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halten sich siegreich, die Serbier aber werden den 5. August am Timok geschlagen. Nun befürworten die Mächte einen Waffenstillstand. Die Pforte verweigert denselben, wenn Serbien nicht Friedensbedingungen annimmt, welche dessen schon gewonnene Unabhängigkeit aufheben. Mit ihren Forderungen zurückgewiesen, will die Pforte später, am 10. Oktober, zwar nicht auf einen von den Mächten vorgeschlagenen einmonatigen, wohl aber auf einen sechsmonatigen Waffenstillstand eingehen. Gegen diesen Vorschlag erklärt sich Russland, das hinter demselben den Plan der Türken erkennt, zu neuen Rüstungen Zeit zu gewinnen. Der Kampf bricht wieder los. Im Moment des völligen Unterliegens der Serbischen Kriegsmacht tritt Russland am 28. Oktober mit einem Ultimatum vor die Pforte, um von ihr einen bedingungslosen Waffenstillstand auf sechs Wochen für Serbien und Montenegro zu erlangen.

England, durch das Russische Ultimatum und die Anzeichen eines Russisch-Türkischen Krieges beunruhigt, sendet seinen Petersburger Botschafter, Lord Loftus, zum Kaiser Alexander nach Livadia. Kaiser Alexander erklärt zwar seinen Wunsch, aus dem Einvernehmen mit den Mächten nicht herauszutreten, hält aber die Lage für unerträglich und spricht unumwunden aus, dass er allein vorgehen werde, wenn Europa unthätig bleibe; Konstantinopel wolle er nicht nehmen: er schlage vor, Oesterreich möge Bosnien, Russland Bulgarien besetzen und eine Englische Flotte möge Konstantinopel bedrohen (2. Nov. 1876). Lord Beaconsfield war aber weit entfernt, diese Vorschläge annehmbar zu finden; er erklärte sie für unvereinbar mit der Aufrechthaltung der Integrität der Türkei, hob die fortdauernde Geltung des Pariser Vertrages von 1856 hervor und schlug schon einen kriegerischen Ton an.

Wie Fürst Bismarck den Dreikaiserbund benutzte, um einen Zusammenstoss zwischen dem bewährtesten

Freunde Deutschlands, Russland, und Deutschlands nächstem Blutsverwandten, Oesterreich, zu verhindern, so strebte er jetzt dahin, den bevorstehenden Kampf Russlands mit der Türkei in engen Grenzen zu halten und insbesondere einen Krieg zwischen Russland und England zu verhüten. Bei einer die Russischen Eingangszölle betreffenden Interpellation sprach er am 5. December 1876 im Deutschen Reichstage Folgendes: »Es ist unmöglich für eine Zollsache Freundschaften einzuhandeln, wohl aber möglich sich Feindschaft zu bereiten. Sollte die Anfrage uns mit Russland entzweien, so müsste ich dies bedauerlich finden. So lange wir aber auf diesem Flecke stehen, wird es nie gelingen, in unsere hundertjährige Freundschaft mit Russland einen Riss zu bringen. Das Dreikaiserbündniss verdient noch vollkommen seinen Namen und besteht fort. Wie mit Russland, so bestehen auch mit England hundertjährige Freundschaftsbeziehungen. Wir haben uns in der Orientalischen Frage die Aufgabe gestellt, zwischen den Mächten zu vermitteln und so viel an uns ist den Frieden zu erhalten. Wenn die jetzige Lage für uns auch keinen Kriegsfall enthält, so fordert sie doch zu einer höchst vorsichtigen Haltung auf. Wir müssen die guten Beziehungen zu den Mächten pflegen und können nur dann thätig eingreifen, wenn einer unserer Freunde durch eine fremde Macht gefährdet wäre. Unsere wohlwollende Stellung zu allen Mächten ist von denselben anerkannt worden. Sie wird, wie wir hoffen, dazu beitragen, den Krieg zu begrenzen. Darauf sind alle unsere Bemühungen gerichtet. Wir glauben, dass es zu einer Verständigung bezüglich etwaiger Gegensätze zwischen England und Russland kommen wird. Unsere Aufgabe ist also in erster Linie die Erhaltung des Friedens, in zweiter die Vermittelung unter den Mächten zur Zerstreuung von Differenzen und zur Einschränkung eines etwa unvermeidlichen Krieges. Gelingt dies nicht, so entsteht eine neue Lage,

über welche man kombiniren, ich aber heute noch keine Auskunft geben kann. <<

Graf Andrassy, der Freund des Deutschen Reichskanzlers, war entschlossen, die Europäischen Interessen in Gemeinschaft mit Europa, die eigenen nöthigenfalls auf eigene Faust zu wahren. Er hatte volle Klarheit in seine Stellung gebracht und fürchtete sich »vor Nichts und vor Niemand«<. Seine politische Einsicht liess es ihn als Thorheit erkennen, Oesterreich-Ungarn mit seinen beiden mächtigen Nachbaren Deutschland und Russland zu überwerfen, und ganz besonders wusste er die Freundschaft Deutschlands, welche für Oesterreich ein dauerndes Gut werden sollte, zu schätzen. Er hatte zu viel historischen Sinn, um die in der Türkei mit Naturgewalt empordrängenden Neugestaltungen niederhalten und die faulende Türkei gegen den Process der Fäulniss konserviren zu wollen. Seine Politik richtete sich dahin, die eigenen Interessen zu wahren, ohne den Frieden zu opfern, und er setzte Oesterreich in den Stand, Beides zu vermögen. Er konnte Russland in den Krieg ziehen lassen mit der vollen Zuversicht, dass Oesterreich-Ungarn stets im Stande bleiben werde sein volles Gewicht zur Geltung zu bringen.

Der Französischen Deputirtenkammer gab der Minister des Auswärtigen, Herzog Decazes, die Erklärung, dass der Friede Frankreichs erstes Bedürfniss sei, dass Frankreich Anderen die Initiative überlasse, dass es zwar für die Christen im Orient plädiren, aber trotz aller möglichen Verwicklungen die Neutralität in einem Kampfe nicht aufgeben werde, bei welchem die wesentlichen Interessen Frankreichs, seine Ehre und seine Sicherheit nicht auf dem Spiele ständen (3. November 1876).

Italien zeigte kein politisches Programm. Die Antwort des Ministers Depretis in der Abgeordnetenkammer Italiens verlief in allgemeinen Redensarten: eingehende Er

klärungen über ihre Haltung in der Orientfrage könne die Regierung gegenwärtig (19. December 1876) nicht geben, er beschränke sich auf die Erklärung, dass die Italienische Regierung sich vom Pariser Vertrage, auf Grund dessen sie sich mit den übrigen Mächten an allen erhobenen Fragen betheiligt habe, nicht losmachen könne; die Haltung der Regierung sei unter den gegenwärtigen Umständen bestimmt vorgezeichnet durch Italiens Friedensbedürfniss und durch die obwaltenden diplomatischen Beziehungen; die Regierung werde indess die Pflichten der Humanität und Civilisation nicht verkennen und daher Anstrengungen zur Verbesserung des Looses der Christen nicht scheuen; er hoffe, dass die versöhnende Mission Italiens einen günstigen Erfolg haben werde.

In der Türkei aber wuchs der Trotz gegen Russland mit dem Kulturdünkel zugleich. Gegenüber dem autokratischen Russland sollte die Türkei ein konstitutionelles Kulturland werden, mit Religionsfreiheit, Pressfreiheit, freiem Vereinsrecht, Lehrfreiheit, obligatorischem Unterricht und allem erdenklichen Westeuropäischen Aufputz. Am 23. December 1876, gerade als die Abgeordneten Europas sich zur Berathung über die Verhältnisse der Türkei in Konstantinopel zusammenfanden, wurde das konstitutionelle Kartenhaus der Welt gezeigt, die Verfassung für das Türkische Reich verkündet.

Um wo möglich die Folgen des Russischen Ultimatums vom 28. Oktober von der Pforte abzuwenden, schlug England unter Zustimmung aller Mächte eine Konferenz der Europäischen Botschafter in Konstantinopel vor. Sie begann seit dem 11. December mit einer Reihe von Vorbesprechungen unter den Vertretern der einzelnen Mächte und wurde am 23. December förmlich eröffnet.

England hatte zu derselben als seinen zweiten Bevollmächtigten den in der Orientfrage wohlbewanderten Lord

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Salisbury gesendet, der auf seiner Reise von London nach Konstantinopel in Paris den Herzog von Decazes, in Berlin den Fürsten Bismarck, in Wien den Grafen Andrassy und in Rom den Herrn Melegari sprach, um mit Kenntniss der Stellung aller Mächte in Konstantinopel auftreten zu können. Während der ersten Plenarsitzung, am 23. Dezember, hörten die Kongressmitglieder das Dröhnen der Kanonen, welche der Welt verkündeten, dass in diesem feierlichen Augenblicke die fünfhundertjährige Verfassung des alten Türkenreiches einer modernen Konstitution weiche. Auf diese Konstitution ein Werk desselben Midhat Pascha, welcher zehn Jahre früher gegen die nach grösserer Freiheit strebenden Bulgaren mit der Strafe des Hängens gewüthet hatte und welcher bald nach der Verkündung der Verfassung durch einen Akt grossherrlicher Willkür verbannt ward stützte sich bei den Berathungen sofort Safvet Pascha, der Türkische Minister des Auswärtigen, um die Forderungen nach Autonomie für die unterjochten Völker zurückzuweisen, indem er solche Forderungen für unvereinbar mit dem durch die neue Verfassung gegebenen Principe erklärte, wonach die ethnologischen Verschiedenheiten auf dem Boden der Staatsverwaltung verschwinden sollten,

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In der Sitzung vom 15. Januar 1877 las Lord Salisbury die von den Vertretern der Garantiemächte angenommenen Vorschläge vor. Sie lauten wie folgt:

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>>Monténégro. Rectification des frontières du Monténégro par annexion des Banyani, Piva avec Nikchitch, Drobniak, une partie de Charanzi, le district de Kolakine, les Kutchi-Drekalsvitchi, les Kutchi-Kraïni, les Vassoïevitchi de la Zierna au Lim, les Maly et Véli Brdo, Spouze et Zabliak.

>> Commission internationale ad hoc.

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