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Länder und die Möglichkeit, sich aufs neue zu rüsten. Vielleicht wäre es das beste, wenn jeder Staat seine Truppen so verminderte, wie seine eigenen Interessen es gestatteten, und den verbündeten und benachbarten Staaten die näheren Aufklärungen über die eigene Stärke gäbe. Dabei fügte Castlereagh die Worte hinzu: Österreich und Preußen hätten offenkundig bereits ihre Rüstungen verringert. Wenn Rußland denselben Weg beschreiten wollte, so würde das Beispiel gewiß einen heilsamen Einfluß auf Europa ausüben. Hierauf antwortete der russische Minister Graf Nesselrode am 9./21. Juli 1816: Auch Rußland schreite bereits zur Rüstungsverminderung und werde die Alliierten von dem Grade derselben unterrichten. In Wahrheit aber entließ Rußland keineswegs einen Teil seiner Truppen, was Lord Castlereagh zu einer entsprechenden Bemerkung dem russischen Gesandten Graf Lieven gegenüber veranlaßte. Dieser erwiderte, Rußland könne seine Truppen nicht wie England entlassen, da es seine Grenzen bewachen müsse; immerhin habe der Kaiser die Zahl der Kader seiner Armee verringert.

England war, wenn es auch im Prinzip eine Rüstungsbeschränkung nicht ablehnte, keineswegs geneigt, auf den russischen Vorschlag einzugehen. Der Prinzregent mißtraute dem russischen Kaiser, der ihm zudem auch persönlich unsympathisch war. Ferner war die innere Lage in England so, daß Truppen sehr nötig waren. Nachdem die englischen Kaufleute während des 25jährigen Krieges gegen Frankreich große Gewinne gemacht hatten, war nach dem Frieden ein Rückschlag gekommen, und es hatte sich viel Unzufriedenheit bemerkbar gemacht, die eine Revolution nicht unmöglich erscheinen ließ.

Frankreich und Preußen, an die sich Rußland gleichfalls wandte, begnügten sich damit, ihre Sympathie zu dem Projekte auszusprechen. Dagegen hatte der Zar bei Österreich einen größeren Erfolg. Metternich schrieb damals ein Memorandum über die Institution stehender Heere. Eine zu große Armee hielt dieser Staatsmann für eine Gefahr der inneren Ordnung, weil sich unter den Soldaten viele revolutionäre Elemente befänden. Im übrigen aber führten die damaligen Verhandlungen nicht zu der beabsichtigten Konferenz, sondern lediglich zu einer Herabminderung der in Frankreich befindlichen Okkupationsarmee der früheren Alliierten um ein Fünftel. Der Herzog von Richelieu hatte die Gelegenheit benutzt und von den Verbündeten eine Herabsetzung der Armee von 150000 auf 120000 Mann erreicht.1)

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1) Martens in Revue de droit international" XXVI, S. 573; Martens, Recueil des traités et conventions conclus par la Russie avec les Puissances étrangères" IV, S. 36; XI, S. 258; XIV, S. 361; Picard, S. 26-29; Daehne van Varick A. S. 1, wo übrigens dem englischen Prinzregenten die Initiative zugeschrieben wird; Robin, „Des occupations militaires en dehors des occupations de guerre", Paris 1913, S. 159.

1831 erklärte Casimir Périer in der französischen Kammer, er hoffe, daß bald ein dauernder Friede in Europa begründet und die schwere Last der Rüstungen vermindert würde. Dabei wies er auf die Bildung der ersten Friedensgesellschaft in Amerika hin. Louis Philipp berief damals eine Konferenz der Pariser Botschafter Englands, Österreichs, Rußlands und Preußens, die mit dem Vertreter Frankreichs folgendes Protokoll unterzeichneten :

„Die Unterzeichneten haben mit lebhafter Genugtuung nach eingehendem Studium der gegenwärtigen Lage Europas erkannt, daß die freundschaftlichen Beziehungen unter den Staaten die Annahme einer Maßregel ermöglichen, die eine der glühendsten Wünsche der Regierungen darstellt, nämlich der allgemeinen Abrüstung."1)

Näheres über diesen Kongreß ist bisher nicht bekanntgeworden. Als weiterer Präzedenzfall der Initiative von Nikolaus II. ist der Plan Napoleons III. zu erwähnen. In seiner Thronrede vom 5. November 1863 führte der französische Kaiser etwa folgendes aus:2)

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Ist der Augenblick nicht gekommen, um auf neuen Grundlagen den durch die Zeit und durch die Revolutionen unterminierten und stückweise zerstörten Bau wieder aufzurichten? Ist es nicht dringend nötig, durch neue Verträge anzuerkennen, was sich unwiederbringlich vollzogen hat, und in allgemeiner Übereinkunft dasjenige zu vollziehen, was der Weltfriede erheischt?... Was gäbe es Heiligeres und Berechtigteres, als die europäischen Mächte zu einem Kongresse zusammenzurufen, auf welchem die Eigenliebe und die Rivalität einem höheren Schiedsspruche weichen müßten? Wäre es nicht der Zeit und den allgemeinen Wünschen angemessen, sich an das Gewissen und die Vernunft der Staatsmänner aller Länder zu wenden und ihnen zu sagen: Haben der Groll und die Vorurteile, die uns trennen, nicht schon genug gedauert? Soll die eifersüchtige Rivalität der Großmächte unaufhörlich den Fortschritt der Zivilisation aufhalten? Sollen wir immer durch übertriebene Rüstungen gegenseitiges Mißtrauen aufrechterhalten? Sollen sich die wertvollsten Hilfsquellen in einem eitlen Zuschautragen unserer Kräfte schließlich erschöpfen? Sollen wir ewig einen Zustand aufrechterhalten, der weder der Friede mit seiner Sicherheit, noch der Krieg mit seinen glücklichen Chancen ist?“

Diese Rede wurde allgemein beifällig aufgenommen. Bereits am Tage vorher hatte Napoleon III. die Einberufung einer europäischen Konferenz durch Schreiben vom 4. November 1863 an die europäischen Souveräne 3) angeregt. Angesichts der gegenwärtigen Ereignisse wende er sich an die Monarchen mit folgendem Plane. Nach großen politischen Erschütterungen sei man bisher immer zusammengekommen,

1) Picard, S. 30; Desjardins, „Le désarmement, étude de droit international", ,Revue des Deux Mondes", 1. octobre 1898.

3) Aegidi-Klaubold, Das Staatsarchiv", V. Band, Hamburg 1863, S. 435; vgl. Picard, S. 32, 33; „Die Waffen nieder", 1892, IV, S. 33; Redslob, S. 260.

3) Abgedruckt bei Daehne van Varick, A. S. 2; Aegidi-Klaubold, Das Staatsarchiv, V. Band, Hamburg 1863, S. 918 ff.

um die neuen Elemente dem bisherigen Zustande anzupassen, wie z. B. im Westfälischen und Wiener Frieden. Nun sei die Lage verschiedener Staaten wiederum eine solche geworden, daß sie mit den Wiener Kongreßakten nicht übereinstimmte. Daraus sei eine gefährliche Lage entstanden, die leicht zum Kriege führen könne. Aber man dürfe nicht bis zu einer solchen Katastrophe warten, sondern müsse die Dinge jetzt anpassen und auf einem Kongresse regeln. Sein einziges Ziel wäre die Sicherung des europäischen Friedens. Deshalb ergreife er die Initiative zu dem Kongresse und lade die Regierungen nach Paris ein, um dort „les bases d'une pacification générale" festzulegen. Interessant ist, daß am Schlusse des Schreibens die Fürsten auch persönlich zur Teilnahme am Kongresse aufgefordert wurden. 1) Sicherlich war es ein großer Fehler, daß das Projekt in erster Linie die politische Landkarte Europas rektifizieren wollte und das Rüstungsproblem sowie die anderen großen Fragen der internationalen Verständigung überhaupt nicht erwähnt waren.

Die englische Regierung versprach in ihrem Schreiben vom 11. November 1863 wohlwollende Prüfung des Planes und erteilte schon am folgenden Tage eine ausführlichere Antwort. 2) Sie hatte Bedenken, zu einer Revision des Wiener Vertrages, der vor noch nicht einem halben Jahrhundert geschlossen worden sei, zu schreiten. Sie betonte, die meisten Bestimmungen dieses Vertrages seien noch in Kraft, und auf ihnen ruhe das europäische Gleichgewicht. Sie bitte die französische Regierung um nähere Mitteilung, welcher Art die Vorschläge Napoleons III. auf dem neuen Kongresse sein würden. Der französische Minister zählte in seiner Note vom 23. November die einzelnen Fragen auf, die Europa bedrohten und deshalb einer Lösung zugeführt werden sollten, insbesondere das polnische, dänische, orientalische, italienische Problem, usw. Dabei kam er auch auf die Rüstungsfrage zu sprechen, die in der französischen Kongreßeinladung sowie in dem englischen Schreiben vom 12. November 1863 gar nicht erwähnt worden war. Der Minister warf nämlich die Frage auf, ob man ohne Verständigungsversuche darauf verzichten solle, die Lasten zu erleichtern, die auf den Völkern infolge der übertriebenen, durch gegenseitiges Mißtrauen hervorgerufenen Rüstungen ruhten.

1) 50 Jahre später, ganz kurz vor dem Weltkriege, hat Otfried Nippold in der ,Korrespondenz des Verbandes für internationale Verständigung“ (III, 3) einen „Friedenskongreß der Souveräne im Haag" befürwortet und darauf hingewiesen, welcher Segen für die Friedensbewegung aus einer solchen persönlichen Zusammenkunft der Herrscher entstehen könnte.

2) Sämtliche Antworten sind abgedruckt bei Aegidi-Klaubold, a.a. O. S. 509-532; vgl. auch Picard, S. 34. Nach Hetzel, S. 47, soll auch Portugal dem Kongresse zugestimmt haben.

Hierauf erwiderte England am 25. November 1863, die von Frankreich genannten Fragen seien schwerlich ohne Gebietsveränderungen zu regeln, worüber sich die Mächte nicht leicht würden verständigen können; auch seien andere Schwierigkeiten zu überwinden. Z. B. würde der Kongreß kaum zu einer Übereinstimmung gelangen können, solange es keine Autorität gebe, um den Mehrheitswillen durchzusetzen. Unter diesen Umständen würde auch die Rüstungsfrage nicht mit Erfolg erörtert werden können. Deshalb lehnte Lord Russell die Einladung ab.

Rußland und Österreich baten Napoleon III. zunächst um nähere Angaben über das Programm der Konferenz. Kaiser Alexander II. von Rußland wies in seiner Antwort vom 18. November 1863 auf die Lasten des bewaffneten Friedens hin und erklärte, er habe, sobald er es gekonnt, die Initiative zu einer erheblichen Verringerung seiner militärischen Streitkräfte ergriffen, indem er sechs Jahre lang in seinem Reiche keine neuen Rekruten ausgehoben habe. Preußen erklärte sich bereit, in einen Ideenaustausch über die Konferenz einzutreten, und der Deutsche Bund nahm unter der Bedingung an, daß die deutschen Bundesakte und die bestehenden Verträge als Grundlage der Verhandlungen betrachtet würden. Sachsen und Hannover wollten dem Kongresse beiwohnen, wenn Preußen, Bayern usw. dasselbe tun würden. Spanien, Schweden, Dänemark, Belgien, der Kirchenstaat, Italien, die Schweiz, Griechenland, die Niederlande, Bayern und Württemberg nahmen vorbehaltslos an. Die Rüstungsfrage wurde in dem Antwortschreiben, abgesehen von England und Rußland, von keinem erwähnt.

Infolge der ablehnenden bzw. zögernden Haltung zahlreicher Mächte scheiterte der Plan des französischen Kaisers, obwohl im Dezember 1863 ein beschränkterer Kongreß vorgeschlagen wurde. Im Juni 1867 sprach Napoleon III. auf der Pariser Industrieausstellung seinen Gästen Alexander II. und Wilhelm I. nochmals persönlich den Wunsch nach einer allgemeinen Abrüstungskonferenz aus und behielt sich bestimmte Vorschläge vor.1) Er hatte hiermit ebensowenig Erfolg wie mit seinem späteren, lediglich Preußen gemachten Antrage, über den in anderem Zusammenhange zu berichten sein wird.

Mit diesen Anregungen ist die Zahl der Vorläufer des Zarenmanifestes erschöpft. Was zwischen 1867 und 1899 geschah, kann damit nicht auf eine Stufe gestellt werden. Die Friedensmanifeste Garibaldis und die Anregung des Prinzen Peter von Oldenburg) gingen nicht von offizieller Seite aus, sondern waren private Anregungen, die zudem ohne Erfolg blieben. Ebensowenig dürfen die Genfer, Petersburger und 1) Hetzel, S. 56.

2) Vgl. oben S. 11 und 12, ferner v. Suttner, Memoiren", S. 304 ff., 351.

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Brüsseler Konferenzen zur Kodifizierung des Kriegsrechts von 1864, 1868 und 1874 in diesem Zusammenhang genannt werden. Die panamerikanischen und zentralamerikanischen Konferenzen haben sich ebenfalls mit der Rüstungsfrage nie befaßt.1)

8) Die Vorgeschichte der ersten Haager Friedenskonferenz

Stead') glaubt, daß die Vorgeschichte der ersten Haager Friedenskonferenz bis auf das Jahr 1891 zurückreicht, wo Lord Salisbury ein vertrauliches Dokument über die Kosten der Rüstungen der größten europäischen Staaten habe herstellen und dem Deutschen Kaiser habe überreichen lassen. Auch Fried3) führt die Haager Konferenz bis auf diesen Zeitpunkt zurück. Ferner wird) vermutet, daß der König von Dänemark 1894 den Kaiser Alexander von Rußland auf die Nützlichkeit einer Beschränkung der Militärlasten aufmerksam gemacht habe. Diese Nachrichten sind jedoch nicht mit Sicherheit bestätigt. Außerdem ist nicht ersichtlich, in welcher Weise ein direkter Zusammenhang zwischen jenen Beeinflussungen des Deutschen Kaisers bzw. des Vorgängers von Nikolaus II. und der Haager Friedenskonferenz bestehen soll. Es könnte sich ja höchstens um frühere Anregungen handeln, die aber schließlich im Sande verlaufen sind. Eher ist schon der Keim der Haager Konferenz zu suchen in der dem Lord Rosebery überreichten Petition um Beschränkung der Rüstungen, die dieser dem russischen Botschafter am englischen Hofe, Baron Staal, ḍem späteren Präsidenten der Haager Konferenz, überreicht haben soll. Doch ist auch hier kein Anhaltspunkt dafür vorhanden, daß sich Staal in irgendeiner Weise für die Idee interessiert hat. Sehr wohl möglich ist freilich, daß schon vor dem Regierungsantritte von Nikolaus II. am russischen Hofe bzw. Ministerium Gedanken rege waren, wie sie später verwirklicht wurden. Denn auf

1) Vgl. jedoch die Begrüßungsrede zur ersten panamerikanischen Konferenz von 1889 des amerikanischen Staatssekretärs James G. Blaine: „,... Wir glauben, daß redlich bekannte und treu aufrechterhaltene Freundschaft die amerikanischen Staaten vor der Notwendigkeit bewahren wird, ihre Grenzen durch Festungen und Militärmacht zu schützen. Wir glauben, daß stehende Heere, soweit es sich nicht um die ausreichenden Kräfte handelt, die zum Schutze der öffentlichen Ordnung und Sicherheit der inneren Verwaltung vonnöten sind, in beiden amerikanischen Staaten unbekannt sein sollen"; Fried, „Panamerika“, Berlin 1910, S. 49; ähnliche Äußerungen waren schon anläßlich des Kongresses zu Panama vom Jahre 1826 gefallen; Sa Vianna, l'Amerique en face de la conflagration européenne, Rio de Janeiro 1916, S. 12, Anm. 12.

2) La Chronique de la Conférence de la Haye 1899, La Haye, S. 3, 4. 3) Handbuch der Friedensbewegung, 2. Aufl., I, S. 204; vgl. auch Fried, ,Der Kaiser und der Weltfriede", Berlin 1910, S. 119.

4) A. a. O. S. 204; Stead, a. a. O.

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