oder Procurator seyn. Der Himmel weiß, woher der Mann alle die Nachrichten hatte, die er uns zum Bes ften gab. Es war keine Familie, kein Herzog, fein Ministre, kein General in Frankreich, den er nicht kannte; keine Anecdote, die er nicht wußte. Das tolle Raffeln der Diligence aber war Schuld, daß mir vieles von seinen unerschöpflichen Gesprächen und Unterhals tungen verlohren gieng. Ein flämischer Schifscapitain, eine kleine dröllichte Figur, gab auch à son tour uns manche Erzählung von Seegefechten und Privateers, von Westindien und Amerika, wo er selbst bey vers schiednen Vorfällen zugegen gewesen war. Er fand feinen Vortheil dabey, französisch gesinnt zu seyn. Wir paßirten sehr angenehme und reizende Fluren. Daß wir uns in den französischen Niederlanden befans den, konnten wir schon daraus abnehmen, daß wir alle die Städte, welche wir paßirten, Donai, Cambrai, Lille, vortreflich fortificirt sahen. In Donai ward uns statt Weins Bier beym Mittagsmahl gegeben, welches in Frankreich nicht Gewohnheit ist. Cambrai ist eine feine, wohleingerichtete Stadt. In Lille nahmen vier von uns eine Miethgutsche, und mit selbiger giengen wir von Lille nach Ostende ab. Jenseits Lille fanden wir erst viel Buschwerk, dann Weiden und niedrig Maschland, wie in Holland. Wir merkten, daß wir der See uns näherten. In Ostende ist fast alles auf holländischen Fuß. Die Einwohner sprechen zwar auch & 3 frans französisch, allein ihr Character und häußliches Wesen ist nach holländischer Manier. Die Frauenspersonen find eben so. So poßierlich das Holländische im Munde eines drollichten Schifscapitains und Matros fen Elingt: so abgeschmackt kommts mir im Munde der Damen vor. Und dabey nehmen sie denn ein ziemlich steifes und geziertes Wesen an. — Ich hörte hier das erste Glockenspiel. Für das Ohr eines holländis schen Matrosen, mogte das wohl eine rechte Fete seyn. Hier sabe ich auch Hunde vor kleine Wagens gespannt. Ostende ist blos Handelsstadt. Wer nicht selbst Schifs. fer oder Kaufmann ist, und mit Procenten kramt, fins det hier eben sein Conto nicht. Ohnedas scheint es vergebens zu seyn, wenn man sich durch Addreffen zu empfehlen glaubt. Ein Vergnügen war es mir indes, wahrzunehmen, wie sehr der Commerce hier blühet und zugenommen hat. Ich gieng des Nachmittags aufs Coffeehaus. Himmel, welch ein Unterschied zwischen einem Coffeehause in Ostende, und einem Caffé a Paris! Hier findet man anstatt Chocolade und Eißgefrornen, eine gute Pfeife Tobac und eine Bole Punsch oder Grog, auch wohl ein Schälchen Thee oder Coffee; wos bey sich der Holländer pflegmatisch niederläßt, und dann über die Curante und Orlog discurirt. Es ist hier alles auf kaufmännischen Fuß, und daher kennt man auch in den Wirthshäusern das Geld. Es sind wenig Oerter, wo es so theuer für einen Reisenden, als als in Ostende ist. Weil ich nun die hiesigen Merks würdigkeiten in etlichen Stunden übersehen konnte: so. war mirs lieb, daß ich sogleich auf einem schönen Pas quetboote, gegen Erlegung einer Guinea, in zahlreicher Gesellschaft nach Dover abgehen konnte. Und so traf ich nach einem günstigen Trajecte von Abends 8 Uhr bis folgenden Morgen 8 Uhr; also nach Verlauf von 12 Stunden glücklich in Dover ein. Von Dover nach London. (eine Tagreise,) Ganz England hat in allen Dingen sein characteristis sches, welches sogleich in die Augen fällt. Seine Häus fer von rothen Backstein, sein Steinkohlendampf, seine. Kreideberge, seine Porter und Matrosen, seine Coach men, seine abgestußten schönen Pferde, sein Breakfast, sein Toast, seine Beafsticks, sein Rostbeaf, sein Ale, sein Portbier, sein Chease, kurz alles kündigte mir an, daß ich aus Frankreich nach Engelland müsse versehet feyn. Wir berichtigten zuförderst unsere Geschäfte mit der Douane, wo man visitirt wird, und eine halbe Krone crlegt, besprachen unsern Platz in der Sta gecoach, sahen uns in Dover um, nahmen unser Breakfast ein, und fuhren 10 Uhr von Dover ab. Dover. bosteht aus ein paar langen Straßen, die dem Ufer entlangs am Fuß des Berges hergehen. Das schöne Spiegelglaß in den Fenstern, giebt den Häusern ein > gutes Ansehen, und erseht das, was ihnen durch die Backsteine abgeht. Indes glaubt man, daß Backsteine nicht so feucht sind kls Quadersteine, und warm halten. Daher auch die Mauren sehr dünne find. Ohnerachtet des kalkartigen Grundes, den wir paßirten, fanden wir doch die herrlichsten Fluren. Die Häuser auf dem Lande schienen zu verrathen, daß die Landleute wohlbes. gütert sind, und der Freeholder unter dem Schuß der Freyheit ein gutes Leben genießt. Ich habe freylich keine Zeit gehabt, über den Ackerbau besondere Bemers kungen zu machen. Indes wunderte ich mich, daß ich auf dem Wege so viel Commons oder Gemeinheiten sahe. Dies veranlaßte ein Gespräch mit meinen Reis segefährten, in welchen sie gegen mich erwiesen, daß die. Commons in England wegen der Schafzucht durchaus nothwendig wären *). So viel läßt sich leicht eins sehen, *) Ich gab um so williger diesen Gründen Raum, da ich weiß, daß die Vertheilung der Gemeinheis ten, die ohne alle Einschränkung und Rücksicht auf Zeit und Umstände geschieht, von üblen Folgen sey. Ein Erempel davon giebt das Osnabrückische, wo die Vertheilung der Gemeinheiten der Bevölkerung schädlich ist, wie man solches Sr. Königl. Hoheit dem Bischof bey Seiner Anwesenheit zu Osnabrück im Sevt. 1782. erwiesen hat. Eine Stelle in Herr de Lucs Briefen (Hannóv. Magaz. 27. St. P. 427. vom Jahr 1778.) ist so merkwürdig, daß sie von denen, von welchen die Vertheilung der Gemeinheiten abhängt, recht beherzigt zu werden verdient. fehen, daß England einen sehr fruchtbaren Boden hat, und wegen seiner Reichthümer mehr als andere Låns der, manche Versuche und Proben wagen, auch alles was zum Ackerbau gehört, in mehrerer Vollkommenheit sich anschaffen kann. Der Englånder hat schöne starke Pferde, hat alle seine Werkzeuge, seinen Wagen, seinen Pflug c. in schönster Ordnung, besser wie jeder andere Bauer, der oft wie der Minorkaner, sich selbst viele seiner Ackerwerkzeuge aus rohem Holze schnizt. Allein ob darum ihr Ackerbau, und ihre Erfindungen so auffer: ordentlich füperieur vor allen übrigen Nationen sind, wie davon insgemein so viel Werks gemacht wird, dies dürfte wohl eine andere Frage seyn. Meine Reiseges fährten schienen vor den Anfall der Highwaymans sehr besorgt zu seyn. Sie erfannen daher allerley Mittel, ihre Pretiosa zu verbergen. Der eine band sein Gold in den Halstuch, der andere verbarg es in den Stiefeln, Eine goldene Tabatiere war unter dem Aufschlag des Ermels versteckt, und dabey wurden denn so viel Anecboten von geschehenen Räubereyen erzählt, daß man beynahe sollte geglaubt haben, daß die Furcht nicht ganz ungegründet sey. O Himmel, dachte ich da, wie traurig ist es doch, daß man in einem Lande, wo jeder Bewohner auf die Vorrechte der liberty und property so stolz ist, nicht einmahl sicher reisen kann! Ich mußte gerne nachgeben, und es wurde also beschlossen, daß wir nicht des Abends den Weg nach London vol |