt haben und nun imstande sind, die Unterhaltungslektüre der neueren Zeit mühelos wie die deutsche in sich aufzunehmen.

Aber man fängt ja im deutschen Unterrichte trotz der geringen Stundenzahl leider auch schon an, die Zeit nach Goethe zu behandeln, wenn das hier auch nicht so gefährlich ist, wie in den fremden Sprachen. Und wenn der Betrieb der Klassiker (unserer grossen Dichter und Denker) dabei nicht zu kurz kommt, ist es ganz gut, und niemand wird etwas dagegen zu erinnern haben. Ja, wenn die Stunden für den deutschen Unterricht in den deutschen Schulen vermehrt würden, wie es sein müsste, könnte das alles auch recht gut bewältigt werden, vorausgesetzt, dass man die Stücke nicht nach Frickescher Art seziert und zerpflückt. In den fremden Sprachen aber kann die Berücksichtigung der neuesten Literatur nur auf Kosten der klassischen geschehen. Darum fort mit der fremdsprachlichen Unterhaltungslektüre aus der Schule! Sie gehört in die Schülerbücherei. Die fortgeschritteneren Schüler werden sie zu Hause dann gern lesen und auch einen Genuss davon haben. 6. Wenn so der gesamte fremdsprachliche Unterricht wieder in den Dienst der Erziehung gestellt worden ist, sollen auch andere Nebenziele nicht vernachlässigt werden. Solche Nebenziele sind: eine korrekte Aussprache und die Befähigung, sich in der fremden Sprache mündlich und schriflich einigermassen korrekt auszudrücken.

aber auch

Den Reformern könnte man ja dies eine Verdienst nur dies eine zugeben (und das ist das Neue, was sie in ihre veraltete Methode hineingebracht haben, und worauf Münch a. a. O. so viel Nachdruck legt), dass sie für eine korrektere Aussprache etwas geleistet haben. Aber auch diesen Ruhm kann man ihnen streitig machen. Denn das wäre auch ohne die Reform gekommen. Das war eine ganz natürliche Folge der lautphysiologischen und phonetische Zeitschrift für franz, und engl. Unterricht Bd. IV.

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Studien, die aber doch nicht von den Reformern eingeleitet sind, sondern von Sievers, Trautmann, Techmer u. a. Diese haben eine bessere Aussprachelehre ermöglicht. Dagegen haben die Reformer wiederum weit über das Ziel hinausgeschossen, indem sie die Phonetik direkt in die Schule trugen und in die Schulbücher die unnützen und schädlichen phonetischen Transskriptionen einführten, indem sie ferner die saloppe Umgangssprache einer gewissen französischen Familie in die Schule brachten und sich darauf noch etwas zugute taten. Es ist aber gar nicht die Aufgabe der Schule, diese Umgangssprache zu lehren, ebensowenig wie wir die deutsche Umgangssprache in die Schule bringen.

Eine wirkliche mündliche Beherrschung einer Fremdsprache aber ist durch Klassenunterricht nicht zu erzielen, es sei denn auf Kosten anderer wertvollerer Gebiete. Das haben die Reformer denn endlich auch selbst eingesehen, darum rufen sie nach kleinen Klassen und Entlastung der überbürdeten Ueberlehrer.1) Und eine Beherrschung zweier Fremdsprachen ist erst recht nicht möglich. Wenn es schon für die Lehrer zu schwer ist, in beiden Fremdsprachen sich die mündliche Beherrschung anzueignen,) wie kann man es dann von einem Schüler verlangen!

Die unglückliche imitative Methode aber, dieser elende Psittazismus, auf den die Reformer eben zur Erreichung dieses Zieles verfallen sind, gehört nun und nimmermehr in die Schule. Sie ist nur anwendbar für die erste Jugendzeit der Kinder. Sie könnte mit Nutzen verwendet werden in einer fremdsprachlichen Kleinkinderschule, die die Kinder etwa vom dritten bis zum sechsten Lebensjahre zu besuchen hätten, und in denen dann täglich zwei bis drei oder noch mehr Stunden französisch oder englisch gesprochen werden müsste. Denn dass ein Kind ganz gut zwei Sprachen gleichzeitig sprechen lernen kann, das

1) Siehe die Neueren Sprachen XII, Heft 4. Die Verhandlungen des XI. deutschen Neuphilologentages zu Köln p. 209, 228 u. ö. Ibid. Heft 6. Borbein: Die mögliche Arbeitsleistung des Neuphilologen p. 322--337 und Münch a. a. O. p. 229.

2) Vergl. Borbein in Neueren Sprachen XII, 6, p. 322-337 und besonders p. 335: „Der Unterrichtende entrückt sich sozusagen für den Augenblick seiner eigenen nationalen Umgebung, seine Sprachwerkzeuge, seine Vorstellungen, ja selbst seine ästhetischen und sittlichen Empfindungen sind denen des fremden Volkes angenähert. Und nun vergegenwärtige man sich, welches gewaltigen Kraftaufwandes es bedarf, um aus diesem Zustand plötzlich in den ganz entgegengesetzten überzugehen, nach einer Pause von wenigen Minuten dasselbe für ein romanisches Volk und seine Sprache zu leisten, was man soeben für ein angelsächsisches getan hat, oder umgekehrt, und diesen Prozess an einem Vormittage vielleicht mehreremale durchzumachen." Sollte da nicht vielleicht ein Hypnotiseur helfen können? Was der Lehrer nicht kann der Schüler muss es, O sancta simplicitas!

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