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und Redeweise ein treuer Spiegel und Abdruck unsrer Nation, der Bildungsphasen, die sie durchlief, der Vor- und Rückschritte in dieser Bildung, und bei allem Wechsel der Form doch wieder in ihrem Grundcharakter sich selber gleich von Anfang bis heute, weil von sich selbst der Mensch nicht scheiden kann?" Und was diese Sprache jetzt ist, wodurch ward sie es? woher kamen ihr z. B. auch die Fortschritte, die sie noch seit einem Jahrhundert, seit den Tagen Gottsched's und Gellert's, gemacht hat? Man böre hierüber das glänzende Zeugniss eines competenten Beurtheilers, Koberstein's, wenn er nach einer kurzen Charakteristik der am Sprachkörper eingetre. tenen Veränderungen und der Bereicherung des Wortvorraths also fortfährt: „Am allerbemerkbarsten jedoch zeigt die neue Sprache ihre Ueberlegenheit über die zunächst ältere in dem Gebrauch, den sie von ihren syntaktischen Mitteln, von Idiotismen und von der Nüancirung der Wortbedeutungen zu machen gelernt hat. Ungleich freier und kühner, geschmeidiger und mannigfaltiger in ihren Bewegungen beim Satz- und Periodenbau, hat sie sich mit einer Fülle neuer Wortstellungen und Wendungen bereichert; durch zahlreiche bildliche Ausdrücke und Idiotismen, die sie entweder aus der Redeweise des Volks in sich aufgenommen oder neu geschaffen hat - zunächst in Nachahmung fremder Sprachen, dann immer mehr aus dem Geiste des eigenen Volkes, hat sie sich sinnlich belebt, innerlich erwärmt und erfrischt, wieder an natürliche Bewegung gewöhnt und volksthümlich gefärbt; durch Erweiterung der Begriffssphäre vieler schon vorhandenen Wörter und durch eigens gebildete sich umfangreich und geschickt genug gemacht, zum Vortrag der feinsten und abstractesten Gedanken zu dienen; und zuletzt noch durch ibre sorgfältige, charakteristische und feine Ausbildung in den verschiedenen Stilarten auch die übrigen Tugenden sich angeeignet, um ein vortreffliches Darstellungsmittel für jede Gattung der Poesie und der Prosa abzugeben.“ Und nachdem man dies gehört, frage man sich: wie und wodurch ist das Alles gekommen und geworden? Und wenn man dann noch den Muth hat zu antworten: die Stilübungen, die Gottsched und Gellert vor hundert Jahren in Gang brachten, und die man seitdem ununterbrochen auf unsern Schulen und Universitäten bis auf diesen Tag in steigender Progression fortgesetzt hat, haben es gethan! wenn man den Muth hat zu leugnen, dass tausend zusammenwirkende grosse, allgemeine, tief in den Geist und das Leben der Nation greifende Ursachen, Ursachen, wie deren bei uns nie zuvor so viele und so mächtige zusammengewirkt haben, das Reformationszeitalter ausgenommen, dass Genie, Talent, Wissenschaft, Erfahrung, Schicksale der Nation und Weltereignisse dies Werk vollbracht haben, dass nur sie es vollbringen konnten, dass diese Frucht an einem lebendigen Baum mit tiefen und weitverbreiteten Wurzeln, nicht an einem todten, in den Boden gesteckten Reis gewachsen ist und wachsen konnte dann haben wir freilich Vieles umsonst geredet. Dann kommen wir freilich auf unsre „Stilschulen“ und „Anleitungen," auf unsre Gottsched, Adelung, Pölitz, Falkmann etc. statt auf Luther, Lessing, Goethe, Humboldt etc. zurück. Dann braucht es auch für unsre Knaben und Jünglinge, um sie zu trefflichen Scribenten, zu Rednern und Sprachkünstlern zu machen, statt all des Andern, was sonst mit ihnen vorgenommen wird, Nichts weiter, als jener ,,Stilstunden“ mit obligaten Uebungen ein oder zwei Male die Woche, von denen oben die Rede war, und die dann etwa um die Zeit ihrer Confirmation ein vorübergehendes Bedürfniss werden.

„Aber die Form! die Form! Ist denn im Reden und Schreiben nicht immer ein Doppeltes: Inhalt und Form? Gedanke und Ausdruck? und gibt es nicht Vorzüge und Mängel der Form an und für sich? und Regeln und Vorschriften und Uebungen, um diese vermeiden, jene erstreben zu lernen? Ist nicht zum reinen, gewandten, schönen Stil die Kenntniss dieser Form nothwendig? ist er selber nicht eben die Fertigkeit, sich in reinen und schönen sprachlichen Formen zu bewegen ?"

Der falschen Vorstellungsart," sagt K. Ph. Moritz, wo man das im Ausdruck sucht, was in der Sache liegt, kann nicht genug entgegen gearbeitet werden, weil der Nachtheil davon, in Ansehung der Verstimmung des menschlichen Denkens und Empfindens so gross ist und eine unzählige Menge misslungener Geistesproducte nur daher ihren Ursprung haben." Und: In den Lehrbüchern über den Stil scheint die Vorstellung zu herrschen, als ob eine jede Art des Stils in eines Jeden Gewalt wäre und durch Regeln füglich erlernt werden könnte." Was ist die Form? ist sie etwas selbständiges? bedingungsloses? durch sich gegebenes? hat sie eine Existenz für sich? eine Geltung und Bedeutung für sich? entsteht sie für sich? nach eigenem Gesetz? kann sie für sich angeeignet, entlehnt, übertragen werden? und ist sie, falls das möglich, nach der Uebertragung noch dasselbe was sie vorher war? Alle diese Fragen müssen wir verneinen, sobald nicht von der Form eines todten, mechanisch zubereiteten Stoffes, sondern von derjenigen eines lebendigen Seins, es sei ein körperliches oder ein geistiges, die Rede ist. Das Leben kann nur in bestimmter, individueller Form, die seine natürliche organische Bildung, seine leibliche Erscheinung, und darum selbst lebendig, nicht eine todte Hülle, ein angepasstes Kleid, ein zubereitetes Gefäss für dasselbe ist, sich darstellen, und die von dieser Form eben so unzertrennlich, wie umgekehrt die Form von dem Leben, das in ihr und durch sie erscheint. Das werden wir nunmehr wohl von aller Naturbetrachtung gelernt haben, und die dort gefundenen Gesetze der Form gelten auch für das geistige Leben. Auch dieses hat, wo es erscheint, eine bestimmte, individuelle Begrenzung in Raum und Zeit, die wir seine Form nennen. Es erscheint unter andern auch in sprachlicher Form, und diese sprachliche Form ist eben so wenig für den geistigen Inhalt, das geistige Leben, den individuellen Begriff, der darin erscheint, ein Zufälliges, Aeusserliches, Bedingungsloses, als z. B. die Blattform und die ganze Bildung der Pflanze für den Begriff, das Leben, das sich in dieser Form und Bildung individualisirt. Nennen wir den geistigen Inhalt, der sich in sprachlicher Form darlegt, einen Gedanken, so stehen also Gedanke und Form in unlöslichem, weil lebendigem, organischem Zusammenhang: jener ist nicht ohne diese, und diese ist nur, weil jener ist, und ist so wie jener, ihr Inhalt es verlangt. Beide sind als ein Ganzes aus demselben Schöpfungsacte des Geistes hervorgegangen, und bezeugen ihren gemeinsamen Ursprung durch die Harmonie ibres Daseins und ihres Lebenslaufes. Denn indem ihr Sein mit tausend zarten Wurzelfäden an dem Leben, aus dem es entsprungen ist, d. h. an dem Geiste des Individuums, des Volkes haftet, bringt es dessen Art und Eigenthümlichkeit, dessen Beharrliches (seinen Grundcharakter), aber auch dessen flüssige Natur zur Erscheinung und zeigt alle seine Metamorphosen. So entwickelt sich die sprachliche Form, bildet und verbildet sich, sinket und steigt Alles in Uebereinstimmung mit dem geistigen Sein, das sie trägt, und kann darum auch wohl als ein Gewordenes für sich aufgefasst, für die Betrachtung isolirt, als geschichtliche Erscheinung studirt, aber nicht in ihrem Werden beliebig übertragen, durch Unterricht nicht schlechthin mitgetheilt werden. Denn auch ihre Nachbildung, wo sie versucht wird, unterliegt denselben Bedingungen wie ihre erste Entstehung: auch was wir von Andern entlehnen, muss in uns wiedergeboren werden, soll es wirklich als unser Eigenthum gelten, und diese Wiedergeburt kann nur vermöge übereinstimmender Anlage und Bildung geschehen. So kann ein fein gebildeter Römer griechische Eleganz und griechischen Formreichthum bis auf einen gewissen Grad in seiner Sprache nachbilden, aber erst nachdem seines Volkes Bildung, worin die seinige wurzelt, den langen Weg von der altrömischen Einfachheit und Rusticität bis zur Urbanität des augusteischen Zeitalters zurückgelegt, und auf diesem Wege tausendfältige materielle und geistige Einflüsse in sich aufgenommen und verarbeitet hat. Und eben so kann er selber wieder, dem

so Grosses gelang, mit seinen Kunstschöpfungen des geläutertsten Geschmacks,
der feinsten Lebensklugheit nach Jahrtausenden ein ernstes nordisches Volk,
in der Periode seiner universellen Bildung, zur Nachahmung reizen, die doch
selten gelingt, weil die Natur die geistigen Elemente selten so glücklich
mischt, die öffentlichen Zustände und die persönlichen Verhältnisse selten
ein Talent auf einen so günstigen Boden stellen, als nöthig ist, wenn ihm
eine Form gelingen soll gleich derjenigen, worin uns jener Lieblingsdichter
aller gebildeten Menschen" noch heute entzückt.

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was

Dies gilt von aller auf Nachahmung der Form gerichteten Bemühung.
Was hilft 'alles Ankünsteln des Fremden? die Kunst kann nicht ohne
Natur bestehen, und der Mensch hat seinen menschlichen Mitbrüdern nichts
Anderes zu geben als sich selbst. Wie über dergleichen Bestrebungen, die
nur auf äusserliche Uebertragung der Form ausgehen, schon eine frühere
Zeit urtheilte, wo besonders Cicero der Gegenstand solcher kindischen
Nachaffung und todten Schulübung war, ersieht man aus der bei v. Raumer
mitgetheilten Stelle des Erasmus im Ciceronianus 1528. „Es ist ein thörichtes
Beginnen" sagt jener gelehrte Theolog und Kenner der alten Literatur,
der erste Philolog, der alle Bildung aus den Quellen des Alterthums schö
pfen hiess," aber auch der erste, der die Beschäftigung mit Objecten und
Formen des Alterthums nicht als Mittel zum Zweck ansah“ - „in fremdem
Sinne schreiben zu wollen, sich abzumüben, dass Cicero's Geist den Leser
aus unsern Werken anwehe. Du musst alles Mannigfaltige verdauen,
Du lesend zu Dir genommen und es durch Nachdenken vielmehr in die
Adern der Seele überführen, als in das Gedächtniss oder in einen Index, SO
dass der Geist mit aller Art geistiger Speise genährt, eine Rede aus sich
selbst erzeuge, welche nicht nach diesen und jenen Blumen, Laube und Grä-
sern schmeckt, sondern nach dem Wesen und der Neigung Deines Ge-
müthes; daher der Leser in Deiner Schrift nicht etwa zusammengeflickte
Fragmente Cicero's, sondern das Abbild eines Geistes erkenne, welcher
mit Wissen aller Art erfüllt ist. Die Bienen sammeln den Honigstoff nicht
von einem einzigen Strauch, sondern mit bewunderswürdiger Emsigkeit fliegen
sie auf Blumen und Kräutern aller Art herum; auch gewinnen sie nicht fer-
tigen Honig, sondern in Mund und Eingeweiden bilden sie ihn, erzeugen
ihn dann aus sich, und man erkennt in demselben nicht Geschmack oder
Geruch einzelner Blumen, welche sie gekostet." - Hier wird in vortrefflicher
Weise, einer falschen äusserlichen Nachahmung gegenüber, auf den innern
Zusammenhang hingewiesen, der zwischen der Form und ihrem geistigen In-
halt besteht. Von beiden mit einander heisst es, dass der Geist, mit gei-
stiger Speise aller Art genährt, die Rede aus sich selbst, aus seinem
eigenen Leben erzeuge, dessen Art und Eigenschaft sie auf diese Weise
in treuem Abbilde zeige.

Was können also alle einseitig auf Ausbildung der Form gerichteten
Bestrebungen belfen? Ist ein Fortschritt in der Form denn nicht an einen
vorausgehenden Fortschritt des sie erfüllenden, vielmehr sie erschaffenden
geistigen Inhaltes, d. h. an eine Steigerung, Erweiterung, Vergeistigung des
innern Lebens gebunden? Und wird dieser letztere Fortschritt, wo er ge-
macht wird, nicht von selbst und aus innerm Bedürfniss den Fortschritt in
der Form zur nothwendigen Folge haben? Ist es nicht überall so, dass das
höher potenzirte Leben frühere unvollkommnere Formen abwirft, indem es
höhere, freiere, reichere aus sich erzeugt? Jene können eben nicht zurück-
bleiben, weil sie, wie die Entwickelung fortschreitet, als ein Fremdes, dem
Innern nicht mehr Adäquates empfunden, vom neuen Triebe abgestossen
werden. So auf Seiten des körperlichen Organismus, und eben so auf Seiten
des geistigen. Auch hier potenzirt sich, so lange der Process der Ent-
wickelung fortgeht, aufsteigend so weit die angeborne Art und Anlage es
zulässt, mit dem inneren Gehalt des Lebens und der Bildung auch die Form,
worin dieser Gehalt zur Erscheinung kommt, und was mich innerlich be-

reichert, den Horizont meiner Anschauung erweitert und dadurch mein Gemüth befruchtet, was mich geistig erregt und mich wesentlich fördert, das fördert und bildet mich auch formell.

Hieraus erhellt, dass eine höher entwickelte sprachliche Form nur von höherer allgemeiner Entwickelung, dass ein ausgebildeter Stil nur von dem gereiften Geiste erwartet werden kann; dass man an frühere Alters- und Bildungsstufen hinsichtlich der Darstellung nicht Forderungen stellen darf, die aus innerem Vermögen erst auf einer späteren Stufe befriedigt werden können; dass die Sprache, den Ausdruck, den Stil zu bilden, das Geschäft aller Erziehung und alles Unterrichtes, nicht bloss desjenigen, der von der Schule ausgeht, sondern auch desjenigen ist, den das Leben ertheilt; und dass wenig oder kein Erfolg von einem Verfahren zu erwarten steht, das diese Seite der Bildung isoliren, sie unmittelbar durch besondere Veranstaltungen, Methoden, Vorschriften und Uebungen mittheilen zu können vermeint.

Was aber nicht unmittelbar mitgetheilt werden kann, das kann dennoch zum Gegenstand des Studiums, der Beobachtung gemacht, und so kann auch der Sinn für die sprachliche Form durch Anschauung, Beurtheilung, Vergleichung geweckt und geschärft, es kann das Bedürfniss einer reinen und schönen Form der Rede durch entsprechende Veranstaltungen innerlich angeregt und bis zum Grade absoluter Forderung gesteigert werden? Und eben so setzt doch auch die Herstellung solcher Form die Kenntniss der Mittel, durch welche sie hergestellt wird, so wie des technischen Verfahrens im Gebrauch dieser Mittel voraus? Da nun, wo von sprachlicher Form die Rede ist, eben die Sprache das Mittel der Darstellung ist, so kann die Herstellung einer angemessenen sprachlichen Form nicht ohne Herrschaft über die Sprache, die wieder auf einer umfassenden Kenntniss ihres materiellen Reichthums, auf gründlicher Erforschung ihrer Gesetze und Ausdrucksmittel, ihres ganzen geistigen Organismus beruht, gedacht werden?

Alles dieses ist wahr, und alles dieses wird durch den gesammten Unterricht, der alle geistigen Kräfte und so auch das sprachliche Vermögen in Anspruch nimmt und ausbildet, geleistet und kann nicht ohne ihn erreicht werden; speciell aber durch das Studium der Musterschriften der Alten und Neueren, das ja von früh auf die Jugend unsrer Schulen in ausnehmendem Maasse beschäftigt und als die feste, durch Nichts zu ersetzende Basis aller höhern Geistesbildung anerkannt wird. Hier bietet sich zum unausgesetzten Studium der Form die Gelegenheit wie nirgends sonst; hier hat der Schüler eine Sprache vor sich, die ihm eine unendliche Mannigfaltigkeit von Ausdrucksformen erschliesst, deren Studium nicht bloss, was das Wenigste ist, den eigenen Besitz des Lernenden an Mitteln des Ausdrucks materiell bereichert, sondern auch formell sein Darstellungsvermögen durch Ausbildung des Sprachsinns, durch Uebung der Geisteskraft erhöht; hier hat er Muster alles Stils und jeder Darstellungsform unablässig vor Augen, und mag sein Ohr und seinen innern Sinn an alle höheren Vorzüge der Rede, als Lebendigkeit, Geist, Energie, Präcision, Klarheit, Grazie, Wohlklang, und seinen Geist an alle auszeichnenden Attribute der Composition, als Schärfe der Auffassung, Gründlichkeit, Tiefe, Reichthum, Maass, Uebereinstimmung, mit steigender Empfänglichkeit gewöhnen. Was könnte ihm diese Schule ersetzen?

Und damit mögen sich immerhin eigens auf den Zweck der Stilbildung berechnete Anleitungen und Uebungen verbinden, die, wenn sie auch, wie sich aus dem Vorhergehenden ergibt, für den beabsichtigten Zweck keineswegs schlechthin nothwendig sind, ihn vielmehr, wenn in verkehrter, rein ausserlicher Weise aufgefasst, nur beeinträchtigen können, doch, vom einsichtigen Lehrer mit dem einsichtigen Schüler vorgenommen, denselben an ihrem Theile mögen fördern helfen. Nur auf andere Weise, als man sich die Sache gemeiniglich denkt: nämlich nicht direct, und so als ob sie die

beabsichtigte Wirkung unmittelbar zur Folge hätten, sondern indirect, als formales Bildungsmittel, insofern sie, durch ihre Richtung auf Form und Ausdruck, überhaupt den Formsinn bilden helfen, und dadurch, also mittelbar und in zweiter Linie, dem speciellen Zweck der Stilbildung dienen. Sie stehen in dieser Weise auf gleichem Boden mit andern Uebungen, die auf andern Gebieten, namentlich der zeichnenden und bildenden Kunst und der Musik, die Seele für die Vorzüge der Form empfänglich machen, so dass sie auch mit diesen Uebungen ihre Rollen wechseln, und stellvertretend diese für jene und jene für diese eintreten können. Wie nämlich durch eingehende Betrachtung von Zeichnungen, Gemälden, Bildwerken etc. das Auge für die Auffassung künstlerischer Verhältnisse geübt, durch Reflexion über die angewandten Kunstmittel und das Studium ihrer Wirkungen das Kunsturtheil geweckt und geschärft, dadurch aber überhaupt die Seele für Maass und Ordnung und Uebereinstimmung und reinen Ausdruck bereitet und gestimmt wird, und wie dasselbe Resultat in entsprechender Weise in der Musik durch Gewöhnung des Ohrs an gesetzmässige Tonfolge, an Melodie und Harmonie erzielt wird: so kann und wird auch eine methodische Schule des Stils, indem sie die Aufmerksamkeit auf die Formen der Rede, die Nuancen des Ausdrucks und ihre Angemessenheit fesselt, dieselbe allgemein bildende Wirkung nicht verfehlen. Es ist hier wie dort das Gesetz der Form, das studirt wird, und das, einmal in die Seele übergegangen, jede Thätigkeit derselben regeln, und so auch Allem, was dieser Thätigkeit entspringt, es sei Wort, Gedanke, Willensäusserung oder was es sei, sein Herrschersiegel aufdrücken wird.

Es kommt aber darauf an, dass es wirklich in die Seele übergegangen sei, ihr Denken und Fühlen innerlich bestimme; so lange dies nicht geschehen, wird man vergebens im einzelnen Falle, dem unerschlossenen Sinne gegenüber, auf den Anforderungen der Form bestehen, eben weil sie dem inneren Bedürfniss dessen, an den sie gemacht werden, und seiner Fähigkeit nicht entsprechen. Dies ist der Grund, warum Stilregeln und Stilübungen gemeiniglich so wirkungslos sind; die hinwieder da überflüssig sind, wo der Sinn für die Form, wie nicht so gar selten der Fall, von Hause vorhanden oder durch die gewonnene allgemeine Bildung schon erworben ist. Es ist ersichtlich, dass alle Vorschriften über Klarheit, Angemessenheit, Präcision etc. des Ausdrucks, wenn auch noch so gründlich vom Lehrer erörtert und wenn auch noch so fleissig vom Schüler einstudirt, Letzterem noch gar nicht die Fähigkeit mittheilen, im gegebenen Falle zu beurtheilen, was nun klar, angemessen, pracis etc. sei, und also das Entgegengesetzte zu vermeiden. Nicht die Gesetze der Optik und ihr wissenschaftliches Verständniss sind es, die uns das Sehen lehren; wir sehen ohne ihre Kenntniss, ob auch nach ihnen, wenn unser Auge gesund, unsre Sehkraft ungeschwächt ist; wo diese fehlt, verhilft auch jene Kenntniss uns nicht zu Gesichtsempfindungen, wir tappen trotz ihrer im Dunkeln. So auch der Stilschüler. Er tappt im Dunkeln, trotz Regeln und Vorschriften, und schreibt unklar, verworren, schwerfällig, so lange sein geistiges Auge nicht für klare, reine, gefällige Formen erschlossen ist; es hilft ihm nicht, dass man ihm sagt, was sein muss, wenn er es sich selbst nicht sagt. Wenn aber Lehrer und Schüler es sich nicht verdriessen lassen, wiederholt und immer wieder die Gesetze eines guten Ausdrucks zu studiren, die Musterschriften der Alten und der Neueren zu diesem Zweck einer genauen, in's Einzelnste gehende Analyse zu unterwerfen, auf jede Feinheit, jede Eigenthümlichkeit, jede besondere Färbung, jede leise, oft halb verborgene Beziehung des Ausdrucks zu achten, und mit diesem Studium eigene Versuche in der Composition zu verbinden: so wird diese fortgesetzte Uebung immerhin dazu beitragen, in dem Schüler die Empfanglichkeit für die Form zu wecken und seine Seele zu bereiten, dieselbe aus eigenem Vermögen zu erzeugen. Dies ist das Ziel, dem solche Uebung zustreben muss, und dies ihr rationelles Princip. Doch täusche man sich auch

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