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den überhaupt oder vorübergehend zur Freiheit, zu einem vernünftigen für sich selbst Handeln Unfähigen besteht sogar die Verpflichtung Aller, mithin auch des Staates, ihn mit den nothwendigsten Bedürfnissen zu unterstüßen, zum vernünftigen Menschen zu erziehen, oder doch approximativ auf der Höhe und in der Verbindung sittlicher Menschen zu erhalten. Aber kein Mensch kann das Eigenthum eines Anderen, selbst nicht des Staates sein; kein sittlicher Staat sollte also Sclaverei dulden; auf keinen Fall ist er schuldig, die in anderen, obschon befreundeten Ländern bestehende Sclaverei in seiner Mitte gelten zu lassen. Ihm ist der Knecht ein freier Mensch1.

15. Zergliedert man den Inhalt der menschlichen Freiheit, d. i. der vernünftigen Existenz des Individuums näher, so lassen sich folgende Einzelrechte darin erkennen:

Erstens: Freie Wahl des Ortes der Existenz. Kein Mensch ist zur Scholle eines bestimmten Staates unabänderlich geboren. Das gemeinsame Vaterland ist die Erde; der Einzelne muß überall seine Heimath aufschlagen können, wo er sich am meisten in seiner Freiheit zu bewegen vermag; ja es kann Pflicht sein, sich nach einer anderen Stelle der Erde zu begeben, um seine Freiheit zu retten. Das Recht der Auswanderung ist also ein unentziehbares; nur selbstauferlegte oder verschuldete Verpflichtungen können es beschränken; nur moralische, nicht äußere Bande machen ein Land zum Vaterlande.

1) Daher der in den meisten christlichen Staaten erweislich angenommene Saß: die Luft macht frei. So in Frankreich, schon nach Ordonn. v. Louis X, v. 1315. Ordonn. V, 1, p. 1311; in Großbritannien zufolge der Praxis bei Phillimore I, p. 335; in Oesterreich laut Strafgesetzb. v. 1852. § 95; in Preußen laut Gesetz v. 9. März 1857 (im Wesentlichen schon früher; vgl. v. Hymmen, Beitr. VI, 296). Ueber die allmähliche Abschaffung der Sclaverei vgl. man Biot, l'abolition de l'esclavage ancien. Par. 1841. Augsb. Allgem. Ztg. 1847. No. 193. Beil. Eine neue Aera hat für die Abschaffung in Europäischen Colonien begonnen, namentlich seit der Engl. Parl.-Acte 3. 4. Will. 4. c. 73, vom 1. Aug. 1834 an. Der Höhepunkt der jetzigen Civilisation macht überflüssig, das Princip der Sclaverei noch zu bekämpfen. Kein Theil des Menschengeschlechtes hat eine Bestimmung dazu. Man vgl. Warnkönigs Bemerkungen in s. Rechtsphilosophie S. 286. Foelix Revue étrangère t. IV et V. Esclavage et Traite des N. p. Agenor de Gasparin. Par. 1838. Phillimore I, 316. Wegen des Sclavenhandels s. unten § 33.

2) Die zulässigen Beschränkungen s. § 59. Die ältere Staatstheorie und Praxis war bei dieser Frage sehr befangen. Schriften s. in v. Kampp Lit., § 122. Heut

Zweitens: Erhaltung, Vertheidigung und Entwickelung der physischen Persönlichkeit; daher auch das Recht, sich die Natur für die Bedürfnisse des Lebens dienstbar zu machen, Eigenthum zu haben, es zu erhalten und zu erweitern in freiem Austausch mit anderen; ferner das Recht der Selbstfortpflanzung durch Ehe und Kinderzeugung; alles in den Schranken der Sittlichkeit.

Drittens: das Recht der geistigen Persönlichkeit, als Mensch auch geistig zu existiren und sich zu entwickeln; sich ein Wissen zu erwerben und im Verkehr mit anderen zu berichtigen; endlich auch ein religiöses Bewußtsein über das Verhältniß zur unsichtbaren Welt sich anzueignen und darnach zu leben.

In diesen Stücken besteht das Privatrecht der Menschen'. Der Staat hat dem an sich bestehenden Rechtsstoff nur die Form zu geben, die Ordnung und richtigen Grenzen vorzuzeichnen und die Mittel zu seiner Realisirung zu gewähren. Damit fällt es aber allerdings in den Bereich der inneren Wirksamkeit jedes Einzelstaates. Es darf jedoch in einem völkerrechtlichen Verbande, wie der Europäische ist, vorausgesetzt werden, daß kein Staat einem Menschen und namentlich den Unterthanen eines anderen Staates jeden rechtlichen Schuß ihrer Person oder Habe entziehen oder überhaupt irgend einen Menschen als völlig rechtlos mit ungebundener Willkür behandeln werde, indem man sich im Gegenfalle einer christlich gesitteten Gemeinschaft unwürdig zeigen und davon ausschließen würde. In der That wird auch in keinem Staate des gedachten Kreises einem Fremden der Schuß seiner Person und der Genuß der von keiner staatsbürgerlichen Eigenschaft abhängigen Privatrechte versagt. Hierin be= ruhet die Grundlage des jeweiligen f. g. Fremdenrechtes, dessen besondere Entwickelung innerhalb der Europäischen Staatengenossen

zutage besteht im Princip kaum noch ein Zwiespalt. Selbst v. Haller erkennt es als ein fundamentales an.

1) Etwas Anderes als das Privat- oder Urrecht aller Menschen sind die politischen und staatsbürgerlichen Rechte der Einzelnen in den Staaten, welchen sie angehören. Für diese giebt es kein gleichförmiges, allenthalben giltiges Princip. Ihre Gestaltung und Veränderung ist die That der Macht oder des Volksgeistes. In der französischen Erklärung der Rechte des Menschen und Bürgers, welche der Constitution vom 3. Septbr. 1791 voranging, wurden jene verschiedenen Rechte mit einander in Verbindung gebracht.

schaft weiterhin einen Plaß finden wird (§§ 34-39. 60—63)'. Als absoluter Feind und geächtet gilt nur der Pirat, der sich durch keine staatliche Autorität zu seinem Raubgewerbe legitimiren kann, und so lange er in demselben begriffen ist2.

Sweite Abtheilung.

Die Staaten und ihre Rechte.

Natur, Bedeutung und Verschiedenheiten der Staaten.

16. Staaten sind die vereinzelten stetigen Verbindungen von Menschen unter Einem Gesammtwillen für die sittlichen und äußeren Bedürfnisse der menschlichen Natur. Ihre gemeinsame Aufgabe ist die vernünftige Entfaltung des Menschen in seiner Freiheit. Denn der Staat an sich ist der Mensch der Gattung. Aber es giebt keinen Universalstaat. Gäbe es einen solchen, so müßten Alle dagegen kämpfen, um ihn wieder in die nationalen Stoffe aufzulösen, in den Bau von Einzelstaaten, in welchen sich die menschliche Kraft allein im gehörigen Maß und Gleichmaß entwickeln kann. Zur Existenz eines Einzelstaates gehört indeß:

I. das Dasein einer Gemeinde mit Selbstgenugsamkeit, §. i. mit den nöthigen Mitteln und Kräften, um sich in ihrer Vereinzelung zu behaupten;

II. das Dasein eines ausschließlichen organischen Gesammtwillens zur Führung und Vollendung der

der Staatsgewalt

Verbindung in der angedeuteten Richtung;

III. eine Stetigkeit der Verbindung (ein status), als natürliche Bedingung ungehinderter naturgemäßer Entfaltung. Sie beruhet wesentlich auf festem und zureichendem Landbesig, auf Bildungsfähigkeit und auf Sittlichkeit der Gemeinde.

Wo Eines oder das Andere fehlt oder anders ist, da sind entweder nur Embryonen oder Uebergänge zum Staat vorhanden, oder Ge

1) Eine verdienstliche Zusammenstellung des ganzen „Prakt. Europ. Fremdenrechtes" hat Prof. Th. Pütter. Leipz. 1845. geliefert.

2) Piraten sind im Allgemeinen, wie Bynckershoek, Quaest. i. publ. I, c. 19, sagt: „Qui nullius principis autoritate sive mari sive terrâ rapiunt.“ Schon Cicero (de offic. III, 29) kennzeichnet den pirata als non perduellium numero definitus, sed „communis omnium hostis". S. übr. unten § 105.

sellschaftsaggregate zu einzelnen bestimmten Zwecken; Horden oder Naturstaaten, die ohne inneren Bildungsstoff in sich selbst zergehen'. Auch die geschichtliche oder Weltbedeutung der wirklichen Staaten ist bald nur eine vorübergehende mechanische, es sind états de fait, de circonstance, welche sich entweder ganz wieder auflösen oder der Kern der anderen werden, — bald aber auch eine bleibende natürliche, auf Naturfülle und Nationaleinheit gegründete.

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17. Außerwesentlich ist für das Völkerrecht im Allgemeinen das größere oder geringere Gewicht, welches ein Staat in die Wagschale der Völkerschicksale zu legen vermag. Erheblicher ist für die internationalen Verhandlungen die innere Verfassung der Einzelstaaten, weil davon die Verfügungsfähigkeit der Regierungen abhängig ist, obgleich ihre Herstellung nicht den Staaten unter sich, sondern vielmehr jedem Staat für sich selbst wesentlich zustehet. Von dieser Seite betrachtet, giebt es zwei Hauptarten der Staaten, nämlich Monarchien und Gemeinwesen, deren jede ihre natürlichen haltbaren Unterarten hat. Nebenbei liegen die Ausartungen (Parekbasen von Aristoteles genannt), so wie die Mischungen.

Das Wesen der wahren Monarchie ist die auf anerkannten Geseßen oder anderen rechtlichen Grundlagen beruhende Alleinherrschaft, welche nach vernünftigen Gefeßen regiert. Hierunter ist begriffen

die unbeschränkte Monarchie, wo Wille des Herrschers und Staat identisch sind (l'état c'est moi) und der Monarch formell nicht Unrecht thun kann; dann:

die beschränkte Monarchie, wo die Regierung selbst auch be= stimmten Gefeßen dem Volk gegenüber unterworfen und verantwortlich, das Volk ein Rechtsbegriff ist.

1) Ob schon Einer, ob Zwei, oder Drei, oder wie Viele einen Staat allein ausmachen können? ist eine müßige Schulfrage, und beantwortet sich leicht aus den gegebenen Merkmalen des wahren Staates. Daß unabhängige Raubvölker und Horden noch keine Staaten sind, darüber war die ältere und neuere Staatstheorie einverstanden. S. auch H. Groot III, 3. I, 1 mit den Citaten aus Cic. Philipp. IV, 15 und den Römischen Juristen. Dazu Phillimore, Int. C. I, 78.

2) Für das physische Leben der Staaten, für die Staatspraxis und Staatskunst ist der Unterschied der Macht natürlich von großer Bedeutung. Die dabei angenommene Eintheilung in Staaten des ersten, zweiten und dritten, auch wohl vierten Ranges hat ihren guten Grund und ist eine unleugbare Wahrheit, nur nicht auf Bevölkerungsverhältnisse numerisch streng zurückzuführen.

Die Benennungen der monarchischen Staaten richten sich herkömmlich nach den Titeln des Staatsoberhauptes. Diese aber find

der Königs- und Kaisertitel, wovon jener der älteste und gewissermaßen ursprüngliche ist, einen Herrn' bezeichnend, dieser, der spätere Imperatorentitel, einen Befehlenden andeutend;

der Fürstentitel, germanischen und slavischen Ursprungs, ursprünglich nur einen Ersten im Staat anzeigend, mit verschiedenen Abstufungen aus dem Lehnstaat des Mittelalters, Herzog, Fürst, Graf u. s. w.

Als Mittelstufe zwischen König und Fürsten hat sich seit dem 16. Jahrhundert der Titel eines Großherzogs ergeben.

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Neben der Monarchie liegt die Thrannis oder Ufurpation, wenn ein Einzelner nicht durch Recht, sondern durch Gewalt und Furcht herrscht.

Ein Gemeinwesen (commonwealth) ist überhaupt vorhanden, wo es keine blos Herrschenden und gegenüber nur Gehorchende giebt, sondern die Herrschenden zugleich auch gehorchen und beherrscht werden. Hierunter ist begriffen:

die reine Demokratie, wo alle natürlich fähigen Glieder des Volkes zugleich an der Ausübung der Staatsgewalt Theil haben;

die Aristokratie, wo nur Bevorrechtete herrschen, eine Selbstregierung des Volkes mit Ungleichheit, bald Timokratie, bald Familienherrschaft, bald Geldherrschaft.

Eine Ausartung des Gemeinwesens ist die Ochlokratie oder die wandelbare Herrschaft des augenblicklichen Willens der Masse.

Die historische Stufenfolge der Staatsverfassungen war: I. Der morgenländische Staat, ein Staat der Resignation und Knechtschaft, eine Despotie oder Oligokratie mit Priesterthum in Verbindung. Seine durch Christenthum und geistige Cultur veredelte Form ist der slavische Staat, mit oder ohne feudalistische Einrichtungen und Stände.

II. Der Europäische Staat, nämlich

der klassische Staat der alten Welt, Anfangs ein heroisches Königthum unter Mitregierung der Geronten, dann Volksherr

1) Vgl. Grimm, D. Rechts - Alterth. 229.

2) Zuerst für Toscana, durch päpstliche und kaiserliche Verleihung, seit 1569 resp. 1575. Pfeffinger, Vitr. illust. I, 747. 748.

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