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Schweiz.

Bestimmungen des wiener Congresses über die Schweiz.

(20. März 1815.)

Die französische Revolution hatte auch in der Schweiz allenthalben revolutionäre Bewegungen veranlaßt, welche schon 1792 eine Einmischung der Franzosen in die schweizer Verhältnisse herbeiführten. Im Jahr 1798 lösten die Franzosen die schweizerische Eidgenossenschaft auf und seßten an die Stelle derselben eine helvetische Republik. Sie hatte eine Centralregierung zu Aarau und bestand aus folgenden 18 Cantonen: Bern, Oberland, Leman, Aargau (in diese 4 Cantone war das Gebiet von Bern getheilt worden), Luzern, Zürich, Solothurn, Basel, Schaffhausen, Glarus, Baden, Freiburg, Thurgau, Lugano, Wallis, Bellinzona, Waldstädten (dieser Canton war aus Schwyz, Zug, Uri und Unterwalden zusammengeseßt), Säntis (gebildet aus Sct. Gallen, Appenzell und dem Rheinthal). Diese neue Verfassung fand namentlich bei den Cantonen Schwyz, Uri, Unterwalden und Glarus Widerstand; sie griffen unter Anführung des Landamman's Aloys Reding zu den Waffen, mußten sich aber bald der französischen Uebermacht fügen. In den folgenden Jahren brachte man verschiedene Verfassungsentwürfe zu Tage, welche den schweizerischen Verhältnissen angemessener sein sollten, sie kamen aber nicht zur Ausführung. Am 19. Juni 1802 wurde in Bern eine in Paris gemachte Verfassung für die Schweiz proclamirt, welche zwar anfangs von den größeren Cantonen angenommen wurde, in wenigen Monaten aber einen großen Theil der Schweiz gegen die Regierung in Bern in Waffen brachte und nur noch in den zunächst an der französischen Grenze liegenden Gebietstheilen Geltung fand. Aloys Reding berief eine allgemeine Tagsaßung nach Schwyz, die am 27. Sept. 1802 ihre Verhandlungen begann. Allein jezt erklärte fich der Consul Bonaparte zum Vermittler, verlangte Einstellung aller Feindseligkeiten und die Absendung von Bevollmächtigten aller Cantone

nach Paris, um mit ihnen eine neue Verfassungsurkunde zu entwerfen. Diese neue Verfassung (Mediations acte) erschien am 19. Febr. 1803. Ste gründete sich auf die alten Einrichtungen und Verhältnisse der Schweiz, beschränkte aber die Aristokratie, indem sie die Familienvorrechte auf die Regierungsgewalt aufhob. Die Schweiz zerfiel nach dieser Verfassung in folgende 19 Cantone: Aargau, Appenzell, Basel, Bern, Freiburg, Glarus, Leman, Luzern, Rhätien (Veltlin blieb jedoch bei Italien), Schaffhausen, Schwyz, Solothurn, St. Gallen, Tessin, Thurgau, Unterwalden, Uri, Zürich, Zug. Jeder Canton hatte seine besonderen Geseze und Einrichtungen und regierte sich selbst. Die gemeinsamen Angelegenheiten wurden von einer Tagsaßung verhandelt, die sich jährlich abwechselnd in den Vororten Basel, Bern, Freiburg, Luzern, Solothurn und Zürich versammelte. Jeder Canton sandte zu dieser Tagsaßung einen Deputirten, der nach seinen Instructionen stimmte; die Deputirten der sechs größeren Cantone hatten zwei Stimmen. An der Spiße der Tagsagung stand der Bürgermeister des jeweiligen Vororts unter dem Namen eines Landammann's der Schweiz. Wallis blieb eine gesonderte Republik und wurde 1807 mit Frankreich vereinigt; Neufchatel wurde 1806 dem Fürsten Berthier als französisches Lehen zugetheilt und gleichfalls dem französischen Reiche einverleibt. So wenig auch diese Verfassung die in Parteien zerfallene Schweiz befriedigte, so wurde sie doch durch die Macht und das Ansehen des napoleonischen Namens aufrecht erhalten; der Kaiser beherrschte die Schweiz, fie mußte beständig ein Contingent von 12000 Mann bei seinen Heeren vollzählig erhalten, das in Spanien und Deutschland mitfocht und auf den Eisfeldern Rußland's fast völlig zu Grunde ging. Nach dem russischen Feldzug begannen sich auch die Parteien in der Schweiz wieder zu regen; die Aristokratie und ihre Anhänger arbeiteten für die Herstellung der alten Verfassung; ihre Gegner suchten die napoleonische aufrecht zu erhalten, die im allgemeinen gewiß den Vortheil gehabt hatte, daß sie die Kämpfe der Parteien niederhielt. Nur das Machtwort der Alliirten verhinderte offenen Bürgerkrieg. Am 21. Dez. 1813 rückten die Verbündeten in die Schweiz ein; am 29. Dez. 1813 vereinigten sich zehn Stände auf der Tagsagung, bevor sie auseinander ging, vorläufig dahin, daß die Mediationsverfassung abgeschafft, der alte Bundesverband wieder hergestellt, jeder Canton im Besige seines gegenwärtigen Gebietsumfanges erhalten, das Unterthanenverhältniß der ehemaligen Unterthanenlande (Aargau, Thurgau, Tessin und Waadt) aber aufgehoben bleiben sollte. Wiewohl Bern und die Urkantone ihre Ansprüche auf den Rückfall früher ihnen zugehöriger Landestheile hartnäckig behaupteten, so mußten sie sich doch endlich, da sich der wiener Congreß für die Uebereinkunft vom 29. Dez. 1813 erklärte, gegen Entschädigung fügen. Im April 1814 versammelte sich eine außerordentliche Tagsaßung, welche, von den Monarchen dazu aufgefordert, auf Grund der Uebereinkunft vom 29. Dez. 1813 eine neue Bundesurkunde entwarf, welche dem wiener Congreß zum

Anhaltspunkt für die dort beabsichtigte Ordnung der schweizer Verhältnisse dienen sollte. Dieser Entwurf wurde am 8. Sept. 1814 von den Gesandten aller Cantone, mit Ausnahme von Bern, Freiburg und Waadt, unterzeichnet (vergl. Urkunde 1). Als Gesandte zum Congreß nach Wien wurden Reinhard aus Zürich, damals Landammann der Schweiz, Montenach aus Freiburg und Wieland aus Basel gewählt. Bern für sich sandte v. Zerleder, die neuen Cantone Rengger von Brugg und Monod aus Lausanne. Den bedeutendsten Einfluß aber hatte, ohne eigentlich Gesandter zu sein, der Oberst La Harpe aus dem Canton Waadt, ehemaliger Lehrer des Kaisers Alerander. Diese Gesandten waren angewiesen, den Congreß zu bestimmen, der Schweiz ihr Gebiet wieder in der Ausdehnung, welche dasselbe vor der französischen Revolution hatte, zuzuweisen, sowie die Anerkennung der neuen Bundesverfassung und eine neue Gewährleistung einer beständigen Neutralität der Schweiz zu er= wirken. Am 2. Nov. 1814 ernannte der Congreß einen eigenen Ausschuß für die Schweiz; er bestand aus: v. Wessenberg, v. Stein, v. Hum= boldt, Capo d'Istria, Lord Stewardt und Stratfort-Canning. Frankreich sollte, nach Beschluß der Mächte, an den Conferenzen über die Schweiz nicht theilnehmen; doch wurde später der zweite Abgesandte Frankreich's, der Herzog von Dalberg, zugelassen. Die meiste Schwierigkeit machte Bern, welches seine alten Unterthanenlande Aargau und Waadt, die selbstständige Cantone geworden waren, wieder in das alte Verhältniß zurückgebracht wissen wollte. Lord Stewardt befürwortete dieses Verlangen Bern's, während Capo d'Istria, in freundschaftlicher Beziehung zu La Harpe, sich entschieden für die Aufrechthaltung der Selbstständigkeit der neuen Cantone erklärte. Der Congreß erkannte auch (Art. 1 der Transaction, vergl. Urkunde 2) die neunzehn Cantone, wie sie die Convention vom 29. Dez. 1813 aufgestellt hatte, an, somit auch die neuen (welche sich von 1798 bis 1803 aus ehemaligen Unterthanen= ländern der älteren Cantone, aus den sogenannten zugewandten Orten oder verbündeten Staaten und östreichischen Gebietstheilen gebildet hat= ten, nämlich: St. Gallen, Thurgau, Aargau, Waadt, Graubündten, Tessin). Der 2. Artikel bringt zu diesen 19 Cantonen noch die bisher mit Frankreich vereinigten: Wallis, Genf und das Fürstenthum Neufchatel, so daß also jezt die ganze Schweiz aus 22 Cantonen bestand. Das Veltlin, Bormio und Chiavenna blieben bei Oestreich. Bern erhielt einen Theil des Bisthums Basel (der andere wurde mit dem Canton Basel vereinigt), die Stadt Biel (Art. 3) und von Waadt eine Geldentschädigung (Art. 8); auch die alten Cantone wurden von den früher zu ihnen im Unterthanverband stehenden neuen durch Geld ent= schädigt (Art. 6). Genf erhielt eine kleine Zugabe an Gebiet von Savoyen (vergl. hierüber die Urkunde 4 und Art. 1 des zweiten pariser Friedens). Diese neue Verfassung wurde am 27. Mai 1815 von der Tagsabung angenommen (Urkunde 3). Da die Schweizer nach der Rückkehr Napoleon's von Elba mit den Alliirten gegen Frankreich

gezogen waren, so erhielten sie bei der Beendigung des Krieges unter dem 20. Nov. 1815 von den Mächten neben einem Theil der Contributionsgelder auch die Zusicherung einer ewigen Neutralität (Urkunde 5).

Die wiener Congreßacte selbst beschäftigt sich in den Artikeln 74-84 mit der Schweiz; der zweite pariser Frieden in den Artikeln 1 und 3, worauf wir verweisen. Hier geben wir noch folgende Actenstücke. 1) Den neuen Allianzvertrag der schweizer Cantone vom 8. Sept. 1814, welcher bei den Verhandlungen des wiener Gongresses zur Grundlage diente. 2) Die an die wiener Congreßacte unter Ziffer 11 angeschlossene besondere Erklärung der Mächte vom 20. März 1815 über die Angelegenheiten der Schweiz. 3) Die Annahme dieser Erklärung von Seiten der schweizer Tagsaßung, datirt vom 27. Mai 1815. 4) Die Erklärung des Königs von Sardinien (26. März 1815) und der Mächte (29. März 1815) bezüglich der Abtretung savoyischer Gebietstheile an Genf. 7) Die bei Gelegenheit des Abschlusses des zweiten pariser Friedens am 20. Nov. 1815 der Schweiz von den Mächten in Paris gegebene Zusicherung ewiger Neutralität. Das Actenstück Ziff. 1 findet man im Moniteur Nr. 274 Jahrg. 1814 und bei Martens nouveau recueil tom. II.; die Stücke von Ziff. 2 bis 4, welche der wiener Congreßacte angeschlossen sind, in den Ausgaben der wiener Congreßacte und bei Martens nouveau recueil tom. II, wo sich auch Ziff. 5 abgedruckt findet.

Bundesconstitution vom Jahr 1848.

Die Bestrebungen vieler Schweizer, die Bundesconstitution in einer Weise abzuändern, welche die Souveränetät der einzelnen Cantone zu Gunsten einer größeren Einheit der Schweiz beschränkte und dadurch dem Lande mehr Kraft gegen Außen verliche, fanden, troß der Abgeneigtheit der Urcantone, immer mehr Boden unter dem schweizerischen Volke. Obgleich die nordischen Mächte sowohl, als Frankreich, diese beabsichtigte Neuerung nicht gerne sahen, so unternahm es die Tagsaßung des Jahres 1847 doch, ermuthigt durch eine Zuschrift des englischen Ministeriums, die sich gegen jede Einmischung fremder Mächte in die inneren Angelegen= heiten der Schweiz erklärte, am 16. August 1847 einen Ausschuß von 14 Mitgliedern für eine Revision des Bundesvertrags von 1814 niederzuseßen. Die Sonderbundscantone (Schwyz, Uri, Unterwalden, Zug, Luzern, Freiburg, Wallis) legten am 29. Ctt. 1847 Verwahrung ein, griffen, als diese von der Tagsazung verworfen wurde, zu den Waffen, wurden aber durch die Kriegsmacht der übrigen Cantone schon gegen Ende Novembers genöthigt, sich zu unterwerfen. Die Mächte Oestreich, Preußen und Frankreich erklärten jest in drei am 18. Jan. 1848 der Tagsaßung übergebenen Noten, daß sie eine

veränderte Bundesacte nur dann anerkennen würden, wenn sie die Zustimmung aller Cantone erhalten habe; allein die ausbrechende französische Februarrevolution verhinderte jedes weitere Vorgehen des Auslandes gegen die Schweiz. Die Tagsaßung entgegnete auf diese Erklärung, welcher auch Rußland beigepflichtet hatte, daß die Vervollkommnung der poli= tischen Institutionen der Schweiz eine Angelegenheit sei, welche die schweizer Cantone allein berühre. Die für den Entwurf einer neuen Bundesverfassung niedergesezte Commission hatte bis zum 16. April 1848 ihre Aufgabe vollendet. Die Verhandlungen der Tagsaßung über diesen Entwurf begannen am 15. Mai und währten bis zum 27. Junt; er wurde mit einigen Abänderungen angenommen und im Juli officiell bekannt ge= macht mit der Bemerkung, die einzelnen Cantone sollten über Annahme oder Verwerfung bis zum 1. September abstimmen lassen. In Folge dieser Abstimmung wurde die neue Constitution durch Stimmenmehrheit angenommen in den Cantonen Bern, Zürich, Basel, Freiburg, Thurgau, Genf, Waadt und Neufchatel, später auch in Zug, Unterwalden ob dem Wald, Wallis und Tessin. Da man fest= gesezt hatte, daß die Mehrheit der Stände über Annahme oder Verwerfung für die ganze Schweiz entscheide, so war die überwiegende Mehrheit für die Annahme erreicht und die neue Constitution wurde am 12. Sept. 1848 feierlich verkündigt. Im Ganzen hatte die große Mehrheit der schweizer Bürger, nämlich 1,897,887 dafür gestimmt. Die neue Bundesverfassung der schweizerischen Eidgenossenschaft ist öfter abgedruckt, z. B. Bern bei Fischer 1848, 3ürich bei Orell, Füßli c. 1848; Sct. Gallen bei Scheitlin und Zollikofer 1848.

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