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IV. Verträge,

die neuesten orientalischen Verwickelungen betreffend.

Es gibt bekanntlich eine alte Prophezeihung, nach welcher das türkische Reich 400 Jahre bestehen, im Jahr 1853 aber (Constantinopel wurde am 29. Mai 1453 von den Türken erobert) seinen Untergang finden soll und in der That nahm dieses Jahr 1853 für die Türken einen sehr bedenklichen Anfang. Am 30. Jan. erschien der Graf Leiningen als außerordentlicher östreichischer Gesandter in Constantinopel, forderte die Räumung Montenegro's, Internirung der östreichischen Flüchtlinge, bessere Behandlung der Christen in Bosnien, Anerkennung der in Dalmatien liegenden kleinen türkischen Landstriche Kleck und Sutorina als neutrales Gebiet, Aufhebung der in Bosnien eingeführten höheren Zölle auf Artikel, die von Oestreich kommen oder dahin gehen, ebenso Aufhebung des Verbotes der Holzausfuhr nach Destreich; der Besteuerung des Tabakbaues, und Befriedigung der begründeten Forderungen vieler östreichischer Unterthanen an die Pforte. Die Pforte gab anfangs eine ablehnende Antwort, verstand sich aber, als das östreichische Heer an der Grenze nach und nach auf 50,000 Mann anwuchs, zur Bewilligung aller Forderungen (12. Febr. 1853). Graf Leiningen kehrte am 15. Febr. nach Wien zurück. Schon am folgenden Tage (16. Febr.) übergab nun aber auch der russische Geschäftsträger in Constantinopel dem türkischen Minister des Aeußeren eine Beschwerde wegen des Angriffs auf Montenegro, da die Unabhängigkeit dieses Ländchens von der Pforte außer Zweifel sei. Am 28. Febr. erschien der Fürst Mentschikoff als außerordentlicher Gesandter Rußlands in Constantinopel, begab sich am 2. März im Paletot zum Großvezier, wo er sich jedoch über den Zweck seiner Sendung nur in so weit aussprach, daß sie eine friedliche sei, und hatte am 8. März Audienz beim Sultan, in welcher er erklärte, der Kaiser von Rußland fordere die Entscheidung der obschwebenden Differenzen über das heilige Grab zu Gunsten der griechischen Kirche, Zurücknahme

des Frankreich begünstigenden Fermans in Betreff der heiligen Stätten und Bezahlung von 40 Millionen Piastern für die durch den Vertrag von Balka-Liman (1. Mai 1849) angeordnete gemeinschaftlich von den Türken und Russen vollzogene Beseßung der Walachei. Da Fürst Mentschikoff mit dem Minister des Auswärtigen Fuad Effendi gar nicht verkehrte, so verstand sich die Pforte dazu, diesen Minister zu entlassen und den russenfreundlicheren Rifaat Pascha an seine Stelle zu sehen; aber Mentschikoff beharrte gleichwohl mit derselben schroffen Kürze in den geheim gehaltenen Verhandlungen auf dem vollen Umfang seiner Forderungen, die nicht allein, wie öffentlich vorgegeben, das heilige Grab und die Freiheiten der griechischen Kirche betrafen, sondern für den Kaiser von Rußland das Protectorat über alle griechischen Christen im türkischen Reiche in Anspruch nahmen; den russischen Consuln in der Türkei sollte das Recht eingeräumt werden, die griechische Kirche in ihrer völligen Freiheit und in allen ihren Rechten zu schüßen. Die Pforte war durchaus nicht geneigt, in diese für ihre Eristenz so bedenklichen Forderungen zu willigen; schon am 13. Mai wurde Rifaat Pascha durch Reschid Pascha im Ministerium des Aeußern abgelöst, von dem es bekannt war, daß er Rußland abgeneigt sei; Mentschikoff, der jede Vermittlung fremder Gesandten zurückgewiesen hatte, reiste am 30. Mai 1853 von Constantinopel ab; wenige Tage darauf verließ auch der ruffische Geschäftsträger mit seiner Kanzlei die türkische Hauptstadt. Die Pforte wandte sich sofort an England und Frankreich um Beistand, und die Frage war damit in ein Stadium getreten, welches für die Erhaltung des Weltfriedens nur noch eine sehr geringe Hoffnung übrig ließ. Europa machte sich aus dem Ernst der Sachlage kein Geheimniß. Es handelte sich natürlich nicht um die zwar in den Vordergrund geschobene, aber doch ganz unwesentliche Frage der heiligen Stätten, welcher höchstens nur auf dem confessionellen Standpunkt der römischen und griechischen Kirche einige Wichtigkeit gegeben werden konnte: vielmehr sollte es sich jest entscheiden, ob es Rußland möglich sei, seinen Einfluß im türkischen Reiche über den der anderen Mächte in einer Weise zu erheben, daß ihm die Besißnahme zum mindesten des besten Theiles bei dem früheren oder späteren Zerfall des Reichs wesentlich erleichtet würde oder gewissermassen schon gesichert wäre. Rußland, auf einen Fall der Art längst gerüstet, war zu den gegenwärtigen herausfordernden Schritten augenscheinlich durch den Einfluß bestimmt worden, den Oestreich so eben vermöge der Gewährung seiner sämmtlichen Forderungen in der Türkei zu gewinnen schien; und es sah die Krisis um so lieber im Jahr 1853 hereinbrechen, als ihm dabei die alte Prophezeihung vom Untergang des osmanischen Reiches und der erhöhte Enthusiasmus seiner Völker, der nur durch das religiöse Moment hervorgerufen und getragen werden konnte, zu Hülfe kam. Die Türken fingen eifrigst an zu rüsten; im ganzen Reiche zeigte sich große Begeisterung für den Krieg. Unter dem 2. Juni 1853 richtete die Pforte an die fremden Cabinete eine Rechtfertigung

ihrer Politik gegen Rußland. Rußland erließ am 9. Juni noch ein Ultimatum, und als auch dieses, nach gepflogener Berathung mit den europäischen Gesandten, von der Pforte ablehnend beschieden wurde, überschritten die Ruffen (2. Juli 1853) den Pruth und beseßten die Donaulinie. Eine russische Circulardepesche vom 2. Juli gab als Ursache dieser Beseßung das Erscheinen der englisch-französischen Flotte (31 Schiffe mit 1620 Kanonen) in der Besikabei, am Eingang der Dardanellen, an. Am 24. Juli wurden in Wien von den Gesandten Frankreich's, England's, Destreich's und Preußen's die diplomatischen Conferenzen zur Beilegung des russisch-türkischen Streites eröffnet. Man kam überein, daß die Pforte erkläre, sie verpflichte sich, alle Rechte und Privilegien der griechischen Kirche aufrecht zu erhalten, ihren Bekennern ganz dieselben Rechte einzuräumen, welche sie künftig den übrigen Christen ge= währen werde, den Bestimmungen der Verträge von Kutschuk-Kainardschi und Adrianopel genau nachzukommen und zu erlauben, daß zu Jeru= salem eine griechische Kirche und ein griechisches Hospital für russische Pilger erbaut werde. Dies waren so ziemlich die Punkte, welche Rußland im Ultimatum vom 9. Juni verlangt hatte. Da nun aber die Pforte auf Abänderung aller derjenigen Ausdrücke in dieser Propofition der wiener Conferenz drang, welche Rußland ein Recht einzuräumen schienen, sich in die inneren Angelegenheiten der Türkei zu mischen, der Kaiser von Rußland dagegen die wörtliche Annahme verlangte; so beschloß die Pforte, bei der Gährung in Constantinopel, wo man, unter Androhung der Abseßung des Sultans, den Krieg verlangte, die leßte Entscheidung einem zu diesem Zwecke gebildeten Divan zu überlassen, der aus den Ministern und den höchsten geistlichen und weltlichen Beamten zusammengesezt wurde. Dieser Divan erklärte am 26. Sept. 1853 die Forderungen Rußland's für unannehmbar und forderte den Sultan auf, alle Verhandlungen sofort abzubrechen und den Krieg zu beginnen. Ein türkisches Heer von 100,000 Mann mit 250 Kanonen hatte sich unter Omer Pascha unterdessen an der Donau gesammelt. Als der russische General Gortschakow der Aufforderung Omer Pascha's, die Fürstenthümer binnen 15 Tagen zu räumen, nicht entsprach, begannen am 23. Dkt. 1853 die Feindseligkeiten. Die Türken schlugen sich mit großer Tapferkeit; die Russen waren nicht im Stande, ihr verschanztes Lager bei Kalafat an der Donau zu nehmen. Desto größeren Nachtheil erlitt die Pforte zur See. Eine Abtheilung der russischen Flotte des schwarzen Meeres (nach russischen Berichten 5 Linienschiffe, 4 Fregatten und 3 Dampfer) griff unter Vice-Admiral Nachimoff die türkische Flotte, welche unter Osman Pascha bei Sinope an der kleinasiatischen Küste völlig unvorbereitet vor Anker lag (fie bestand nach türkischen Berichten aus 4 Fregatten, 2 Corvetten und einigen kleineren Schiffen) am 30. Nov. 1853 unvermuthet an, schoß drei der Schiffe in den Grund, steckte die übrigen in Brand und vernichtete auf diese Weise diese ganze türkische Flottenabtheilung, welche ein Drittheil der türkischen Marine ausmachte;

nur ein Dampfschiff entkam*). Die wiener Conferenz, aus den Gesandten England's, Frankreich's, Destreich's und Preußen's bestehend, war zwar unabläßig thätig, den Frieden zu vermitteln, auch die Pforte sehr geneigt, auf die Vorschläge der Conferenz einzugehen; aber Rußland wollte dem Vorschlag eines gemeinschaftlichen Protectorats der Großmächte über die Christen der Türkei nicht bei= stimmen, erklärte vielmehr, daß es keiner anderen Macht ein Einmischen in die Angelegenheiten der griechischen Kirche gestatten könne (Ende Dezember 1853), und verfuhr in den Fürstenthümern wie in Provinzen, die bereits zum russischen Reiche gehörten; am 11. Dez. 1853 wurde das walachische Militär der russischen Armee völlig einverleibt. Jest schritten auch die Westmächte entschiedener vor. Der eigentliche Vertrag zwischen England und Frankreich zur Unterstüßung der Türkei gegen Rußland wurde jedoch erst am 10. April 1854 zu London abgeschlossen und ratificirt am 15. April. Am 3. Januar 1854 lief die vereinigte englisch-französische Flotte, die schon seit der türkischen Kriegserklärung bei Constantinopel ihren Stand genommen hatte, in das schwarze Meer ein. Am 4. Febr. 1854 verließen die russischen Gesandten Paris und London, am 3. März der englische und französische Ge= sandte Petersburg. Am 12. März kam durch einen Vertrag (dessen Ratificationen jedoch erst am 8. Mai ausgewechselt wurden) zwischen Frankreich und England einerseits und der Pforte andererseits ein förmliches Bündniß zum Schuße der Integrität des türkischen Reiches gegen Rußland zu Stande. Im ersten Artikel dieses Vertrages verpflichten fich die Westmächte, außer der bereits in den türkischen Gewässern befindlichen Seemacht, die Pforte auch noch durch eine entsprechende Landmacht zu unterstüßen. Dagegen macht sich die Pforte im zweiten Artikel verbindlich, alle Propofitionen Rußland's bezüglich eines zu schließenden Waffenstillstandes oder Friedens sogleich den Westmächten mitzutheilen und keinen Waffenstillstand oder wirklichen Frieden, auch keine Friedenspräliminarien ohne Zustimmung der Westmächte abzuschließen. Der dritte Artikel sagt, daß nach erreichtem Frieden die französischen und englischen Streitkräfte sogleich aus dem türkischen Reiche zurückgezogen werden sollen; der vierte sichert den verbündeten Armeen freie Bewegung auf türkischem Gebiet; der fünfte und legte handelt von den Ratificationen. Die Reformen bezüglich der im türkischen Reiche lebenden Christen (von solchen hatten die Westmächte ihren Beistand zum Theil abhängig gemacht) wurden in den Vertrag selbst nicht aufgenommen; man hat darüber ein besonderes Protocoll unterzeichnet. Darauf erfolgte nun am 28. März 1854 die förmliche Kriegserklärung von Seiten Frankreich's und

*) Nach dem Bericht im Journal des débats bestand die türkische Flotte aus 7 Fregatten, 3 Korvetten, 2 Dampfern, die russische Flotte aus 3 Dreideckern, 3 Zweideckern, 2 Segelfregatten, 3 Dampfern. Nach dem Verlust bei Sinope zählte die türkische Marine noch 25 Schiffe.

ihrer Politik gegen Rußland. Rußland erließ am 9. Juni noch ein Ultimatum, und als auch dieses, nach gepflogener Berathung mit den europäischen Gesandten, von der Pforte ablehnend beschieden wurde, überschritten die Russen (2. Juli 1853) den Pruth und besezten die Donaulinie. Eine russische Circulardepesche vom 2. Juli gab als Ursache dieser Beseßung das Erscheinen der englisch-französischen Flotte (31 Schiffe mit 1620 Kanonen) in der Besikabei, am Eingang der Dardanellen, an. Am 24. Juli wurden in Wien von den Gesandten Frankreich's, England's, Destreich's und Preußen's die diplomatischen Conferenzen zur Beilegung des russisch-türkischen Streites eröffnet. Man kam überein, daß die Pforte erkläre, sie verpflichte sich, alle Rechte und Privilegien der griechischen Kirche aufrecht zu erhalten, ihren Bekennern ganz dieselben Rechte einzuräumen, welche sie künftig den übrigen Christen ge= währen werde, den Bestimmungen der Verträge von Kutschuk-Kainardschi und Adrianopel genau nachzukommen und zu erlauben, daß zu Jerusalem eine griechische Kirche und ein griechisches Hospital für russische Pilger erbaut werde. Dies waren so ziemlich die Punkte, welche Rußland im Ultimatum vom 9. Juni verlangt hatte. Da nun aber die Pforte auf Abänderung aller derjenigen Ausdrücke in dieser Proposition der wiener Conferenz drang, welche Rußland ein Recht einzuräumen schienen, sich in die inneren Angelegenheiten der Türkei zu mischen, der Kaiser von Rußland dagegen die wörtliche Annahme verlangte; so beschloß die Pforte, bei der Gährung in Constantinopel, wo man, unter An= drohung der Abseßung des Sultans, den Krieg verlangte, die legte Entscheidung einem zu diesem Zwecke gebildeten Divan zu überlassen, der aus den Ministern und den höchsten geistlichen und weltlichen Beamten zusammengesezt wurde. Dieser Divan erklärte am 26. Sept. 1853 die Forderungen Rußland's für unannehmbar und forderte den Sultan auf, alle Verhandlungen sofort abzubrechen und den Krieg zu beginnen. Ein türkisches Heer von 100,000 Mann mit 250 Kanonen hatte sich unter Omer Pafcha unterdessen an der Donau gesammelt. Als der russische General Gortschakow der Aufforderung Omer Pascha's, die Fürstenthümer binnen 15 Tagen zu räumen, nicht entsprach, begannen am 23. Okt. 1853 die Feindseligkeiten. Die Türken schlugen sich mit großer Tapferkeit; die Russen waren nicht im Stande, ihr verschanztes Lager bei Kalafat an der Donau zu nehmen. Desto größeren Nachtheil erlitt die Pforte zur See. Eine Abtheilung der russischen Flotte des schwarzen Meeres (nach russischen Berichten 5 Linienschiffe, 4 Fregatten und 3 Dampfer) griff unter Vice-Admiral Nachimoff die türkische Flotte, welche unter Osman Pascha bei Sinope an der kleinasiatischen Küste völlig unvorbereitet vor Anker lag (sie bestand nach türkischen Berichten aus 4 Fregatten, 2 Corvetten und einigen kleineren Schiffen) am 30. Nov. 1853 unvermuthet an, schoß drei der Schiffe in den Grund, steckte die übrigen in Brand und vernichtete auf diese Weise diese ganze türkische Flottenabtheilung, welche ein Drittheil der türkischen Marine ausmachte;

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