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über eine Rüstungsbeschränkung eintreten würden, so geschehe das nicht aus Friedensliebe, sondern weil die Länder die Rüstungslast nicht mehr zu ertragen vermöchten. Der Pole Radek wandte sich dagegen, daß die deutschen Sozialdemokraten für eine Flottenverständigung eingetreten seien. Eine Beschränkung der Flottenrüstungen, so betonte er, werde wahrscheinlich eine Steigerung der Ausgaben für das Landheer zur Folge haben. Rüstungsverständigungen seien zudem so lange zwecklos, als es an einer Exekutive fehle. Ferner seien sie nur vorübergehende Maßnahmen. Von dem Italiener Morgari wurde befürwortet, in allen Parlamenten Anträge zu stellen, den Stand der Heere vertraglich auf die Hälfte zu reduzieren, während der Österreicher Renner für Beschränkung der Seerüstungen und Abschaffung des Seebeuterechts eintrat. In demselben Sinne sprach auch der deutsche Sozialist Ledebour als Vertreter der Subkommission.

Schließlich einigte sich der Kopenhagener Kongreß auf eine Resolution gegen den Militarismus, in der es u. a. hieß:

Der Kongreß stellt fest, daß innerhalb der letzten Jahre die militärischen Rüstungen trotz der Friedenskongresse und der Friedensbeteuerungen der Regierungen eine ungeheuerliche Steigerung erfahren haben. Inbesondere das Wettrüsten zur See, dessen jüngste Phase der Bau von Dreadnougths ist, bedeutet nicht nur eine wahnsinnige Vergeudung der öffentlichen Mittel für unproduktive Zwecke und infolgedessen den Mangel und den Ausfall von Mitteln für die Aufgaben der Sozialpolitik und der Arbeiterfürsorge, es bedroht auch alle Nationen mit materieller Erschöpfung durch unerträgliche indirekte Steuerlasten und alle Staaten mit dem finanziellen Ruin. Zugleich wurde gerade durch diese Rüstungen der Friede der Welt erst jüngst gefährdet, wie er dadurch immer von neuem gefährdet werden muß. Angesichts dieser, die Kultur der Menschheit, den Wohlstand der Völker und das Leben der Massen bedrohenden Entwicklung bestätigt der Kongreß die Beschlüsse der früheren, insbesondere des Stuttgarter Kongresses und wiederholt:

Indem der Kongreß festhält an der wiederholt ausgesprochenen Verpflichtung der sozialistischen Vertreter in den Parlamenten, die Rüstungen mit allen Kräften zu bekämpfen und die Mittel hierfür zu verweigern, erwartet er von diesen Vertretungen:

b) Immer erneuerte Anträge, die auf die allgemeine Abrüstung hinzielen, zunächst und vor allem auf den Abschluß einer Übereinkunft, durch welche die Seerüstungen beschränkt und das Seebeuterecht beseitigt werden.

Auf dem außerordentlichen internationalen Sozialistenkongresse 1912 zu Basel, der sich zu einer großen Friedensdemonstration gestaltete, wurde die Rüstungsfrage nur nebenher gestreift. Der Holländer Troelstra1) wies auf die Furcht der Klein- und Mittelstaaten hin, in

1) Außerordentlicher Internationaler Sozialistenkongreß zu Basel, Berlin 1912, S. 32 ff.

einen zukünftigen Krieg verwickelt zu werden. Deshalb werde auch dort die Last der Rüstungen immer unerträglicher. Auch in den Staaten mit Miliz sei dies der Fall. Und doch könnten diesen Regierungen 10 000 oder 20 000 Mann mehr ihre Selbständigkeit nicht verbürgen, sondern nur der Gedanke, daß eine Schändung der Unabhängigkeit historisch gewordener und ökonomisch begründeter kleiner Nationen zugleich eine Schändung der Kultur überhaupt sei.

Auf demselben Kongresse versammelten sich die italienischen und schweizerischen Abgeordneten zu einer besonderen Sitzung. Sie veröffentlichten einen gemeinsamen Bericht, worin es hieß1): Die der sogenannten irredentistischen Bewegung zugeschriebene Absicht der Einverleibung des Kantons Tessin in das italienische Staatsgebiet sei keine im italienischen Volke wurzelnde Idee. Sie sei vielmehr offensichtlich zu dem Zwecke ausgeheckt worden, um die angebliche Notwendigkeit militärischer Rüstungen nachzuweisen, und hüben und drüben benutzt, um auch solche Kreise für Befestigungsanlagen zu begeistern, die ohne diesen künstlich hervorgerufenen Stimulus sich schwerlich dafür begeistert hätten.

In diesem Zusammenhange sei auch auf den Depeschenwechsel zwischen den sozialdemokratischen Fraktionen des Deutschen Reichstages und des englischen Unterhauses über die Rüstungsverständigung vom 29. März 1909, ferner auf die gemeinsame Kundgebung derselben Fraktionen vom 20. Oktober 1912, sowie auf die Erklärung der deutschen und französischen Sozialisten vom 1. März 1913 hingewiesen. Diese sind an anderer Stelle wiedergegeben.")

1) A. a. O., S. 39.

2) Vgl. die Kapitel über die Verhandlungen der nationalen Parlamente sowie die Konferenzen deutscher und französischer Parlamentarier.

II. Anregungen von Parlamentariern

a) Die Rüstungsfrage in den nationalen Parlamenten

a) Deutschland

1. Die Nationalversammlung in der Paulskirche: 1848

Schon die konstituierende Nationalversammlung in der Paulskirche1) zu Frankfurt a. M. hat sich 1848 mit der Rüstungsfrage befaßt. Damals stellte der Abgeordnete Ruge zu dem Berichte des völkerrechtlichen Ausschusses den Zusatzantrag:

,Da der bewaffnete Frieden durch seine stehenden Heere den Völkern Europas eine unerträgliche Bürde auferlegt und die bürgerliche Freiheit gefährdet, so erkennen wir das Bedürfnis an, einen Völkerkongreß ins Leben zu rufen zu dem Zwecke einer allgemeinen europäischen Entwaffnung."

Ruge wies zur Begründung darauf hin, daß in Frankreich Männer wie Lamartine und in England Männer wie Cobden ebenfalls für die Entwaffnung eintreten, und befürwortete eine Milizarmee. Der Abgeordnete Bassermann-Mannheim wandte sich scharf gegen die Einberufung eines solchen Kongresses. Was wolle man, so fragte er, mit einem europäischen Volksparlament, in dem die Mehrheit die vielleicht aufgeklärtere und weisere Minderheit besiege? Auch von einem Gesandtenkongreß dürfe keine Rede sein; denn Diplomaten seien unnütze Geschöpfe, Müßiggänger und Faulenzer. Blum-Leipzig sprach für eine Verbrüderung der Völker des Westens, damit die Möglichkeit gegeben werde, die das Land entnervenden immerwährenden Rüstungen aufzuheben. v. Beckerath-Crefeld, späterer Finanzminister, hielt die Entwaffnung zwar nicht für eine Utopie, wohl aber für eine „Anticipation". Es wäre töricht, so meinte er, wolle man auf Grund der fernen Möglichkeit eines Friedens hin seine politischen Handlungen einrichten. Auch der Berichterstatter des völkerrechtlichen Ausschusses, v. Wydenbrugh-Weimar, verwarf die Rüstungsfrage als zur Zeit unpraktisch.

Bei der Abstimmung wurde der Antrag Ruge abgelehnt.

1) Vgl. v. Langermann, Über Abrüstung und Völkerfriedenskongreß 1848 in der Paulskirche zu Frankfurt a. Main, Deutsche Revue*, August 1915, S. 134 ff.

2. Nach Gründung des Norddeutschen Bundes: 1867/68

Am 7. Oktober 1867 stellte der sächsische Abgeordnete Dr. med. Götz, der spätere Vorsitzende der deutschen Turnerschaft, bei den Verhandlungen des Reichstags des Norddeutschen Bundes über den Militäretat1) folgenden Antrag:

Es ist die Aufgabe des Norddeutschen Bundes, dem tiefgefühlten Friedensbedürfnis der Nation dadurch Ausdruck zu verleihen, daß das Bundespräsidium baldigst mit den europäischen Mächten in Verhandlungen über gemeinsame Verminderung der stehenden Heere tritt und seinerseits, im Vertrauen auf die Kraft der Nation, durch Beurlaubungen im größeren Maßstabe sofort seiner Friedensliebe Ausdruck gibt.“

Zur Begründung wies der Antragsteller auf die großen Lasten hin, die man infolge der Rüstungen dem Volke auferlege. Er betonte ferner, wie jede Rüstungsvermehrung auch eine Vergrößerung des gegnerischen Heeres zur Folge habe und umgekehrt. Er sprach von der „Schraube ohne Ende". Obwohl der Abgeordnete sehr sachlich und ohne Übertreibung sprach, auch nicht den geringsten Versuch machte, ironisch oder witzig zu werden, so verzeichnete doch das Protokoll bei den Worten, wo er von der Schraube ohne Ende sprach, große Heiterkeit" im Hause. Götz wandte sich u. a. gegen die Worte Bismarcks, daß Macht vor Recht gehe, und schloß mit den Worten: „Etwas Größeres, etwas Würdigeres können Sie nicht beschließen, als wenn Sie das Ihre dazu tun, dem Vaterlande den Frieden und die Blüte der Arbeit zurückzugeben, und die stark verlegten Bahnen für die Bürgerfreiheit, für Volkswohlfahrt und sittliche und geistige Volksbildung zu eröffnen.“

Der Abgeordnete Frhr. v. Vincke betonte, es gebe Fragen unter den Völkern, die nicht friedlich erledigt werden könnten, und solange müsse man stark rüsten. Die Herren von der Demokratie weise er darauf hin, daß auch in den anderen Demokratien gerüstet werde. Die Ausgaben für das Heer stifteten zudem einen außerordentlichen Nutzen für die Erziehung des Volkes und erhielten die Nation kräftig. Der Abgeordnete Dr. Waldeck erklärte, es sei richtig, daß das Wettrüsten die größte Mißbilligung verdiene; aber eine Verminderung der stehenden Heere sei für jetzt nur ein frommer Wunsch; es gehörten zwei dazu; solange der eine Nachbar nicht ruhig sei, könne es auch der andere nicht. Wehe aber denen, die da glaubten, es müsse immer so bleiben. Die Hauptkraft des Volkes beruhe nicht in den stehenden Heeren, sondern nur in dem Volke selbst. Der sächsische Abgeordnete Oehmichen stellte den Antrag:

1) Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages des Norddeutschen Bundes, I. Legislaturperiode, Session 1867, erster Band, S. 275 ff.

„Gegen den Bundeskanzler den Wunsch auszusprechen, daß bei fortdauernder Aussicht auf Erhaltung des Friedens Beurlaubungen von Soldaten in ausgedehntem Maße eintreten, um die durch die verfassungsmäßig bestimmte Präsenzzeit für den Militärdienst in hohem Maße in Anspruch genommenen Kräfte und Geldmittel der Bevölkerung des Norddeutschen Bundes möglichst zu schonen."

Aus der darauf folgenden Diskussion sind lediglich noch folgende Worte des Abgeordneten Dr. Blum für unsere Frage bemerkenswert:

„Meine Herren! Es ist heute nicht das erste Mal, daß Europa von den Bestrebungen einer allgemeinen europäischen Entwaffnung erfährt. Wir haben bereits früher es sind bald hundert Jahre her im französischen Konvent gehört, daß die französische Nation berufen sei, allen übrigen Völkern Friede und Ruhe zu gebieten und daß sie nach einer Entwaffnung streben werde; und die Folge war, daß wir sie bald darauf am Rheine sahen.

Möge doch Herr Dr. Waldeck sich an dieses Faktum erinnern. Es ist keineswegs alles damit getan, daß die Freiheit auf das Panier geschrieben werde, sondern es kommt vor allem darauf an, daß man sich zu dem Gedanken aufschwingt, was es heißt: ein nationaler Staat zu sein, und wenn wir uns zu diesem Standpunkte aufschwingen, werden wir nicht mit Betrübnis auf ein großes, măchtiges Heer blicken. Wir haben dann wieder gehört von solchen Bestrebungen in Frankreich im Jahre 1848, und in unsterblich schönen und dichterischen Worten hat Victor Hugo damals diesen Friedenskongreß eröffnet und ihn geleitet. Indes auch diese Bestrebungen und Versicherungen, daß bald die Zeit kommen werde, wo ein tausendjähriger Friede über die Welt komme, sind nicht in Erfüllung gegangen, ebensowenig die Prophezeiungen und Absichten, mit denen der Genfer Friedenskongreß eröffnet wurde.

Ich glaube allerdings, daß es fast eine faktische Unmöglichkeit ist, daß diese Bestrebungen sich jemals verwirklichen; denn es läßt sich in Europa schlechterdings kein Staatsgerichtshof herstellen, welcher dazu angetan wäre, die Streitigkeiten unter den Völkern zu schlichten, welche niemals aufhören werden, und da einen Rechtsspruch zu fällen und durchzuführen, wo nur die Kraft des Schwertes entscheiden kann...“

Nach dieser kurzen Debatte wurden sowohl der Antrag Götz wie der Antrag Oehmichen abgelehnt.

Ende 1867 wurde der württembergischen Kammer der Abgeordneten ein Gesetzentwurf vorgelegt, der gemäß dem mit Preußen geschlossenen Allianzvertrage die Militärpflicht in Württemberg auf eine neue Grundlage stellen wollte. Damals erhob sich in Württemberg eine große Volksbewegung, die sich in einem Adressensturm an die Zweite Kammer entlud und die Einführung des Milizsystems forderte. Regierung und Stände waren einig, daß die allgemeine Wehrpflicht in Württemberg einzuführen und die bisher zugelassene Stellvertretung abzuschaffen sei. Während aber die Mehrheit der Zweiten Kammer für ein kleineres Heer mit dreijähriger Präsenz und Losziehung war, wollten die Volksversammlungen und die Minderheit der Kammer Heranziehung aller Waffenfähigen, also Abschaffung der Losziehung, aber nur dreimonatige oder höchstens einjährige Präsenz nach Schweizer Muster. In der Sitzung der Zweiten Kammer erklärte der Abgeordnete Becher:

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