Erwerbungsarten. 50. Die Souveränetät oder Hoheitsgewalt über einen Staat ist keine substanzielle Macht, welche an und für sich einem Gliede der Staatsgemeinde oder dieser selbst in ihrem Ganzen beiwohnt'; sie ist eine Gewalt, deren organische Erscheinung und unabhängige Stellung das Product eines eigenen Willens actes ist, wodurch sie das Recht Einer oder mehrerer Personen in Gemeinschaft wird. Ihre Erwerbung oder Constituirung gehört demnach theils dem inneren organischen Entwickelungsproceß des Staates an, der eben sowohl zu einer Souveränetät des Volkes wie zu einer dynastischen Herrschergewalt gipfeln kann; theils unterliegt sie äußeren oder völkerrechtlichen Einflüssen und kann insbesondere durch das Recht des Eroberers oder Siegers ganz unabhängig von dem Willen des besiegten Volkes werden. Eben so ist die Vererblichkeit oder Nicht- Vererblichkeit der Staatsgewalt keine sich von selbst verstehende Sache, sondern abhängig von dem Constitutivgesetz, oder in dessen Ermangelung von dem gemeinsamen Willen, oder, wo auch dieser sich nicht geltend macht, von dem Willen des jeweiligen Machthabers und seinen wie der Seinigen Mitteln, sich dabei zu behaupten. Das Recht der Erbfolge kann demnach, wie in den Europäischen Staaten meist der Fall ist, entweder auf ein bestimmtes Geschlecht beschränkt sein (successio gentilitia), oder sie kann auch auf Andere übertragen werden2. Letzteres versteht sich aber gleichfalls so wenig von selbst3, als in dem 1) Auch die Souveränetät des Volkes ist, als Thatsache und nicht als bloße Idee aufgefaßt, nur eine Möglichkeit, eben so wie die dynastische Souveränetät. 2) 3. B. nach der Baierischen, Hessischen und Sächsischen Verfassungsurkunde durch eine Erbverbrüderung (§ 47) und so auch nach einigen anderen Grundgesetzen. 3) Das Gegentheil hat von den Deutschen Staaten Maurenbrecher, die Deutschen Fürsten und die Souveränetät. Frff. 1839. S. 109 und 119 als Regel behauptet, ohne Zweifel gegen das historische Recht. Wegen der Französischen Krone wurde ebenfalls schon unter dem alten Regime eine von Maurenbrechers Lehre abweichende Ansicht aufgestellt und durchgesetzt, als Ludwig XIV. versucht hatte, seinen legitimirten außerehelichen Descendenten eine eventuelle Succeffion in die Krone zu verschaffen. Struvii, Iurisprud. heroica t. IV. p. 544 sq. Die Erblichkeit einer Krone besteht zunächst nur darin, daß ein gewisses Geschlecht, und nur dieses herrsche. Begriff der Erblichkeit der Staatsgewalt an sich noch kein Eigenthum, d. H. ein freies Dispositionsrecht über Land und Leute, enthalten ist, wo nicht auch dieses erworben und festgehalten sein sollte1. Initiirung der Souveränetät. 51. Mit der thatsächlichen Erwerbung der inneren (staatsrechtlichen) Souveränetät tritt auch die Ausübung der internationalen Souveränetätsrechte in Kraft; es bedarf dazu keiner Anerkennung anderer Mächte; es genügt, daß die Erwerbung dem inneren (allgemeinen oder besonderen) Staatsrecht entspricht. Jedoch ist es üblich, wiewohl nur nach politischer Convenienz, anderen Staaten und deren Vertretern Kenntniß von eingetretenen Regierungswechseln zu geben und die Fortdauer eines guten Vernehmens in Erwartung der Gegenseitigkeit zuzusichern. Bei bestrittenem oder zweifelhaftem Recht, so wie bei neu erworbener, nicht schon angeerbter und versicherter Souveränetät, bewirbt man sich auch wohl um die ausdrückliche Anerkennung anderer Mächte3. Diese kann zwar nicht als eine rechtliche Verpflichtung, wohl aber als Bedingung eines internationalen Verkehres in Anspruch genommen werden. Zweifache Persönlichkeit des Souveräns. 52. Im Allgemeinen läßt sich in der Person eines Souveräns ein zweifacher rechtlicher Charakter unterscheiden, nämlich einerseits die staats- und damit verbundene völkerrechtliche Persönlichkeit, andererseits die privatrechtliche. Jedoch wird lettere allezeit bedingt durch die erstere und sie kann daher dieser nie präjudiciren*. So steht an sich nichts entgegen, daß der Souverän eines Staates auch 1) Die älteren Publicisten deuteten die verschiedenen Möglichkeiten hierbei durch die Unterscheidung von regna usufructuaria und patrimonialia an. Groot, de J. B. I, 3, 11 f. Vgl. darüber Klüber, Völkerr. § 31. 2) Günther II, 430. Der Römische Stuhl betrachtete sonst die Abfertigung eigener Obedienzgefandtschaften von Seiten katholischer Regenten nach übernommener Regierung als Schuldigkeit. S. ebendas. Not. e. Buder, de legationib. obedientiae. Jen. 1737. Ob noch jetzt? steht dahin. 3) Günther II, 432. 4) Nach dem Saß, daß das öffentliche Recht allezeit dem Privatrecht vorgeht. Privatrechte erwerbe, ausübe und gegen sich ertheile; daß er als Privatperson Vafall eines Anderen sei, oder in Civil- und Militairdienste eines fremden Staates eintrete oder auch selbst in einem Unterthansverhältniß zu jenem stehe und vermöge dessen ständische oder parlamentarische Rechte darin ausübe'. Unzulässig würde dergleichen. sein: wenn entweder die Verfassung des einen oder anderen Staates sich dagegen erklärt; oder wenn die Ehre oder Würde des Souveräns durch ein solches Verhältniß gefährdet würde. Bei eintretender Incompatibilität ist das eine Verhältniß aufzugeben oder wenigstens, so weit es möglich ist, zu suspendiren; allemal wird es dem Souverän zustehen, sich im Falle eines Conflictes ungehindert durch das etwaige Privatverhältniß in seine persönliche Souveränetät zurückzuziehen. Völkerrechtliche Stellung der Souveräne. 53. Die Rechte der in einer bestimmten Person verkörperten Souveränetät sind im Verkehr der Staaten unter dem Princip der Gegenseitigkeit und Gleichheit diese: I. Die unbeschränkte Vertretung ihrer Staaten gegen andere (ius. repraesentationis omnimodae), so weit nicht durch einzelne Verfassungen besondere Grenzen gesetzt sind, dergestalt, daß außerdem jede durch das Organ des Souveräns abgegebene Erklärung als Erklärung des Staates selbst gilt, jede für den Staat erworbene Befugniß oder übernommene Verpflichtung auch für diesen selbst giltig ist3. Nur Personen und Rechte der Unterthanen stehen nicht unter der directen Vertretung der Souveräne, ausgenommen insofern sie nach dem allge 1) So war der regierende Bischof zu Osnabrück als Herzog von York 1787 Peer von Großbritannien und Mitglied des Oberhauses. Günther II, 271. Ein noch neueres Beispiel ist bekannt. 2) Eine solche hat auch das Englische Canzleigericht in einer Entscheidung vom 13. Januar 1844 in Klagesachen des Herzogs Carl von Braunschweig gegen den König von Hannover angenommen. 3) Grundsatz selbst des constitutionellen Staatsrechtes. So in Großbritannien, Frankreich, wie ausdrücklich nach Deutschen Verfassungen; z. B. Wirtemb. Verf.Urk. § 85. Braunschw. § 7. Altenb. § 6 u. s. w. Die Verantwortlichkeit der Minister ist dabei freilich nicht ausgeschlossen, so wenig als die Mitwirkung der Stände bei der Ausführung. meinen oder besonderen Staatsrecht dem Staate zum Opfer gebracht werden müssen. II. Anspruch auf Achtung als Herr oder doch höchster Repräsentant eines Staates, mithin als dessen oberstes Glied. III. Vollkommene Pärschaft aller Souveräne und, falls ihr Recht erblich ist, Ebenbürtigkeit ihrer Familien mit einander, jedoch unbeschadet desjenigen Ranges, welchen der einzelne Staat nach dem Europäischen Ceremonialrecht und Rangreglement oder vertragsweise in der Reihe der übrigen, somit auch der Souverän unter den übrigen einnimmt (§§ 28. 41). IV. Das Recht auf diejenigen Titel und Prädicate, welche nach dem Völkerherkommen dem Haupte eines gewissen Staates seiner Kategorie nach zustehen oder bisher unwidersprochen von ihm gebraucht worden sind. Die herkömmlichen Prädicate sind: bei dem Römischen Oberbischof: Sanctitas Sua'; bei Königen oder Kaisern: der Majestätstitel2; bei Großherzogen: Königliche Hoheit, Celsitudo regia, Altesse royale, ausgedehnt auf den Kurfürsten von Hessen3; 4 bei Herzogen und Fürsten: Durchlaucht, Durchlauchtigst, Serenitas, Altesse sérénissime, obwohl die Ersteren gegenwärtig auch in Deutschland das Prädicat „Hoheit“ vorziehen®. 1) Oder Sanctissimus Pater, vormals auch bei Bischöfen überhaupt gebräuchlich. Summus Pontifex schon seit dem dritten Jahrhundert. Papa seit dem fünften Jahrhundert; exclusiv seit Gregor VII. Richter, Lehrb. d. Kirchenr. § 110. 2) In älterer Zeit hatte diesen nur der Römische Kaiser. Seit dem 15. Jahrhundert ward er auch den Königen gegeben; von dem Römischen Kaiser jedoch erst seit dem 18. Jahrhundert. Fr. C. v. Moser, kl. Schriften VI, 20. Dem Türkischen Kaiser (Padischah) ward das Prädicat Hoheit gegeben. Moser, Vers. I, 238. Jezt ebenfalls Majestät. 3) Vgl. oben S. 53. 54. 4) Nur der Herzog von Savoyen verlangte und erhielt vormals das Prädicat Königliche Hoheit, wegen des Königreiches Cypern. Lettre touchant le titre d'Altesse roïale du Duc de Savoye. à Cologne 1701. Der Herzog zu HolsteinGottorp erhielt es 1736. Moser, Staatsr. IV, 193. Versuche I, 242. 5) Wegen dieses Prädicates überhaupt: C. F. v. Moser, kl. Schr. VII, 167 f. Heumann, Progr. de tit. Serenissimi. Goetting. 1726. 6) So haben die Deutschen regierenden Herzoge von Sachsen, Anhalt, Braunschweig und Nassau das Prädicat „Hoheit“ angenommen seit 1844. S. darüber Bundesbeschluß vom 16. August 1844 und die Prädicatsfrage“ (v. Wahlkampf). Unbestimmter sind die Titulaturen der Staaten- und Bundessysteme1. Einige Monarchen haben überdies noch besondere Ehrentitel in Betreff ihres kirchlichen Verhältnisses hergebracht. Auch gilt es als Ehrenrecht eines Monarchen, von sich in der Mehrheit als „Wir von Gottes Gnaden" zu sprechen. Die nähere Anwendung lehrt die Ceremonialpraxis (vgl. Buch III.). Von Rangerhöhungen gilt das Obige (§ 31). V. Das Recht auf Haltung eines Hofstaates, theils zur Verherrlichung der höchsten Stellung, theils zum persönlichen Dienst für den Souverän und seine Familienglieder. 5 VI. Befreiung von jeder Art von Souveränetätsacten, insbesondere von der Gerichtsbarkeit des fremden Staates während des friedlichen Aufenthaltes im dortigen Territorium (§ 54). Nur das Betreten und der Aufenthalt selbst können versagt und politische Gießen 1845. Neue, d. i. seit 1583 erst creirte, Fürsten erhielten sonst in Deutschland nur das Prädicat: Durchlauchtig - Hochgeboren. Klüber, Abhh. I, 176. Martens, Völkerr. S. 329. Ausg. 3. Pernice, Quaest. Part. II, p. XV. Das ist wohl jest außer Gebrauch. 1) Der Deutsche Bund heißt im diplomatischen Verkehr: La sérénissime Confédération Germanique, der Durchlauchtigste Deutsche Bund. Klüber, öffentl. R. § 144. Auch die Republiken Polen, ohne den König, Venedig und Genua erhielten vormals den Titel: Serenissima Respublica. Moser, Vers. I, 241. 2) Frankreich: Rex Christianissimus, oder Erstgeborener Sohn der Kirche; Spanien seit 1496: Rex Catholicus; England seit 1521: Defensor fidei; Polen: Rex Orthodoxus; Portugal seit 1748: Rex fidelissimus; Hungarn seit 1758: Rex Apostolicus. Vgl. J. C. Becman, Syntagm. dignitat. I, n. 2 u. 3. Der Papst selbst nennt sich Servus Servorum Dei. Die Untergebenen dürfen dergleichen Bezeichnungen gegen ihr Oberhaupt nicht gebrauchen. Moser, verm. Schr. Abh. I, 63. 3) So zuerst die Bischöfe seit dem 4. Jahrhundert; später mit dem Zusage et apostolicae Sedis gratia. Seit dem 10. Jahrhundert die weltlichen Fürsten. Pfeffinger, Vitr. illustr. I, 4, 9. Heumann, Progr. de tit. D. G. Allendorf 1727. B. Tilesii, Comment. de tit. N. D. G. Regiomont. 1751. 4) Diese Prärogative hängt mit dem Recht der Aemterverleihung und mit dem alten Fürstenherkommen zusammen. Im Mittelalter gab es nur einen Ministerial-, dann Feudalhofftaat. Der moderne ist vorzüglich aus dem Burgundischen und Französischen seit Louis XIV. hervorgegangen. Näheres über ihn in Fr. C. v. Moser, Hofrecht. 1754. C. E. v. Malorti, der Hofmarschall. Hannov. 1842. 5) Par in Parem non habet imperium. Wegen der Verbrechen vgl. § 102. 6) So verfuhr Heinrich IV. von Frankreich gegen Carl Emanuel von Savoyen. d'Aubigné, Hist. univ. III, 5, 5. Vgl. übrigens Stephanus Cassius, |