Zur Ergänzung und Klarstellung bemerke ich dazu: 1. Unter Literaturfreunden pflegt man die gegenwärtig sehr zahlreiche Schar der ausserhalb der engeren Philologen- und Literatenkreise stehenden Gebildeten zu begreifen, die sich gern an Kunstwerken und künstlerischen Individualitäten der eigenen Literatur oder der eines fremden Volkes erfreuen, aber bereits in reiferem Alter stehen, und, der Schule entwachsen, ein bestimmter entwickeltes und weiter fassendes Urteil besitzen, als Zöglinge unserer höheren Lehranstalten. Und diese Literaturfreunde sollen und werden auch, wenn sie ernst genommen werden wollen, ihren Blick stets auf ein Ganzes gerichtet halten, jede Erscheinung, eine literarische Schöpfung oder Persönlichkeit, als eine geschlossene Einheit, wenn auch im kleinen oder kleinsten Rahmen, etwa in einem charakteristischen Gedicht oder Essai, zu erfassen suchen, auch schon auf dem ersten Schritte ihrer Wanderung durch die Literatur, d. h. in dem Augenblick selbst, wo es sich um die erste Anregung handelt. Unter diesem allgemeinen Gesichtspunkt habe ich den Anspruch des in Frage stehenden Buches, Literaturfreunden und Studenten, also Erwachsenen, zu dienen, kritisiert. Wer sich, wie der Verfasser der vorliegenden Chrestomathie, ausdrücklich die Aufgabe stellt, Kenntnis und Verständnis der französischen Literatur in diesen Kreisen zu verbreiten, sollte sich vor allem und in jedem Falle den wenig erbaulichen Stand namentlich der fremdliterarischen Bildung unseres grossen Publikums vor Augen halten, das, zumal gegenüber der französischen Literatur, mehr als je zu Oberflächlichkeit und bequemer Sensationslust erzogen und gewöhnt, bestenfalls mit Namen und Schlagwörtern den Mangel solider Kenntnis und sicheren Geschmacks zu verhüllen weiss. Wer hier helfen und bessern will, kann es nicht mit einem Buche, das gerade noch für Sekundaner und Primaner gut genug ist. Ich scheue mich nicht, bei dieser Gelegenheit auszusprechen, dass der moderne Betrieb der Schullektüre von zerstückelten und aus diesem oder anderem Grunde wertlosen „Werken" für den beklagten Mangel in der allgemeinen fremdliterarischen Bildung mit verantwortlich ist. Unsere neuphilologischen Studenten leiden oft schwer an diesem Fehler, der in mehr als einem Falle sich als unheilbar erweist. 2. Nach dem eben Gesagten erledigt sich der zweite Einwand des Herrn Verfassers von selbst; und auch die Wiederholung der von mir keineswegs übersehenen Hinweise ändert begreiflicherweise nicht das Geringste. 3. Ich will dem Herrn Verfasser die Genugtuung nicht vorenthalten, dass ich den Abschnitt über Balzac im Eifer der Durchsicht übergangen habe; eine Verwechselung wird wohl weder der Herr Verfasser noch irgend ein anderer selbst von einem nur gerade des Lesens kundigen und sonst aller Kenntnisse baren Leser annehmen wollen, Indes zwingt der Herr Verfasser in diesem Falle mich, einen Fehler seines Buches, der in der nachlässigen Behandlung der chronologischen Verhältnisse besteht, und dessen Hervorhebung ich in wohlmeinender Absicht auf Béranger beschränkte, allgemeiner anzumerken. Abgesehen davon, dass es entschuldbar ist, wenn unter fast 200 kleinen und grossen Abschnitten einer unachtsamerweise überschlagen wird, müsste man einen Abschnitt aus dem 19. Jahrhundert eher hinter als vor dem 18. vermuten; zumal auch die Chronologie in den Werken des betr. Autors Faguet die von dem Verfasser beliebte Anordnung nicht rechtfertigt. So hätte ich also zu des Verfassers Vorteil wie Nachteil nicht durch die Lupe, sondern durch die Finger gesehen und darf hoffen, dass bei einer Neuauflage, die ich seiner Chrestomathie als Schulbuch nach wie vor wünschen kann, auch mein Versehen nützt. 4. Der von dem Herrn Verfasser beanstandete Satz sollte ein schonender Hinweis auf die Ungereimtheit sein, die mir darin zu liegen scheint, dass an leitender Stelle, zu Anfang des Vorwortes betont wird, die Chrestomathie sei in erster Reihe für Studierende und Freunde der französischen Literatur überhaupt bestimmt, und dann am Ende der zweiten Seite die Notizen über Leben und Werke der Schriftsteller nur den Schülern gewidmet werden. Dem Herrn Verfasser scheinen die „Bemerkungen über Leben und Werke der Schriftsteller" wohl auch nicht von der Art, dass sie einem verständigen Urteil standhalten könnten; warum sie sonst wie unter einem Giftzeichen den Studenten und Literaturfreunden verschliessen? Auch sie werden diese Notizen, die sie mitgekauft haben, eben lesen und kritisieren und ablehnen. Alles in allem glaube ich nicht, dass die Kritik der Kritik und die unvermeidliche Kritik der Antikritik in diesem Falle eine andere Vorstellung von dem Wesen und Werte des rezensierten Buches zu erzeugen imstande sein wird, als es meine Rezension allein auch getan hat. Königsberg. G. Thurau. Anweisung für Lehrer des Französischen und Englischen zur Benutzung ihres mit staatlicher Beihilfe geförderten Aufenthalts in Ländern französicher Zunge oder in England. 1. Die in dem Staatshaushaltsetat ausgebrachten neusprachlichen Stipendien sind dazu bestimmt, den mit Unterricht im Französischen und Englischen zu betrauenden Lehrern den Aufenthalt in Ländern französischer Zunge oder in England zum Zweck ihrer Vervollkommung in dem praktischen Gebrauch der betreffenden Fremdsprache zu erleichtern. 2. Dieser Aufenthalt im Auslande soll insbesondere dazu dienen, dem Stipendiaten auf Grund vorher erworbener Kenntnisse und Fertigkeiten zum leichten und natürlichen Gebrauch der französischen und englischen Sprache zu verhelfen, ihn Land und Volk kennen zu lernen [sic!], ihm eine Anschauung von den geistigen und materiellen Hilfsmitteln der fremden Nation zu gewähren und ihn so zu befähigen, die erworbenen Kenntnisse und die erlangte Fertigkeit im Dienste der Schule praktisch zu verwerten. Der Studienaufenthalt wird um so nutzbringender sein, je besser und gründlicher die Vorbereitung gewesen ist. Der Stipendiat muss den Sprachstoff, vor allem einen ausgiebigen Wortschatz, schon mitbringen. damit er seine ganze Zeit und Kraft darauf verwenden kann, ihn als festes, stets gegenwärtiges und verfügbares Eigentum richtig verwenden zu lernen. 3. Unter dieser Voraussetzung wird im allgemeinen, bei gewissenhafter Beschränkung auf den eigentlichen Zweck des Aufenthaltes und bei sorgfältiger Benutzung der gebotenen Bildungsmittel, eine Zeit von sechs. Monaten genügen. 4. Der Stipendiat soll diese Zeit nicht zu philologischen Arbeiten oder zum Studium auf Bibliotheken und in Handschriftensammlungen verwenden, sondern vor allem den Umgang mit gebildeten Franzosen und Engländern suchen, womöglich durch Anschluss an eine gut empfohlene Familie. Er wird sich des Verkehrs mit Landsleuten und des Gebrauchs der Muttersprache zu enthalten haben und sich in den ihm zu Gebote stehenden Monaten ausschliesslich den Erwerb praktischer Sprachfertigkeit und der sie fördernden Kenntnisse angelegen sein lassen; besondere Aufmerksamkeit ist der Tagesliteratur zuzuwenden, deren Lektüre ein Hauptmittel bildet, in die fremde Volksnatur einzudringen. Gute Erfahrungen haben einige Stipendiaten damit gemacht, dass sie täglich die neuen ihnen zu Gehör oder zu Gesicht kommenden Ausdrücke und Wendungen aufzeichneten und sich auf diese Weise fest einprägten. 5. Die nächste und unablässige Sorge des Stipendiaten wird auf die Vervollkommung seiner Aussprache durch tägliche Uebung des Ohrs und der Zunge und auf die Gewinnung derjenigen Fülle von Anschauungen und Bezeichnungen aus allen Gebieten des Lebens gerichtet sein, die es ihm ermöglicht, schnell und sicher zu verstehen und schnell und ungezwungen sich auszudrücken. Der Besuch von öffentlichen Vorlesungen, guten Theatervorstellungen, von Gerichtsverhandlungen, Sitzungen politischer Körperschaften, Predigten und Versammlungen wissenschaftlicher und gemeinnütziger Natur wird dringend anempfohlen. Dadurch und durch unbefangene Beobachtung des gesellschaftlichen, politischen und künstlerischen Lebens wird er sich eine für den Unterricht wertvolle, auf eigene Anschauung gegründete Kenntnis des fremden Volkes und seiner Einrichtungen erwerben können. 6. Behufs praktischer Erlernung der französischen Sprache empfiehlt sich zwar in erster Linie der Aufenthalt in Frankreich selbst; aber auch Belgien und die französische Schweiz besonders Genf, kommen dafür in Betracht. Ausschliesslich oder auch nur zuerst nach Paris zu gehen, ist höchstens für solche Stipendiaten zu empfehlen, die sich bereits früher im französischen Sprachgebiete aufgehalten haben und denen es, abgesehen von der Auffrischung ihrer Sprachkenntnisse, mehr darauf ankommt, das Leben, die Kunst, die Einrichtungen und die gesellschaftlichen Zustände Frankreichs kennen zu lernen. Um sich im Sprechen zu üben, ist Paris nicht der geeignetste Ort. Es ist schon schwer, dort eine passende Pension zu finden, in der Familienanschluss und damit häufigere Gelegenheit zur Uebung geboten wird. Die meisten Pensionen sind international, und man trifft in ihnen in der Regel mit Angehörigen fremder Völker zusammen, deren französische Aussprache keineswegs einwandfrei ist; die Mitglieder der Familie aber haben ausser den Mahlzeiten nur ganz selten freie Zeit für die Stipendiaten übrig. Dazu kommt, dass der Zwang, zu den Mahlzeiten sich in der oft weit entfernten Pension einzufinden, die Zeit sehr zerreisst, daher die Ausnutzung empfehlenswerter Bildungsstätten erschwert und namentlich den für die Zwecke der Stipendiaten sehr wichtigen Besuch der Theater fast unmöglich macht, da das Diner fast überall in die Theaterzeit fällt. Allen Stipendiaten, die sich noch nicht längere Zeit in französischem Sprachgebiet aufgehalten haben, ist daher zu raten, dass sie zunächst in eine kleinere Stadt gehen, und zwar in eine solche, in der sie möglichst wenig Deutsche treffen, damit sie darauf angewiesen sind, mehr mit der sesshaften Bevölkerung in Berührung zu treten und sich in fremde Verhältnisse einzuleben. Ein derartiger Studienaufenthalt ist ausserdem erheblich billiger als ein Aufenthalt in Paris. Für das Englische ist vor allem London ins Auge zu fassen. Daneben Manchester, Oxford, Cambridge. Als geeignete Verbereitung auf einen Aufenthalt in England ist den Stipendiaten namentlich die Lektüre moderner Komödien (z. B. von Henry Arthur Jones, Arthur W. Pinero, John Oliver Hobbes) zu empfehlen, welche die gegenwärtige Umgangssprache bieten. Auch fehlt es für deren Erlernung nicht an brauchbaren Hilfsmitteln, die schon in der Heimat eifrig benutzt als gute Grundlage für die im Auslande fortzusetzenden Uebungen dienen können. Als Besuchszeit empfiehlt sich in den französisch redenden Landen im allgemeinen die Zeit vom Oktober bis April, in England die vom April bis Oktober. 7. Nach der Rückkehr hat jeder Stipendiat dem Herrn Unterrichtsminister in französischer bezw. englischer Sprache zu berichten über die von ihm zur Erreichung seines Zweckes angewandten Mittel, über den Entwicklungsgang seiner Ausbildung, über die Förderung, die er erfahren, über etwaige Schwierigkeiten, die er gefunden hat, sowie über sonstige mitteilenswerte Wahrnehmungen. Diese Anweisung, die wir der Monatschrift für höhere Schulen (IV, Heft 9/10) entnehmen, wird, wie ebenda mitgeteilt ist (S. 575), den preussischen Lehrern, welche im Genusse eines Stipendiums Frankreich oder England besuchen, von jetzt ab vor der Abreise ausgehändigt, damit sie bestimmte Richtlinien für ihre Studienreise besitzen." Nicht nur die weiteren Worte, mit denen Geh. Rat Matthias diese Anweisung versieht, und in denen er die Leser der Monatschrift bittet, die Erfahrungen, welche sie im Auslande gesammelt haben, zur Verfügung zu stellen nicht nur dieses Geleit, sondern auch der Inhalt des amtlichen Vademekums darf dahin gedeutet werden, dass man die Anweisung für einen Entwurf hält, der noch dem weiteren Ausbau und der Verbesserung entgegensieht. Jedes neue Zeichen, das auf eine Zunahme des Interesses an Reisestipendien für unsere neusprachlichen Lehrer deutet und tatkräftiges, zielbewusstes Eintreten der massgebenden Instanzen für diese notwendige und der Erweiterung sehr bedürftige Einrichtung verspricht, verdient die freudigste Aufnahme; und auch wir stellen daher den für Mitteilungen bestimmten Raum unserer Zeitschrift gern allen zur Verfügung, die sich im Anschluss an jene Anweisung zu der Sache äussern wollen. Man darf wohl annehmen, dass nur sehr wenigen unter den Stipendiaten, falls sie geprüfte Neuphilologen sind, in dem Augenblick, da sie diesen Wegweiser erhalten, sehr viel bekannt wird, was sie nicht auch vorher gewusst hätten. Sein allgemeines und wichtigstes Kennzeichen ist die kategorische Betonung der praktischen Zwecke der Auslandsreise; diese Tendenz scheint im vierten Absatz doch etwas schroff zum Ausdruck gelangt zu sein, dessen Fassung sich fast wie ein Verbot des Bibliothekenbesuchs und philologischer Studien ausnimmt. Und wenn im fünften Absatz wohl unter den öffentlichen Vorlesungen und anderen Veranstaltungen, deren Ausnutzung empfohlen wird, auch Versammlungen wissenschaftlicher Natur erwähnt sind, so fällt es doch auf, dass gleich darauf neben der Beobachtung des gesellschaftlichen, politischen und künstlerischen Lebens nicht auch die des wissenschaftlichen erwähnt ist. Der Schluss des vierten Absatzes scheint uns undeutlich, bedenklich, wenn mit den neuen Ausdrücken und Wendungen nicht etwa landläufige, anerkannte, nur dem Lernenden noch neue Sprachmünze, sondern die zahlreichen, aber schwer zu schätzenden Neuprägungen, Neologismen, gemeint sind, die wie bei uns auch in anderer Sprache heute wieder sehr zahlreich erzeugt werden und beispielsweise selbst von Nationalfranzosen auf ihren Zufalls- oder Allgemeinwert, Lebensfähigkeit und Berechtigung nicht leicht zu prüfen sind. So haben sich selbst über die neuen, modischen Wendungen, wie sie Ollendorfs Paris Parisien zum besten gegeben hat, Franzosen sehr skeptisch und mit überzeugendem Spott geäussert. Da ist das neuerdings durch die Zeitungen verbreitete, von französischer Seite gespendete Lob des korrekten, „akademischen" Französisch des deutschen Kaisers unvergleichlich wertvoller und erstrebenswerter als die „guten Erfahrungen", die mit den „neuen Ausdrücken und Wendungen“ gemacht sein sollen. Wenn in diesem Teile der Anweisung aber nur ein Fingerzeig für elementare Einprägung gebräuchlicher Redensarten gegeben oder auch darauf verwiesen sein soll, dass namentlich das Französische gegenwärtig aus mannigfachen Antrieben eine lebhafte Tätigkeit in der Sprachwerkstatt entfaltet, so ist nichts dagegen einzuwenden. Im sechsten Absatz ist das Interdikt, mit dem Paris belegt wird, nicht gerechtfertigt. Gewiss soll der Deutsche sich von den Herrschaftsansprüchen der französischen Hauptstadt in seiner Unbefangenheit nicht beeinflussen lassen, soll ausser Paris jedenfalls das weitere Land kennen zu lernen suchen, das durch die Entwickelung der Universitäten, literarische Regungen und vieles andere mehr und mehr Geltung erlangt, aber weder durch wirtschaftliche noch durch andere Rücksichten hat die Provinzstadt unter allen Umständen für den Neuling den Vorzug vor Paris, das auch für ihn ebenso billig und lehrreich im Sinne der „Anweisung" werden kann. Deutsche Landsleute und deutsche Sprache trifft man freilich in Frankreich heutzutage in grosser Menge, aber nicht nur in Paris und in seinen Familienpensionen. Man denke u. a. nur die französischen Angstrufe über die grosse Zahl |