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Woher kömmt es, daß dieses in unserer Zeit nicht der Fall ist, daß jezt selbst jene, die die Bewegung heraufbeschworen, oder ihr wenigstens hoffnungsvoll entgegensehen, sich nun von ihr mit Bangen abwenden, daß eben in den Reihen derjenigen, die ihren eigenen Vortheil dem des Ganzen oder wenigstens dem Ruhme etwas Großes vollbracht zu haben, gerne aufopfern, nun eine fast größere Entmuthigung eingetreten ist, als wir sie beim Volke selbst finden?

Es konnte ihnen nicht unbekannt sein, daß man die Fluthen nicht aufregt, ohne daß viel Schmuß, der in der Tiefe geruht, zur Oberfläche komme, und daß in dem Kampfe um die reinste Wahrheit immer Erscheinungen stattfinden, von denen man sich mit Eckel abwendet. Auch gekränkte Eitelkeit kann diese Erscheinung nicht erklären. Weiß man ja doch, wie auch die trübste Welle im Augenblicke, wo sie über den Felsen stürzt, rein und glänzend erscheint, und daß in Momenten großer Aufregung auch das Unreinste herrlich erscheinen kann; — wer wird in Tagen, wie die unseren, den Gefeierten einer Stunde um den kurzen Glanz beneiden, der doch, wie sich die Fluth beruhigt, verschwinden muß.

Es hat Zeiten gegeben, wo die Aufregung in Europa scheinbar noch allgemeiner war, als sie es jezt ist. Die Kirchenreformation des sechzehnten Jahrhunderts hat sich auch auf jene Länder erstreckt, an de nen die Ereignisse der jüngsten Zeit äußerlich spurlos vorbeigegangen, und selbst in der Geschichte jener Staaten, die jezt am meisten gelitten, finden wir Momente, die, wenn man nur die Störung der öffentlichen Ruhe und die damit verbundenen materiellen Leiden betrachtet, uns ein weit traurigeres Bild, als das der Gegenwart bieten. Der dreißigjährige Krieg in Deutschland, die Kämpfe der Ligue, und die Widerrufung des Edictes von Nantes haben mehr Existenzen zerstört, haben schauderhaftere Folgen hervorgebracht, als die leßten Umwälzungen. Auch ist das Volk mit jenen, die seiner Dankbarkeit am würdigsten waren, nie anders verfahren als jezt, und es ist gut für den Ruhm wirklich großer Männer, wenn sich der Haufe von ihnen zurückzieht, anf daß die Zukunft den allein Stehenden in seiner ganzen Gestalt erkennen könne. Der Grund der allgemeinen Entmuthiguug, welche wir eben in den Reihen derjenigen wahrnehmen, die dem Volke als Führer dienen sollten, ist in anderen

Ursachen zu suchen. Nicht die äußeren Erscheinungen, sondern vielmehr die ganz eigenthümliche Art unserer Bewegungen müssen uns dieselbe erklären.

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Der Kampf um die Staatsgewalt ist so alt, als diese Gewalt selbst, und wenn Proudhon recht hat, so er behauptet, jede bürgerliche Gesellschaft habe damit begonnen, daß die Menschen eine Autorität unter sich constituirt, *) so_kann_man behaupten, daß die Versuche, den Staat zu erschüttern, bis zur Entstehung der Staaten zurückreichen. Doch wie oft und heftig die Staatsgewalt auch angegriffen wurde, so ist es doch immer im Namen von Menschen oder Principien geschehen, die sich an die Stelle der Bestehenden sezen wollten. Man wollte die Leitung der bürgerlichen Gesellschaft anderen übertragen, wollte die Bahn, die sie bisher verfolgt, verändern aufheben wollte sie Niemand. Jede Partei bot oder bemühte sich wenigstens der Gesellschaft jene Garantien der Ordnung zu bieten, ohne welche dieselbe nicht bestehen kann. Auch hat es vom Untergange des römischen Reiches an keine Zeit gegeben, wo nicht im Gedränge der Bewegung irgend etwas fest stehen geblieben wäre, an dem sich das Uebrige, auch wenn es zusammengestürzt, wieder aufrichten konnte. Mitten in der größten Verwirrung des Mittelalters vollendete sich das Gebäude der Kirche, in dem die Humanität ihre Zufluchtsstätte finden konnte; auf der Grundlage des Raubes entwickelte sich der sociale Begriff des Besizes, der zum Fundamente der neuen Gesellschaft werden sollte, und ihr vom ersten Augenblicke an einen Halt gab, und als in der Kirche namenlose Verwirrung einriß, war der Staat schon fest konstituirt, und durch ihn ward es verhütet, daß die freie Forschung nicht alle Bande, die die Menschen in religiösen Gemeinschaften zusammenhielten, zerreißen konnte und sich die Christenheit, wenn auch getrennt

*) Lorsque les premiers hordes s'assemblèrent au bord des forêts pour fonder la société, ils ne se dirent point: organisons nos droits et nos devoirs. On se tint un tout autre langage: constituons au milieu de nous une autorité qui nous surveille et nous gouverne.

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Les confessions d'un Révolutionaire.

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wie in

wieder in feste Gemeinschaften zusammenseßen mußte, um später in England während der Kämpfe des siebzehnten Jahrhunderts Deutschland nach dem dreißigjährigen Kriege der bürgerlichen Gesellschaft als Stüßpunct zu dienen. Und wie heftig, ja rasend man das Bestehende auch in anderen Zeiten angegriffen, so haben demselben doch nie feine Vertheidiger gefehlt, die für dasselbe mit eben der Hingebung in den Kampf traten, weil auch sie dieselbe Ueberzeugung des Rechtes, dasselbe Bewußtsein eine heilige Pflicht zu erfüllen beseelte, wie ihre Gegner. All' diese Umstände, worin der Freund der Ordnung und Gesittung auch in der aufgeregtesten Zeit Trost finden könnte, fehlen in unsern Tagen.

Es ist nicht eine gewisse Form der bürgerlichen Gesellschaft, nicht die Regierung gewisser Männer oder Grundsäge, es ist vielmehr das Bestehen einer bürgerlichen Gesellschaft, es ist das Recht irgend einer Regierung überhaupt, welches man angreift. Die Zeit, in welcher man es offen aussprechen kann, „daß die Gesellschaft ihrer Natur nach unregierbar sei, und daß jeder, der sich zu regieren unterfange, als Usurpator und Tyrann betrachtet werden müsse, den man für seinen Feind erklärt," wo man behaupten darf, „daß mit der Mündigkeit des Menschen jede Regierung aufhören müsse,“ *) und wo man nach solchen Aeußerungen von vielen für einen Apostel der Wahrheit, von allen für einen wenigstens höchst ausgezeichneten und gefährlichen Menschen gehalten werden kann; eine solche Zeit ist weit über die Grenzen hinübergegangen, in welcher sich auch die größten Umwälzungen sonst bewegten.

Nach sechzig Jahren beinahe ununterbrochener Revolutionen, wo man immer nur darauf bedacht war, wie man den Sieg möglichst voll

*) La société par nature et destination est donc autonome comme qui dirait ingouvernable. Quiconque met la main sur moi pour me gouverner est un L'homme une fois usurpateur et un tyran; je le declare mon ennemi. parvenu à l' áge de majorité, le gouvernement et les partis doivent disparaître.

Proudhon ibidem.

ständig mache, und seine Gegner vernichte; wo jede Partei mehr die Falschheit der Grundsäge seiner Widersacher, als die Wahrheit der eigenen gesucht, wo jede mehr um den Besiß der Gewalt als darum besorgt war, sie vernünftig zu gebrauchen; wo jede Gewalt immer alles gethan, was sie für möglich hielt, ohne zu bedenken, daß für die Dauer nur dasjenige möglich ist, was man als Recht erkennen kann, bis die Gewalt von einer Hand der andern entrissen, zehnmal zerbrochen, und wieder zusammengeleimt, endlich alle Stärke verloren hat, und das Volk, nachdem es im Namen der ewigen Gerechtigkeit alles, was es früher für Recht gehalten, mit Füssen getreten sah, endlich den Maßstab, mit dem es über die Gerechtigkeit einzelner Handlungen urtheilen soll, verloren zu haben scheint, äußert sich der Zweifel immer lauter: ob denn alle diese Anstrengungen nicht nuglos, ob nicht die Hoffnung, durch die veränderte Staatsverfassung die Verhältnisse der Menschen zu bessern, ein eitles Gaukelspiel derjenigen gewesen sei, die sich dadurch den Weg zur Gewalt bahnen wollten, um sie dann zum eigenen Vortheil auszubeuten? Die politische Revolution genügt nicht mehr, es ist eine sociale, deren man bedarf. Wie man vor einem halben Jahrhunderte sein Ziel verfehlt zu haben glaubte, wenn man außer dem Staate nicht auch die Religion, die ihm zur Stüße gedient in seinen Grundfesten erschütterte, so ist es jezt die Familie, der Besiz, alles worauf die menschliche Gesellschaft bis jezt beruht, jedes Band, welches irgend etwas zusammengehalten und einer neuen Gestalt als Kern dienen könnte, was angegriffen wird. Die Menschheit soll neu geschaffen werden, es ist nicht genug, daß man zum Chaos zurückkehre, alles muß in seine Atome aufgelöst werden, und schon ist die Zeit da, wo man für bornirt gilt, wenn man das nicht einsehen will, und wo unbezweifelt republikanische Ansichten niemanden vor dem Namen eines Reactionärs schüßen, und das allgemeine Stimmrecht seine Vertreter nicht in den Reihen derjeni gen sucht, die dieses Recht erkämpft, sondern wo man, um der Mehrheit zu gefallen, die Liebe zur Familie als einen Verrath an der allgemeinen Brüderlichkeit, den Besiß für einen Diebstahl erklären muß.

Und während man das rechtliche Bestehen jeder bürgerlichen Ordnung läugnet, während alle Grundfesten der Gesellschaft wanken und

nichts unangegriffen bleibt, was, wenn der große Bau zusammenstürzt, als Mittel, um einen neuen aufzurichten, dienen könnte, steht da die Gesellschaft nicht wehrloser als sie es je gewesen, verzagt noch vor dem Kampfe, gleichsam ohne Vertheidiger?

Wenn man die Progression, in welcher die Partei des Umsturzes sich in den lezten Jahren ausgebreitet hat, betrachtet, so mag uns allerdings für einen Augenblick Bangigkeit erfassen, doch ist es sicher nicht die Zunahme der antisozialen Parteien, die uns ernste Besorgnisse einflößen kann. Wenn auch alle die Stimmen, welche man in Frankreich für sozialistische Candidaten abgegeben, nach reiflicher Ueberlegung und vollem Selbstbewußtsein in die Wahlurne geworfen worden sind, wenn jene, die mit der gegenwärtigen Verwaltung unzufrieden, die Opposition unterstügt haben, auch wirklich den Umsturz der Gesellschaft zum Zwecke hatten doch offenbar nicht anzunehmen ist so befindet sich diese Partei doch noch immer in der Minderheit, und niemand täuscht sich hierüber weniger, als diese Partei selbst, die, wenn sie die Hoffnung hätte, bald eine Majorität zu erlangen, sicher das beste Mittel dazu nicht vernachlässigen könnte, und wie andere politische Parteien fest behaupten würde, sie habe dieselbe schon erlangt, während sie doch gerade das Gegentheil thut. *)

was

Die wahre Gefahr ist vielmehr in den Ansichten und Handlungen jener Partei, oder besser gesagt, jener unendlichen Mehrheit zu suchen, die das Bestehende erhalten will, und wer die Ereignisse der jüngsten Zeit aufmerksam beobachtet, kann sich hierüber nicht täuschen.

Die große Umgestaltung aller Verhältnisse im Jahre 1848 hat einen eigenthümlichen Character, den wir in der Geschichte kaum bei

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*) Considérons l'état d'ignorance profonde, et d'asservissement moral où les campagnes en France vivent plongées, enfin la supériorité numérique du peuple ignorant des campagnes sur le peuple éclairé des villes je pensais que nous aurions dû reculer le plus loin possible le moment des élections. Louis Blanc. Pages d'Hist. de la Révolution de Février.

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