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auch Republiken Anspruch, wie z. B. Venedig und die Niederlande, jezt unbedenklich die Schweizerische Eidgenossenschaft, der Nordamerikanische Freistaat. Daß der Deutsche Staatenbund als solcher nicht davon ausgeschlossen werden könne, versteht sich von selbst, da die bedeutenderen seiner Glieder, aus deren Gebieten das Bundesgebiet selbst wieder hauptsächlich besteht, schon zu jenen Vorrechten beansprucht sind.

II. Unter den Staaten einer jeden der beiden Hauptklassen besteht dem Princip nach eine vollkommene Rechtsgleichheit. Insbesondere gilt dies von den heutigen Kaiser- und Königstiteln, seitdem der vormals allgemein als Erstes christliches Haupt anerkannte Römische Kaiser nicht mehr existirt. Könige haben vorlängst die rechtliche Gleichbedeutung mit dem Kaisertitel dadurch angezeigt, daß sie den Namen eines Kaiserreiches oder Imperators auch mit dem vorzugsweise geführten Königlichen Titel verbinden, oder wenigstens Krone und Rechte des Souveräns Kaiserliche nennen'. Kaisern und Königen selbst wird aber allerdings von denjenigen Souveränen, die zwar Königliche Ehren, jedoch keinen Kaiser- und Königstitel haben, in ceremonieller Hinsicht ein Vorzug eingeräumt; ebenso von den jezt bestehenden Republiken, ohne daß deren eigenes Verhältniß zu den übrigen Staaten mit Königlichen Ehren genauer feststeht.

III. Staaten mit einer unvollkommenen oder Halbsouveränetät werden allezeit wenigstens demjenigen Staate nachstehen, von welchem sie abhängig sind. Eben so wird ein Schußstaat dem schutzherrlichen Staat den Vorrang zu gestatten haben, sofern das Verhältniß ein unbedingtes ist und es sich nicht von Angelegenheiten handelt, welche ganz außerhalb eines solchen Verhältnisses gelegen sind. Gegen dritte Mächte kann dasselbe an und für sich keine Zurücksetzung be= gründen2; ja es können selbst halbsouveräne Staaten, ihrem anerkannten Titel gemäß, nach Europäischem Herkommen einen Vorrang vor völlig souveränen haben3.

1) So gaben sich und empfingen die Könige Frankreichs in den Verhandlungen mit der Pforte und deren abhängigen Staaten den Kaisertitel; die Krone der vereinigten Königreiche Großbritanniens heißt eine Kaiserliche in der Britischen Staatssprache. S. (de Steck) Echantillon d'Essais. Halle 1789. p. 3.

2) Vgl. Günther I, 213. 214. Die Eigenschaft eines Vasallenstaates bringt an sich noch keine Präcedenz des lehnsherrlichen Staates mit sich.

3) So die ehemaligen Kurfürsten des Deutschen Reiches im Verhältniß zu Staaten ohne Königliche Ehren.

IV. Das Rangverhältniß kann unter einzelnen Staaten durch Vertrag oder Observanz bestimmt werden'. Alsdann haben solches auch dritte Mächte zu beachten, wenn ihnen davon Mittheilung gemacht wird, sofern es nicht zu ihrem eigenen oder der übrigen Mächte Präjudiz gereicht2. Denn im Allgemeinen geben natürlich dergleichen einseitige Verträge kein Recht gegen dritte, so wenig als diese daraus Consequenzen für sich herzuleiten vermögen. Verträge, wodurch eine Macht der anderen den Vorrang vor einer dritten oder allen übrigen zugesteht, sind ohne Beitritt dieser unverbindlich, weil sie eine Rechtsverlegung enthalten, sofern sie von der allgemeinen Regel abweichen. Nur diese hat man auch im Fall des Conflictes zu befolgen und es dürfen davon bei wirklichen Staats-Angelegenheiten keine Ausnahmen gemacht werden. Selbst verwandtschaftliche Rücksichten berechtigen außerhalb des Familienverkehres nicht dazu, sondern es ist die strengste Neutralität zu beobachten3.

V. Der Rang, den ein Staat und seine Repräsentanten einmal erlangt haben, wird durch die etwa erfolgende Verfassungsänderung, namentlich in der Personificirung der höchsten Staatsgewalt, in der Regel nicht verloren*; es müßte denn eine Veränderung des Staatstitels damit verbunden sein, welche nach entschiedenem Herkommen das Nachstehen gegen anders titulirte begründet (Nr. II.).

VI. Kein Souverän kann von anderen Staaten die Anerkennung der von ihm verliehenen Standestitel und Würden erwarten, welche seinen eigenen gleich sind oder darüber hinausgehen.

Die allgemeinen Staatenrechte im Einzelnen.

I. Recht eines ungestörten eigenen Daseins.

a. Territorialrecht.

29. Das Erste Recht eines vollendeten Staates ist, wie bei dem einzelnen Menschen, als Staat physisch für sich zu bestehen. 1) So besteht z. B. eine gewisse Reihefolge der Deutschen Staaten in Beziehung auf das Bundesverhältniß, aber auch nur für dieses.

2) Günther I, 269.

3) Günther I, 269.

4) Vattel II, 3, 39. Günther I, 208. Klüber § 99. Beispiele liefert die Britische Commonwealth unter Cromwell, Frankreich als Republik, z. B. im Frieden v. Campo Formio Art. 23. Wheaton, Intern. L. I, 196. (Elem. d. dr. int. I, 152.) 5) Es wäre z. B. paralogistisch und gegen alles Herkommen, wenn ein sou

Dazu gehört wesentlich ein eigener fester Sitz der Staatsgemeinde innerhalb eines gewissen Landgebietes (territorium), wie es das Haus für den einzelnen Menschen ist. In dem Besiße eines solchen Gebietes liegt von selbst

die Benuzung aller Naturschäße innerhalb desselben, sodann

die Ausschließlichkeit dieses Gebietsbesißes anderen gegenüber, worin das f. g. ius territoriale beruhet; endlich

das Recht, sich in dieser ausschließlichen Existenz zu behaupten, was man auch das Recht auf Integrität oder Unverlegbarkeit der Staaten (droit d'integrité) genannt hat1. Demgemäß kann

I. kein Hoheitsrecht in die Grenzen eines anderen Staates hineingeübt werden; keine Staatsanstalt ihre Wirksamkeit in das fremde Gebiet hinein ausdehnen2. Es bildet damit jedes Staatsgebiet ein Ashl gegen weitere Verfolgung.

II. Keine Staatsgewalt darf unmittelbar oder mittelbar Urfache geben, daß der Bestand eines anderen Staates in seinen natürlichen Elementen vermindert werde. Sie darf also namentlich nicht zu Auswanderungen seiner Unterthanen direct oder indirect anreizen oder sonst eine Entvölkerung desselben zu bewirken suchen; eben so wenig darf sie die Losreißung einzelner Theile von dem fremden Staat verursachen, oder dessen Enclaven in ihrem Gebiet sich eigenmächtig zueignen3. Dagegen ist kein Staat verhindert, Auswanderer bei sich aufzunehmen, oder im Allgemeinen den Auswandernden geveräner Fürst ohne Königliche Ehren einen Unterthanen zum Fürsten oder Herzog creiren wollte. Vgl. Klüber's öffentl. R. des D. Bundes § 497. I. a. E. 1) Vattel II, § 78. 93.

2) Z. B. keine Postanstalt kann sich in das Ausland ohne die Zustimmung der dortigen Regierung erstrecken; keine Lotteriecollecte, keine Werbeanstalt. Kein Notar darf in fremdem Gebiete instrumentiren, keine gerichtliche oder polizeiliche Verfolgung über die Grenze gehen, kein Beamter in fremdem Gebiete mit öffentlichem Charakter angestellt werden ohne Placet oder Exequatur der auswärtigen Regierung.

3) Die Politik hat freilich diesen unbestreitbaren Satz des Völkerrechtes nicht immer beobachtet. Sie hat zuweilen zu Empörung offen aufgefordert, oder doch wenigstens Anreizungen und Propaganden in ihrem Intereffe befördert, ja es ist hin und wieder als stehende Politik erweislich gewesen. Doch hat sie sich selten als Recht geltend zu machen gewagt, meist hat sie insgeheim gespielt und immer ist ihr entgegengetreten worden. Vgl. Günther, Völkerr. II, S. 276 f.

wisse Vortheile anzubieten, welche sie für ihn bestimmen können', endlich auch selbständig gewordene Theile des fremden Territoriums, nachdem ihre Trennung völkerrechtlich entschieden ist (§ 23), in sich aufzunehmen.

III. Keine Staatsgewalt kann einem fremden Territorium entziehen oder vorenthalten, was demselben von Natur als Theil angehört oder zufließt. Die natürlichen Verhältnisse müssen unter den Nachbarstaaten so erhalten werden, wie sie sich mit ihrer Gründung ergeben haben, und was die Natur allen oder vielen zugleich bestimmt hat, darf nicht von Einzelnen als Eigenthum an sich behalten werden. So darf kein Fluß, kein Bach dem Nachbarlande abgeschnitten, wohl aber im eigenen Gebiet von jedem Staat zu seinem Nußen gebraucht werden, wenn ihm nur der natürliche Ausfluß an seiner früheren Stelle gelassen wird.

IV. Selbst auf eigenem Gebiet darf kein Staat Anstalten treffen oder zulassen, welche einen schädlichen Rückschlag auf ein fremdes Territorium ausüben, dergestalt, daß dadurch die natürlichen Verhältnisse zum Nachtheil des anderen Staates verändert werden würden3.

Sonstige Beschränkungen der inneren Staatsgewalt und Regierungsrechte fließen aus den nachfolgenden allgemeinen Rechten anderer Staaten; aus den allgemeinen, unter dem internationalen Schuße stehenden Menschenrechten; aus der Natur der Privatrechte; aus den Verhältnissen der Unterthanen zu auswärtigen spirituellen Mächten in Betreff ihres Religionscultus; aus dem Verhältniß der Exterritorialität; aus der Bestellung von Staatsservituten.

b. Recht der Selbsterhaltung.

30. Mit der Existenz ist auch das Recht, sie zu behaupten, gegeben, daher auch Vertheidigung und Kampf gegen jede, die staat

1) Vgl. Moser, Vers. VI, 118. Günther a. a. D. S. 298 f.

2) Vattel I, 22, 271. 273.

3) Die privatrechtliche Regel: In suo quisque facere non prohibetur dum alteri non nocet ist auch im Völkerrecht Wahrheit, muß aber im obigen Sinn verstanden werden, wie sie im Civilrecht Anwendung findet. Auf keinen Fall kommt ein bloßes lucrum cessans in Betracht. Denn multum interest utrum damnum quis faciat, an lucro quod adhuc faciebat, uti prohibeatur. L. 1. § 11. D. de aqua 1. 26. D. de damno inf. S. auch Cocceii, de iure nocendi aliis. in Vol. dissert. II, p. 1199.

liche Existenz bedrohende Gefahr', so wie die Ergreifung vorläufiger Sicherungsmittel gegen die Möglichkeit einer solchen.

Die Gefahr kann entweder in Naturgewalt und Verwickelung der Weltverhältnisse liegen oder in menschlicher Vergewaltigung. Erstere geben an sich kein Recht, andere Staaten oder deren Angehörige in ihrer Existenz, ihren Besitthümern und Rechten zu beeinträchtigen; nur die äußerste Noth entschuldigt die Rettung der eigenen Existenz auf Kosten eines fremden oder seiner eigenen Rechte mit Hintanseßung der Rechte Anderer, ja auch dieses nur, wenn man nicht etwa selbst die Gefahr herbeigeführt hat und gegen eine wenigstens künftig zu leistende Entschädigung2.

Gegen drohende oder bereits angefangene Vergewaltigung Anderer tritt das Recht der Nothwehr bis zur völligen Abwendung der Gefahr in Kraft, und jeder Dritte sogar ist berechtigt, dazu Beistand zu leisten, wenn der Bedrohte ihn nicht von sich weiset. Wesentliche Voraussetzung ist jedoch Wirklichkeit der Gefahr und Absichtlichkeit auf Seite dessen, woher sie kommt. Bis dahin können rechtmäßiger Weise nur Sicherungsmittel, z. B. durch Coalition mit Anderen, Befestigungen, Kriegsrüstung u. s. f., ergriffen werden; mit dem ersten Moment der Gefahr ist aber auch der Bedrohte befugt, zuvorkommend thätlich einzuschreiten und durch eigenen Angriff den zu befürchtenden zu beseitigen3.

Begreiflicher Weise läßt sich in den Staatenverhältnissen nicht der engere Maßstab anlegen, wonach der Gebrauch der vorstehenden Grundsäge in Privatverhältnissen beurtheilt werden muß. Bei dem Geheimniß, worin sich die Politik einhüllt, ist es oft schwer, die Absichtlichkeit einer Richtung, das wahre Ziel einer Bewegung zu er

1) Adversus periculum naturalis ratio permittit se defendere. L. 4. D. ad L. Aquil.

2) Es gilt hier für den Staat dasselbe Nothrecht wie für den einzelnen Menschen. Jener wird freilich seltener in den Fall kommen, sich darauf zu berufen. Man sete indeß einen kleinen Staat in Hungersnoth gebracht und man wird es ihm nicht als Friedensbruch anrechnen dürfen, wenn er sich nach Erschöpfung aller Mittel sogar mit Gewalt das Nöthige von den Nachbarn zu verschaffen sucht (Vattel II, 120), freilich mit der Verbindlichkeit eines künftigen Ersages. Bynckershoek, Quaest. i. publ. II, 15. G. Groot II, 2, 9.

3) Denn melius est occurrere in tempore quam post exitum vindicare. L. 1. C. quando liceat unicuique.

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